Die vergessene Fluchthelferin
Auf den Spuren von Maddi, einer baskischen Heldin im Kampf gegen die Nazis im Baskenland. Die Schriftstellerin Edurne Portela (*1974, Santurtzi, Bizkaia) schreibt in ihrem neuen Buch über María Josefa Sansberro. Diese Frau aus Gipuzkoa war von nazi-deutschen Besatzungs-Soldaten umringt. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, Kriegsflüchtlingen erst aus dem Spanienkrieg und später im Zweiten Weltkrieg über die grüne Grenze zu helfen. Nach einem Verrat endete sie in deutschen Konzentrationslagern.
Das Buch "Maddi und die Grenzen“ (Maddi y las fronteras) ist der vierte Roman von Edurne Portela, Historikerin und Hispanistin aus Bizkaia, mit langer wissenschaftlicher Karriere in den USA. Die Geschichte der Fluchthelferin Maddi aus den 1940er Jahren.
An diesem sonnigen Mittag im Februar ist die Hügelkette San Ignacio praktisch menschenleer. Zu sehen sind nur drei Arbeiter, die die Zahnradbahn reparieren, eine kleine, fast hundert Jahre alte Bahn, die zur Spitze des imposanten Larrun-Gipfels hinauffährt, kurz hinter der baskisch-baskischen Grenze bei Irun. Gleich gegenüber dem Bahnhof befindet sich das Bar-Restaurant Le Pullman, das mit seinem "Non-Stop-Service" und auf seiner Speisekarte mit "authentischen Hamburgern" wirbt, aber derzeit wegen der Nebensaison geschlossen ist. (1)
Nur wenige Meter entfernt steht die Kapelle St. Ignatius, in Rot und Weiß gestrichen, mit jener Koketterie, die für Gebäude im französischen Baskenland (Iparralde) so charakteristisch ist. An diesem stillen Ort herrscht so viel Ruhe, dass man sich die Zeit des Zweiten Weltkriegs nur schwer vorstellen kann, als die Nazis auf dem Gipfel des Larrun-Bergs eine unheimliche Festung errichteten und die kleine Touristen-Bahn zu ihrem Material- und Rüstungstransport machten. Das Pullman-Restaurant, das damals noch nicht so hieß, war ein Hotel mit sechs Zimmern, die ausschließlich den Befehlshabern der deutschen Armee vorbehalten waren. Geleitet wurde die Einrichtung von Maddi, mit ganzem Namen María Josefa Sansberro, eine Frau aus Oiartzun (Gipuzkoa), die den verhassten Besatzungstruppen das Essen servierte – und gleichzeitig dafür sorgte, dass politische Flüchtlinge auf die andere Seite der Grenze gebracht wurden, hinter dem Rücken der deutschen Besatzer.
"Sie war eine Frau, die tat, was nie jemand von ihr erwartet hätte. Sie agierte gegen die Anforderungen und Erwartungen einer Gesellschaft, in der von Frauen bestimmte Rollenmuster erwartet wurden", sagt die Schriftstellerin Edurne Portela. Sie hat dieser mutigen und antagonistischen Baskin in ihrem neuen Roman "Maddi y las fronteras" (Maddi und die Grenzen) eine Stimme gegeben. Über ihren Mut muss nicht viel gesagt werden: Maddi wurde posthum ein militärischer Rang in der Armee des kämpfenden Frankreichs zuerkannt, ihre Verdienste im Kampf gegen die Nazis wurden mit einer Medaille gewürdigt. Was ihren Widerspruchgeist betrifft, so fällt besonders auf, dass sich Maddi (in der baskischen Sprache dieser Region "Mayi" ausgesprochen) trotz ihres katholischen Glaubens von ihrem ersten Mann scheiden ließ. Von da an ging sie jeden Sonntag zur Kommunion, obwohl sie wusste, dass der Priester ihr diese vor der ganzen Dorfgemeinschaft verweigern würde. Trotz ihrer tiefen Frömmigkeit sahen viele ihrer Nachbarn in ihr eine Kollaborateurin der Nazis. Nicht nur auf politischer, sondern auch auf einer persönlicheren Ebene. Sie wurde mit dem Spitznamen "izter arina" bezeichnet, was in anzüglicher Anspielung "leichter Schenkel" bedeutet.
