Meliton Manzanas: Faschist und Folterer
Meliton Manzanas Gonzalez (1909-1968) war ein spanischer Polizist während der franquistischen Diktatur. Im Spanienkrieg kämpfte er bei den Putschisten, während des Zweiten Weltkrieges war er Kollaborateur der Nazis. Später wurde er zum Chef der politischen Polizei in Gipuzkoa und war verantwortlich für Hunderte von Folterungen gegen Oppositionelle. Sein Ende fand Manzanas bei einem Attentat der 1959 gegründeten Untergrund-Organisation ETA, das gleichzeitig deren erste geplante und tödliche Aktion war.
Der Faschist, Nazi-Kollaborateur, Polizist und Folterer Meliton Manzanas wurde beim ersten geplanten Attentat der Untergrund-Organisation ETA am 2. August 1968 in Irun (Gipuzkoa) durch Schüsse getötet.
Manzanas wurde im Jahr 1909 im baskischen Grenzort Irun (gegenüber von Hendaia in Iparralde) geboren. In der gipuzkoanischen Hauptstadt Donostia (San Sebastián) absolvierte er ein Ingenieur-Studium. Nach dem Militärputsch der ultrarechten Generäle vom 18. Juli 1936 wurde er von den republikanischen Behörden wegen seiner offenen Sympathie für die aufständischen Militärs verhaftet und eingesperrt. Im Verließ von Guadalupe von Hondarribia (span: Fuenterrabia) war er jedoch nur kurze Zeit gefangen, bis September 1936, als die Faschisten die Stadt einnahmen. Danach wurde er für das 3. Artillerie-Regiment San Sebastián rekrutiert, im Jahr 1938 wurde er mit den “Grünen Pfeilen“ (Flechas Verdes) bis zum Kriegsende an die Front geschickt. (1)
1941 kam er als Inspektor zum General-Korps der Polizei und von dort zur “Politisch-Sozialen Brigade“ von Gipuzkoa, der politischen Gesinnungs-Polizei der Franquisten, deren Aufgabe die Verfolgung regimekritischer Personen und Aktivitäten war (Brigada Político-Social). Schnell stieg er dort zum Chef auf und kollaborierte aktiv mit der nazi-deutschen Gestapo. Während der Nazi-Besetzung im Süden Frankreichs half er dabei, Jüdinnen und Juden festzunehmen, die versuchten, aus den besetzten Gebieten über die Grenze zu flüchten. Im Juli 1964 erhielt er für seinen “Einsatz“ das Polizei-Verdienstkreuz, in seiner Personalakte waren bis zu fünfzig Belobigungen verzeichnet – für seine polizeilichen Leistungen bei der politischen Verfolgung.
Folteropfer
Die von der Brigade Festgenommenen kamen aus unterschiedlichen ideologischen Lagern, es handelte sich sowohl um Sozialist*innen und Anarchist*innen, wie auch um baskische Nationalist*innen. Viele der Betroffenen bezeichneten Manzanas später einhellig als einen brutalen Folterer. In den Augen der Oppositionellen wurde Manzanas aufgrund seiner “Arbeit“ zum Aushängeschild der franquistischen Repression im Baskenland.
Eine vollständige Liste der von Manzanas gefolterten Personen gibt es bis heute nicht – und wird es wahrscheinlich nie geben, weil es keine Dokumente gibt und weil viele Betroffene nie über die erlebte Folter reden konnten oder wollten. Als Folteropfer bekannt sind: María Mercedes Ancheta, Joxe Mari Quesada (2), Marcelo Usabiaga (3), José Miguel Calvo Zapata, José Ignacio Huertas Miguel, Víctor Lecumberri, Roberto Cámara, Jesús María Cordero Garmendia, Jerónimo Gallina, Pedro Barroso Segovia, Javier Lapeira Martínez, Regino González Moro, Jorge González Suárez, Francisco Parra, Gaspar Álvarez Lucio, Manuel Mico Bartomeu, Nicolás Txopitea Paradizabal, Esteban Huerga Guerrero, Victoria Castan del Val, Mario Onaindia Natxiondo (4), Jone Dorronsoro, Ramón Rubial (5), Timoteo Plaza, Amanci Conde, Juan Agirre, Auspicio Ruiz, María Villar, Carmen Villar, Luis Martín Santos, José Luis López de Lacalle, Xabier Apaolaza, Ildefonso Pontxo Agirre, José Ramón Recalde, Julen Madariaga (6), Rafa Albizu, María Jesús Muñoz, Félix Arrieta und Juan José Sainz. Unter vielen anderen.
