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Klares Wasser statt zwölf Trauben

Wenn am 31. Dezember die Glocken zum Jahreswechsel läuten, beginnen viele Menschen hektisch Trauben zu essen: mit jedem der 12 Glockenschläge eine Traube. Das soll Glück bringen und wird in so gut wie allen zum spanischen Imperium gehörenden Ländern und Regionen praktiziert. In Navarra existiert eine andere Tradition, die stark mit der Natur verbunden ist: das neue Jahr wird mit einem Schluck klaren Wassers begonnen. Gedacht wird dabei an das Wasser aus dem Himmel und an das Wasser aus der Erde.

In Spanien und Lateinamerika ist es üblich, das neue Jahr mit dem Verzehr von zwölf Trauben anzugehen – im baskischen Navarra wird dagegen an das Wasser als Lebensgrundlage gedacht.

Die Tradition mit den zwölf Trauben soll aus Frankreich kommen und wurde Ende des 19. Jahrunderts zum ersten Mal in der spanischen Presse erwähnt. Seither hat sie sich ausgebreitet, von den Kanaren bis Bolivien, von Puerto Rico bis ins Baskenland. Anschließend ist Champagner angesagt, in den Städten geht es dann auf die Straße zum Feuerwerk oder zum Kneipengang.

ura01Im baskischen Navarra existiert bis heute eine ganz andere, eigene und alte Tradition, die mit Wasser in Zusammenhang steht. Das neue Jahr wird mit einem Schluck frischen Wassers begonnen. „Es ist uns gelungen, die Tradition des typisch navarrischen Olentzero neu zu entdecken und zu verbreiten. Aber dieser Ritus mit dem Wasser zum Jahreswechsel ist für viele unbekannt,“ schreibt der Traditionsforscher Mikel Burgui in seinem Blog. (1) (2)

Der Brauch des neuen Wassers

Am 31. Dezember gingen einst die jungen Männer in den Orten Baztan, Basaburua, Imoz, Larraun, Burunda und Arakil auf die Straße, um die Glockenschläge um Mitternacht zu erwarten. Um 12 Uhr begannen sie, an den öffentlichen Brunnen frisches Wasser zu holen, die Krüge wurden nacheinander zum Pfarrer gebracht, dann zum Bürgermeister, zu den Stadträten und schließlich unter den Nachbar*innen verteilt. Dabei wurden vor jeder Haustür Koplas zitiert, traditionelle navarrische Volkslieder in baskischer Sprache – „UR GOIENA, UR BARRENA". Dafür bekamen sie ein kleines Geschenk. Im Dorf URDIAIN wird dieser Brauch nach wie vor praktiziert.

Mittlerweile sind es nicht mehr nur junge Männer, die in URDIAIN das Wasser am Brunnen holen, auch Frauen sind mit aktiv. Die Geschichte von UR GOIENA, UR BARRENA ist schnell erzählt. Es war ein uralter Volksglaube, dass sich über dem Himmelsbogen Wasser befinde, denn schließlich kam der Regen von da oben. Daher der Begriff UR GOIENA, das Wasser von oben auf Euskara. Die Menschen gingen gleichzeitig davon aus, dass es unter der Erdoberfläche einen großen See gäbe, aus dem die Quellwasser stammen. Davon wird UR BARRENA abgeleitet, Wasser von innen.

So erklärt sich der Bezug zu den zwei Formen von Wasser, jenes von oben und das andere von unten. Mit einem Schluck frischem Wasser wird in URTIAIN das neue Jahr begonnen, denn ohne Wasser ist kein Leben möglich.

ura02Die Begriffe UR (Wasser), URTE (Jahr) und URTATS (Weihnachtsgeld), haben einen gemeinsamen ethymologischen Ursprung. Der Wortteil UR (Wasser) ist die erste Silbe des Wortes URTE, was auf Baskisch Jahr bedeutet. URTE entspricht somit dem Wasserkreislauf während der vier Jahreszeiten, die zusammen das Jahr bilden. Innerhalb der euskaldunen, also baskischsprachigen Philosophie existiert eine Verbindung von UR (Wasser) und URTE (Wasserkreislauf). Unter UR BERRIA wird so gesehen nicht allein neues Wasser verstanden, sondern gleichzeitig URTE BERRI – neues Jahr.

