Die scheinbare Lösung aller Probleme
Kaum ein Museum hat so zum wirtschaftlichen Aufschwung einer Stadt beigetragen wie das Guggenheim in Bilbao. Die baskische Industriestadt war ein schmutziger und kontaminierter Flecken. Die Schwerindustrie wurde auf Anweisung von Brüssel geschlossen. Erst als Architekt Gehry 1997 damit beauftragt wurde, am Ufer des Flusses den avantgardistischen Kunsttempel aus Titan und Stahl zu errichten, wendete sich das Blatt. Doch ist nicht alles Gold was silbern glänzt. Prekarität dominiert den T-Sektor.
Bilbao (Bilbo) wandelte sich in 20 Jahren zur Kunstmetropole. Plötzlich kamen jährlich über eine Million Kulturtouristen. Hotels, Restaurants und auch die umliegenden Geschäfte profitierten vom bereits international bekannten „Bilbao-Effekt“.
Mit zwei spektakulären Retrospektiven über Francis Bacon und Albert Oehlen sowie einer Exposition über die Kunstsammlung Hermann und Margrit Rupfs mit über 70 Werken von Künstlern wie Pablo Picasso, Juan Gris oder Kandinsky zieht das Guggenheim-Museum derzeit gleich mit drei großen Sonderausstellungen wieder Massen ausländischer Kunstfans an. (1)
Für die anderen Museen der Stadt war es lange Zeit nicht einfach, im übergroßen Schatten des Guggenheims zu überleben. Doch mit der Zeit haben sie Strategien entwickelt, um auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Man könne natürlich nicht mit den großen Ausstellungen des Guggenheims konkurrieren. „Wir haben aber gelernt, ein alternatives Kultur- und Kunstprogramm auf die Beine zu stellen, welches das Guggenheim-Programm ergänzt und zudem immer attraktiver für ein internationales Publikum wird“, versichert Lourdes Fernandez vom Kunst- und Kulturzentrum Azkuna Zentroa im APA-Gespräch.
Museums-Konkurrenz
Das Guggenheim-Museum habe viele kleine Kulturzentren in Bilbao nahezu gezwungen, innovativer und internationaler zu agieren, um nicht unterzugehen, meint Fernandez. Ähnlich wie das Guggenheim versucht auch ihr erst vor wenigen Jahren vom Stararchitekten Philippe Starck umgestaltetes Azkuna Zentroa Besucher mit spektakulärer Architektur anzulocken. Der französische Designer verwandelte das ehemalige Jugendstil-Gebäude, das 1909 von Ricardo Bastida als Weinlager geschaffen wurde, in ein einzigartiges Kultur- und Freizeitzentrum.
Im Februar beginnt das neue Ausstellungsjahr gleich mit einem internationalen Schwergewicht - dem renommierten kubanischen Künstler Carlos Garaicoa. Danach werden Werke von Margaret Harrison gezeigt. Im vergangenen Jahr zog eine Sonderausstellung des britischen Künstlers Jeremy Deller bereits mehr als 25.000 Besucher in nur zwei Monaten an.
„Vor allem fokussieren wir uns aber auf regionale baskische und auch spanische Künstler von internationalem Interesse“, erklärte Fernandez die Nischenstrategie. So werden 2017 auch Ausstellungen von Teresa Lanceta und Itziar Barrio im Mittelpunkt stehen. Dennoch verzichtet man aber nicht auf Internationalisierung. „Im Frühjahr werden wir zusammen mit der ARS Elektronica Linz beispielsweise eine große Sonderschau organisieren und viele österreichische Künstler nach Bilbao holen“, erklärt Lourdes Fernandez.
Die Strategie scheint aufzugehen. Die Besucherzahlen im Azkuna Zentroa steigen Jahr für Jahr - vor allem die der internationalen Gäste. „Das Guggenheim-Museum hat uns indirekt alle gezwungen, unsere Einrichtungen zu modernisieren, wodurch immer mehr internationale, ausschließlich vom Guggenheim angezogene Kulturbesucher auf uns aufmerksam werden“, versichert auch Javier Viar, Direktor des Museums der Schönen Künste, der APA.
Museum der Schönen Künste
Sein bereits 1908 gegründetes Museum, dessen Kollektion von Kirchenkunst aus dem 12. Jahrhundert bis hin zur zeitgenössischen Kunst reicht, gehört zu den wichtigsten des Landes. Rund 10.000 Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen von Künstlern wie El Greco, Murillo, Zurbaran, Goya, Chillida, Tapies, Barcelo und Picasso sind hier zu bewundern.
Doch erst in den letzten Jahren stiegen die Besucherzahlen rasant. 2008 erweiterte man das Museum zum 100. Jubiläum. Man präsentiere die Sammlung heute moderner, ansprechender, so Viar. Jetzt finden auch viel mehr Sonderausstellungen im Jahr statt. Effekt: Überschritten die Besucherzahlen bis 2005 selten die 140.000 Marke, sind es heuer über 250.000. „Dem Guggenheim haben wir zu verdanken, dass wir keine internationalen Werbekampagnen in London, Paris oder Berlin schalten brauchen. Die ausländischen Besucher kommen so oder so, um das Guggenheim zu sehen und wir haben gelernt, ein attraktives Alternativprogramm zu bieten“, erklärt Javier Viar.
