Bilbo ertrinkt im Tourismus
Die Altstadt von Bilbao hat einen kritischen Punkt erreicht, durch den die Lebensqualität ernsthaft in Frage gestellt wird. Im Rahmen des derzeitigen Stadtmodells ist der Stadtteil zu einem kommerziellen und touristischen Zentrum geworden, das die Bedürfnisse der Nachbarinnen und Nachbarn völlig außer Acht lässt und ausschließlich auf die Interessen des privaten Kapitals ausgerichtet wird. Nach der Pandemie-Zwangspause hat erneut ein Massentourismus eingesetzt, der alle Rekorde zu brechen verspricht.
65 Kreuzfahrtschiffe werden 2022 in Bilbao erwartet. Die von Bord gehen und jene, die von Dutzenden von Reisebussen ausgespuckt werden, konzentrieren sich in der Altstadt, weil es außer dem Guggenheim-Museum in der Stadt wenig zu sehen gibt. Massentourismus von schädlichster Art.
Der touristische Ansturm an Ostern 2022 hat deutlich gemacht, dass viele Personen in Europa die durch die Pandemie-Einschränkungen verpassten Reisen um jeden Preis nachholen wollen. Städte wie Bilbo oder Donostia wurden regelrecht überschwemmt. In Bilbo ist es nicht „“die Stadt“ im Allgemeinen, die von der Invasion betroffen ist, sondern einzelne ausgewählte Orte. Vor allem die schöne Altstadt, die bis vor 20 Jahren eine bunte Mischung zwischen Wohnraum, Geschäften und Gastronomie darstellte. Doch diese Zeiten sind vorbei, seit Airbnb und internationale Ladenketten Einzug gehalten haben: alles für den Tourismus, die alte Bevölkerung stört dabei nur.
Viele der Bewohner*innen von Bilbao haben es noch nicht verstanden, was mit ihren Wohnvierteln passiert. Immer noch ist zu hören: “Von irgendwas müssen wir ja leben“. Wenn es denn so wäre! Denn die Arbeitsplätze, die durch Tourismus und Dienstleistung geschaffen werden, sind durchweg prekär: schlecht bezahlt, zeitlich begrenzt, mit schlechten Arbeitszeiten und noch schlechterer Bezahlung. Im Vergleich zu den Industrie-Arbeitsplätzen, die vor 40 Jahren wegfielen, geht es heute nicht um Leben, sondern allein ums Überleben.
Widerstand
Ein deutliches Zeichen dafür ist die Wohnsituation. Während die Wohnungspreise für die Bewohner*innen des Viertels ein unerschwingliches Niveau erreichen, werden immer mehr Wohnungen für den Tourismus genutzt. Gegenwärtig sind 25% aller Betten im Viertel für Touristen reserviert. Einkommensschwache Personen und vor allem die jüngere Generation werden aus dem Viertel vertrieben. Dagegen mobilisieren seit Jahren verschiedene Gruppen der Altstadt, vor allem jüngere Leute.
“Was den Handel anbelangt, so werden Ableger von Unternehmensketten, transnationale Unternehmen und Souvenirläden immer zahlreicher. Gleichzeitig verschwinden traditionelle kleine Läden, weil die alten Ladenbetreiber*innen die neuen Mieten nicht mehr bezahlen können. Derzeit stehen 202 Geschäfte im Stadtteil leer.“ (1)
„Das Gleiche gilt für den öffentlichen Raum, der zunehmend privatisiert wird. Ein Beispiel dafür ist die Zahl der öffentlichen Bänke, 50 an der Zahl, im Vergleich zur Zahl der Sitzplätze auf den Terrassen von Bars und Gaststätten: mit 624 mehr als 12 Mal so viele. Einfach ausruhen ist nicht mehr angesagt, wer sitzt soll konsumieren und bezahlen. Mit anderen Worten: Unser Viertel wird zu einem Viertel, in dem nur noch diejenigen freundlich empfangen werden, die Geld haben.“
“Der Sommer steht vor der Tür und mit ihm werden Tausende von Tourist*innen in den Stadtteil strömen, in großen Gruppen unsere Straßen bevölkern und das Viertel praktisch unbewohnbar machen. Sie werden tausendfach und ungefragt die Verkäufer*innen im Mercado fotografieren, wie Reisetrophäen, als folkloristische Erinnerung. Und sie werden uns erneut daran erinnern, dass das Wohlbefinden der Bewohner*innen in diesem Spiel nicht relevant ist. Denn das Wichtigste ist das Geld, das diese Tourist*innen in den Kassen der Unternehmen und als Steuereinnahmen für die Institutionen zurücklassen“.
“Angesichts der von Stadtrat und Stadtverwaltung Konzepte, nach denen in der Altstadt alles kommerzialisiert und konsumierbar gemacht werden soll, werden wir uns dennoch weiterhin für ein lebenswertes, lebendiges Viertel einsetzen, das den Bedürfnissen seiner Bewohnerinnen und Bewohner entspricht.“
Aus diesem Grund laden die Stadtteilgruppe “SOS Alde Zaharra“ (Hilferuf Altstadt) und der Nachbarschaftsverein “Bihotzean“ (bask: Im Herzen) zu einer öffentlichen Pressekonferenz auf einem der üblicherweise vom Tourismus heimgesuchten Plätze der Altstadt, zu dem alle besorgten Bewohner*innen der Altstadt eingeladen sind. “Ihr wollt die Altstadt zu Grunde richten – Wir werden sie als Lebensraum verteidigen“.
ANMERKUNGEN:
(1) Aufruf zur Presseerklärung von SOS Alde Zaharra und dem Nachbarschaftsverein Bihotzean, 2022-06-10
ABBILDUNGEN:
(1) Tourismus-Notstand (FAT)
(2) Tourismus-Notstand (FAT)
(3) Tourismus-Notstand (FAT)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-06-16)