Nach der Mitternacht von URTEBERRI (Neujahr) gingen die jungen Männer von Haus zu Haus, um mit Krügen das neue Wasser an alle Nachbarinnen und Nachbarn zu verteilen, UR BERRIA. So wurde das URTE BERRI (neue Jahr) mit Wasser aus der Dorfquelle begangen. Dafür bekamen die Mozos genannten Männer ein kleines Geschenk, URTATS, eine Art Weihnachtsgeld. Zuerst waren Priester und Bürgermeister mit der Wasserlieferung an der Reihe, der beste Bertsolari-Reimsänger sang vor jedem Haus ein Kopla-Volkslied, die übrigen Männer den Refrain.

Der folgende Film mit dem Titel „Navarra. Las cuatro estaciones“ (Navarra, die vier Jahreszeiten) wurde in den Jahren 1970/1971 von Caro Baroja gedreht, er beschreibt die winterlichen Traditionen in den Baztan-Dörfern. In der Minute 12:55 erscheint der Brauch UR GOIENA, UR BARRENA, wie er 1970 in Urdiain gefeiert wurde. Bis heute hat sich diese Tradition erhalten.

(VIDEO)

An der bezeichneten Stelle des Films ist zu sehen, wie Jose Maria Satrustegi, damaliger Pfarrer von URDIAIN zusammen mit dem Bürgermeister und den Räten an der Tür das neue Wasser empfängt. Während sie das UR BERRIA trinken, singen die Mozos traditionelle Koplas.

ura03Mit der Publikation in seinem Blog lädt Mikel Burgui dazu ein, den alten Brauch auch zu Hause neu zu beleben. „Heutzutage sind wir alle an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen, wir müssen nicht mehr zum Brunnen gehen, um es zu holen. Wir brauchen auch keinen, der es uns bringt,“ erklärt Burgui. „Aber statt der Trauben könnten wir auch der alten Tradition folgen und am 31. Dezember auf die erste Neujahrsminute warten, um aus unseren häuslichen Wasserhähnen das erste Wasser zu trinken“.

„Von UR, Wasser, kommt das Jahr, URTE. Wenn wir das erste Wasser trinken, trinken wir den ersten Moment des Jahres, URTE, das gerade begonnen hat. Wasser ist für Mikel Burgui ein Geschenk der Natur (Ama Lurra – Mutter Erde). Denn „das Wasser der Flüsse, Quellen und des Regens verwandelt sich in Fruchtbarkeit, lässt Pflanzen gedeihen und führt zu Ernten. Wir selbst bestehen zu 70 Prozent aus Wasser, wie drei Viertel des Planeten ebenfalls.“

Urte berri on

Im Baskenland wünschen sich die Menschen vor und nach Silvester URTE BERRI ON – ein gutes neues Jahr. In diesem Gruß steckt einmal mehr der Bezug zum lebensspendenden Wasser, UR. An dieser Stelle folgt das Lied zu UR GOIENA, UR BARRENA, dokumentiert auf einem anderen Traditionsblog (3), davon drei Strophen (von zwölf) im baskischen Original mit deutscher Übersetzung:

1. Arantzazu, zer dekazu? / Ur goiena, ur barrena; / Ur goiena, ur barrena / Urte berri egun ona. (Arantzazu, was bringst du? Wasser von oben, Wasser von unten / einen guten Tag im neuen Jahr.)
2. Etxe onetan sar dayena / bakearekin osasuna; / bakearekin osasuna / onarekin ondasuna. (In dieses Haus / soll Frieden und Gesundheit kommen / Frieden und Gesundheit / und damit auch Wohlstand.)
3. Etxekoandre giltzaria / iriki zazu ataria, / iriki zazu ataria / ba dekagu ur berria; / ba dekagu ur berria / presta zazu gosaria. (Frau des Hauses, mit dem Schlüssel, öffne die Tür, öffne die Tür wir bringen das neue Wasser, das neue Wasser, mach uns Frühstück.)

ANMERKUNGEN:

(1) Der Olentzero ist eine Art baskischer Weihnachtsmann, er geht auf einen Köhler zurück. Die Carboneros (Kohlenmacher) waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts jene Berufsgruppe, die in den Wäldern aus Eichen und Buchen Holzkohle herstellten. Der Olentzero als Weihnachtmann ist eine Figur aus Navarra, der den Kindern am 23. Dezember Geschenke bringt. Den Unbeliebten des Jahres bringt er Kohle, die vor der jeweiligen Tür ausgeschüttet wird.

(2) Traditions-Blog von Mikel Burgui (Link), Verbindung zum Artikel (Link)

(3) Traditions-Blog Patxi Mendiburu (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Blog Patxi Mendiburu

(2) Foto-Archiv-Txeng

(3) Foto-Archiv-Txeng

(4) Foto-Archiv-Txeng

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