Maddi war 1928 oder 1929 am San-Ignacio-Pass angekommen, um die Leitung des kleinen Hotels zu übernehmen. Damals war sie bereits geschieden. "Dies ist ein Transit-Gebiet mit einer großen Schmuggel-Tradition. Maddi wurde zu einem Teil dieser Struktur und kam mit den Aktivitäten gut zurecht. Sie schmuggelte Kaffee oder Öl aus Spanien und verdiente auf der Gegenseite daran, aus Frankreich Kleinigkeiten wie Seidenstrümpfe, Spitzen oder Feuersteine und Anstecknadeln mitzubringen, die in Baiona (Bayonne) oder Donibane Lohizune (San Juan de Luz) gekauft wurden. In dieser Gegend haben die Menschen schon immer gegen diese künstliche Grenze gekämpft", sagt Portela. Eine Grenze, die die Geschichte dieser Region kennzeichnet: im Norden liegt der französische, im Süden der spanische Staat, wenn die administrativen Unterschiede zu Grunde gelegt werden. Was das Baskenland und seine kulturelle Identität angeht: Im Norden liegt Iparralde und im Süden Hegoalde.
Im Hühnerstall
Während die Zölle den illegalen Warenaustausch ankurbelten, trieben kriegerischen Auseinandersetzungen verzweifelte Menschen an die Grenze. So wurden viele Schmuggler auch zu “Mugalaris“, zu Grenzgängern und Bergführern, weil sie die geheimen Wege in den Bergen kannten. Bereits während des Spanienkriegs (meist fälschlicherweise Bürgerkrieg genannt) begann Maddi ab 1937, Flüchtlingen zu helfen, die sich ins republikanische Frankreich absetzen wollten. Während des Zweiten Weltkrieg änderte sich die Flucht-Richtung des Transits: alliierte Piloten, die im Feindesland abgestürzt waren, und Juden, die vor dem Nationalsozialismus flohen.
Die mutige Frau aus Gipuzkoa versteckte Dokumente im Hühnerstall, unter der Geflügelkacke. Dort würden die arroganten Nazis, die sie zwangsweise aufnehmen musste, niemals nachschauen. In der Abenddämmerung schlich sie hinaus, um Gruppen von Flüchtlingen aufzusammeln, die sich in den umliegenden Hütten versteckt hielten, und sie auf dem riskanten Marsch zum Bidasoa-Fluss und darüber hinaus zu führen. "Wichtig war, die Espadrilles etwa alle vier Stunden zu wechseln, weil sie kaputt waren. Für diese Arbeit war es wichtig, dass jemand Espadrilles kaufte, ohne aufzufallen. Wir können uns gar nicht vorstellen, was es bedeutete, in solchen Schuhen herumzulaufen", beschreibt die Autorin Portela.
Überwachung
Die Autorin aus Bizkaia lernte die Figur der Maddi dank zweier Nachbarn aus Oiartzun kennen, Joxemari Mitxelena und Izarraitz Villaluce, die jahrelang auf Maddis Spuren waren und ihr flüchtiges Profil nachzeichneten. Nach ewigem Stöbern in papierförmigen und digitalen Archiven trugen sie schließlich einen Schatz von mehr als siebentausend Dokumenten zusammen. Daneben verbrachten sie Zeit damit, mit allen Personen zu sprechen, die sich an Maddi erinnerten. All diese Informationen übergaben sie Edurne Portela, damit sie der vergessenen historischen Figur "den Stellenwert einräumen kann, den sie verdient". Die Autorin macht keinen Hehl daraus, dass sie Zweifel hatte: "Mir war klar, dass ich eine wunderbare Geschichte vor mir hatte, aber ich wusste nicht, wie ich sie erzählen sollte, weil es so viele Lücken gab. Das Buch ist eine Übung in historischer Vorstellungskraft nach monatelanger Recherche und Lektüre".
