debakel1Neuwahlen als Lösungsstrategie

Nach dem Wahldebakel der Sozialdemokratie setzt Ministerpräsident Pedro Sánchez auf Neuwahlen. Die wurden vom Parteichef eilig auf Juli vorgezogen, da beim Stimmungstest am 28M die Rechte fast alle Regionen und Städte übernommen hat. Der “selbstmörderische“ Schritt zu Neuwahlen des Hasardeurs Sánchez trifft vor allem die Linke, die sich gerade neu formiert. Hier sieht er den Gegner und nicht bei der Rechten-Ultrarechten, die bei den Wahlen abgesahnt haben. Analyse von Ralf Streck im Overton-Magazin.

Bei den Regional- und Kommunal-Wahlen im spanischen Staat hat die rechte PP einen deutlichen Sieg errungen. Verschiedene Regionen gingen ebenso in ihre Hand über, wie die letzten Großstädte. Bei fehlenden absoluten Mehrheiten drohen Koalitionen mit der faschistischen Vox-Partei.

Der spanische Ministerpräsident hat nach dem “Wahldebakel für die Linke“ am 28. Mai 2023, wie die linke Onlinezeitung Público resümiert, die Konsequenzen gezogen und die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 23. Juli angekündigt. Die Zeitung, die der “Linksregierung“ nahesteht, hatte deutlich gemacht, dass sowohl “Aragón, Kantabrien, die Kanarischen Inseln, die Baleareninseln, Valencia, Extremadura und die Rioja“ verloren gingen. Dazu wurden rechte und ultrarechte Parteien in den Regionen gestärkt, in denen sie (wie in Madrid oder Murcia) schon regierten. (1)

Das, was man in Spanien“Linke“ nennt, hat bei den Wahlen praktisch alle wichtigen Regionen wie Valencia verloren. Das schmerzt die Sozialdemokraten (PSOE) genauso wie der Verlust der Balearen oder die Tatsache, dass in der Rioja keine “Linke“ mehr regiert, sondern nun wieder die postfaschistische Volkspartei (PP), nun sogar mit absoluter Mehrheit. Besonders schmerzt die PSOE, dass sie auch die ehemalige Hochburgen Extremadura und Aragon verloren hat. Besonders der Verlust der Extremadura kam unerwartet, zumal die PSOE-Regional-Regierungen in beiden Regionen einen Diskurs geführt haben, der sehr an den der PP erinnerte. Doch die Wähler bevorzugen das Original statt der Kopie. Nur in Kastilien-La Mancha ging die Strategie auf, eine der wenigen Regionen, welche die PSOE retten konnte.

Stehaufmännchen

debakel2“Ich habe diese Entscheidung angesichts der Ergebnisse der gestrigen Wahl getroffen“, erklärte Pedro Sánchez. Der Sozialdemokrat interpretierte die Ergebnisse bei den Kommunal- und Regionalwahlen als klare Watsche für seine Zentralregierung. Dafür will er angeblich die “Verantwortung“ übernehmen. Tatsächlich war der Wahlkampf vor allem mit nationalen Themen geführt worden.

Das hat der narzisstische Hasardeur – der gerne links blinkt und rechts überholt – wie üblich nicht aus Verantwortung getan, sondern eilig, geheim und ohne Absprache mit seinen Bündnispartner (Podemos) beschlossen. Das pfeifen längst die Spatzen von den Dächern der Hauptstadt Madrid. Er versucht sich erneut mit einem Befreiungsschlag als “Stehaufmännchen“, denn sogar in der eigenen Partei war er schon einmal putschartig abgesägt worden, um dann, mit gewagten politischen Manövern gegen den Apparat wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen.

Vor allem denen hat er vor den Kopf gestoßen und vermutlich dem rechten-ultrarechten Durchmarsch für die postfaschistische Volkspartei (PP) und deren militante ultrarechte Abspaltung VOX der Weg geebnet. Man darf vermuten, dass der Mann ohne eigene Ideen und Visionen – wieder einmal – aus Portugal abkupfert. Dort haben die Sozialisten (PS) vor gut einem Jahr einen Angstwahlkampf gegen rechte Ultras gewonnen, sogar mit absoluter Mehrheit.

