Das “Guernica-Bild“ nach Gernika holen
Seit 45 Jahren kämpfen Aktivisten des Vereins “Gernika Batzordea“ im baskischen Gernika um eine würdevolle Erinnerung an die Bombardierung ihrer Heimatstadt. Spanien im Jahr 1976. Diktator und Massenmörder Francisco Franco ist seit wenigen Monaten tot. Seine politischen Erben organisieren den politischen Übergang, der später als sogenannte “trancisión“ in die Geschichte eingehen wird. Im Baskenland stehen Massen-Demonstrationen, Streiks, Auseinandersetzungen und politische Morde auf der Tagesordnung.
Gernika wurde 1937 im Auftrag Francos von der Legion Condor der Nazis angegriffen und zerstört. Die Faschisten brachten die Lüge in Umlauf, es seien die Bolschewisten und die Basken selbst gewesen, die Gernika verbrannten. Bis heute hat sich keine spanische Regierung zu dem Verbrechen geäußert.
In dieser Situation 1976 gründen in der baskischen Stadt Gernika Menschen aus der Baskischen Befreiungsbewegung den Verein “Gernika Batzordea“ (dt: Kommission Gernika). Ihr gemeinsames Ziel besteht in der Aufklärung, Aufdeckung, dem Erinnern und der Forderung nach Wiedergutmachung der Geschehnisse des 26. April 1937. An diesem schicksalshaften Tag wurde die baskische Stadt Gernika von Kampfflugzeugen der deutschen “Legion Condor“ dem Erdboden gleichgemacht. (1)
Auf- und Umbrüche
Gernika Batzordea entstand in einer Zeit des Auf- und Umbruchs. Nicht nur im Baskenland wurde eine Amnestie für alle politischen Gefangenen gefordert. In Streiks und Basis-Versammlungen von Arbeiter*innen wurde das kapitalistische System in Frage gestellt, lange bevor die Gewerkschaften wieder legalisiert wurden. Doch nach 40 Jahren eiserner und blutiger Diktatur trauten viele den neuen Freiheiten noch nicht.
Sie hatten Recht: der Faschismus saß weiter fest im Sattel. Ereignisse wie das Massaker gegen linke Anwälte in Madrid-Atocha 1978 oder die Polizeimorde in Vitoria-Gasteiz bei einer Streik-Versammlung in einer Kirche 1976 machten deutlich, dass zur Überwindung des Franquismus noch ein weiter Weg notwendig war. Der Putsch-Versuch von 1982 war hierbei lediglich die Krönung des Versuchs, die alten diktatorischen Verhältnisse zu restaurieren. Insofern waren die Aktivitäten von Gernika Batzorde, mit denen Ideologie und Lügen der Franquisten angegriffen wurden, voller Provokation. Als sich noch niemand von der Exhumierung von Erschossenen aus den Kriegszeiten zu sprechen traute, wurde bei Batzorde der Spaten in die Hand genommen. Einige der Aktivisten bezahlten ihren Mut mit brutaler Folter.
Ursprünge
Nach Aussage von Sabin Ibazeta, Mitglied der Gruppe “Gernika Batzorde“, hatten die Gruppenmitglieder nach Francos Tod das Bedürfnis, all das ans Licht zu bringen, was verboten war und worüber in der Öffentlichkeit nicht gesprochen werden konnte und durfte. Zentrale Forderung stellte daher bis heute das Gedenken an die Bombardierung und deren Opfer im öffentlichen Raum dar. Gemeinsam mit unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen aus der Stadtgesellschaft wurde in der Folgezeit eine Vielzahl an erinnerungs-kulturellen Veranstaltungen entwickelt. (1)
Der 50. Jahrestag
Als Meilensteine benennt Sabin Ibazeta (im Gespräch mit “Junge Welt“) die mehrtägigen Veranstaltungen zum 50. Jahrestag der Bombardierung 1987, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen. Dies sei für den Verein ein Wendepunkt gewesen, da rund zehn Jahre nach dem Ende der Diktatur erstmals ein breites öffentliches Gedenken stattgefunden habe. Im selben Jahr führte die Gruppe auch eine ihrer populärsten Aktionen durch. Ihre Mitglieder forderten im Museo del Buen Retiro von Madrid vor Pablo Picassos Gemälde “Guernica“ dessen Überführung nach Gernika. Diese Forderung ist neben der historischen Untersuchung der Geschehnisse des 26. April seitdem eine der zentralen für die Gruppe.
