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Späte Anerkennung ungenügend

Die baskische Regierung hat 35 Opfer von Polizeigewalt offiziell anerkannt, darunter Iñaki O'Shea, ehemals führender Aktivist der abertzalen Koalition Herri Batasuna. "Wir wurden von der Polizei misshandelt und es ist wichtig, dass die Gesellschaft auch diese Wahrheit kennt und anerkennt", ist eine der Aussagen aus Opferkreisen. Vor drei Jahren stellte eine andere Studie fest, dass seit den 1960er Jahren etwa 10.000 Personen im Baskenland gefoltert wurden. 35 sind da nur die Spitze des Eisbergs.

Die Opfer bewaffneter Gewalt von ETA und anderen linken Gruppen wurden bereits hundertfach anerkennt. Doch politische Konflikte – wie der spanisch-baskische – haben niemals nur eine Dimension. Die baskische Linke (und ETA selbst) haben ihre Verantwortung in dieser Auseinandersetzung eingeräumt, die Gegenseite steht noch am Anfang: ungeklärt sind Staatsterror, Todesschwadronen und Polizeigewalt. Die baskische Regierung wagt sich einen weiteren Schritt vor.

"Schläge, die Tüte, die Badewanne, die Ente, das Rad, systematischer Schlafentzug, Drohungen gegenüber Familie und Freunden, Schmerzensschreie von echten oder aufgezeichneten Dritten" – die Liste der Misshandlungs-Methoden liest sich wie ein Handbuch für Folter. In den Kasernen der Guardia Civil und der Nationalpolizei hat es solche Handbücher mit Sicherheit gegeben. Denn Folterinstrumente finden sich nicht einfach zufällig in irgendwelchen Polizeikellern und Verließen, alles war gut organisiert, einstudiert und vorbereitet. Folter ist keine spontane Aktion, sondern eine wohlgelernte Übung.

Die genannten Misshandlungen sind einige der Menschenrechtsverletzungen, die jene erlitten haben, die am 26. Juni 2021 von der baskischen Regierung als “Opfer polizeilichen Missbrauchs in einem politisch motivierten Kontext“ anerkannt wurden. Eine unabhängige Experten-Kommission hat dies festgestellt, sie setzte sich zusammen aus Juristinnen, Forensikerinnen, Psychologinnen und Historikerinnen. (1)

Bei den anerkannten Opfern von Polizeigewalt handelt sich um 35 Personen, mit Vor- und Nachnamen. Fünf davon haben es vorgezogen, anonym zu bleiben. Bis auf sieben Fälle liegen die Misshandlungs-Ereignisse alle vor 1978, fünf stammen aus dem Jahr 1985, der Zeit der GAL-Todesschwadronen der Guardia Civil (2). Die Hälfte der Opfer war keiner bestimmten Ideologie zuzuordnen, der Rest repräsentierte ein "breites politisches und soziales Spektrum". Einer war von der christdemokratischen Baskenpartei PNV, ein anderer von der Kommunistischen Partei, zwei von der abertzalen Gewerkschaft ELA und von der ehemals kommunistischen Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO). Ein Dutzend Personen wurde mit ETA in Verbindung gebracht.

Unter denen, die jetzt als Opfer von Polizeigewalt oder Polizeimissbrauch anerkannt werden, ist Iñaki O'Shea Argiñano. Er ist ein historischer Aktivist von Herri Batasuna, bekleidete jedoch niemals irgendwelche öffentlichen Funktionen. Gleichzeitig ist er der Schwager des verstorbenen Chefs der Banco Santander, Emilio Botín (3), der Bankier war mit seiner Schwester Paloma verheiratet. O‘Shea erlitt nach dem Gutachten der Expertenkommission 1975 Misshandlungen und Folter durch spanische Polizeieinheiten. O'Shea gehörte 1990 zum Vorstand von Herri Batasuna (wörtlich: Nationaler Tisch, Mesa Nacional), als Nachrücker für den in Madrid von Rechtsextremen ermordeten Kongress-Abgeordneten Josu Muguruza (4), ebenfalls von HB.

pgw02Iñaki O’Shea

Im Jahr 2007 wurde O'Shea von der Audiencia Nacional zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angeblich Teil des Projekts "Ziviler Ungehorsam" war, das von der Stiftung Joxemi Zumalabe in Donostia gefördert wurde und das von spanischen Polit-Gerichten als Satellit von ETA interpretiert wurde – wie alles, was sich in jener Zeit im abertzalen Spektrum bewegte. Es handelte sich um den größten politischen Massenprozess der postfranquistischen Geschichte mit dem Aktenzeichen 18/98, bei dem 111 Personen vor Gericht gestellt und 47 waffenfrei agierende Aktivist*innen zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Im Jahr 2009 wurde O'Shea vom Obersten Gerichtshof in der Revision freigesprochen, nachdem er bereits 18 Monate Haft abgesessen hatte.

