Wechselvolle Geschichte einer königlichen Festung
Navarrer haben die Burg Irulegui gebaut, Navarrer haben sie abgerissen und Navarrer*innen sind nun dabei, die Reste der Festung wieder auszugraben. Irulegi diente einst dem Königreich Navarra als Stützpunkt. Später wurde es von Kastilien erobert, zurückerkämpft und von Navarra selbst geschliffen, um es nicht erneut dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Seit 10 Jahren wird auf dem Berg im Aranguren-Tal gegraben, die Grundfesten sind schon deutlich zu sehen. Bald wird die alte Burg zu besuchen sein.
Die Festung Irulegi wurde im 10. Jahrhundert gebaut. Östlich von Pamplona liegend gehörte sie zum Königreich Navarra und wurde 1494 auf Anweisung des navarrischen Königspaars abgerissen. 1512 fiel das Königreich an Kastilien.
Wann genau die Festung Irulegi gebaut wurde, ist nicht klar. Vieles deutet darauf hin, dass sie auf das 10. Jahrhundert zurückgeht, die Archäologen wollen sich nicht festlegen. Klar scheint, dass sie auf einer alten baskischen Wehrsiedlung „castro“ aus der Eisenzeit gebaut wurde. Diese „castros“ bildeten im damals neu formierten Königreich Navarra (um 824) ein System von Überwachung, zur Abwehr von Übergriffen von außerhalb. Erst als die Grenzen südlich des Ebro (natürliche Süd-Grenze von Navarra zu Aragon) sich stabilisierten, verloren sie ihre Funktion. Danach wurden sie als Gefängnisse genutzt oder sie wurden zu Burg-Wohnsitzen, die nur in Kriegszeiten wieder militärische Funktion erhielten.
Die Burg stand auf dem gleichnamigen Berg, auf dem zur Aranguren-Kette gehörenden Laquidain-Felsen. Im Norden hat der Berg einen steilen Abhang, an den übrigen Seiten geht es ebenfalls deutlich hinab. Sicher wurde aus diesem Grund die Festung an genau dieser Stelle gebaut, mit Weitblick fast bis Pamplona und in den flacheren Süden. Sie wurde von einer Verteidigungsmauer umgeben und hatte einen Burggraben. Der Name „Irulegi" kann übersetzt werden über die baskischen Worte „hiru” (drei) und „legi” (Gipfel). Drei Gipfel also, die in Zusammenhang stehen mit drei Höhenzügen in diesem Teil der Aranguren-Kette: Irulegi, Urramendi und San Cristobal. (1)
Der Panoramablick von Irulegui ist hervorragend. (2) Auf der einen Seite die Hochebene Richtung Pamplona (baskisch: Iruñea), in der anderen Richtung liegt Irunberri (spanisch: Lumbier). Der Standort war somit strategisch äußerst günstig und erhielt eine wichtige Funktion zur Verteidigung des Königreichs. Dennoch war die Burg wegen der Nähe zur Hauptstadt (12 km) nicht so bedeutend wie die an der Grenze liegenden Festungen Monreal, Ezkaba, Miravalles oder Larunbe.
Irulegui erlebte verschiedene Epochen, entweder als Überwachungsturm oder in militärischer Funktion, wie in den Kriegen mit dem Königreich Kastilien (1378, 1429 und 1460), das jahrundertelang versuchte, sich den kleineren Nachbarn Navarra einzuverleiben. Diese unterschiedlichen „Etappen“ fanden ihren Niederschlag in den Sold-Abrechnungen des Königreichs. Im Jahr 1378 zum Beispiel müssen während des Krieges mit dem angreifenden Kastilien auf Irulegi 18 Soldaten gewesen sein. Der Historiker Aiestaran (2) geht von ein paar Dutzend Soldaten aus, die normalerweise hier statoniert waren, und die in Krisenzeiten verstärkt wurden. Interessanterweise wurden bei den Ausgrabungen der Burg Würfel gefunden, mit denen sich wahrscheinlich die Soldaten während der Wartezeit die Langeweile vertrieben.
Historische Dokumente
Verschiedene Dokumente erzählen die Geschichte von der Burg Irulegi im Mittelalter. Zum Beispiel aus dem Jahr 1318, darin ist von Reparation der Haupttürme und der Zisterne die Rede. Möglicherweise existierte die Festung bereits im 10. Jahrhundert, der erste bekannte Burgvogt ist jedenfalls Martin Ximénez de Aibar, er wird 1276 in einem Dokument erwähnt. Im Jahr 1374 erzählte der Friedensrichter von Sangüesa (baskisch: Zangoza) dem Schatzmeister, dass er die „Festung Irulegi oberhalb von Laquidain besucht“ und dabei erfahren habe, dass dort der Burgvogt Gonzalo Ruiz de Eransus mit seiner ganzen Familie wohnte.