Im Laufe der Jahre konnte mit Gedenkveranstaltungen am Jahrestag durch Gernika Batzordea eine lokale Erinnerungskultur etabliert werden. Zum Zeitpunkt der Bombardierung wird unter anderem der Verkehr angehalten, daneben heult die damalige Sirene. Darüber hinaus konnten über unterschiedliche kulturelle Formate wie beispielsweise dem Theaterprojekt “Gernika in Flammen“ weitere Akteure und nachfolgende Generationen in die Erinnerungsarbeit miteinbezogen werden. Die Durchführung dieser Projekte beschreibt Sabin Ibazeta (im Gespräch mit Junge Welt) als teilweise sehr schwierig, da die Gruppe dabei immer wieder auf massive Widerstände in der Stadtverwaltung gestoßen sei. Nach dem (vorübergehenden) Wechsel der Lokalregierung von der christdemokratischen PNV zum baskischen Linksbündnis EH Bildu habe sich das stark verbessert.
Pandemische Verhältnisse
Als einen weiteren Meilenstein des Vereins benennt Ibazeta den 83. Jahrestag im April 2020. Ein Gedenken unter den Bedingungen einer Pandemie hätte die Gruppe vor große Herausforderungen gestellt. Diese hätte Gernika Batzordea aber nach Aussagen des Aktivisten als Chance begriffen, um im Kontakt mit jüngeren Generationen und durch die Nutzung von Sozialen Netzwerken gemeinsam völlig neue digitale Konzepte des Erinnerns zu erproben. Dies sei auf große Resonanz in der Bevölkerung gestoßen.
Zum 45. Jahrestag der Gründung von Gernika Batzordea (2021) fanden über das ganze Jahr verteilt unterschiedliche Veranstaltungen und Aktionen statt. Im September fand an mehreren Orten im öffentlichen Raum in Form von Info-Tafeln und Texten eine Ausstellung zur Geschichte der Gruppe statt. Zudem produzierte der Verein mit befreundeten Gruppen einen Film über seine Geschichte. Den Höhepunkt der Jubiläums-Feierlichkeiten stellte eine Demonstration am 27. November dieses Jahres dar. Aufgrund der Pandemie musste eine Konferenz, die sich dem Thema “Entdeckung und Wiederherstellung des kollektiven Gedächtnisses“ aus historischer und künstlerischer Perspektive nähern sollte, verschoben werden.
Generationswechsel
Über die Erinnerungsarbeit hinaus waren Mitglieder der Gruppe in den letzten Jahrzehnten immer wieder in Initiativen zu einer friedlichen Beilegung des baskisch-spanischen Konflikts wie den Verhandlungen von Lizarra-Garazi 1998 oder dem baskischen Sozialforum 2013 beteiligt.
Die Ansprache jüngerer Generationen sieht Ibazeta als große Herausforderung für die Zukunft. Deren politischer Fokus liege einerseits auf anderen sozialen Kämpfen. Zudem diktiere der spanische Staat andererseits noch immer die schulischen Lehrpläne. Gerade an diesem Punkt fordert er mit der Entwicklung von neuen Lehrplänen Veränderungen in der Vermittlung von historischen Narrativen. (2)
ANMERKUNGEN:
(1) “Guernica“ nach Gernika, Tageszeitung Junge Welt, 2021-12-15, Autor: Jan Tillmanns (LINK)
(2) Weitere Informationen zu den Aktivitäten von “Gernika Batzordea“ im Internet (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) “Guernica“ in Madrid (batzorde)
(2) Gernika Batzorde (batzorde)
(3) “Guernica“ Version (batzorde)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-16)