kreuzf1Lernen von Kiel und Venedig

Für 5 Millionen Euro hat die Provinzregierung Bizkaia in der Bilbao-nahen Hafenstadt Getxo einen aufwendigen Anleger für Kreuzfahrtschiffe bauen lassen. Seither wird bei Behörden und in der Presse die Ankündigung gefeiert, dass jährlich 80 Monsterschiffe mit mehr als zwei Millionen Fahrgästen im Hafen von Bilbao Halt machen. Die verheerenden ökologischen Folgen dieser neuen Variante von Massentourismus sind hinlänglich bekannt, werden aber unter den Teppich gekehrt. Nicht so in der Ostsee-Stadt Kiel.

Mit der Verbilligung der Kreuzfahrt wurde aus der “elitären Urlaubsvariante“ ein für die Mittelklasse erschwinglicher Massentourismus. Vielschichtige ökologische Folgen werden ignoriert, als würde es die Klimakatastrophe gar nicht geben. Kiel und Venedig lehren, wie Widerstand funktioniert.

Massentourismus, Guggenheim-Effekt, Massen von Kreuzfahrtschiffen – all das sind junge Erscheinungen in Bilbao-Bizkaia. So neu, dass sich über die negativen Folgen dieser Phänomene noch kein größeres Bewusstsein entwickelt hat. “Von irgendetwas müssen wir ja leben“, sagen bis heute viele Einheimische nach dem Ende der Industrialisierungs-Epoche in den 1980er Jahren. Der Zusammenhang von Guggenheim und Kreuzfahrt mit Klimakatastrophe, Fracking, mit Meer- und Luftverschmutzung wird nicht hergestellt, nicht begriffen und schon gar nicht vermittelt. Weil die wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen – um jeden Preis – Vorrang haben. Protest und Widerstand gegen die Kreuzfahrt-Unkultur gab es in Bilbao oder Bizkaia noch nicht. Anderswo durchaus. In Venedig und im norddeutschen Kiel zum Beispiel.

Erfahrung aus der Kieler Förde

kreuzf2“Mit den letzten Paddelzügen erreichen wir mit den Kajaks und Kanus die Schiffswand des riesigen Kreuzfahrtschiffes in der Kieler Förde. Von der anderen Seite nähern sich mehrere Schlauchboote mit einem aufblasbaren Einhorn. Es ist geschafft: die erste Blockade rund um das Kreuzfahrtschiff Vasco Da Gama steht!“ Am 3. Juli 2022 wurden im Kieler Hafen zeitgleich drei Kreuzfahrtschiffe blockiert. Die Aktionsgruppe “Smash Cruiseshit“ hatte sich von verschiedenen Startpunkten mit Kajaks und Kanus, Schlauchbooten sowie Aufblasteilchen in Form von Einhörnern oder Pizzastücken den klimaschädlichen Riesen genähert. Am Ostseekai wurden die Vasco da Gama und die Norwegian Dawn blockiert, im Ostufer-Hafen wurde die MSC Preciosa für mehrere Stunden gestoppt. Bei der Blockade haben circa 50 Aktivist*innen die Kreuzfahrt-Schiffindustrie aktiv daran gehindert, Urlaub auf Kosten von anderen anzubieten und gezeigt, dass Kiel kein Ort für Kreuzfahrerei ist. (1)

Anti-ökologisch

Ökologisch und sozial gesehen ist die Kreuzfahrt-Industrie untragbar. Nicht nur in globaler Hinsicht – sondern auch lokal – sind die Folgen der zunehmenden Kreuzfahrten zu reinen Vergnügungszwecken immens. Während der Kreuzfahrtsaison ist in Kiel eine der höchsten Feinstaub-Belastungen im europaweiten Vergleich messbar. Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen werden durch Feinstaub verursacht oder führen zu Verschlechterung schon bestehender Erkrankungen. Krebserregende Stoffe werden von den Pötten kontinuierlich in die Luft gepustet – Transparenz zu dieser Problematik in Hafenstädten fehlt jedoch weitgehend.

