Auch in Nachbar-Regionen gesprochen
Wurde in Soria, 180 Kilometer südlich von Pamplona, vor 2.000 Jahren irgendeine Art von baskischer Sprache gesprochen? Und in Aquitanien in der Region südlich von Bordeaux. Oder in Andorra? Baskische Sprach-Spuren finden sich insbesondere in topografischen Begriffen und Ortsnamen in Gebieten außerhalb des historischen Baskenlandes. Sprach-Wissenschaftler*innen wollen in einem Sommerkurs der baskischen Universität die territoriale Ausdehnung der baskischen Sprache in früheren Zeiten analysieren.
Vor langer Zeit wurde die baskische Sprache Euskara nicht nur in den sog. sieben baskischen Provinzen gesprochen, die das historische Baskenland ausmachen. Euskara war verbreitet von Santander im Westen bis Saragossa im Osten, von Soria im Süden und Bordeaux im Norden. Durch Kriege, Eroberungen und die Industrialisierung wurde die Sprache zurückgedrängt.
Schon Julius Caesar machte in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg im Jahr 50 v. Chr. eine wichtige Unterscheidung, als er von den Völkern nördlich der Pyrenäen sprach: "Gallien ist in drei Teile geteilt. Der eine wird von den Belgiern bewohnt, der andere von den Aquitanern, der dritte von denen, die sich in ihrer Sprache als Kelten bezeichnen und in unserer Gallier genannt werden. Sie unterscheiden sich durch Sprache, Sitten und Gesetze voneinander. Der Garonne-Fluss trennt die Gallier von den Aquitanern". Auch der griechische Historiker Strabon betonte diesen Unterschied: "Die Aquitaner sind nicht nur sprachlich, sondern auch physisch ziemlich verschieden". (1) (2) (3)
Klar scheint, dass im ersten Jahrhundert nach Christus in der Region Aquitanien ein eigenständiges Volk mit einer eigenen Sprache lebte. Ein Gebiet, in dem zahlreiche Inschriften gefunden wurden, in denen viele Namen in altbaskischer Sprache perfekt erkennbar sind. Zur Erinnerung: was heute als “Historisches Baskenland“ bezeichnet wird umfasst die Provinzen Nieder-Navarra, Lapurdi und Zuberoa auf der Nordseite mit den größeren Orten Bayonne, Biarritz und Ciboure; sowie Navarra, Gipuzkoa, Araba und Bizkaia auf der Südseite, mit den Städten Pamplona, Donostia, Gasteiz und Bilbao. (4)
Aquitanisch
"In Aquitanien wurden einige, dem heutigen Euskera ähnliche Sprachen gesprochen, eine Art Proto-Euskera (proto-euskericas). Jene Sprache, in der es eindeutig Namen gibt, wie wir sie auch heute noch aus dem Baskischen kennen, wird von Fachleuten Aquitanisch genannt. Unter anderem wurden folgende Wörter gefunden: 'cis(s)on‘ entspricht dem heutigen baskischen Wort ‘gizon‘ (Mann), ‘andere‘, heute ‘andra‘ (Frau), ‘nescato‘, heute ‘neska‘ (Mädchen), ‘sahar‘, heutiges Baskisch ‘zahar‘ (alt). Alles deutet darauf hin, dass damals einige Völker oder Stämme existierten, deren Sprache bestimmte Merkmale des heutigen Euskera hatte", erklärt Anton Erkoreka, Direktor des Baskischen Museums für Medizingeschichte der Universität des Baskenlandes UPV/EHU (Universidad del País Vasco / Euskal Herriko Unibertsitatea).