Vorbild Portugal

Antonio Costa erreichte zwei Ziele, die auch Sánchez hat. Er will vor allem die Parteien links der PSOE ausschalten oder schwächen. Die PS in Portugal hat in einem Lagerwahlkampf die linksradikalen Partner so geschwächt, dass sie diese nach den Wahlen nicht mehr als Bündnispartner brauchte. Sie konnten in der Folge gegen die Sozialisten keine weiteren sozialen Verbesserungen durchsetzen, wie in den Jahren der“Geringonça-Regierung“zuvor. Das Ergebnis ist, dass der soziale Frieden auch dort vorbei ist, Streiks und riesige Demonstrationen sind an der Tagesordnung gegen die neoliberale Politik der PS. Das hatte auch das einstige PS-Führungsmitglied Ana Gomes – eine streitbare Frau, die auch gegen ihren Parteichef kein Blatt vor den Mund nimmt – gegenüber Overton vorhergesagt.

Keine linke Politik in der “fortschrittlichsten Regierung der spanischen Geschichte“

Nach vier Jahren, in denen Sánchez PSOE bei fortschrittlichen Vorhaben, die vor allem vom Juniorpartner “Unidas Podemos“ (UP) angeschoben wurden, stets auf der Bremse stand, kam es am 28. Mai wie es kommen musste, als neben den Kommunal- auch Regionalwahlen in 12 von 17 autonomen Gemeinschaften stattfanden, die den deutschen Bundesländern ähneln. Es war vorhersehbar, dass die Sozialdemokraten und UP abstürzen würden. Obwohl Sánchez stets von der “fortschrittlichsten Regierung der spanischen Geschichte“ fabulierte, war davon in der Realität nichts zu spüren.

Linke Politik wurde weiterhin nicht gemacht, erst zuletzt und dann nur sehr wachsweich und zum Teil auch kontraproduktiv, wie beim angeblichen “Mietendeckel“. Sogar das fortschrittliche Sexualstrafrecht wurde zurückgeschraubt. Handwerkliche Fehler der UP-Ministerin Irene Montero waren die Steilvorlage, um das wichtige “Nur Ja heißt Ja“-Gesetz zurückzudrehen. Dabei wurden die negativen Auswirkungen, dass Sexualstraftäter frühzeitig freikommen, mit der Reform nicht gelöst. Es war nur der Vorwand, womit die Widersprüche im Linksbündnis UP bis zur Zerreißprobe weiter zugespitzt wurden. Das ist Teil der gesamten Sánchez-Strategie nicht nur gegenüber der Podemos-Partei, die er als Konkurrenz besonders im Visier hat.

Anti-Migration

Die Partei oder auch das Bündnis UP bekamen kaum Erfolge zugestanden, man ließ sie ganz in sozialdemokratischer Strategie am langen Arm verhungern, damit sich die inneren Widersprüche zuspitzen und sich UP selbst zerfleischt. Darin war Sánchez erfolgreich, auch was Katalonien angeht, wo die gleiche Strategie mit einem angeblichen “Dialog“ angewendet wurde, der nie begonnen hat. Derweil hat Sánchez gegen allgemeine Grundlagen in einem Schmusekurs mit Marokko einen Schwenk gegenüber der Westsahara eingeleitet und sie als Preis für die mörderische Flüchtlingsabwehr durch das autoritäre Königreich verkauft. Der “Progressive“ hat vorangetrieben, dass im neuen NATO-Strategiekonzept, das in Madrid beschlossen wurde, die illegale Einwanderung zur hybriden Bedrohung und als Verteidigungsfall angesehen und in einem Atemzug mit Terrorismus gehandelt wird.

