Makabre Reiseroute an der Nordküste
Am 26. April 2021 jährt sich zum 84. Mal die Vernichtung der baskischen Stadt Gernika-Lumo, ausgeführt von der nazideutschen Legion Condor im Dienste der aufständischen National-Katholiken mit General Franco an der Spitze. Wenige Wochen nach dem Massenmord in Gernika war der Krieg im Baskenland vorbei (Juni 1937), im restlichen Spanien sollte er noch weitere zwei Jahre dauern. Kaum bekannt ist, dass die Faschisten noch in Kriegszeiten einen makabren Kriegs-Tourismus anboten, an der Bizkaia-Küste entlang.
Während an den Fronten des Spanienkriegs noch geschossen und gemordet wurde, organisierten die neuen franquistischen Machthaber in den “von den Bolschewiken befreiten Gebieten“ bereits einen äußerst makabren Tourismus für wohlhabende Gesinnungsfreunde. Die Nordroute ging von Irun nach Asturien und kam u.a. in Gernika vorbei, wo die Spuren der Vernichtung noch mehr als deutlich zu sehen waren.
Im aktuellen Pandemie-Jahr 2021 sind es 84 Jahre, seit die Legion Condor mit Unterstützung italienischer Bomber die baskische Stadt Gernika in Schutt und Asche legte und mehr als 2.500 Bewohnerinnen tötete. Dabei hatte die Stadt keinerlei kriegs-strategische Bedeutung, doch war sie ein historisches Symbol für die baskische Gesellschaft. Nur wenige Monate später – der Krieg wurde in vielen Teilen des Landes noch mit aller Konsequenz geführt – zeigten die im Vormarsch befindlichen Faschisten eine weitere Facette ihres menschenverachtenden Zynismus. Sie starteten ein touristisches Angebot: wohlhabende nationale und internationale Besucher sollten an der Küste entlang touren und die eroberten Gebiete besichtigen, von der französischen Grenze bei Irun bis Asturien, unter anderem über das zerbombte Gernika-Lumo. Diese Besuchsreihe war Teil einer von vier Routen, die der so genannte Nationale Tourismus-Service (Servicio Nacional del Turismo) für die Reisedauer von neun Tagen organisierte.
Die Nordroute
Auf der Nordroute sollten das geisterhafte Gernika-Lumo, der zerstörte Eiserne Gürtel, das verfluchte Saturraran-Gefängnis oder das bombardierte Durango besucht werden, am 1. Juli 1938 wurde sie freigegeben (neun Monate vor dem offiziellen Kriegsende). Der Historiker José Ángel Etxaniz Ortúñez, Mitglied der Memoria-Gruppe “Gernikazarra Historia Taldea“ aus Gernika, befindet sich derzeit in letzten Phase der Erarbeitung einer Studie mit dem Titel "Geschichte des Tourismus in Urdaibai (1830-1980)", einer Monographie, mit der er 2019 begann.
Als die stummen Straßen Gernikas nach der Arbeit von Zwangsarbeitern, Bewohnern und Ortsnachbarn von Bomben-Trümmern geräumt waren, wurde der Rechtsanwalt und Journalist Luis Antonio Bolín Bidwell (2) an die Spitze des Nationalen Tourismus-Dienstes berufen, erläutert Etxaniz. “Während des Krieges führte Bolín wichtige touristische Aktivitäten durch. Er war es, der das Flugzeug Dragon Rapide mietete, mit dem General Franco von den Kanarischen Inseln nach Marokko gebracht wurde. Ganz nebenbei war er Leiter des Internationalen Pressedienstes im Generalstab Francos in Salamanca. Zu seiner Zuständigkeit gehörte, allen Anklagen der internationalen Presse über die Bombardierung von Gernika-Lumo entgegenzuwirken." Bolín ließ sich in Donostia (San Sebastián) nieder, im Hotel María Cristina.
Von diesem Basislager aus plante er die zynischen Tourismus-Routen im Norden, in Aragon, und weiter südlich in Madrid und Andalusien. Die Besuche der realen Kriegsschauplätze erfolgten laut einer Broschüre des Nationalen Tourismus-Dienstes "in Begleitung von kompetenten Führern, in Luxusbussen und mit Unterbringung in erstklassigen Hotels", so die entsprechende Werbung.