Dass dies nicht nur für die Menschen gilt, sondern auch für die Umwelt, ist offensichtlich. Kreuzfahrt steht im Ranking “Wie kann ich meinen Urlaub besonders klimaschädlich gestalten“ an einer der obersten Stellen. An Land wird das Schiff über die Land-Stromanlage aufgeladen, was in kürzester Zeit so viel Energie verbraucht wie eine Kleinstadt – und das ist noch die klimafreundlichere Variante. Auf offener See fahren viele Schiffe weiterhin mit Schweröl. Astronomisch hohe Konzentrationen an Feinstaub, Schwefeldioxiden und Stickoxiden sowie Rußpartikeln landen in unserer Umwelt und setzen sich an den Polen ab, was wiederum die Eisschmelze verstärkt. Dazu kommt, dass viele Tiere durch den Lärm der riesigen Dampfer gestört werden und Küstenabschnitte durch die Anlagen zerstört werden.

Arbeits-feindlich

Viele Arbeiter*innen auf den Kreuzfahrtschiffen haben mit den Arbeitsbedingungen zu kämpfen, die eine Art Zwei-Klassengesellschaft darstellen. 30% der Angestellten ist nautisches Personal, die übrigen 70% sind Servicekräfte, die meist aus Niedriglohnländern kommen. Diese stehen den Urlauber*innen in ihrem “wohlverdienten“ Luxus-Urlaub auf Hoher See ständig zu Diensten und das unter oftmals sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Es gelten die arbeitsrechtlichen Bedingungen der Flaggenstaaten, welche von den Reedereien frei gewählt werden können. Zusätzlich besteht auf den Schiffen kein Kündigungsschutz.

Der Protest dagegen war an diesem Kieler Sonntagnachmittag sowohl an Land als auch auf dem Wasser sehr bunt. Ein Junggesell*innen-Abschied auf besonderer Mission hat mit viel Spaß, Freude und einem regenbogenen-farbenen Einhorn den Weg aufs Wasser gefunden. Viele Kajaks, Kanus und Schlauchboote mit Bannern wie “Queers crashing Cruiseships“ oder “Unicorns against Cruiseships“ haben die Förde vor und neben den Kreuzfahrtschiffen geschmückt. Mit großen Magneten wurden Front-Transparente mit den Sprüchen “LNG Stoppen“ und “Fight Neocolonialism“ an die Bugseiten der Schiffe angebracht.

Neokolonialismus und Fracking

kreuzf3Der Fokus der Blockade lag auf LNG und dem Neokolonialismus, der unter anderem durch die Förderung von Flüssig-Erdgas passiert. “Liquified natural gas“ (LNG) wird mittlerweile von vielen Schiffen als Treibstoff verwendet. Auf den ersten Blick mag das wegen der geringeren Luftschadstoff-Emissionen als “gute“ Alternative wirken. Doch das dabei entweichende Methan sowie die Produktion an sich, reihen LNG gemeinsam auf einer Stufe mit Schweröl und Marinediesel ein.

LNG kommt meist aus Regionen in Nord- und Lateinamerika, in denen indigene Menschen oder ärmere Menschen leben – das heißt Menschen und Gebiete, welche ohnehin schon stark vom Klimawandel gezeichnet sind. Und außerdem: Das Erdgas an diesen Orten wird durch Fracking gewonnen. Unmengen an Wasser werden verunreinigt, es kommt zu wiederholten Erdbeben und für die dort lebende Bevölkerung ist dies mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Risiken verbunden.

Wie so oft in der kapitalistischen Gesellschaft wird auch bei Kreuzfahr-Schiffen versucht, die schlechte Klimabilanz mit Greenwashing zu verstecken. Das passiert durch neue Landstromanlagen und durch die Nutzung von LNG. Die Verwendung von Schweröl als Treibstoff, die Entsorgung von Unmengen an Müll auf dem Offenen Ozean, der Lärm der Schiffe für die Meerestiere oder der ökologische Eingriff bei dem Bau neuer Terminals wird dabei raffiniert verschwiegen.

Zelten gehen

“Dreckiger Luxus auf Kosten anderer“, dieser Spruch schmückte eines unserer Transparente – wie wahr. Tatsächlich hatten wir ein wenig Publikum. An Land gab es einige Menschen, die vorbeizogen und dann doch mit neugierigem Blick auf das Geschehen im Wasser stehenblieben. Auch die Urlauber*innen an Bord trauten sich nach und nach an die frische Luft der Kieler Förde und beäugten uns von oben. Was sie sich wohl dachten? Wir jedenfalls fanden es gemütlich in unseren Kajaks auf dem Wasser und ehrlich: “Geht doch Zelten, ist eh viel schöner!“

Nachdem die Blockade stand, erste Journalist*innen gekommen waren und die Kieler Wasserschutz-Polizei von den drei verschiedenen Blockaden etwas überfordert erschien, mussten wir feststellen, dass es noch einen unberechenbaren Faktor gab: das Wetter. Erst weiter weg und dann immer näher kommend zog ein Gewitter über Kiel auf.