Die Sprache der Leintücher
Die Ungewissheit wurde überwunden, als sie mit Joxemari und Izarraitz dieselben Orte besuchte, in denen auch Maddi unterwegs gewesen war. Es ist nicht verwunderlich, dass Edurne dies den endgültigen Anstoß gab, denn die beiden Männer sind zwei außergewöhnliche Führer und in der Lage, Spuren und Botschaften aus der Vergangenheit in der heutigen Landschaft zu interpretieren und zu vermitteln. Joxemari fährt mit seinem Pickup heutzutage auf einem modernen Waldweg, aber im Geiste bewegt er sich auf den unsichtbaren Pfaden der Mugalari-Grenzgänger von einst. Er weist auf riskante Weg-Kreuzungen hin, auf Wasserläufe, die vor neugierigen Blicken geschützt sind, auf den Baum, an dem immer ein Wächter stand, der sich mit der Glut einer Zigarette für seine Leute sichtbar machte.
Die Straße füllt sich mit Zivilgardisten mit Mantel und ihrem typischen Tricornio-Hut, mit Militärs, die politische Gefangene bewachen, mit Carabinieri, Gendarmen und obskuren Gestapo-Agenten – das alles vermittelt Joxemaris Stimme. Umhüllt von der Nacht rückten Maddi und die anderen Mugalaris mit ihrer traditionellen Zeichensprache vor: "Sie gingen diesen Weg hinunter, den steilen Todesabstieg (Cuesta de la Muerte), von oben konnten sie sehen, wo in diesem Weiler die Laken aufgehängt waren. Das waren Zeichen, die ihnen sagten, wohin sie gehen mussten. Niemals hatten sie nur einen Plan, neben Plan A gab es immer auch einen Plan B, einen Plan C und so weiter", erklärt Joxemari Mitxelena. "Es war etwas, das in dieser Gegend zum Alltag gehörte: Wenn die weiße Kuh auf dieser Wiese war, musste man aufpassen. Die Leute, die dazu gehörten, verstanden das sehr gut, die Außenstehenden nicht", fügt Portela hinzu.
Der Ruf der Eulen
Es versteht sich fast von selbst, dass Joxemari einige dieser Routen auch zu Fuß und bei Nacht ausprobiert hat, genau wie jene Gruppen damals, die durch ein schwer bewachtes Gebiet gingen. "Das sind wir nicht mehr gewohnt. Man hört alles. Du trittst auf einen Stock, er kracht und du erschrickst zu Tode. Der Ruf der Eulen beeindruckt. Schon tagsüber ist es ein bisschen beängstigend, in einige Teile des Waldes zu gehen, aber nachts noch viel mehr. Stell dir vor, du hast siebzehn verängstigte Juden mit diesen kaputten Espadrilles hinter dir", beschreibt er. Warum haben sie das getan, aus Idealismus oder wegen des Geldes, das sie bekamen? “Ich wollte Maddi nicht zu einer Superheldin machen: Sie war eine mutige Frau, die wusste, was richtig und was falsch war, und sie hat auch ihren Lebensunterhalt verdient", sagt Edurne Portela.
Schlüsselfigur
Das Buch "Maddi und die Grenzen“ (Maddi y las fronteras) wurde am 1. März von Galaxia Gutenberg veröffentlicht. Das Titelbild ist die einzige bekannte Fotografie von Maddi. Auf dem vollständigen Foto ist sie mit ihrer Cousine Marie Jeanne zu sehen, die ebenfalls deportiert wurde. Maddi war in mehreren geheimen Evakuierungsnetzen eine Schlüsselfigur, nach einer Denunziation wurde sie schließlich von der Gestapo verhaftet.