Erkoreka hat eine weitere große Leidenschaft: die Ethnographie. Er ist Mitglied des Vereins “Etniker Euskalerria“, einem Kulturverein zur Bewahrung des ethnografischen Erbes von Vasconia. Dieser Verein wurde im Jahr 1973 von José Miguel de Barandiarán (5) gegründet. Außerdem beteiligt sich Erkoreka an den Publikationen eines Ethnographischen Atlas von Vasconia (Atlas Etnográfico de Vasconia) seit Beginn dieser Initiative im Jahr 1987. (6)
Sommer-Universität
Zusammen mit Angel Bidaurrazaga (Medizin), Aitor Anduaga (Geschichte) und Mikel Erkoreka (Politik) haben sie einen Sommerkurs an der UPV/EHU vorbereitet, der am 15. und 16. Juni 2021 verschiedene Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Archäologie, Geschichte und Linguistik zusammenbringen soll. Personen, die bemerkenswerte Entdeckungen im Bereich der geografischen und kulturellen Ausdehnung der baskischen Sprache gemacht haben. "In letzter Zeit wurden viele Fortschritte gemacht, wir dachten, es wäre interessant zu sehen, was vor 2.000 oder 1.000 Jahren in der Gegend um das historische Vasconia, den nördlichen Teil der Pyrenäen und den südlichen, einschließlich La Rioja sowie im Norden der Provinz Burgos, passiert ist. Das ist das Ziel dieses Kurses, an dem eine Gruppe von neun Wissenschaftler*innen teilnehmen wird", erklärt Erkoreka. (1) Vasconia ist ein kultureller, politischer und anthropologischer Begriff, der die baskische kulturelle und anthropologische Gemeinschaft bezeichnet. Er hatte je nach historischem Moment unterschiedliche Konnotationen und wird in allgemeiner Bedeutung gleichbedeutend mit dem baskischen Begriff “Euskal Herria“ (Baskisches Volk) verwendet.
"Das Auftauchen baskischer Wörter auf römischen Stelen (Monolith, Grabmal) in weiten Teilen des antiken Vasconia, die Verwandtschaft mit lateinischen und keltiberischen Sprachen, die Toponymie, die Ethnographie, die Kultur und die baskische Mythologie – all das sind Themen, die wir in diesem Kurs beleuchten wollen. Eingeladen sind alle, die sich für die Ursprünge des Euskara interessieren. Unterschiedliche Interpretationen der archäologischen Überreste waren in den letzten Jahren eine Quelle für Kontroversen, aber sie haben dazu beigetragen, unser Wissen über die Wurzeln unserer Sprache zu vertiefen", erklärt er. (1)
Unter den Referenten wird Joaquín Gorrochategui sein, Professor für Linguistik an der Universität des Baskenlandes, der unter anderem Mitglied der Kommission war, die zu dem Schluss kam, dass die Inschriften in baskischer Sprache aus dem römischen Ort Iruña Veleia (im Süden Arabas) nicht echt sind (7). Juan Karlos Lopez-Mugartza, Professor für baskische Philologie an der Universität von Navarra, wird ebenfalls an der Konferenz teilnehmen und über das Thema “Baskisch an den Südhängen der Pyrenäen: von Ansó bis Andorra“ referieren.
Hochland von Soria
Soria ist Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die zur spanischen Region Kastilien-León gehört. Die Provinz grenzt an die von Burgos (im Westen), die Region La Rioja (im Norden) und die Provinz Zaragoza (im Osten), Soria liegt 80 Kilometer von der Südspitze Navarras entfernt und hat keine direkte Grenze mit den baskischen Territorien. Eduardo Alfaro, Doktor der Archäologie und Spezialist für kleine römische Städte im Norden der Provinz Soria, wird ebenfalls am Sommer-Treffen teilnehmen. Im Nordwesten der Provinz, einer Gegend, die “Tierras Altas de Soria“ (Hochland von Soria) oder im Volksgebrauch schlicht “La Sierra“ (Bergkette) genannt wird und die zu großen Teilen an die Weinregion “La Rioja“ grenzt, wurden Grab-Stelen gefunden, die aus dem ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus stammen. Insgesamt handelt es sich um neununddreißig Stelen mit Inschriften aus der Römerzeit. Alfaro beschäftigte sich ausführlich mit der Namenforschung dieser Stelen und kam zu dem Schluss, dass “diejenigen, die eine baskische Herkunft, Struktur, Namensbildung oder Bedeutung aufweisen, aus den besagten Jahrhunderten stammen. Im Moment haben wir ein Dutzend Namen, die auf eine baskische Herkunft hinweisen". (1)
Der Archäologe aus Soria widmete sich unter anderem jahrelang der Erforschung der archäologischen Fundstätte von “Los Casares“ in der zentralspanischen Provinz Guadalajara, einer Höhle mit archäologischen, paläontologischen und paläo-anthropologischen Überresten (8). Besonders berühmt sind die prähistorischen Felsbilder, die als Repräsentation der Fortpflanzung gelten. Darunter eine von nur drei aus der Altsteinzeit bekannten Darstellungen der Kopulation, sowie solche von Schwangerschaft, Geburt und Familienleben.