Von Irun nach Asturien
Die nördliche Reiseroute begann an der Grenze in Irun und endete in den asturischen Städten Gijón und Oviedo. In den historischen Gebieten von Gipuzkoa und Bizkaia standen folgende Gemeinden auf dem Programm: Irun, Donostia, Zarautz, Zumaia, Deba, Mutriku, Ondarroa, Elgoibar, Eibar, Ermua, Ondarroa, Lekeitio, Gernika-Lumo, Durango, Amorebieta-Zornotza, Lemoa, Larrabetzu, Bilbao und Balmaseda.
Auf der Werbe-Broschüre waren Fotos abgebildet, die den reichen nationalen und internationalen Touristen gefallen sollten. Der Text des Dokuments spielte mit den bellizistischen Schrecken: "Die Kriegsroute im Norden (San Sebastian, Bilbao, Santander, Gijon, Oviedo, der Eiserne Gürtel – die Lager der Roten) und die noch schwelenden Spuren eines unglaublichen Heldenepos. Überzeugen Sie sich selbst von der Situation und von den Umständen in National-Spanien. Fragen Sie im Reisebüro nach Berichten."
Und die Bilder zeigten die Ruinen von Gernika-Lumo, oder den "Generalissimo Franco mit den Generälen Dávila und Vigón, sowie anderen Führern". Franco und Vigón, die jenen fatalen Befehl unterzeichnet hatten, der die Bombardierung von Durango durch italienische Bomber "ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung" erlaubte. Was kann von Leuten erwartet werden, die unschuldige Menschen auf diese Art und Weise angreifen lassen? Die Fotografien in dem Pamphlet stammten von Marqués del Villar und anderen Autoren.
Etxaniz spricht davon, dass die Nazis ihren Gernika-Angriff “Operation Rügen“ nannten, nach der deutschen Touristeninsel in der Ostsee. So ist es auch in der englischen Version von Wikipedia über die Bombardierung von Gernika zu lesen. Wikipedia deutsch und spanisch hingegen verzichten auf den Begriff. Der Operations-Benennung widersprechen andere Quellen. Danach gaben die Nazis dem Angriff zur Zerstörung von Gernika keinen Namen, weil sie dies nur bei großen militärischen Aktionen taten. Gernika zählte nicht dazu. “Unternehmen Barbarossa“ wurde zum Beispiel der Nazi-Überfall auf die Sowjetunion genannt, “Fall Rot“ nannten sie den Angriff gegen Frankreich. "Winterübung Rügen" nannten Nationalsozialisten die umfangreichen Seetransporte von Flugzeugteilen und Soldaten von Deutschland in spanische Häfen, nach denen ab November 1936 die Legion Condor formiert wurde. Später wurde auch ein Generalstab Rügen genannt, der den Einsatz der Legion Condor im Spanienkrieg (meist Spanischer Bürgerkrieg genannt) auswerten sollte.
Kriegs-Propaganda, Kriegs-Tourismus
Etxaniz analysiert, dass die touristische Nachfrage und die Reise-Möglichkeiten heutzutage durch die steigenden Anfragen und die enormen Marktkapazitäten nahezu unbegrenzt sind. "Die Tourismus-Ziele folgen heute Attributen wie grün, LGBT, Strand- und Sonne, Single, Digitalnomaden oder schlicht Saufen. Die Reihe ließe sich fortsetzen, auch alternativer Tourismus ist in Mode, mit unterschiedlichen Aktivitäten, verschiedenen Transportformen, im Allgemeinen mit der Erfindung von Orten und kulturellen Konstruktionen verbunden. Erinnern wir uns nur daran, dass ein Jakobsweg von den Kanarischen Inseln aus erfunden wurde", erklärt er und geht in seiner Argumentation weiter: "Dazu gehört auch der politische Tourismus oder der Kriegs-Tourismus, letzterer auch bekannt als schwarzer Tourismus. Der Begriff kommt von den brutalen Eindrücken, die bei dieser Art von Reisen ausgelöst werden."