Das alles hat UP geschluckt, was für viele Wähler*nnen an einem oder am anderen Punkt eine rote Linie überschritten hat. Sie sind nun wieder heimatlos und bleiben den Wahlen fern, was rechten und ultrarechten Parteien nutzt. An der einseitigen Entscheidung von Sánchez, ob Waffen in die Ukraine geliefert werden, konnte er zudem den Spaltungskeil tiefer in das Linksbündnis treiben. Während Podemos das abgelehnt und auf diplomatische Initiativen zu einer Friedenslösung gedrängt hatte, war die neue UP-Chefin, Vize-Ministerpräsidentin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz dafür. Die Frau, die zwar Mitglied der Kommunistischen Partei (PCE) ist, aus nostalgischen Gründen, wie sie sagt, bezeichnet sich selbst als “sozialdemokratisch“.

Wahlversprechen

Zentrale Wahlversprechen wurden nicht eingelöst. Die Arbeitsmarkt-Reform und das Maulkorbgesetz der rechten Vorgänger wurden nicht wie versprochen gestrichen. Díaz reformierte den Arbeitsmarkt leicht. Es sagt viel über die Reform einer “Kommunistin“, die mit Arbeitgebern ausgehandelt und nach der Abstimmung vor allem von diesen beklatscht wurde. Der Kern der vorhergehenden Reform blieb unangetastet, gaben die Arbeitgeber-Verbände unumwunden zu. Denn 95 Prozent der vorigen Reform blieben ihrer Ansicht nach erhalten. Das Maulkorbgesetz wurde nicht reformiert, es wurde sogar verschärft und auf das Internet ausgeweitet. Und nun wollen die Sozialdemokraten sogar die Privatsphäre in der EU aufheben und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Diensten verbieten.

debakel3Das ist alles andere als demokratisch, aber dann braucht man keine Pegasus- oder Candiru-Spionagesoftware mehr, um oppositionelle und sogar Bündnispartner illegal auszuspionieren, wie allseits bekannt ist. Der ausgespitzelte Madrid Anwalt Gonzalo Boye brachte es gegenüber Overton auf den Punkt. “Spanien sieht zwar so aus wie eine Demokratie, es ist aber keine echte.“

Die PSOE-Sprecherin, die vor dem Wahlgang die PP noch zum “Verliererin“ erklärt hatte, hat sich nach den Wahlen plötzlich in Bescheidenheit versucht. Pilar Alegría erklärte dann: “Wir haben die Botschaft der Wähler verstanden.“ Man werde sich sofort an die Arbeit machen, um Fehler zu korrigieren. Natürlich hat sie keinen einzigen Fehler benannt. Ohnehin hätten die Sozialdemokraten zur Fehlerkorrektur lange Jahre Zeit gehabt, denn die Sánchez-Partei wurde in den beiden letzten Jahren schon unter anderem in Andalusien, Kastilien-León oder Madrid abgestraft. Passiert ist nichts. Man muss davon ausgehen, dass sie die Fehler nicht in ihrer fehlorientierten rechten und neoliberalen Politik sehen.

Sánchez arbeitet vor allem weiter daran, seine Bündnispartner zu schwächen, statt seine Regierung zu stärken

Podemos hätte längst aus der Regierung aussteigen müssen. Ex-Podemos-Chef Pablo Iglesias, der wie seine Frau Irene Montero zu keiner Selbstkritik fähig ist, hat das Debakel zentral mitzuverantworten. Er hat sich zwar offiziell aus der Politik zurückgezogen, zieht aber im Hintergrund noch die Strippen. Er hat per Fingerzeig die “Kommunistin“ Díaz auf den UP-Führungsposten gehoben. Die nutzte diese Position, um eine zweite sozialdemokratische Formation aufzubauen und Podemos auszugrenzen. Die Partei sollte nicht einmal feindlich übernommen, sondern ganz zerschlagen werden. Darin waren sich Sánchez und seine PSOE einig mit der neuen Díaz-Formation “Sumar“ (Summieren), an der Díaz gerade strickt und die vom Partner Sánchez beim Aufbau nun kalt erwischt wurde.