Tödliches Attentat
Im Jahr 1968 organisierte die Führung von ETA mit der “Operation Sagarra“ ein Attentat gegen Manzanas: “Sagarra“ bedeutet “Apfel“ auf Baskisch, auf Spanisch “Manzana“. Das Attentat wurde am 2. August 1968 ausgeführt. Im Polizeibericht heißt es: “Drei ETA-Mitglieder erwarteten Manzanas vor seinem Haus in Irun, der sogenannten Villa Arana. Bei seiner Ankunft wurde er von sieben Projektilen getroffen, in Anwesenheit seiner Frau und seiner Tochter“. (1)
Die Feierlichkeiten der Beerdigung wurden vom Regime mit großem Pomp durchgeführt, anwesend waren viele politische Führer des Franquismus, die Provinz-Führung der Falangistischen Bewegung, aktive Faschisten und Sympathisanten. Dieser Versuch einer Machtdemonstration entsprach hingegen nicht der Sichtweise in großen Teilen der Bevölkerung, denn für viele war mehr als klar, dass ETA einen brutalen Verbrecher und Faschisten aus dem Weg geräumt hatte – also eher klammheimliche Freude.
Historische Betrachtung
Historisch betrachtet steht dieses erste ETA-Attentat im Zusammenhang mit Ereignissen zwei Monate zuvor. Am 7. Juni 1968 waren zwei ETA-Mitglieder, Iñaki Sarrasketa und der ETA-Führer Txabi Etxebarrieta, bei Tolosa in eine Polizeikontrolle geraten. Es kam zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf ein Guardia Civil getötet wurde. Stunden später wurde Etxebarrieta bei einer erneuten Konfrontation mit der Polizei erschossen.
Sowohl der Guardia Civil als auch der ETA-Militante Txabi Etxebarrieta waren die ersten direkten Todesfälle des Konflikts zwischen dem baskischen Widerstand und dem Franquismus. Von staatlicher Seite wird das ETA-Attentat gegen Manzanas deshalb als Konsequenz und “Racheaktion“ für den Tod von Etxebarrieta interpretiert. Erst kürzlich wurde dem Publikum eine Dokumentar-Spielfilm-Serie vorgestellt, bei der Etxebarrieta als verführter Ideologe und Manzanas als liebender Familienvater dargestellt werden. Die Serie trägt den Titel “La línea invisible“ (Die unsichtbare Linie) und bezieht sich auf den historischen Moment, in dem ETA mit der Anwendung politischer Gewalt begann.
Ausnahmezustand
Das Regime antwortete auf den Mordanschlag gegen Manzanas im August 1968 mit der Verhängung des Ausnahmezustands in Gipuzkoa. Zunächst für drei Monate, drei weitere sollten folgen. Dieser Ausnahmezustand überschnitt sich mit einem am 24. Januar 1969 für den ganzen Staat verhängten. Für diese Zeit wurden die Artikel 14, 15 und 18 der spanischen Grundordnung außer Kraft gesetzt (eine Verfassung gab es schließlich nicht). Betroffen waren die freie Wahl der Wohnung, die Unverletzlichkeit des Wohnsitzes und die Dauer der Untersuchungshaft nach einer Festnahme. In der Folge dieser Maßnahmen wurde die diktatorische Repression im Baskenland deutlich verschärft. Die Organisation ETA bekannte sich im belgischen Fernsehen zu dem Attentat gegen den Polizeifolterer Meliton Manzanas. Während des Burgos-Prozesses 1970 wurde das damalige ETA-Mitglied Izko de la Iglesia der Täterschaft beschuldigt.
Polemik wegen posthumer Ehrung
Im Januar 2001 wurde Manzanas durch die spanische Regierung unter José María Aznar ein “Erinnerungstitel als Opfer des Terrorismus“ verliehen. Grundlage dafür war das Gesetz 32/1999 (vom 8. Oktober 1999), das “die Anerkennung von Opfern des Terrorismus“ regelte und die Entschädigung ihrer Hinterbliebenen. Jenes Gesetz war vom spanischen Parlament einstimmig beschlossenen worden. Im seinem vierten Absatz wurde “ausnahmslos allen Opfern des Terrorismus die Möglichkeit dieser Anerkennung eingeräumt, sofern Familienangehörige dies beantragen“.