Zerstörung Gernikas
Gernika-Lumo war, wie auch andere von den Franco-Putschisten besetzte Städte, Schauplatz dieser Art von Tourismus, der vor Kriegsende 1939 elegant gekleidete und wohlhabende Leute zum Fotografieren anlockte. Nach den Worten des Mitarbeiters von Gernikazarra Historia Taldea sank die Einwohnerzahl Gernikas von 6.000 vor der Bombardierung auf 3.560 nach der Zerstörung. Viele hatten unter dem Bombenhagel den Tod gefunden, aber nicht nur das. "Vierhundert Einwohner wurden (wegen Wohnungsmangels) in den 60 Zimmern des Hotels Txatxarramendi in Busturias untergebracht“. Dazu wurden Linke und Nationalisten von den Franquisten verbannt, nach Eibar, Erandio oder Zaragoza (wenn sie sich nicht im Gefängnis, im Konzentrationslager oder im Zwangsarbeits-Bataillon befanden).
Weil das Stadtzentrum komplett zerstört war, lebte die Bevölkerung in den umliegenden Stadtteilen. Die von den Nazis verschonten Fabriken im zentrumsnahen Industriegebiet blieben in Betrieb, Gernika war bekannt für seine Waffenfabriken. "Das Franco-Regime sorgte dafür, dass die Produktionspläne eingehalten wurden, um weiterhin Munition, Pistolen und Bomben zu produzieren, in diesem Fall für den Zweiten Weltkrieg ". So lief die Industrie weiter, während Ausländer die Ruinen besuchten. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Presse in Navarra vom 24. September 1936 vorweggenommen, was der Tourismus für diejenigen sein könnte, die den Staatsstreich gegen die legitime Zweite Republik durchgeführt hatten. Etxaniz: "Der Tourismus muss religiös-militärische Formen annehmen, die Falange muss den vorher üblichen Tourismus unter Strafandrohung strikt verbieten". Nach Ansicht von Etxaniz führte diese klare Aussage dazu, dass "lange Zeit Pilgerfahrten und vom Regime kontrollierte Gruppen-Ausflüge in Spanien die einzige Möglichkeit zum Reisen waren".
In seiner Darstellung hebt Etxaniz die Verherrlichung der baskischen Hauptstädte in den touristischen Propagandatexten hervor. Da war zu lesen: "Bizkaia zeichnet sich vor allem durch Bergbau- und Industrie-Reichtum aus", verwiesen wurde auf Bilbao als Hauptstadt, "die als die reichste der Welt bezeichnet wurde". Gleichzeitig hieß es, dass "das nationale Spanien dazu einlädt, die Kriegsroute im Norden zu besuchen: San Sebastian, Bilbao, den Eisernen Gürtel und die immer noch brennenden Spuren eines unglaublichen Epos", möglicherweise in Anspielung auf Gernika, eine Stadt, über der weiterhin die Lüge schwebte, sie wären von “den Roten“ angezündet worden (was offiziell bis heute von keiner staatlichen Stelle dementiert wurde).
Diese "unanständigen" und "neuartigen touristischen Routen" fanden auch in der internationalen Presse ein Echo. Mehrere europäische Zeitungen berichteten darüber. Darunter die liberale Basler Nationalzeitung, die das von Francos Propaganda-Zentrum organisierte touristische Reiseprojekt im nördlichen Kriegsgebiet kommentierte. Die Autoren des Projekts, erklärte die Zeitung, "zeigen einen beispiellosen Wagemut. Die Ruinen von Guernica sind eine der Hauptattraktionen des Ausflugs".
(Die Publikation der Etxaniz-Studie "Geschichte des Tourismus in Urdaibai (1830-1980)" erfolgt im Sommer 2021, Baskultur.Info wird berichten). Gernikazarra.
ANMERKUNGEN:
(1) Zitate aus: “Macabro turismo de guerra en Gernika“ (Makabrer Kriegs-Tourismus in Gernika), Tageszeitung Deia, Iban Gorriti, 2021-04-18 (LINK)
(2) Luis Bolín (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Prospekt (Biblioteca Nacional)
(2) Prospekt (Biblioteca Nacional)
(3) Gernika zerstört
(4) Prospekt (Biblioteca Nacional)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-04-25)