air001Urbane Nomaden und Gentrifizierung

Wenn es um touristische Unterkünfte geht, ist die Internet-Plattform Airbnb mittlerweile in aller Munde. Was für Tourist*innen eine billige Absteige ist, bedeutet für Einheimische den Verlust an Mietoptionen. Immobilien-Besitzer sind bereits in das lohnende Tourismus-Geschäft eingestiegen. Airbnb entzieht dem Markt Mietwohnungen und fördert die Immobilien-Spekulation. Neben dem Wohnungsmangel steigen die Mieten, ärmere Bevölkerungs-Gruppen werden vertrieben, alltägliche Lebenswelt verändert sich.

Airbnb ist eine 2008 gegründete Plattform zur Vermittlung touristischer Unterkünfte. Sowohl private wie auch gewerbliche Vermieter vermieten hier ihre Immobilie oder einen Teil davon. Airbnb ist ein Milliardengeschäft, das weltweit Millionen von Vermittlungen tätigt und in vielen Städten – wie Bilbao oder Donostia – einen verhängnisvollen Einfluss auf den Mietwohnungs-Markt ausübt.

In den wenigen Jahren ihrer Existenz haben Airbnb und eine Reihe von ähnlichen Plattformen den Wohnungsmarkt in vielen Städten weltweit stark verändert. Mit dem Mietwohnungs-Markt werden Stadtstrukturen manipuliert, der Zugang zu Wohnraum wird konditioniert für alle, die sich teure Mieten nicht leisten können: Verdrängung, wirtschaftliche Vertreibung, Gentrifizierung.

Als der Verband der Wohnungsbesitzer ASOVITUR (Verband der touristischen Wohnungen in Bizkaia) im Jahr 2017 in Bilbao zur Pressekonferenz einlud, ging es um die entschiedene Ablehnung einer Regierungs-Verordnung, mit der versucht werden sollte, den Wildwuchs an privaten touristischen Vermietungen einzudämmen. Die Regelung besagte, dass pro Gebäude nur eine Wohnung touristischen Zwecken zukommen darf und dies maximal im ersten Stockwerk. Für von Wohnungsnot betroffene Personen griff die Regelung viel zu kurz – für den Rechtsanwalt des Vermieterverbandes war sie ein unerträglicher Eingriff in die freie Marktwirtschaft, gegen den geklagt werden sollte.

Zur Pressekonferenz kamen nicht nur Medien, sondern auch von Preissteigerung und Wohnungsmangel betroffene Menschen, denen über Airbnb nahezu jegliche Möglichkeit genommen wird, in der Altstadt eine bezahlbare Wohnung zu finden. In einem Wortbeitrag versuchten sie, ihre Situation darzustellen, stießen jedoch auf der anderen Seite auf taube Ohren. Was der Verband will ist freie Hand und freie Verfügbarkeit über Wohnungsbesitz, egal ob Nachbarn unter touristischen Dauerpartys zu leiden haben, egal, wer sich die wenigen auf dem Markt verbleibenden Wohnungen überhaupt noch leisten kann. Der Beginn einer Entwicklung, die in Barcelona zum Beispiel zur faktischen Entvölkerung bestimmter Stadtteile geführt hat. “Eigentum ohne jegliche gesellschaftliche Verantwortung – Kapitalismus brutal“ – so der Tenor der Kritiker*innen.

air002Veränderungen in Bilbao und Donostia

In den Altstädten von Donostia (San Sebastian) und Bilbo (Bilbao) hat sich in wenigen Jahren die Situation dramatisch verändert. Fast alle tauglichen Mietwohnungen gehen über die entsprechenden Plattformen an Tourist*innen. Der “normale“ Mietmarkt, auf den insbesondere jüngere Leute angewiesen sind, wenn sie das Elternhaus verlassen wollen, ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Mieten stiegen im Jahr 2017 in der Altstadt Bilbao um 30%, im Nachbar-Barrio Atxuri um 25%. Auch in den Arbeiter-Vierteln Bilbo Zaharra und San Francisco auf der anderen Seite des Flusses hat Airbnb Wurzeln geschlagen. Die Airbnb-Legende spricht davon, dass bedürftige Vermieter ein Zimmer ihrer Wohnung an Tourist*innen untervermieten, um ihr Einkommen aufzubessern. Dabei dürfe es sogar zu freundschaftlichen Beziehungen kommen, eine Art Austausch-Wirtschaft. Doch ist die Realität von diesem Ideal Lichtjahre entfernt. Denn was vermietet ist, sind komplette Wohnungen, die so dem üblichen Mietmarkt entzogen werden. Welcher mitteleuropäische Tourist aus der Mittelklasse will schon sein Urlaubsdomizil mit einer baskischen Arbeiterfamilie teilen.