Der Fall Zabalza

Ebenfalls auf der Liste stehen Idoia Ayerbe Iribar, Juan Ramón Arreche Gutiérrez und Manuel Vizcay Zabalza, die alle gefoltert wurden, als sie 1985 zusammen mit Mikel Zabalza verhaftet wurden (5). Die Leiche von Zabalza wurde im Bidasoa-Fluss gefunden, nachdem er in die Kaserne der Guardia Civil in Intxaurrondo (Donostia) gebracht und dort (versehentlich) zu Tode gefoltert worden war. Zwei Geheimdienstler haben dies in einem kürzlich publizierten Telefongespräch bestätigt, ermittelt wurde dennoch niemals wirklich. Der Busfahrer Zabalza und die Mitverhafteten hatten nachweislich nie mit ETA zu tun. Doch das spielte in jener Zeit eine untergeordnete Rolle.

Gegen Sozial-Aktivistinnen

Der feierliche Akt fand statt im Euskalduna-Palast in Bilbao. Mehrere der Opfer hielten Redebeiträge, darunter Inés Barayazarra Apraiz. In Meñaka (Bizkaia) geboren, zog ihre Familie, als sie sechs Jahre alt war, in ein Bauernhaus in Bakio an der bizkainischen Küste. Dort engagierte sie sich in verschiedenen kulturellen Initiativen, wie der Förderung der baskischen Sprache, Filmvorführungen am Wochenende und der Initiative zur Forderung einer Schule für die Gemeinde. "Die Bildung war in den großen Städten zentralisiert und die Kinder aus Bakio mussten in die Nachbarstadt Mungia gebracht werden. Wir kämpften und schafften es, eine erste Schule für dreizehn Kinder zu bekommen", erinnert sie sich.

Leben "in Angst“

Im franquistischen Jahr 1972, im Alter von 23 Jahren, wurde Inés zum ersten Mal verhaftet. Im Jahr 1975, kurz vor dem Tod des Diktators Franco, wurde sie erneut zweimal festgenommen. Als 1975 der Ausnahmezustand in Bizkaia und Gipuzkoa ausgerufen wurde, kam es zu rund tausend Verhaftungen. Hausdurchsuchungen, Identifizierungen und die Auflösung von Personengruppen, die den Verdacht der Polizei erregten, waren an der Tagesordnung. "Sie kamen im Morgengrauen, setzten uns in einen Jeep und brachten uns zum Rathaus", erinnert sich Inés. "Wir lebten in Angst, immer mit dem Gedanken, dass sie kommen und nach dir suchen könnten. Man brauchte nur die Wahrheit zu sagen und schon war man verdächtig".

Ihre Schwester Pilar wurde mitgenommen, weil die Polizei Inés nicht zu Hause antraf (auch der Schwester wird morgen eine Anerkennung zuteil). Mit der Schwester fuhren die Polizisten stundenlang in einem Auto herum, ohne dass die Betroffene wusste, was passieren würde. Eine Freundin wurde gefoltert, zwei andere verbrachten einen Monat im Gefängnis. "Bei uns zu Hause wurde wenig über diese Dinge gesprochen. Viele von uns haben gelitten, aber ich weiß, dass es anderen schlechter ergangen ist als mir", räumt sie ein. Inés sprach bei der Veranstaltung im Euskalduna-Palast im Namen aller Opfer von Bakio, mehr als ein Dutzend. "Es ist noch ein langer Weg zu gehen, bis alles aufgeklärt ist", betonte sie.

pgw03Parteilose Aktivist*innen

"Wir gehörten weder der einen noch der anderen Partei an, wir kämpften einfach für soziale Gerechtigkeit", erzählt Belén Matabuena Garagorri, die ebenfalls auf der Veranstaltung sprach. Sie erlitt Gefängnis, Exil und Folter, zieht es aber vor, keine Details zu erzählen. Verurteilt wurde sie nie (wie viele andere ebenfalls, weil es den Verfolgungsbehörden nicht um Verurteilungen ging, sondern darum, eine generelle Situation von Angst zu erzeugen; viele wurden nicht wegen konkreten Verdachtsmomenten gefoltert, sondern um alle möglichen Informationen zu erlangen oder völlig irreale Geständnisse von niemals begangenen Taten).