(Leider erwähnt der dokumentierte Artikel nicht, dass das Museum der Schönen Künste im Sommer 2016 einen 7-wöchigen Streik erlebte und in dieser Zeit geschlossen war. Die Mitarbeiterinnen mussten für ein Sub-Unternehmen zu Hungerlöhnen arbeiten, nach sieben Wochen Streik waren ihre Forderungen erfüllt. Ein ähnlicher Streik im Guggenheim endete mit der Entlassung von 19 Personen; Anm. Baskultur) (2)
„Bilbao hat heute kulturinteressierten Touristen weitaus mehr zu bieten als nur das Guggenheim“, versichert auch Galeristin Petra Perez Marzo, die mit anderen Galeristen, Künstlern und kleineren Museen in unmittelbarer Umgebung des Guggenheims den neuen „Bilbao Art District“ ins Leben rief, eine Art touristischer Rundgang durch die Kunstszene Bilbaos. (3)
Die andere Seite der Effekte
Nach dem Ende des industriellen Booms in den 80er Jahren setzten Regierungen und Verwaltungen stark auf Dienstleistung, insbesondere auf Tourismus. Bilbao mit seinem Guggenheim-Projekt ist ein Paradebeispiel dafür. Feste und relativ gut bezahlte Arbeitsplätze in der Produktion wurden ersetzt durch schlecht bezahlte, befristete Arbeitsverhältnisse. Sogenannte „Arbeitsmarkt-Reformen“ räumen den Arbeitgebern mehr Spielraum bei Verträgen ein – die Situation der Beschäftigten hingegen verschärft sich. So hat sich zum Beispiel die Zahl der Ein-Tages-Verträge in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, die Sektoren Gastronomie und Hotelgewerbe stechen dabei besonders ins Auge. Im Baskenland haben 80% der neuen Arbeitsverträge eine Dauer von weniger als einem Monat. (4)
Museales Fallobst
Bilbao verfügt über eine ganze Reihe weiterer interessanter Museen, die in der obigen Beschreibung nicht vorkamen, die nicht jährlich mit gestiegenem Millionen-Publikum aufwarten können und die nicht mit Millionen aufgepäppelt werden. Museen, derentwegen niemand extra nach Bilbo kommt, die jedoch überaus sehenswert sind, weil jedes einen bestimmten thematischen Kunst- oder Kultur-Sektor darstellt:
(*) das Ethnografische Museum (Euskal Museoa) gibt einen guten Überblick über die Geschichte Bizkaias, angefangen bei der Urgeschichte, Lebensformen, Karlistenkriege, ein großes Provinz-Relief; (*) das Archäologie-Museum widmet sich ebenfalls der Urgeschichte, vom wissenschaftlichen Blickwinkel her; (*) Sala Rekalde bot in den 25 Jahren seiner Existenz interessante Ausstellungen mit moderner zeitgenössischer Kunst, mit Schwerpunkt auf baskische Kreative, im Gegensatz zu den teuren Vorzeige-Museen ist es kostenlos (heutzutage fast schon ein Zeichen schlechter Qualität); (*) ohne Stierkampf zu mögen, liefert das entsprechende Museum einen hervorragenden Blick in die Welt dieses blutrünstigen Zeitvertreibs und seines Publikums; (*) ohne Kirchenfreund zu sein beeindruckt das Diözesen-Museum (Museo Diocesano) mit seinen religiösen Reliquien aus verschiedenen Jahrhunderten; (*) selbst das Kreuzweg-Museum (Museo de Pasos) mit farbigen Gewändern, Spitzhüten und den Tragegestellen, die in der Karwoche barfuß durch die Straßen geschleppt werden kann historisches (weniger künstlerisches) Interesse wecken; (*) neben dem Guggenheim ist unter einer Brücke das Meeres-Museum versteckt, es gilt als Stiefkind der Stadt und funktioniert nicht; (*) nicht erwähnt wurde, dass es im Alhondiga-Zentrum (Vorsicht Namenswechsel) einen zweiten Ausstellungsraum gibt, der nicht immer besetzt ist, in dem jedoch absolut interessante Ausstellungen präsentiert wurden wie „Black is Beltza“ von Fermin Muguruza; die Geschichte von Kepa Junkera und dem Trikitixa-Instrument; über baskische Sprache und Sprachen weltweit; (*) oder das Athletic-Museum, wenn es 2017 im neuen Stadion wieder geöffnet wird – für Fußball-Fans eigentlich ein Muss.
Die Liste ließe sich fortsetzen, nicht zuletzt mit interessanten Galerien. In einigen dieser Museen hat der Schreiber dieser Zeilen Stunden zugebracht, ohne auf andere Besucherinnen zu treffen. Was deutlich macht, wie der Kuchen geteilt wird: 90% für die kommerzielle Elite, die von multinationalen Konzernen gesponsort werden, die restlichen 10% für das Fallobst, jene Museen, die aus didaktischen Gründen mit Schulklassen gefüllt werden müssen.
ANMERKUNGEN:
(1) Der Artikel aus der Tiroler Tageszeitung „Der Bilbao-Effekt und Bilbao: Das Guggenheim als Kultur-Katalysator“ beleuchtet die Entwicklung Bilbaos in den vergangenen 20 Jahren und untersucht die Auswirkungen auf andere Museen. (Link)
(2) Artikel „Streik im Guggenheim“ bei Baskultur.info (Link)
(3) Artikel „Tourismus und Prekarität“ (Link)
(4) Museums-Links: (Alhondiga Zentrum) – (Guggenheim-Bilbao) – (Schöne Künste) – (Art-District)
FOTOS:
(1) Guggenheim Museum Bilbao
(2) Museum der Schönen Künste Bilbao
(3) Kulturzentrum Alhondiga Bilbao