Aber Sánchez überrascht mit seinem Schritt vor allem die, die er bisher verhätschelt hatte. Für Díaz wird es nun besonders schwierig. Ihr bleiben nur noch zwei statt sechs Monaten zur Vorbereitung. Denn Sumar ist zu keiner der Regional- und Kommunalwahlen angetreten und hat deshalb kaum Strukturen. Díaz steht eine Herkules-Aufgabe bevor. Sie muss nun auch schnell überlegen, ob sie Podemos nicht doch noch einbindet oder wieder getrennt wie in vielen Regionen antritt, was die rechten Kräfte weiter gestärkt hat. Alles spricht dafür, dass man versucht, sich irgendwie zusammenzuraufen, da getrennt die Aussichten auf ein gutes Wahlergebnis marginal sind. Getrennt angetreten flog Podemos nun auch aus den Regional-Parlamenten in Valencia, Madrid und den Balearen ganz heraus.

Summieren oder spalten

In dieser Richtung zeichnet sich Bewegung ab. Bisher hatte Díaz die Podemos-Führungsfrauen komplett aus Sumar ausgegrenzt. Nun wird händeringend nach einer Lösung und Bündelung der Kräfte gesucht. Doch die Vereinte Linke (IU) und deren Chef Alberto Garzón, auch ein angeblicher Kommunist, wollen, dass die Sozialdemokratin Díaz das Projekt Sumar führt. Eine weitere Fehlentscheidung von IU, die praktisch fast schon verstorben war, um stärkeren Einfluss zu haben.

Plötzlich will aber Sumar doch noch addieren, statt weiter zu spalten, und Podemos dürfte nach dem Debakel auch zu Kompromissen bereit sein. “Man muss die Sachen in einer anderen Form machen”, twitterte Díaz nun angesichts der einseitigen Entscheidung von Sánchez zu schnellen Neuwahlen. Bisher hat sie weitgehend eine Politik wie Sánchez gemacht. Von ihr, die ohnehin keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg hat, wäre bei einem Sieg kaum etwas zu erwarten. Sie versucht sich selbst Mut zu machen: “Ich nehme die Herausforderung an“, twitterte sie. “Von nun an arbeiten wir daran, am 23. Juli zu gewinnen.”

Das ist ein Witz, solange sie nicht zur PSOE wechselt, die längst die Politik macht, die sie anstrebt. Ansonsten ist es aussichtslos für sie, die erste Regierungschefin Spaniens zu werden. Sie hatte ohnehin längst verkündet, dass ihr reales Ziel ist, eine Koalition mit der PSOE für “lange Zeit“ als Mehrheitsbeschafferin zu schmieden, wie sie kürzlich schon im Parlament erklärt hatte.

Beobachter bezeichnen Sánchez erneut als “unvorhersehbar“. Der Politologe Paco Camas sprach im Fernsehen davon, dass der Schachzug “selbstmörderisch“ sei. Sánchez setze alles auf eine Karte und wolle eine weitere Abnutzung verhindern. Wie die Sumar-Chefin Díaz setzt er auf eine Mobilisierung linker Wähler wie in Portugal mit der Warnung vor dem Wolf (Vox), um angeblich eine rechte-rechtsradikale Zentralregierung für das ganze Land zu verhindern, wie sie nun bereits in vielen Regionen ansteht. Die Wähler müssten entscheiden, ob sie in Spanien eine Regierung der rechtskonservativen Volkspartei (PP) mit der rechtsradikalen VOX wollen, sagte Sánchez. Im Sinn dürfte Sánchez als Plan B auch haben, sollte er mit einem Lagerwahlkampf gegen alle bisherigen Prognosen doch stärkste Kraft werden, eine große Koalition anzuführen. Eigentlich ist dem Narzissten egal, mit wem er regiert, solange er regieren kann.

