Leben und Alltag 1522
Aus Anlass des 500. Jahrestags der militärischen Eroberung des Königreichs Navarra im Jahr 1522 durch das kastilische Imperium zeigt das Generalarchiv in Pamplona eine Ausstellung, in der Besucher*innen anhand archäologischer Funde erfahren, wie die Menschen, die das alte baskische Königreich verteidigten in den Burgen und Festungen lebten, arbeiteten und starben. Ausgangspunkt ist die Festung Maya oberhalb des Dorfes Amaiur im nördlichen Navarra, im Grenzgebiet der Staaten Spanien und Frankreich.
Eine Ausstellung in Pamplona (bask: Iruñea) zeigt die Geschichte vom Leben und Alltag in den Festungen des Königreichs Navarra, das zwischen 880 und 1522 existierte: von Amaiur bis Lizarra.
Die Festung Amaiur wurde 1522 von 200 Rittern und Soldaten des Königreichs Navarra gegen die angreifenden Invasions-Truppen Kastiliens verteidigt. Deren Ziel war die definitive Eroberung von Navarra. Der Prozess der militärischen Eroberung hatte bereits im 12. Jahrhundert begonnen. Unter den katholischen Königen Isabel und Ferdinand wurde er weiter vorangetrieben, und zum Abschluss gebracht von deren Enkel Carlos I. von Kastilien (1500-1558), gleichzeitig Karl V. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.
Historischer Abriss
Das Königreich Navarra (anfangs Königreich von Pamplona) existierte von Ende des 9. Jahrhunderts bis 1522, im späteren Frankreich noch länger. Es umfasste alle heute als historisch bezeichneten sieben baskischen Provinzen nördlich und südlich der Pyrenäen, lange bevor die heute als Nationalstaaten bezeichneten Gemeinwesen Frankreich und Spanien entstanden. Von Asturien ausgehend entstand Schritt für Schritt auch das Königreich Kastilien, als Symbol der Versuche, die seit 700 von maurisch-arabischen Armeen besetzten Territorien zu erobern. Wo der Kampf gegen die Mohammedaner erfolgreich war, wurden Festungen gebaut: “castillos“ – daher der Name des langsam entstehenden Reichs Kastilien.
Der aufkommende imperialistische Ehrgeiz, die ganze Halbinsel zu beherrschen, wurde in Aragon mit einer Heirat in die Wege geleitet, zeitweise zählte auch Portugal dazu. Eine wichtige Grundlage für die Eroberung des westlichen Navarra (Bizkaia, Araba und Gipuzkoa) waren militärische Gewalt und der Verrat von rivalisierenden Familien-Clans. Das Jahr 1492 – mit der Einnahme der letzten Maurenbastion Granada und der beginnenden “Entdeckung des Weges nach Westindien“, der zu einem historischen Völkermord führte – war ein entscheidendes Jahr. Folgen sollte die endgültige Einnahme Navarras in drei Schritten: 1512, 1521 und 1522.
Ende des Königreichs Navarra
Anlässlich des 500sten Jahrestages der Eroberung des südlichen Teils des Königtums Navarra und anderer Ereignisse aus der Zeit zeigt das Generalarchiv die Ausstellung "Wächter des Steins. Vergangenheit und Gegenwart der Burgen von Navarra" (Guardianes de piedra. Pasado y presente de los castillos de Navarra). Darin wird beschrieben, wie die Menschen in diesen Festungen lebten, arbeiteten und starben (1).
In der Geografie des Königreichs von Navarra, das seit seinen Anfängen im 9. Jahrhundert immer wieder von seinen Nachbarn bedroht wurde, ist eine Vielzahl von Verteidigungs-Anlagen zu finden. Der Umstand dieser Bedrohungen erklärt, warum es im 14. Jahrhundert, der Glanzzeit dieser Bauwerke, im Königreich etwa 90 Burgen gab. Archäologische Hinweise deuten sogar darauf hin, es habe bis zu 130 Festungsanlagen gegeben.
Als Zeugnisse der ältesten Festungen sind Fundstücke aus Burgen aus der islamischen Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert ausgestellt. In jener Zeit gelangten maurisch-arabische Invasionstruppen bis in den navarrischen Norden (2). Unter den Fundstücken finden sich ein Kochtopf und eine Tasse, die in Valtierra entdeckt wurden, ein Krug und ein kleiner Kerzenständer, die aus Tutera (span: Tudela) stammen, beides Orte im Süden Navarras, an den Ufern des Ebro gelegen.