Baskische Begriffe
"Das wirklich Besondere ist, diese steinernen Dokumente aus römischer Zeit verbinden die Menschen, für die sie errichtet wurden, mit Namen baskischen Ursprungs. Vor zwei Jahrzehnten erzählte uns der Linguist Joaquín Gorrochategui in Salamanca, dass einer der Grabsteine einen indigenen Namen trug, der nicht wie zu erwarten keltisch war. Es war die Stele, die an einen gewissen Antestius Sesenco erinnert, der zwischen dem ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus gelebt haben muss. Der Name Sesenco bezieht sich auf das Wort “zezenko“, das im Baskischen junger Stier bedeutet. Ein eindeutig baskisches Wort, das außerdem vom Klang her wenig mit dem Keltiberischen zu tun hat", erläutert der Archäologe. (1)
Neben Sesenco erscheinen auf anderen Stelen Namen wie “Oandissen“, möglicherweise abgeleitet von “oihandi“ (baskisch: Dschungel), oder “Arancis“, worin die Komponente “aran“ (wilder Pflaumenbaum, Weißdorn) erkennbar ist. Die Worte “Oandissen“, “Onse“ und das maskuline Pendant “Onso“, sowie “Buganson“, “Haurce“, “Belscon“, “Agirsen“, “Arancis“, “Lesuridantar“ wurden in aufeinanderfolgenden Untersuchungen immer deutlicher mit dem Ebro-Tal in Verbindung gebracht (der Ebro-Fluss führt 100 km nördlich von Soria durch Logroño, Rioja und durch den Süden Navarras). Die Verwandtschaft mit einem Alt-Baskisch, Proto-Baskisch oder aquitanischen Baskisch konnte dabei unterstrichen werden.
Jetzt, wo diese sprachlichen Relikte aufgeschlüsselt sind, stellt sich die Frage: Was haben die Basken damals an den Ufern des Ebro gemacht? "Aus archäologischer Sicht ist klar, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handelt, die dort lebte, es gibt Stelen von Männern und Frauen aller Altersgruppen und unter verschiedenen Lebensbedingungen. Eine der plausibelsten Hypothesen ergibt sich aus der Analyse der landschaftlichen Bedingungen und der Nahrungsmittel-Vielfalt des Hochlands. Es handelt sich um ein bergiges Gebiet, dessen wirtschaftliches Potenzial die Sommerweiden darstellen", präzisiert der Archäologe aus Soria. (1)
Toponyme
Zur Sprache kommen im Sommer auch die baskischen Toponyme, die über die navarrische Nachbarprovinz Huesca bis in den Norden der katalonischen Provinz Lérida gefunden wurden und bis nach Andorra hinüberreichen. Ortsnamen, die ebenfalls aus einer alten baskischen Sprache abgeleitet werden können. Der Universitäts-Professor Julen Manterola wird zudem über die sprachlichen Merkmale der baskischen Toponymie in den Provinzen Araba, Burgos und La Rioja sprechen und darüber, was sie über die Antike verraten.
Der Sommerkurs findet seinen Abschluss mit einem runden Tisch zum Thema “Kultur und Gesellschaft in Vasconia, Pyrenäen und Aquitanien: Euskera, Ethnographie und Mythologie“. Neben Anton Erkoreka, werden Xarles Videgain als Mitglied von Euskaltzaindia (9) und als einzige Frau die Geschichts-Professorin Naiara Ardanaz-Iñarga (Ethnographischer Atlas von Vasconia) teilnehmen.
"Wir haben einige sehr interessante Referenten, die jene Sprachen analysieren werden, die außerhalb des Gebiets gesprochen wurden, das wir als Vasconia bezeichnen. Der Begriff Vasconia umfasst die Gebiete, in denen heute Euskera gesprochen wird, nämlich die Autonome Gemeinschaft Navarra, die Autonome Gemeinschaft Euskadi und die zum französischen Staat gehörenden drei kleinen Provinzen in Iparralde. Aber außerhalb dieses Gebiets wurde vor 2.000 oder 1.000 Jahren eine Sprache gesprochen, die eng mit dem heutigen Baskisch verbunden ist. Natürlich war es nicht die gleiche Sprache, die diese Völker gesprochen haben, natürlich war sie sehr verschieden. Aber es gibt eine Reihe gemeinsamer Elemente, die wir heute erkennen können. Die Völker in Aquitania oder Vasconia, die diese proto-baskischen Sprachen benutzten, können wir als einige unserer Vorfahren betrachten", schließt Anton Erkoreka.