debakel4Trend zur absoluten PP-Mehrheit

Aber was ist, wenn die postfaschistische Volkspartei PP wie in der Vergangenheit eine absolute Sitzmehrheit erhält? Ausgeschlossen ist das nicht und die PP dürfte diese Karte wie in Madrid spielen, womit die rechten VOX-Ultras nicht dabei wären. Denn die PP konnte ihre Positionen ausweiten. Sie kann nun nicht mehr nur Andalusien allein regieren, sondern auch die wichtige Hauptstadtregion Madrid und andere Regionen mit absoluter Sitzmehrheit. Das Wahlgesetz belohnt große Parteien und bestraft Zersplitterung stark. Gut 40 Prozent können unter bestimmten Umständen eine absolute Mehrheit im Parlament ergeben.

Der Trend zur absoluten PP-Mehrheit hat sich nach dem bevölkerungs-reichsten Andalusien nun auch im bevölkerungs-starken Madrid bestätigt. Die PP-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso, die auch als “Trump von Kastilien“ bezeichnet wird, hat zwar wegen der geringeren Wahlbeteiligung etwa 50.000 Stimmen gegenüber den vorgezogenen Neuwahlen vor zwei Jahren verloren, doch nun kommt sie mit weniger Stimmen sogar auf 47%.

Faschisierung der PP

Auch der bisherige PP-Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida kann in Madrid weitermachen, ebenfalls mit absoluter Mehrheit. Der Rechtspopulist hat wie Ayuso kein Problem damit, wenn man die PP als “Faschisten“ bezeichnet. Almeida kann nun ohne die ultra-nationalistische “Ciudadanos“ (Cs) regieren, die praktisch im ganzen Land aus den Parlamenten verbannt wurde. Die hat nun entschieden, im Juli nicht anzutreten, um die rechte Wählerschaft nicht zu zersplittern. Eine Phase scheint abgeschlossen, als Ciudadanos von rechts und Podemos von links das Zweiparteiensystem in Frage gestellt hatten.

Ayuso kann nun die Hauptstadtregion ohne die bisherige Unterstützung ihrer ultrarechten Abspaltung regieren. Die Strategie von Ayuso ist aufgegangen, sie hat VOX nicht nur in den Schranken gehalten. Die Rechtsradikalen kamen statt auf neun nur noch auf sieben Prozent und die Stimmen von Ciudadanos kehrten komplett zur PP zurück. Die Beschränkung von VOX geschah allerdings zu dem Preis, dass der radikale Diskurs von VOX fast vollständig von Leuten wie Ayuso übernommen und damit weiter normalisiert wurde. Ideologisch liegen die Ultra-Katholiken und Anti-Linken ohnehin auf demselben Kurs.

Die Wahlen haben auf allen Ebenen gezeigt, dass es Sánchez gelungen ist, die Rechte und die Ultrarechte zu stärken, während er praktisch alle Unterstützer geschwächt hat. Die Ausnahme ist EH-Bildu (Baskenland Vereinen). Mit den links-nationalistischen Unterstützern kann die PSOE vermutlich Navarra verteidigen, wo sie stagnierte.

ETA als Argument

Doch die PP wird das voll ausnutzen. Denn angeblich handele es sich nach deren Ansicht bei der Koalition aus drei Parteien um Nachfahren der Untergrund-Organisation ETA, die aber seit Jahren aufgelöst und abgewickelt ist. Besonders die “heimliche Oppositionsführerin in Spanien“, Isabel Díaz Ayuso, hat diese Karte gespielt, obwohl ETA seit Jahren aufgelöst und entwaffnet ist, und sich sogar bei den Opfern entschuldigt hat. Ganz richtig hatte Ayuso gesehen, dass dieses Thema auch gegen die Unterstützung durch die “Separatisten“ der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) wirksam ist, schließlich greift die Minderheitsregierung von Sánchez immer wieder auf Stimmen der Linkskoalition EH Bildu und ERC zurück.