Auf Erklärungstafeln vor Irulegi wird beschrieben, dass die Festung ihre wahrscheinlich erste Zerstörung bereits im Jahr 924 erlebte, in jenem Fall durch die Truppen des Araberfürsten Abd Al Rahaman III, nachdem die Araber im Jahr 711 über die Meerenge kommend fast die gesamte iberische Halbinsel eroberten. (3) Bis zu ihrem definitiven Abriss erlebte die Burg verschiedene Erweiterungen, Reparaturen und Reformen. Dieser Abriss erfolgte auf Anweisung des navarrischen Königspaars, Catalina I. und Juan III. Sie erteilten den Auftrag Juan de Garro und dem Hauptmann Remonet, um den strategisch wichtigen Ort nicht den kastilischen Feinden in die Hände fallen zu lassen.
Andere Quellen erzählen, dass auch wirtschaftliche Gründe dazu beigetragen hätten, auf die Burg zu verzichten, der Unterhalt sei zu teuer gewesen. Während des Krieges zwischen den navarrischen Herrscherfamilien Agramonte (auf navarrischer Seite) und Beaumont (Navarrer auf kastilischer Seite) gehörte die Festung dem Herzog (Conde) von Lerín. Als Burgvogt lebte dort Ende des 15. Jahrunderts Juan de Mearin, einer aus der Beaumont-Familie. (4) Von Irulegi aus wurden die navarra-treuen Truppen fortan von eigenem Terrain aus angegriffen. Bis die Festung am 19. September 1494 von Juan III und Catalina de Foix für die navarrische Krone zurückerobert werden konnte. Um einen weiteren Besatzerwechsel zu vermeiden, ließen Catalina und Juan die Burg Irulegi im Dezember 1494 abreißen.
Ausgrabungen
Im Jahr 2007 begannen die Gemeinde Aranguren und die Wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi (5) mit den Ausgrabungen des historischen Komplexes. Jeden Sommer wurden mit Expert*innen und Freiwilligen aus der Umgebung neue Grabungsrunden organisiert, bei denen die Grundrisse der Festung wieder freigelegt und sichtbar gemacht wurden.
Ruben Ibero ist ein Nachbar aus dem Aranguren-Tal. Wie wenige kennt er den Ausgrabungs-Prozess, an dem er als Freiwilliger von Aranzadi von Beginn an teilgenommen hat. Er beschreibt, dass ein Teil der Außenmauern eine etwas dunklere Farbe aufweist und mehr Erosion erlebt habe als der Rest der Ruine. Die Erklärung ist, dass dieser Teil der einzige war, der vor der Ausgrabung sichtbar war und nicht unter der Erde lag, sondern nur mit Sträuchern überwuchert war. „Als wir vor 10 Jahren zum ersten Mal die Erde bewegten, entdeckten wir gleich, dass die zuerst gefundenen Steine der obere Teil einer vertikalen Wand waren.“
Die Stadtverwaltung und viele Bewohner*innen machten sich mit viel Enthusiasmus an die Arbeit, das alte Relikt aus der navarrischen Geschichte wieder ans Tageslicht zu holen. Aranguren stellte die Mittel bereit, die Bewohner*innen ihre Zeit und Kraft – unter wissenschaftlicher Leitung von Aranzadi und Techniker*innen der navarrischen Regierung. Jahr für Jahr kamen mehr Teile des historischen Kulturgutes zum Vorschein: Mauern, die Spitzen der alten Zinnen, der mittlere Turm, die tiefe Zisterne, die Kapelle, sowie Teile des Burggrabens. Daneben wurden Objekte gefunden, Teile von Pfeilen und Schwertern, Nägel, Geldmünzen, Keramik und andere Gegenstände von alltäglichem oder militärischem Gebrauch.
Die neuerscheinende Ruine
Das Irulegi, das sich der Betrachterin heute zeigt, überrascht etwas. Denn nichts von dem mittlerweile Sichtbaren ist künstlich hinzugefügt. Alles war Teil der ursprünglichen Konstruktion. Es wurde nur abgesichert für die zukünftige Erhaltung. Beim Schleifen der Festung, wurden Steine und Dachziegel in die Zisterne geworfen, sie wurde bis oben gefüllt. Danach wurden der Hauptturm und die Kapelle gefüllt. An diesen Stellen konnten somit die meisten baulichen Reste gefunden werden, die ihrem ursprünglichen Standort zugeordnet wurden, um den Komplex – teilweise theoretisch, teils praktisch – zu rekonstruieren. So bietet sich heute das Bild einer so gut wie kompletten Grundmauer von einem Meter Höhe, die erahnen lässt, wie die Festung einst aussah.
Eroberung 1512
In jenem Jahr eroberte das mächtige kastilische Heer endgültig das navarrische Königreich. Lediglich in den 1520er Jahren gab es einen kurzen Versuch der Rückeroberung. Nur der Norden Navarras behielt noch zwei Jahrhunderte Namen und Rechte, bevor er in das Frankenreich integriert wurde. Die Bewohner*innen von Aranguren haben mit ihrem aufopfernden und freiwilligen Engagement Navarra und dem ganzen Baskenland ein Stück seiner Geschichte wiedergegeben. Viele Leute in Araba, Bizkaia oder Gipuzkoa – wenn sie gefragt werden – bezeichnen sich auch heute als Navarrer*innen. Um deutlich zu machen, dass es einst ein Königreich gab, als die Staaten noch nicht Staaten genannt wurden, als Spanien noch Kastilien-Aragon hieß und als die sogenannte „Entdeckung Amerikas“ im Begriff war, zu einem Völkermord an Millionen von Eingeborenen zu werden.