Zielsetzung, Ort und Datum
Zu den Zielen des Kurses gehört es, mittels der neuesten Entdeckungen von Stelen und Überresten aus der Römerzeit mit Proto-Euskera-Inschriften, die bisherigen Kenntnisse zu aktualisieren und das Gebiet der sprachlichen Ausdehnung des antiken Vasconia neu abzugrenzen. Am 15. und 16. Juni 2021 in Bilbao, im Tagungsraum Bizkaia Aretoa. Organisatoren: Angel Bidaurrazaga, Aitor Anduaga und Mikel Erkoreka. Der Kurs richtet sich an alle am Thema Interessierte.
ANMERKUNGEN:
(1) Die Zitate stammen aus dem Artikel “Las fronteras del euskera hace dos mil años” (Die Grenzen des Euskera vor 2000 Jahren) von Maite Redondo, erschienen in der Tageszeitung Deia vom 04.05.2021 (LINK)
(2) Belgier: Die Gallia Belgica, später nur noch Belgica genannt, war eine der drei römischen Provinzen, die bei der Aufteilung Galliens durch Kaiser Augustus um 16 v. Chr. entstanden; die beiden anderen waren Gallia Lugdunensis in der Mitte und Gallia Aquitania im Südwesten. Die Belgica umfasste den Norden und Osten des heutigen Frankreich, das westliche Belgien, die Westschweiz und den Jura bis zum Genfersee (Lacus Lemanus) hinunter, sowie das Einzugsgebiet der Mosel bis etwa 50 Kilometer vor der Mündung in den Rhein. Hauptstadt der Provinz war Durocortorum (Reims). Bis zur Einrichtung der östlich angrenzenden Provinzen Germania superior und Germania inferior unter Kaiser Domitian war der Statthalter der Belgica auch für die Sicherung der Rheingrenze zuständig. Der westliche Teil der Belgica wurde schließlich Keimzelle des Fränkischen Reichs, während der Ostteil von den Alamannen besetzt wurde. (LINK)
(3) Aquitanien wird im Süden von den Pyrenäen und im Westen vom Golf von Biskaya des Atlantiks begrenzt. Der Golf von Biscaya hieß früher Aquitanicus oceanus (lateinische Bezeichnung). Die Region grenzt im Norden an die Region Poitou-Charentes, im Nordosten an die Region Limousin, im Osten an die Region Midi-Pyrénées, im Westen – hauptsächlich mit der Côte d’Argent – an den Atlantischen Ozean. Im Süden verläuft die Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Sie umfasst den größten Teil des aquitanischen Beckens, einer recht flachen und erdgeschichtlich jungen Landschaft. (LINK)
(4) Iparralde (baskisch: Nordseite), französisches Baskenland (LINK)
(5) Barandiaran, Baskische Anthropologie, Baskultur.info (LINK)
(6) Ethnographischer Atlas von Vasconia (Atlas Etnográfico de Vasconia) (LINK)
(7) Iruña Veleia, Ausgrabungsort im südlichen Araba, ehemalige römische Stadt (LINK)
(8) Los Casares Höhle (LINK)
(9) Euskaltzaindia. Auf Baskisch: Hüterin des Baskischen. Die offiziell so genannte Königliche Akademie der Baskischen Sprache (Real Academia de la Lengua Vasca) wurde 1919 gegründet und ist eine Einrichtung zur Pflege und Standardisierung der baskischen Sprache, sowie zu ihrer Erforschung durch philologische und etymologische Studien. In den Jahren der Diktatur war sie ebenso verboten wie der Gebrauch der baskischen Sprache selbst. Sie hat ihren Sitz in Bilbao (bask: Bilbo) und Zweigsitze in Baiona (frz: Bayonne), Donostia (span: San Sebastián), in Gasteiz (span: Vitoria) und in Iruña (span: Pamplona). (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Euskara (deia)
(2) Euskara-Grenzen (deia)
(3) Baskisches Bauernhaus
(4) Veleia (anaturismo)
(5) Barandiaran (diario vasco)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-05-17)