Bildu hat sich von der ETA-Gewalt distanziert, während sich die PP auch 50 Jahre danach nie vom Franquismus und der Diktatur distanziert hat. Diese Partei wurde von Ministern der Diktatur gegründet, während die rechte Abspaltung VOX sogar offen als Franco-Freunde auftritt. Der Bildu-Chef Arnaldo Otegi hatte an der Abwicklung der ETA gearbeitet und saß deshalb illegal sechs Jahr als angebliches ETA-Mitglied im Knast. Der Straßburger Menschenrechts-Gerichtshof hat Spanien dafür verurteilt, dass er keinen fairen Prozess erhielt. Es ist klar, dass PP und VOX diesen Joker bei den Parlamentswahlen im Juli erneut gegen Sánchez ausspielen, vor allem wenn es in Navarra erneut zum Bündnis kommt.

Ganz anders als Bildu erging es deren strategischem Partner in Katalonien. Die ERC, die Katalonien noch einer sehr schwachen Minderheits-Regierung vorsteht, wurde massiv für ihren Schmusekurs zu Sánchez und der PSOE abgewatscht. Der versprochene Dialog zur Konfliktlösung fand nie statt und hat nur einen Spaltungskeil in die Unabhängigkeits-Bewegung getrieben. Zunächst kündigte die antikapitalistische CUP die Zusammenarbeit mit der ERC auf, dann stieg auch Gemeinsam für Katalonien (JxCat) aus der Koalition aus. Die schwache Regierung von Pere Aragonès ist am Ende, die ERC als Mehrheits-Beschafferin von Sánchez steht vor einem Scherbenhaufen. Es riecht hier in Katalonien nun ebenfalls nach vorgezogenen Neuwahlen, da die ERC den letzten Rest an demokratischer Legitimation verloren hat.

Katalonien und Basenland scheren aus

Allerdings ist auch festzustellen, dass sich bei den Kommunalwahlen Katalonien und das Baskenland anders als der Rest des spanischen Staates verhielten. In Spanien werden fortan alle großen Städte von der PP oder in Koalition mit den Ultras regiert. Nur in Barcelona und Bilbao ist das anders. Statt wie vor vier Jahren in Barcelona Wahlsieger zu werden, wurde die ERC nur noch viertstärkste Kraft. Statt 21 kam sie nur noch auf 11 Prozent. Ähnlich sieht die ERC-Katastrophe in ganz Katalonien aus.

Dass die ERC kurz vor dem Wahlkampfende die Unabhängigkeit und die “Republik als Zukunft“ auspackte, gegen die sie real seit Jahren gearbeitet hat, konnte kaum jemanden an der Nase herumführen. Viele ehemalige ERC-Wähler*innen blieben den Urnen fern, sogar Mitglieder und ehemalige Kandidat*innen verweigerten der Partei die Gefolgschaft, wie gegenüber Overton auch persönlich bestätigt wurde. Den Dialog der ERC mit Madrid hat Sánchez nie real gestartet, er sollte nur dazu dienen, die Bewegung zu spalten. Da Aragonès das katalanische Spiegelbild von Sánchez ist, ging das Spiel auf, da er vor allem eins will: regieren.

Ein ERC-Führungsmitglied, das nicht mit Namen genannt werden will, erklärte gegenüber Overton, dass in der Strategie der “Verbreiterung der Basis“ viele “Konvertiten“ aufgenommen wurden, “die inzwischen die Zügel“ übernommen hätten. “Das hat Konsequenzen.“ Diejenigen, die stets in der ERC waren, seien an den Rand gedrängt worden. Overton ist ein Fall bekannt, wo der neue ERC-Bürgermeister eigentlich für die Partei des Exilpräsidenten Carles Puigdemont antreten wollte. Doch die wollte den geforderten Preis nicht zahlen, weshalb er für die ERC kandidierte und nun Bürgermeister wird. Das kann man Korruption in einer Gemeinde nennen, in der Vetternwirtschaft unter einer ERC-Bürgermeisterin auch bisher das tägliche Brot war.