Belén ist gerade 73 Jahre alt geworden. "Mir war von klein auf klar, dass ich als Frau, Baskin und Arbeiterin ein Opfer der Diktatur war und unter Repression zu leiden hatte." Sie kämpfte für Arbeiterrechte und nahm an baskischen Sprach- und Tanzkursen teil. "Damals war alles klandestin", sagt sie. Belén ist sich darüber im Klaren, dass diese Anerkennung dazu beitragen wird, "unser Selbstwertgefühl zu steigern". - "Wir wurden misshandelt und es ist wichtig, dass die Gesellschaft auch diese Wahrheit kennenlernt", fügt sie hinzu.

Ungenügende Anerkennung

Bereits kurz nach der Bekanntgabe der Opfer-Anerkennung des sogenannten “Missbrauchs durch die Polizei“ wurde in den sozialen Medien Kritik laut. Von 1.017 Anträgen seinen aufgrund des Dekrets 1960-1978 und des Gesetzes 1979-1999 lediglich 35 Fälle akzeptiert worden. Nur drei aus der Zeit nach 1978 (obwohl die spanische Polizei weiter in franquistischer Weise agierte), von diesen drei Fällen seinen zwei bereits gestorben (Arretxe und Aierbe). Diese Bilanz sei absolut ungenügend zur Aufarbeitung des Kapitels von nicht legitimer Polizeigewalt.

Dieser Kritik schließt sich die Stiftung Egiari Zor (In der Schuld der Wahrheit) an. Sie bemängelt, dass die Brutalität der baskischen Ertzaintza-Polizei außen vorbleibe. So könne weder ein realistisches Bild entstehen, noch eine wirkliche Anerkennung und Wiedergutmachung erfolgen. Aus Nafarroa, der zweiten baskischen Südregion, wird kritisiert, dass hier in dieser Richtung noch überhaupt nichts passiert sei, weil die entsprechenden (spanisch-orientierten) Regierungen daran bislang kein Interesse gehabt hatten.

Ertzaintza-Folter anerkennen

Zur Anerkennung von Folteropfern durch die baskische Regierung am "Internationalen Tag der Unterstützung der Folteropfer" haben sich mehrere Personen zu Wort gemeldet, die von der baskischen Ertzaintza-Polizei gefoltert wurden. Sie haben die Exekutive von Iñigo Urkullu aufgefordert, ihre Verantwortung für die jahrzehntelange Folter durch die autonome Polizei ebenfalls zu übernehmen. (6)

Bei einer Pressekonferenz, organisiert von der Stiftung Egiari Zor (In der Schuld der Wahrheit), forderte eine Vertretung von Ertzaintza-Opfern, "ein für alle Mal die Verantwortung für die Misshandlungen anzuerkennen". Im Juni 2019 hatte das Parlament von Gasteiz einstimmig beschlossen, diesen Tag zu begehen. Die damals anwesende Delegation von Egiari Zor (mit Folteropfern) bewertete den Beschluss als positiv, um das Drama der Folter aufzuarbeiten. Doch fordern sie, dass "über die reine Symbolik hinaus" gleichzeitig wirksame Maßnahmen zur Anerkennung und Wiedergutmachung der Folteropfer ergriffen und Verantwortlichkeiten übernommen werden sollten.

Dass die Ertzaintza gefoltert hat, ist allen Beteiligten klar, nachdem ein von der baskischen Regierung selbst in Auftrag gegebener Folter-Bericht vor Jahren dies klar feststellte (in spanischen politischen und Polizei-Kreisen wurde diese Angelegenheit ungläubig, kopfschüttelnd und mit krasser Ablehnung zur Kenntnis genommen) (7). In jenem höchst wissenschaftlich gehaltenen Bericht steht zwar, dass vor allem Guardia Civil und Nationalpolizei für Folter verantwortlich waren, im kleineren Ausmaß aber auch die baskische Polizei. Nach Vorlage des Berichts hatte ein ranghoher PNV-Politiker sinngemäß gesagt, dass es Etappen in der Geschichte der Ertzaintza gäbe, auf die man nicht stolz sein könne. Der Bericht wurde (von baskischer Seite) nie in Frage gestellt, aber von der Feststellung von Folter bis zum offiziellen Eingeständnis ist dennoch ein langer Weg. In der Hauptstadt Gasteiz beschränkt man sich bisher lieber auf die Denunzierung der spanischen Polizei als Folterer. (6)