Burgherren
Im 11. und 12. Jahrhundert waren viele dieser Burgen Teil von Besitztümern, das heißt, kleine Bezirke, die von Gutsbesitzern verteidigt und regiert wurden, reichen Männern oder Leuten aus dem Hochadel, wie in der Ausstellung erläutert wird. Im 13. Jahrhundert waren Aufseher, Ritter oder Adlige für die Festungen verantwortlich, vom navarrischen König eingesetzt. Nach den Fuero-Gesetzen hatten diese die Pflicht, die Festung bis zum Tod zu verteidigen. Für diese Funktion erhielten sie ein jährliches Gehalt in Form von Geld und Weizen, das im Februar und August ausgezahlt wurde.
Diese Bauwerke verfügten über eine Garnison, die in Kriegszeiten zwischen 10 und 20 Soldaten umfasste, in den wichtigsten Burgen auch bis zu 50 oder mehr. Um einer Belagerung standzuhalten und die Burg-Insassen zu ernähren, verfügten die Festungen über Vorratskammern mit Kisten von Weizen oder Mehl, Fässern mit Wein und Öl und anderen Vorräten wie Fleisch, gesalzenem Speck und getrocknetem Fisch.
Was die Bewaffnung anbelangt, so war die Armbrust weit verbreitet, einige Burgen verfügten auch über Wurfmaschinen und ab Ende des 14. Jahrhunderts über Kanonen. In der Ausstellung sind Elemente zum persönlichen Schutz zu sehen, wie ein Helm und ein Harnischkragen sowie Metallverstärkungen für Schilde aus dem 15. Jahrhundert. Sie wurden innerhalb der ehemaligen mittelalterlichen Stadtmauer von Rada gefunden, die seit ihrer Zerstörung im Jahr 1455 in Trümmern liegt.
Bewaffnung
In der 1494 zerstörten Burg von Irulegi zwischen Pamplona und den Pyrenäen (nicht zu verwechseln mit dem Ort Irulegi in Iparralde) wurden ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammende Ritter-Rüstungen mit Verzierungen gefunden. Gefunden wurden Waffen wie Schwerter, Pfeilspitzen, Armbrust- und Speerspitzen sowie Eisenkeulen, Ergebnis der Ausgrabungen in Amaiur und Irulegi. Daneben werden in der Ausstellung die Auswirkungen des Krieges und der Tod von Menschen in einer Burg anschaulich dargestellt. Zum Beispiel durch einen von einem Armbrust-Geschoss durchbohrten Schädel, der in der Burg von Tiebas gefunden wurde.
Alltagsutensilien
Innerhalb der Festungsmauern fand ein limitiertes tägliches Leben statt. In der Küche wurde vor allem zwischen dem 14. und dem 15. Jahrhundert glasiertes Geschirr verwendet; eine große Bratpfanne und eine Salzschale sind ebenso ausgestellt wie ein Eimer, der in der Wasser-Zisterne der Burg Amaiur gefunden wurde.
Zur Kleidung der Bewohner*innen gehörten Gürtel, auch solche mit Verzierungen, ebenso Bronzeanhänger und Ringe. In ihrer Freizeit spielten die Bewohner Würfelspiele und das aus dem Nahen Osten stammende Brettspiel Alquerque, ein Vorläufer des Dame-Spiels. Auch die Musik kam nicht zu kurz.
Wirtschaftliche Tätigkeiten
Im Hinblick auf wirtschaftliche Tätigkeiten innerhalb der Festungen ist die Bedeutung des Eisenschmiedens hervorzuheben, für die Herstellung von Elementen wie Schlössern oder Eisenbeschlägen. Daneben wurde Viehzucht und Landwirtschaft betrieben, davon zeugen eine Baumschere aus Irulegi sowie Hacke, Kelle und Axt aus Rada. Steinmetze und Maurer kümmerten sich um die Durchführung von Reparaturen.
Solche Arbeiten wurden in der Regel von Steinmetzen, Maurern oder Zimmermännern aus der Stadt oder Region ausgeführt. Sie wurden nach Besichtigungen durch königliche Kommissare angeordnet, die zur Instandhaltung die dringendsten Reparaturen befahlen. Vor deren Durchführung wurden der Preis und die auszuführenden Arbeiten festgelegt. Die Reparaturen wurden vom Bezirk bezahlt, in dem sich die Festung befand.