debakel5Barcelona

Die Wähler*innen haben sich allerdings meist nicht hinters Licht führen lassen. Deshalb hat die Puigdemont-Partei die Metropole Barcelona gewonnen, sie tritt weiterhin klarer für die Unabhängigkeit und die Republik ein und hat in Madrid eine klare Opposition betrieben. Erneut für JxCat kandidiert hat Xavier Trias, der einst mit einer Schmutzkampagne aus den spanischen „Kloaken“, die auch gegen Podemos eingesetzt wurden, aus dem Amt gejagt wurde. Allerdings nutzten das ehemalige Podemos-Anhängsel “En Comú“ und deren Führungsfigur Ada Colau die Schmutzkampagne für sich. Vor vier Jahren war sie nur mit rechten Stimmen der spanisch-ultranationalistischen Ciudadanos von Manuel Valls Bürgermeisterin geworden. Sie hat damit viele Wähler*innen schockiert und hat viel Sympathie eingebüßt. Natürlich auch durch ihre Politik. Sie wurde jetzt nur noch drittstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten.

Mit den Wahlen und dem Absturz von Ada Colau ist wie erwartet auch das Projekt Sumar angezählt, bevor es überhaupt an irgendwelchen Wahlen teilgenommen hat. Colau sollte eigentlich ein Stützpfeiler des feministischen Sumar-Projekts werden. Mit Monica Oltra ist ohnehin wegen eines Skandals zuvor schon ein Pfeiler eingestürzt. Sie wird zu einer Belastung für Díaz, die gut daran täte, die Blenderin herauszuhalten. Colau ist längst ebenfalls unglaubwürdig für eine linke und soziale Politik. Auch Mieter*innen-Aktivisten (aus dieser Ecke kommt Colau) haben sich längst von ihr distanziert.

Madrid und Portugal

Die Sánchez- und Sumar-Unterstützer von “Más Madrid“ (Mehr Madrid) konnten sich in der Hauptstadt und der Region behaupten und legten sogar leicht zu. Die Formation wurde erneut, nun mit gut 18 Prozent, zweitstärkste Kraft. Ansonsten haben aber praktisch alle Sánchez-Unterstützer außer Mas Madrid und EH Bildu mehr oder weniger stark Stimmen eingebüßt. Schon deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Sánchez-Strategie im Juli aufgehen kann, nachdem er vier Jahre alles getan hat, um seine Unterstützer zu schwächen.

Der Versuch, Portugal zu kopieren, wird in diesem Fall schiefgehen. Soziologisch und politisch hat Portugal eine völlig andere Struktur. In Spanien treten rechte Ultras seit dem Franquismus ohne Komplexe auf, es fand fast keinerlei Aufarbeitung der blutigen Diktatur statt. In Portugal wurde sie dagegen durch eine friedliche Revolution (1974) beseitigt. Dazu kommt, dass in den (Minderheits)-Nationen im Staat, im Baskenland oder Katalonien, die Wähler*innen nach regionalen oder lokalen Bedingungen abstimmen und nicht mit Blick auf den Zentralstaat. Auch das ist in Portugal anders, dort existiert eine von allen geachtete Republik. So kann man sich in Spanien auf eine PP-Regierung einstellen und darf gespannt sein, ob dabei der Tabubruch ausgeweitet wird und Faschisten auch in die Zentralregierung geholt werden.

ANMERKUNGEN:

(1) “Nach dem Wahldebakel der Linken setzt Sánchez auf Neuwahlen“, Overton-Magazin, Autor: Ralf Streck, 2023-05-30 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Wahldebakel (deia)

(2) Wahldebakel (moncloa)

(3) Wahldebakel (rtve)

(4) Wahldebakel (gines)

(5) Wahlsieger (confidencial)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-06-01)

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