Der blinde Fleck

Aber die Ertzaintza-Opfer lassen nicht locker und fordern Verantwortung. "Bis jetzt ist die Regierung ihrer Verantwortung ausgewichen, um ihrer eigenen Heuchelei aus dem Weg zu gehen: von anderen das zu verlangen, was man selbst nicht anerkennen will. Es gab keine Selbstkritik. Auch nicht, als der Bericht über Folter im Baskenland, der vom Baskischen Institut für Kriminologie im Auftrag der baskischen Regierung erstellt wurde, unter Anwendung des Istanbuler Protokolls (8) bescheinigte, dass während der PNV-Regierungen mindestens 336 Fälle von Folter durch die Ertzaintza durchgeführt wurden", führte Egiari Zor aus. (6)

Die Aufarbeitung der systematischen Folter im und nach dem Franquismus ist eine der wesentlichen Aufgaben der spanisch-baskischen Politik auf dem Weg zu einer Lösung der existierenden Konflikte und einer “friedlichen Koexistenz”, wie es in der bürgerlichen Terminologie häufig wiederholt wird. Weitere Aufgaben sind die Klärung des “Staatsterrorismus“ und der von der damaligen PSOE-Regierung ins Leben gerufenen Todesschwadronen GAL. Die postfranquistische Rechte denkt gar nicht erst an eine solche Aufarbeitung und auch die Sozialdemokraten fassen das heiße Eisen nicht an. So bleiben der Staat und im Schlepptau die baskischen Regierungen im postfranquistischen Netz des “Regimes von 1978“ verheddert. (6)

pgw04Bericht der Kommission Polizeimissbrauch

"Bei einer Verhaftung fesselten sie den Häftling an ein Etagenbett und schlugen ihn mit einer Peitsche, die die Zivilgardisten selbst ‘Stierpeitsche' nannten, bis beide Fußsohlen völlig blau waren." Dies ist nur eine der Feststellungen, die der erste Bericht beinhaltet, den die “Kommission zur Bewertung des Gesetzes über Polizeimissbrauch in Euskadi“ dokumentiert hat. Zur Kommission gehören u.a. die Anwältin Juana Balmaseda und der Jura-Hochschullehrer Jon Mirena Landa, als Präsidentin und Co-Sprecher. (9)

Auf 17 Seiten haben die Mitglieder des im Februar 2020 gegründeten Bewertungs-Gremiums, dem außerdem Expert*innen aus den Bereichen Geschichte, Recht, Medizin und forensische Anthropologie angehören, ausführlich die Arbeit erläutert, die sie im vergangenen Jahr geleistet haben, nachdem insgesamt 1.017 Anträge auf Anerkennung eingegangen waren. Davon konnte die Kommission 55 Akten gewissenhaft analysieren, 35 Fälle wurden anerkannt.

Der Bericht erklärt detailliert alle juristischen Schlaglöcher, die die baskische Gesetzgebung bisher überwinden musste: das Verfassungsgericht wies zwei Klagen von PP und Ciudadanos zurück. Kategorisiert werden die analysierten Fälle nach Art und Charakteristik. Festgestellt wird, dass von den 55 untersuchten Fällen 43 auf Männer und 12 auf Frauen entfallen. Und die meisten von ihnen (27) waren unter 25 Jahre alt, als sie politisch motivierte Polizeigewalt erlitten. Eine auffällige Tatsache: sieben Opfer waren zum Zeitpunkt der Misshandlungen minderjährig.

Weit über dem Rest der Territorien liegt laut Bericht Bizkaia, wo 39 Fälle registriert wurden. Es folgen Gipuzkoa (10), Alava (4) sowie Navarra und Madrid mit jeweils einem Fall. Hinzu kommt der Umstand, dass 39 dieser Opfer in einer “vor-demokratischen Zeit“ (im Franquismus) misshandelt wurden. In der Mehrzahl der Fälle (36 von 55) wurde gefoltert und misshandelt; bis zu 11 Personen wurden getötet, einige in Polizeigewahrsam oder in Polizeikontrollen, wo ohne Vorwarnung Maschinengewehre gegen vorbeifahrende Fahrzeuge zum Einsatz kamen. Weitere zwei Opfer wurden durch Kugeln bzw. ein Gummigeschoss verletzt. Einzelne wurden bis zu fünfmal inhaftiert und misshandelt. "Eine Person wurde 10-mal festgenommen", heißt es in dem Dokument.