Die Anerkennung von Manzanas als “Opfer des Terrorismus“ rief jedoch in vielen Sektoren der Opposition laute Proteste hervor: Amnesty International, die Befriedungsgruppe “Gesto por la Paz“ im Baskenland, das Madrider Friedensforum (Foro por la Paz), die Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT) beschwerten sich ebenso wie die linke Partei Izquierda Unida (Vereinigte Linke). Sie argumentierten, eine “gerechte Anerkennung als Opfer des Terrorismus“ könne nicht “um jeden Preis“ erfolgen. Denn im Falle von Manzanas bedeute diese Medaille gleichzeitig “die ehrenhafte Anerkennung eines berüchtigten Folterers und Putschisten, der in der dunkelsten Phase des spanischen Lebens im 20. Jahrhundert Terror und Repression verbreitete“. Auch das Regional-Parlament von Navarra sprach sich in einer Resolution gegen die Anerkennung von Manzanas als Opfer aus.
Als Reaktion auf die Verleihung der Ehrenmedaille für den Franquisten Manzanas brachte die christdemokratische baskische PNV-Partei im Jahr 2002 im spanischen Kongress eine Initiative ein, mit dem Ziel, den vierten Artikel des “Gesetzes zur Solidarität mit den Opfern des Terrorismus“ zu ändern. Künftig sollte der Artikel lauten: “In keinem Fall kann die Anerkennung an Personen verliehen werden, die in ihrer persönlichen oder beruflichen Laufbahn ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das den Werten der Verfassung oder den internationalen Menschenrechts-Abkommen widerspricht“. Diese Änderungs-Initiative wurde gegen die Stimmen von Aznars postfranquistischer Volkspartei PP angenommen.
Fortgesetzte Ehrung für den Folterer und Nazifreund
Die Verleihung der Medaille als “Opfer des Terrorismus“ für Meliton Manzanas wurde dennoch nie zurückgenommen. Die Opfer von Folter und Repression durch Manzanas wurden nie als Opfer von “Staats-Terrorismus“ oder “Opfer staatlicher Gewalt“ anerkannt. Zu einer solchen Regelung kam es nur in der Region Baskenland – von spanischer Seite wurde sie mit allen Mitteln der Polemik und Justiz bekämpft. Einige der Folter-Opfer haben sich deshalb der sogenannten “argentinischen Klage“ angeschlossen. Hintergrund ist die Universalität der Menschenrechte, die überall eingeklagt werden können, nicht nur in dem Land, in dem die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Die argentinische Richterin Maria Servini hatte sich diese Klage im Jahr 2010 zu eigen gemacht und fordert seither die Auslieferung von franquistischen Politikern und Folterern durch die spanische Justiz. (7)
In einem Aufsehen erregenden Verfahren hatte die baskische Regierung im Jahr 2016 eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die die Folterpraxis durch Guardia Civil, Nationalpolizei und die baskische Ertzaintza-Polizei untersuchen sollte. Das Ergebnis war vernichtend und wurde dem baskischen Parlament vorgelegt. Spanische Parteien und Politiker*innen forderten empört die umgehende Zurücknahme der Studie. (8)
ANMERKUNGEN:
(1) Meliton Manzanas (WIKIPEDIA)
(2) Joxe Mari Quesada (1935-1968), ehemaliges ETA-Mitglied, gefoltert und an der Folgen der Folter gestorben (LINK)
(3) Marcelo Usabiaga (1917-2015), baskischer Kommunist und Antifranquist (LINK)
(4) Mario Onaindia Natxiondo (1948-2003), ehemaliges ETA-Mitglied, später Parlamentarier von Euskadiko Ezkerra und der sozialdemokratischen PSE.
(5) Ramón Rubial (1906-1999), baskisch-spanischer Politiker der PSOE, Parlamentarier und von 1979 bis 1999 PSOE-Präsident.
(6) Julen Madariaga (*1932), Gründungsmitglied der Organisation ETA.
(7) Mehr Information bei: “Systematische Folter in Spanien – Expertenbericht für die baskische Regierung“ (LINK); “Folterbericht Baskenland – Bisher galten alle Folter-Anzeigen als Lügen“ (LINK); “Folter gegen Basken – Rückblick in die 1960er Jahre“ (LINK)
(8) Die Argentinische Klage (La querella argentina) (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Meliton Manzanas (collage)
(2) Meliton Manzanas (presse)
(3) ETA (elpais)
(4) Meliton Manzanas (eldiario)
(5) Filmszene (nortes)
(6) Folter (publico)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-08-02)