Auch was die Ladenstruktur anbelangt, bieten die Altstädte der beiden baskischen Hauptstädte düstere Bilder. Alteingesessene Läden – in denen es alles zum Leben gab – weichen Geschäften für touristische Interessen. 25% der Läden bedienen direkt den Tourismus, knapp 20% stehen damit in Zusammenhang. Laden-Mieten werden drastisch erhöht, um alte Gewerbe zu vertreiben und iberischem Schinken, Souvenirs, Restaurants, Saft- oder Pommesläden, Mini-Supermärkten oder Eisdielen Platz zu machen. Diese Tendenz ist überall da zu beobachten, wo Massentourismus Einzug hält, Bilbo und Donostia sind beileibe nicht die ersten Beispiele. Der Unterschied zwischen beiden Orten ist, dass sich in Bilbo neben dem Guggenheim alles auf die Altstadt konzentriert. Donostia hingegen hat aufgrund seiner Meerlage mit Kilometer langen Stränden eine weit größere Touri-Meile, die konsumiert werden kann. Hier ist Tourismus keine neue Erscheinung, sondern seit 150 Jahren bekannt.

Folgen von Airbnb

“Airbnb schafft urbane Nomaden und prekäres Leben”, sagt der Wissenschaftler Javier Gil. Er arbeitet über die spanische Fern-Universität UNED an einer Diplomarbeit. Sein Thema: das Phänomen der touristischen Vermietung, die ganze Städte grundlegend verändert. (1) “Es stimmt nicht, dass es in Madrid keine leerstehenden Wohnungen gäbe, schau dir dieses Gebäude an“, sagt Javier Gil (Madrid 1985). Er zeigt auf den ehemaligen Patio Maravillas, ein Gebäude, das einst ein besetztes Sozialzentrum war und seit Jahren im Zentrum der Stadt leer steht. In den nächsten Tagen reicht Javier Gil seine Diplomarbeit ein, sie handelt schwerpunktmäßig von der Wohnungs-Agentur Airbnb und davon, wie durch diese Praxis Städte verändert werden. Ein Interview mit Javier Gil (2):

F: Wie ist Airbnb entstanden?

Das hat mit der vergangenen Wirtschaftskrise zu tun. Gleichzeitig handelt es sich auch um ein neues Subjekt auf dem Markt, das der Neoliberalismus hervorgebracht hat: als Prosument bist du gleichzeitig Produzent und Konsument (3). Du vermietest eine Wohnung und mietest dich gleichzeitig in der Wohnung eines anderen ein, im besten Fall zur Miete, um deine Ferien da zu verbringen.

air003A: Was ist die Neuheit daran?

Airbnb hat einen spekulativen Anteil: es entzieht dem Mietwohnungs-Markt Objekte, um sie für den touristischen Gebrauch anzubieten. Das neue daran ist, dass es Leute gibt, die das mit der eigenen Wohnung machen. Verschiedene Profile sind dabei zu erkennen. Zum Beispiel als sporadische Gastgeber: weil viele Menschen wenig Geld haben, gibt es immer mehr, die ein Zimmer vermieten müssen, um die eigene Miete zu bezahlen oder die Hypothek. Es gibt immer mehr geschiedene Frauen mit Kindern. Oder städtische Nomaden: Leute, die am Wochenende ins Haus von Angehörigen gehen und die ihre eigene Wohnung über Airbnb vermieten. Ich habe gesehen, das machen sogar Familien mit kleinen Kindern, oder Renter*innen, die wirtschaftlich sonst nicht über die Runden kommen. Das schafft prekäres Leben.

F: Handelt es sich also um eine Wirtschaft der gegenseitigen Hilfe, des gegenseitigen Austausches?

Ich habe Airbnb in mehr als 20 Städten untersucht. Wir können nicht von einem Modell des gegenseitigen Austausches sprechen (3). Das sind Märkte, auf denen Spekulation herrscht. Madrid ist ein Markt, wo viel Spekulation zu beobachten ist. Vor dem Hintergrund einer Immobilien-Spekulation, die darauf fußt, dass in vielen Stadtteilen starke Gentrifizierungs-Prozesse (also Vertreibungs-Prozesse) ablaufen (4). In dieser Stadt gibt es einen Eigentümer, der 200 Wohnungen kontrolliert. Gleichzeitig gibt es eine Wohnungskrise. Airbnb wird durch den Diskurs über eine angebliche “Wirtschaft des gegenseitigen Austausches“ legitimiert. Gleichzeitig wird eine Schein-Wirtschaft geschaffen. Es handelt sich um eine spekulative Ökonomie, bei der noch eine Portion Emotionalität verkauft wird, ein Trugbild von gemeinsamer Nutzung und sozialen Beziehungen.

F: Warum das?