Die Akten beziehen sich auf Aktivist*innen von PCE-EPK, UGT, CCOO, PNV, EGI, Organisationen der nationalistischen Linken, ETA und katholische Arbeiter-Organisationen. Die meisten wurden dem Bericht zufolge von der Guardia Civil (33), der Nationalen Bewaffneten Polizei (16), oder beiden Polizeikräften gemeinsam misshandelt (4), in zwei Fällen konnten die Misshandler nicht ermittelt werden. (9)

Klagen und Zeugnisse

"Obwohl wir Spezialisten auf dem Gebiet sind, wurden wir bei der Kommission-Arbeit oft überrascht und überwältigt von der Brutalität der Fälle und noch mehr von der Aktualität des Schmerzes bei den Opfern und ihren Angehörigen bis heute“, betonten Juana Balmaseda und Jon Mirena Landa. Fakten, "die uns bewusst machen sollten, dass dies kein Thema der Vergangenheit ist. Es sind Menschen, die heute unter uns leben, von denen einige gestorben sind, die aber gebrochene Angehörige hinterlassen haben, deren Schmerz heute angesprochen werden muss".

Der Bericht führt aus, dass es "schwere Fälle von Folter und Misshandlung" gibt, bei denen durch die angewandten Techniken “ein bestimmtes Handlungsmuster deutlich wurde: der Sack, die Badewanne, Schläge, die Ente, das Rad, ständige Demütigung, systematischer Schlafentzug, Umgebungs-Terror, Drohungen, die Aktionen auf Familienmitglieder auszudehnen, Vermittlung von Schreien realer oder aufgezeichneter Dritter".

“Der Kopf eines Mannes wurde in die Toilette gedrückt, die Spülung ausgelöst; ein Kissen wurde ihm auf das Gesicht gedrückt, er wurde darauf getreten, bis er aus der Nase blutete; er wurde aus einem Fenster gehängt, Zigaretten auf seinen Armen ausgedrückt, mit einem Streichholz das Ohr verbrannt, mit den Ellbogen auf den Rücken geschlagen, mit einer Stange von 15 cm Durchmesser auf Rücken und Gesäß geschlagen, was zu einem gebrochenen Steißbein führte. Er erinnerte sich an die Anwesenheit eines großen Hundes, der noch mehr Angst verursachte". (9)

Folter gegen Frauen

Der Bericht widmet der Folter und Misshandlung von Frauen ein extra Kapitel "mit einer zusätzlichen Komponente der geschlechtsspezifischen Demütigung". Während der gesamten Arbeit der Kommission “konnte die Tatsache bestätigt werden, dass Frauen, wenn sie Folter oder anderer grausamer und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt sind, einem spezifischen zusätzlichen Risiko ausgesetzt sind, Akte sexueller Gewalt zu erleiden", erklärten die Expert*innen.

Der Bericht enthält folgende Aussage: "Ich war erschöpft, hatte drei Tage lang weder geschlafen noch gegessen (...) sie brachten mich in einen Raum, wo sie mich zwangen, mich vollständig auszuziehen. Und sie fingen an, meine Brüste anzufassen und lachten mich aus. Ich versuchte, mich zu bedecken, sie drohten mir, es nicht zu tun, während sie mir sagten: was für ein beschissenes Paar Titten, wer wird noch mit dir ins Bett gehen, als Frau bist du wertlos, wer wird dich noch mögen". (9)

Die Folgen und die Zukunft

Die Mitglieder Kommission wiesen darauf hin, dass bestimmte politische Kreise sich "ständig" gegen das baskische Gesetz über Polizeimissbrauch stellen und die Opfer "in Frage stellen". Sie fordern deshalb "schnellere und konsequentere Bearbeitung", direkteren Zugang zu bestimmten Unterlagen. "Wir rufen zur Zusammenarbeit auf, weil es sich um Menschenrechts-Verletzungen handelt, die das Leben und die physische, psychische, moralische und sexuelle Integrität betreffen; Verletzungen von extremer Schwere; vielen der Opfer läuft die Zeit davon". Der Bericht stellt fest, dass viele Opfer nach ihrem Leidensweg den öffentlichen Institutionen völlig misstrauen. Das Hauptziel der Opfer bestehe darin, "ihr Recht auf Anerkennung, Offenlegung der Wahrheit und Wiedergutmachung" durchzusetzen". Viele möchten wissen, wer die Leute waren, die sie verhaftet haben. (9)

pgw05Klärung der Folterfälle in Nafarroa

Zur Klärung der “tausend Folterepisoden in Navarra“ meldete sich das “Netzwerk der Gefolterten in Nafarroa“ zu Wort und sprach von dem bislang weitgehend unbekannten Fall von Antonio Goñi. Der wohnte in Etxarri Aranatz und arbeitete als Wartungsmechaniker. Er wurde verhaftet und gefoltert, nachdem er in Donostia an einem Protest gegen den Burgos-Prozess teilgenommen hatte. Man schrieb das Jahr 1970, der franquistische Terror war grausam gegen jede Art von politischer Dissidenz. (10)