Zeitgleich zeigte der Kapitän der Vasco da Gama, was für ihn wirklich zählt. Er machte die Bugstrahlruder an. Dabei war es ihm sichtlich egal, dass sich Menschen unmittelbar in der Nähe der Schiffswand befanden. Diese Antriebsmaschinen sorgen für eine starke Sogkraft unter Wasser und können lebensgefährlich sein.

Als das Gewitter über Kiel war und es zu regnen angefangen hatte, entschied sich die Aktionsgruppe vor der Vasco Da Gama dazu, das Wasser zu verlassen, um keine Menschen zu gefährden. Den Kapitän der Vasco Da Gama interessierte es auch nicht, dass sich noch zwei Aktivist*innen in einem Schlauchboot direkt neben dem Schiff aufhielten und legte schnellstmöglich ab. Glücklicherweise ist den beiden nichts passiert. Unser Fronttransparent “Fight Neocolonialism“ ist währenddessen mit der Vasco da Gama auf eine weite Reise nach Kopenhagen gegangen.

Am Ostufer

Weniger gut ist die Situation am Ostuferhafen ausgegangen. Dort wollten einige Aktivist*innen das Hafenbecken über die Notfallleiter verlassen, wurden jedoch von den Hafen--Mitarbeiter*innen mehrmals daran gehindert. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Gewitter direkt über der Kieler Förde – eine gefährliche Situation für die Aktivist*innen. Kurze Zeit später begann die Räumung der beiden noch bestehenden Blockaden. Dabei wurden die Aktivist*innen und die Schwimmgefährten mit den Polizeibooten an Land gebracht. Das Kreuzfahrtschiff MSC Preciosa konnte so 2,5 Stunden daran gehindert werden abzulegen.

Circa 30 Aktivist*innen wurden für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen. Auch Journalist*innen und andere Menschen, die während des Gewitters geholfen haben, Menschen und Boote aus dem Wasser zu holen, wurden festgehalten. Am Abend waren alle wieder frei und wurden herzlich mit Erbsensuppe empfangen.

Kampagne gegen Kreuzfahrtschiffe

Die Blockade im Kieler Hafen ist Teil einer Aktionreihe zum Widerstand gegen die Kreuzfahrtindustrie. Ende September 2019 kam es in Helsinki zu einer Blockade der Queen Elizabeth von Seiten der Gruppe Elokapina, bei der die Aktivist*innen dem dreckigen Pott mit Kajaks den Weg versperrten und das Auslaufen für einige Zeit hinderten. Vorbild für den Widerstand gegen die Kreuzfahrtschiffe ist die Bewegung “no grandi navi“ in Venedig, die seit 2002 protestiert. Diese Proteste waren erfolgreich, seit 2021 ist das Einlaufen von Kreuzfahrtschiffen verboten. Allerdings wurde dieses Verbot von der “Norwegian Gem“ erst vor einigen Tagen gebrochen. Dies zeigt, dass weiterer Widerstand im Moment umso wichtiger ist.

Auch in Kiel fand bereits im Sommer 2019 eine Kreuzfahrtschiff-Blockade statt. Nun - 2022 - wurden drei Kreuzfahrtschiffe parallel blockiert – es wird garantiert nicht die letzte Aktion sein.

Erschöpfbare und fossile Ressourcen für verschwenderische Urlaubsvergnügen auf Kreuzfahrtschiffen zu verwenden, die vielmehr schwimmenden Hotels ähneln, kann weder jetzt noch in Zukunft fortgeführt werden. Ein Umdenken und Umlenken der Gesellschaft im Umgang mit der Klimakatastrophe weltweit muss antikolonial und antikapitalistisch angegangen werden. (1)

ANMERKUNGEN:

(1) “Smash Cruiseshit – geht doch Zelten! Eine Blockade gegen Kreuzfahrt“, Indymedia Dtl, von: anonym, 31.07.2022 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Kreuzfahrt (getxo noticias)

(2) Kreuzfahrt (indymedia)

(3) Kreuzfahrt (getxo noticias)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-08-03)

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