Der letzte Teil ihrer dokumentarischen Aufzeichnungen erzählt von einer trostlosen Reise. Deportiert in den Viehwaggons eines "Geisterzugs", einem der letzten, die nach der Landung der Alliierten in der Normandie Frankreich verließen, kam sie nach Dachau, Ravensbrück, in die Petrix-Batteriefabrik und nach Sachsenhausen. Im Roman ist diese letzte Reise ein erschütternder Abstieg in die Hölle, der schmerzt: "Sich Maddi vorzustellen, ist auch ein Weg, eine antifaschistische Erinnerung zu aktivieren in diesen Zeiten, in denen die Vergangenheit wiederhallt, in der sich Maddi bewegte", interpretiert Edurne Portela. Sie erinnert daran, dass "es nur wenige Menschen wie Maddi gab, viel weniger als aktive oder stille Komplizen, vielleicht auch viel weniger als Denunzianten wie derjenige, der sie ans Messer lieferte".
Die Reise auf den Spuren von Maddi endet nicht in Deutschland, sondern aus baskischer Sicht viel näher: in der Kirche des malerischen Iparralde-Ortes Sara, weniger als zehn Autominuten vom San-Ignacio-Pass entfernt. Hier stand die Frau aus Gipuzkoa jeden Sonntag dem Pfarrer gegenüber, in einem Duell des Willens, bei dem sie immer verlor, aber auf eine bestimmte Art gleichzeitig auch gewann. Hier beschloss Edurne Portela, der Frau eine Stimme zu geben, die ihr aus der Vergangenheit zuzurufen schien: "Der Gang in diese Kirche war ein Schlüsselmoment: Ich stellte mir vor, wie sie vor dem Pfarrer stand, und es war, als ob ich das Gemurmel der Leute hörte". Neben der Kirche befindet sich das Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Männer der Stadt, dem später eine Gedenktafel für die Toten des Zweiten Weltkriegs und eine weitere für María Josefa Sansberro, Leutnant Maddi, hinzugefügt wurde: "Gefallen für Frankreich". (1)
Edurne Portela
Die Autorin hat einen Teil ihrer beruflichen Laufbahn (Ausbildung und akademische Tätigkeit) in den Vereinigten Staaten verbracht. An der University of North Carolina hat sie in hispanischer Literatur promoviert und wechselte dann nach Pennsylvania. 13 Jahre lang kombinierte sie und Lehrtätigkeit mit der Leitung des Humanities Center der Universität. Im Januar 2016 beschloss sie, der Universität in den USA den Rücken zu kehren und nach Europa zurückzukommen.
Jetzt ist sie Autorin beim Verlag Galaxia Gutenberg und hat dort den Essay “Echo der Schüsse: Kultur und Erinnerung der Gewalt“ (El eco de los disparos: cultura y memoria de la violencia, 2016) und den Roman “Besser abwesend“ (Mejor la ausencia, 2017) veröffentlicht, 2018 mit dem Preis für das beste belletristische Buch der Madrider Buchhändlergilde ausgezeichnet, die italienische Übersetzung mit dem internationalen Preis Ciudad de Cassino. Im März 2019 veröffentlichte sie “Formen der Ferne“ (Formas de estar lejos). Ihr dritter Roman, “Geschlossene Augen“ (Los ojos cerrados, 2021), wurde mit dem Euskadi-Literaturpreis 2022 und dem Preis Estado Crítico 2022 ausgezeichnet. Seit Herbst 2021 ist sie Herausgeberin ihrer eigenen Sammlung bei Galaxia Gutenberg. Edurne Portela arbeitet regelmäßig für Radios, Tageszeitungen und Zeitschriften. (2)
ANMERKUNGEN:
(1) “Tras los pasos de Maddi, heroína vasca contra los nazis” (Auf den Spuren von Maddi, baskische Heldin gegen die Nazis), Tageszeitung El Correo, 2023-02-26 (LINK)
(2) Edurne Portela, persönliche Webseite (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Maddi (elcorreo)
(2) Edurne Portela (elcorreo)
(3) Spurensuche (elcorreo)
(4) Edurne Portela (elcorreo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-03-08)