Antonio und fünf Freunde wurden von der Polizei in der Altstadt angehalten und aufgefordert, sich auszuweisen. Antonio hatte seine Papiere in der Bar vergessen, in der sie kurz zuvor gewesen waren. Sie nahmen ihn in Gewahrsam, 18 lange Tage hörte man nichts mehr von ihm. Nach seiner Entlassung war er "gebrochen". Er hatte keine Fingernägel mehr, sie hatten alles Erdenkliche mit ihm gemacht. Vor Weihnachten erschien er nicht zur Verabredung mit seiner Clique. Er hatte Selbstmord begangen.

Goñi, Zabalza

Antonio Goñi ist einer der mehr als tausend Folteropfer in Nafarroa, seine Geschichte und sein Tod in Iruñea (span: Pamplona) wurde von Gloria Bosque vorgestellt. Auch sie wurde in den 1970er Jahren zweimal verhaftet und ebenfalls tagelang gefoltert, wie sie auf der Veranstaltung des “Netzwerks der Gefolterten in Nafarroa“ am Vorabend des Internationalen Tages der Vereinten Nationen zur Unterstützung von Folteropfern erzählte. Die Plattform hält es für unerlässlich, (nach dem Beispiel Euskadi) eine "unabhängige und wissenschaftliche" Untersuchung durchzuführen, um zu klären, wie viele Menschen in Nafarroa von den staatlichen Sicherheitskräften gefoltert wurden.

Idoia Zabalza stellt fest, dass Folter schon in der so genannten Transition "ein Instrument war, das systematisch eingesetzt wurde, um gegen politische Dissidenz vorzugehen. Mikel war mein Bruder. Er wurde verhaftet und grausam gefoltert, zusammen mit seiner Freundin, seinem Cousin und einem Studenten. Als unsere Mutter in der Kaserne nach ihm fragte, wurde ihr gesagt, sie solle bei den Fundsachen nach ihm suchen. Die offizielle Version lautete, er habe zu fliehen versucht. Sei mit Handschellen in den Fluss gesprungen. Seine Leiche tauchte 20 Tage später auf", erinnert sie sich. (10)

Misshandlungsberichte

"Es war 2 Uhr morgens, als ich das Klopfen an der Tür hörte. Als ich aufstehen wollte, waren sie schon auf mir drauf. Sie setzten mir eine Kapuze auf. Ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass ich nichts getan habe. Ich hörte durchdringende Schreie aus den anderen Kerkern. Ich wurde immer wieder verprügelt. Sie zogen mich nackt aus. Ich hatte noch nie so viel Angst, wollte sterben, ich wollte einfach nur, dass es vorbei ist. Sie ließen mich auswendig lernen, was sie wollten. Während ich dem Richter von den Folterungen erzählte, die ich auf der Polizeistation erlitten hatte, lächelte er mich an und spielte mit seinem Stift", erzählt Marilo Gorostiaga. "Diese Situationen sind zeitlich gar nicht so weit entfernt, man muss nicht in die Zeit des Franco-Regimes zurückgehen oder in die ersten Jahre des politischen Übergangs oder als ich 1994 verhaftet wurde. Viele Fälle sind neu, einige nur 10 oder 15 Jahre alt".

Sie erinnert sich daran, dass Folter "eine Konstante in unserer jüngeren Geschichte war, die als politische Waffe gegen politische Dissidenz eingesetzt wurde". Eine Praxis, die "jahrzehntelang geleugnet und zu verbergen versucht wurde, die aber von staatlichen Institutionen gebilligt und legitimiert wurde und an der politische Parteien, Richter, Gerichtsmediziner und sogar die Medien, auf die eine oder andere Weise mitgearbeitet haben“. – "Ich habe Geschichten zugegeben (berichtet Ainara Gorostiaga), die ich im Leben nicht begangen hatte, nur damit alles ein Ende hat. Sie haben mich 2002 ins Gefängnis gesteckt, bis bewiesen wurde, dass ich nichts mit dem zu tun hatte, was ich auf der Polizeiwache angeblich aus freien Stücken gesagt hatte." In den letzten 10 Jahren macht es den Eindruck, dass Folter einer lange entfernten Vergangenheit angehört. Es war eine politische Entscheidung, die wahrscheinlich in irgendeinem Büro in Madrid getroffen wurde. "Ein weiterer Beweis für die Absprache der Parteien des Regimes und der Machthaber mit den Folterern." (10)

Laguntza – Hilfe!