Noain und Amaiur
Mit Noain und Amaiur existieren zwei weitere Orte, die Episoden jener Eroberungs-Geschichte erzählen. Im Jahr 1521 starteten die navarrischen Könige, denen in Iparralde (nördlich der Pyrenäen) ein Teil des Reiches blieb, eine Rückeroberung. Am 30. Juni 1521 wurden sie in der Schlacht von Noain (25 Kilometer südlich von Pamplona) geschlagen. Danach verbarrikadierte sich der übrige Rest in der Burg Amaiur (auch Festung Maya genannt), kurz vor der Pyrenäen-Grenze.
In Noain wurde aus Zement-Skultpturen eine bizarre Erinnerungslandschaft geschaffen, deren Besuch sich lohnt. In Amaiur wurden – ähnlich wie in Irulegi – die Ruinen der alten Burg in den vergangenen 10 Jahren wieder ausgegraben. Burg und Dorf Amaiur sind sehenswerte Punkte, die bislang von keinem Massentourismus erfasst wurden (was so bleiben möge).
ANMERKUNGEN:
(1) Navarranatural.blogspot.com (Link)
http://navarranatural.blogspot.com.es/2014/07/el-castillo-de-irulegi.html
(2) Information aus dem Artikel: “Irulegi, un castillo demolido y resucitado por los navarros” der baskischen Tageszeitung Gara, 26.11.2017 (Irulegi, von Navarrern abgerissene und wiedererweckte Festung)
(3) Al-Andalus ist der arabische Name für die zwischen 711 und 1492 muslimisch beherrschten Teile der Iberischen Halbinsel. Staatsrechtlich war al-Andalus Provinz, Emirat und Kalifat verschiedener Fürsten nund Dynastien; schließlich zerfiel es in Taifa-Königreiche. Während langer Perioden, vor allem zur Zeit des Kalifats von Córdoba, war al-Andalus ein Zentrum der Gelehrsamkeit. Córdoba wurde ein führendes kulturelles und wirtschaftliches Zentrum sowohl des Mittelmeerraums als auch der islamischen Welt. Schon ab dem frühen 8. Jahrhundert stand al-Andalus in Konflikt mit den christlichen Königreichen im Norden, die ihr Herrschaftsgebiet im Rahmen der Reconquista militärisch ausweiteten. 1085 eroberte Alfons VI. von Kastilien Toledo, nach dem Fall von Córdoba 1236 blieb das Emirat von Granada als letztes muslimisch beherrschtes Gebiet. Schließlich übergab der letzte Emir Muhammad XII. am 2. Januar 1492 Granada an Ferdinand II. von Aragonien und Isabella von Kastilien, die „Katholischen Könige“, womit die muslimische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel ihr Ende fand. (Wikipedia)
(4) Die Beaumonteses oder Beamonteses waren die Anhänger der navarresischen Adelsfamilie Beaumont, der Grafen von Lerín aus einer illegitimen Nebenlinie des regierenden Hauses Frankreich-Évreux. Ihre Gegenspieler waren die Agramonteses. Als Johann von Aragón, König von Navarra als Ehemann der Königin Blanka nach deren Tod 1441 die Macht nicht wie vorgesehen an seinen ältesten Sohn Karl von Viana abgab, unterstützten die beiden Parteien die jeweiligen Seiten, die Beaumonteses den legitimen Thronfolger, die Agramonteses dessen Vater. Beide suchten Verbündete innerhalb des Landes und fanden sie auch in den alten Familien des westlichen Baskenlandes, die Agramonteses in den Anhängern der Familie Gamboa (den Gamboínos), die Beaumonteses in den Anhängern der Familie Oñaz (den Oñacinos). (Wikipedia)
(5) Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet mit der Absicht, die Arbeit der im Franquismus verbotenen Gesellschaft für Baskische Studien fortzuführen. Ihr Zweck ist die wissenschaftliche Erforschung von Natur und menschlichem Wirken. Ihren Namen hat die Gesellschaft von Telesforo de Aranzadi, einem bekannten Anthropologen und Ethnologen (1860-1945). Besondere Bedeutung kommt Aranzadi heutzutage bei der Aushebung von Massengräbern aus der Zeit des Spanienkrieges und der Identifizierung der dort gefundenen Opfer des Faschismus zu.
ABBILDUNGEN:
(1) Diario de Navarra
(2) Rutas arqueológicas por Navarra
(3) navarranatural.blogspot.com
(4) Diario de Navarra
(5) navarranatural.blogspot.com