Zuflucht, Gefängnis, Archiv
Die Bewohner*innen der Gegend trugen zu diesen Arbeiten bei, indem sie Hilfsarbeiten ausführten und Material transportierten. In Kriegszeiten hatten sie als Gegenleistung das Recht, mit Vieh, Vorräten und einigen Habseligkeiten in der Burg Zuflucht zu suchen, wie auf den Informationstafeln der Ausstellung erläutert wird.
Die Festungen hatten nicht nur Verteidigungs-Funktionen, sondern dienten auch als Gefängnisse für Verbrecher. Gefängniswärter waren für die Verwahrung und Inhaftierung von Gefangenen zuständig, die mit Fesseln und Ketten in meist unterirdischen Verliesen oder Kerkern eingesperrt waren.
Die wichtigsten Burgen – Tutera, Tiebas und Lizarra – beherbergten sogar das königliche Archiv und das Schatzkammer-Archiv. Teilweise wurden innerhalb dieser Mauern auch die königlichen Verwaltungs-Räte untergebracht. Um zu sehen, wie eines der wichtigsten dieser Gebäude, das Castillo Mayor de Lizarra im 13. Jahrhundert aussah, kann ein vom Studienzentrum Tierra Estella zur Verfügung gestelltes Modell betrachtet werden.
Nach der Eroberung des Königreichs Navarra im 16. Jahrhundert wurden die meisten Festungen zerstört oder verlassen. In einigen Fällen wurden sie wieder genutzt, wie die in Tutera und Uharte gefundenen Geschosse aus dem 18. und 19. Jahrhundert belegen.
Aufarbeitung, Forschung und Verbreitung
Neben der Analyse des Lebens und Sterbens in den Festungen befasst sich die Ausstellung "Wächter aus Stein. Vergangenheit und Gegenwart der Burgen von Navarra" auch mit einem zweiten Themenblock: dem Prozess der archäologischen Aufarbeitung, der Erforschung und Weiterverbreitung dieses Erbes.
Es wird erläutert, dass die Ursprünge der wissenschaftlichen Untersuchungen auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. Doch erst die Techniken der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts haben dazu beigetragen, mittelalterliche Einrichtungen aus einer modernen archäologischen Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Wesentlich sind dabei die Ausgrabungen an Orten wie Rada, Tutera, Peñaflor, Tiebas und Martzilla.
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist es erwähnenswert, dass neben der Regionalregierung von Navarra auch lokale Einrichtungen entsprechende archäologische Arbeiten in den Burgen ihrer Umgebung gefördert haben, um den Wert ihrer Überreste zu verdeutlichen und sie als kulturelle, touristische und pädagogische Anziehungspunkte zu nutzen.
Dank dieser Arbeit konnten die archäologischen Stücke für die Ausstellung ausfindig gemacht und zusammengetragen werden. Sie stammen allesamt aus den Kultureinrichtungen der Regierung Navarras, aus dem Generalarchiv und dem Depot Archäologischer Fundstücke.
Die von den kastilischen Eroberern eingenommene Burg Amaiur (Castillo de Maya) wurde nur wenig später gesprengt und geschliffen, um einem Wiederaufleben des Widerstands in Navarra einen Riegel vorzuschieben. Seit 2006 wurden die Reste der Festung ausgegraben und erforscht. Der kleine Ort nördlich des Baztan-Tals ist ein interessantes Exkursionsziel abseits des Massentourismus (3). Diese und viele andere Betrachtungen der ehemaligen Burgen und Festungen des Königreichs Navarra sind in der Ausstellung zu sehen, die bis zum 2. Oktober 2022 in Iruñea (Pamplona) besucht werden kann.
ANMERKUNGEN:
(1) Die dokumentierte Information basiert auf dem Artikel “Así se vivía y moría en las fortalezas del Reino de Nafarroa” (Leben und Sterben in den Burgen des Königreichs Navarra), Autor: Pello Guerra, Tageszeitung Gara 2022-08-14 (LINK)
(2) Mauren und Araber auf der iberischen Halbinsel (LINK)
(3) Reise- und Ausflugstipp: “Baztan, die Schweiz Navarras – Gemütlich durch die Vor-Pyrenäen“, Baskultur.info, 2021-08-28 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Burgleben in Navarra (gara-naiz)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-08-30)