Jon Patxi Arratibel erinnert daran, dass er 2011 seine erzwungene Erklärung im Folterkeller der Guardia Civil mit "Aztnugal" unterschrieb, das Wort “Laguntza“ rückwärts geschrieben, auf Baskisch bedeutet es “Hilfe“. Als Anwälte den Umstand entdeckten wurde der Fall zum Skandal und zum Folterbeweis. "Es war ein Schrei nach Hilfe. Wir wurden völlig unbehindert gefoltert. Drei der sechs Personen, die mit mir verhaftet wurden, haben sich an den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewandt, und dieser hat den spanischen Staat in allen drei Fällen verurteilt", fügte er hinzu. Doch trotz "all der Ohrfeigen aus Europa" gibt es nach wie vor viele, die all das grundsätzlich leugnen, die sich "weigern anzuerkennen, was wir aus erster Hand erfahren haben, wegschauen oder uns sogar der Lüge bezichtigen". – "Was wir etwas erreicht haben, indem wir unsere Stimme erhoben und unsere Erfahrungen berichtet haben: es wird immer schwieriger, die Existenz von Folter in diesem Staat zu leugnen.“ (10)

pgw06Veranstaltungsbericht Euskalduna, Bilbo

Der Anerkennungs-Akt im Euskalduna-Palast von Bilbao markiert einen Anfang. "Es wird kein Vergessen mehr geben und kein Schweigen mehr über Folter." – "Wir wissen, was wir erlitten haben, jetzt schließt sich ein Kreis, denn jetzt können wir dem Geschehen einen Namen geben." Und es für immer hinter sich lassen? "Das wird nie möglich sein. Manchmal schaue ich immer noch, ob mir jemand auf der Straße folgt, die psychologischen Narben bleiben". (11)

Alle sind sich darüber bewusst, dass es nur 35 Fälle waren, die positiv entschieden wurden. Darunter der Fall von Felipe Suárez, einem Postbeamten, der 1976 von der Guardia Civil in Zestoa mit einem Maschinengewehr erschossen wurde. "Zuerst schossen sie ihm in den Kopf, dann merkten sie, dass sie einen Fehler gemacht hatten und erfanden, dass er eine Straßensperre durchbrochen hätte", erzählte seine Tochter, Noelia Suarez.

Einige der Opfer konnten ihre Tränen nicht zurückhalten. "Für sie haben so einfache Wörter wie Tasche, Badewanne, Ente, Rad oder Operationssaal eine doppelte und traumatische Bedeutung", beklagte die Senatorin für Gleichberechtigung, Justiz und Sozialpolitik (Beatriz Artolazabal), bevor sie die Akkreditierungs-Berichte aushändigte. Die öffnen Türen zu Entschädigungen, die nach dem Gesetz bis zu 350.000 Euro betragen können. "Ihr wart Opfer einer ungerechten Gewalt und habt durch Verleugnung und Stigmatisierung weiteren Schmerz erlitten", fügte Artolazabal hinzu. (11)

Postfranquisten nahmen nicht teil

Die Veranstaltung mit dem Titel "Wahrheit, Erinnerung und Anerkennung, Garantie der Wiedergutmachung" ist ein erster Schritt, dem die baskische Regierung eine große Ehrung der Opfer von Polizeimissbrauch folgen lassen will, wenn alle anhängigen Fälle bearbeitet sind. An dem Akt nahmen Vertreter aller im baskischen Parlament vertretenen politischen Parteien teil, außer den Postfranquisten und der faschistischen Vox-Partei – was niemand auch nur im Geringsten überrascht. Die Rechte hatte bereits vor einigen Tagen ihre Zweifel an den Anerkennungen geäußert und verwies darauf, dass es in vielen Fällen keine Gerichtsurteile gäbe, die die Opferversionen stützen. Anwesend waren die Opfer oder ihre Familien. "Sie haben versucht, uns körperlich und geistig auszulöschen", sagte Inés Barayazarra, zwischen 1972 und 1975 in Bakio verhaftet und gefoltert: "Mögen die schlechten Erinnerungen dazu dienen, in der Gegenwart und in der Zukunft Gutes zu tun". (11)