Die Absicht ist, den Marktcharakter zu verhüllen, der dahinter steht. Es ist wenig sinnvoll, von der Arbeit nach Hause zu kommen und die Wohnung teilen zu müssen mit Unbekannten, die alle fünf Tage wechseln. Denn die Gastgeber haben normalerweise wenig Beziehungen mit den Gästen. In der Werbung heißt es, dass dabei menschliche Beziehungen entstehen, aber in Wirklichkeit steckt nichts als wirtschaftliches Interesse dahinter. Die Ursache für dieses wirtschaftliche Interesse ist die eigene Prekarität. Der Gastgeber will nicht, sondern muss ein Zimmer vermieten, um zu überleben. Und bei den Touristen handelt es sich häufig um Leute, die sich eben kein Hotel leisten können oder wollen.

F: Kann das gebremst werden?

Klar. Wenn zum Beispiel nur Wohnungen vermietet werden dürfen, die einen ersten Wohnsitz darstellen, also bewohnt sind. Das müsste kontrolliert werden, dann würde es sich um eine Wirtschaft gegenseitigen Austausches handeln. Doch auch das könnte pervertiert werden: wir müssen uns nur vorstellen, jemand mietet sich eine Wohnung mit vier Zimmern und vermietet drei davon über Airbnb.

air004F: Welche Rolle spielt Airbnb hier?

In keiner der zwanzig Städte, die ich untersucht habe, gibt es ein derartig umfangreiches Airbnb-Angebot wie im Zentrumsdistrikt von Madrid. Das ist völlig aus dem Ruder gelaufen, absolut unhaltbar. Mehr als 50% des Angebots der Stadt bezieht sich auf diesen Distrikt. In einigen Barrios machen die Airbnb-Wohnungen bereits mehr als 25% der Gesamtzahl der Mietwohnungen aus. Die Tourist*innen haben in der Regel mehr Geld und wechseln auch die Stadtteile.

F: Wie läuft dieser Wandlungs-Prozess ab?

Auf ziemlich massive Weise. Die Vermieter verlängern Mietverträge nicht mehr und die Wohnung erscheint bei Airbnb. Das ist das Spannungsfeld, es handelt sich um einen sehr schnellen und weitgehend unsichtbaren Prozess. Wenn wir uns dessen bewusst werden, ist es schon zu spät. Der Plan der Stadtverwaltung sieht vor, die Vermietung im Zentrum zu verbieten, aber an der Periferie wird sie zugelassen. Das ist enorm gefährlich.

F: Welchen Anteil hat Airbnb an der Immobilien-Spekulation?

Airbnb ist nicht die Ursache, aber sie dynamisiert und beschleunigt den Prozess. Spanien ist eines der Länder in Europa mit der höchsten Rate an leeren Wohnungen pro Einwohner*in. Spekulation funktioniert mit Investition, Geduld und Abwarten: je stärker die Preise steigen, desto größer die Erwartung, dass sie weiter steigen. Airbnb beschleunigt die Erwartung auf Gewinn. (Ende Interview)

Diplomarbeit über Tourismus-Wohnungen

Der Forscher Javier Gil arbeitet an einer Diplomarbeit im Bereich Innovative Technologien und gesellschaftlicher Wandel im Zusammenhang der Wirtschaftskrise: Airbnb und die Veränderungen des Neoliberalismus. Die Arbeit steht kurz vor ihrem Abschluss und wird in absehbarer Zeit als Buch herausgegeben. Während der Beschäftigung mit dem Thema entstand eine beständige Zusammenarbeit mit dem Verband der Mieterinnen und Mieter.

ANMERKUNGEN:

(1) Airbnb, Wikipedia (LINK)

(2) Interview aus: “Airbnb genera nomadas urbanos y vidas precarias“ (Airbnb schafft urbane Nomaden und prekäres Leben”, Tageszeitung El País, 6.11.2018, Miguel Angel Medina (LINK)

(3) Was an diesem Artikel “Wirtschaft des gegenseitigen Austausches“ genannt wird, heißt im spanischen Original “economía colaborativa“. Für den Begriff “colaborativa“ gibt es keine direkte Übersetzung, da der deutsche Begriff “kollaborieren“ negativ besetzt ist. Nicht so im Spanischen. Hier bedeutet er Zusammenarbeit, wir benutzen in der Übersetzung deshalb die Formulierung “Wirtschaft des gegenseitigen Austausches“. (Baskultur.info)

(4) “Tener 30 pisos turísticos no es economía colaborativa” (Der Besitz von 30 Tourismus-Wohnungen hat nichts mehr mit einer Ökonomie des gegenseitigen Austausches zu tun), El País, Miguel Angel Medina, 8.10.2018 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Airbnb Kritik

(2) Airbnb-Kritik (FAT)

(3) Airbnb-Folgen (lodgify)

(4) Gegen Airbnb (elpais)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-24)

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