Liste der Anerkennungen

* Felipe Suárez Delgado: 1976 bei einer Polizeikontrolle angeschossen.
* Carmen Uranga Echeverría: Die Familie betrieb die Bar "Uranga" in Amorebieta. In den 70er Jahren war sie das Ziel von Drohungen und Angriffen.
* Juan M. Zuloaga Balziskueta: Misshandlung und Folter, 1968. Ehemann von Carmen Uranga.
* Luis Fermín Orueta Álvarez: Inhaftiert und gefoltert, 1973-76.
* Iñigo Moyua Careaga: Maschinengewehrschuss an einem Kontrollpunkt, 1972.
* Iñaki O'Shea: Misshandlung und Folter, 1975.
* Miguel María Azpillaga Camio: Verwundet von einem Polizisten in Zivil beim Verteilen von Flugblättern der Kommunistischen Partei, 1975.
* Koldo Arriola Arriola: Erschossen in der Ondarroa-Kaserne, 1975.
* Enrique Arzubiaga Ardeo: Misshandlung und Folter, 1969.
* Juan María Lestón Batiz: Misshandlung und Folter, 1970.
* María Julia Sanz Lasanta: Misshandlung und Folter, 1975.
* J. Gabriel Larrucea Echevarría: Misshandlung und Folter, 75.
* Teresa Sanz Lasanta: Misshandlung und Folter, 1975.
* J. María Madariaga Zugadi: Misshandlung und Folter, 1968.
* Mª Josefa Bilbao Bilbao: Misshandlung, 1972.
* Laura Uriarte Bilbao: Misshandlung, 1972. Tochter von Mª Josefa.
* Felipe Laraudogoitia Bilbao: Inhaftierung und Misshandlung, 1967.
* Juan Ormaza Renteria: Misshandlung, 1972.
* Pedro Crucelegui Solozabal: Misshandlung, 1974.
* M. Antonio Elgezabal Bilba Misshandlung, 1975.
* Joseba Mentxakatorre Agirre: Misshandlung und Folter, 76.
* Pilar Barayazarra Apraiz: Misshandlung, 1975.
* Inés Barayazarra Apraiz: Verhaftungen und Misshandlungen, 72-75.
* Felix Jauregizar Oraindi: Misshandlung, 1972.
* Belén Matabuena Garagorri: Misshandlung und Folter, 1973.
* Felipe Agirre Gaztañaga: 1968 gefoltert.
* Cayetano Otaegi: Mehr als zehnmal inhaftiert zwischen 1974 und 1981. Er wurde misshandelt.
* Idoia Ayerbe Iribar, Juan Ramón Arreche Gutiérrez und Manuel Vizcay Zabalza: Wurden gefoltert, wieder entlassen und nie angeklagt, nachdem sie 1985 zusammen mit Mikel Zabalza verhaftet wurden. (1)

ANMERKUNGEN:

(1) Information und Zitate aus: “Fuimos maltratados y es importante que la sociedad sepa también esa verdad“ (Wir wurden misshandelt und es ist wichtig, dass die Gesellschaft auch diese Wahrheit erfährt), Tageszeitung El Correo, 2021-06-25 (LINK)

(2) GAL-Todesschwadronen, Artikel “Freund der Todesschwadrone“, Baskultur.info, 2020-06-26 (LINK)

(3) Emilio Botín, Banker und Schwager von Iñaki O’Shea (LINK)

(4) Josu Muguruza (LINK)

(5) Mikel Zabalza: “Folter gegen Basken“, Baskultur.info (LINK)

(6) “Piden a Lakua que asuma su responsabilidad por la tortura ejercida por la Ertzaintza“ (Die baskische Regierung soll die Verantwortung übernehmen für die Folter der Ertzaintza) (LINK)

(7) Folterbericht Etxeberria-Studie: “Systematische Folter in Spanien“ (LINK)

(8) Istanbul-Protokoll: Wissenschaftliches Protokoll, um den Wahrheitsgehalt von Foltervorwürfen herauszufinden (LINK)

(9) “Ley de abusos policiales” (Gesetz über Polizei-Missbrauch) El Correo, 2021-06-21 (LINK)

(10) “Rescatan el caso de Antonio Goñi y exigen esclarecer los mil episodios de tortura en Nafarroa“ (Sie erinnern an den Fall Goñi und fordern die Aufklärung von tausend Folterepisoden in Navarra) Tageszeitung Gara, 2021-06-25 (LINK)

(11) “Las víctimas de los abusos policiales salen del anonimato: Ya no habrá silencio ni olvido“ (Folteropfer der Polizei treten aus der Anonymität: Nun gibt es weder Schweigen noch Vergessen) El Correo, 2021-06-21 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Collage (FAT)

(2) Polizeigewalt (publico)

(3) Folter (elcorreo)

(4) Iñaki O‘Shea (elcorreo)

(5) Folter (publico)

(6) Folter (publico)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-07-13)

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