ELA: Ein hartes Jahr steht bevor
Mitxel Lakuntza ist eben zum zweiten Mal zum Generalsekretär von ELA, der größten Gewerkschaft im Baskenland gewählt worden. Mit seinen Botschaften setzt er Zeichen für bevorstehende Arbeitskämpfe: "ELA setzt sich dafür ein, dass die Tarifverträge mit dem Verbraucher-Preis-Index (VPI) steigen, wenn nicht, wird es Streiks geben". Die Priorität der Gewerkschaft sind Tarifverhandlungen und Vereinbarungen, die "der Prekarität ein Ende setzen". Vor allem die Ungleichzahlung von Frauen soll bekämpft werden.
Nach Pandemie und Wirtschaftskrise holen die Unternehmen zu Rationalisierung und Gewinn-Vergrößerung aus. Die baskische Gewerkschaft ELA mit Generalsekretär Mitxel Lakuntza setzt kämpferisch dagegen.
Mitxel Lakuntza wurde vor kurzem mit 91% der Stimmen der Vollversammlung zum Generalsekretär der Gewerkschaft ELA wiedergewählt. ELA steht für “Eusko Langileen Alkartasuna“: Baskische Arbeiter-Solidarität. 2021 ist das Jahr, in dem diese wichtigste baskische Gewerkschaft ihr 110-jähriges Bestehen feiert und erneut die Grenze von 100.000 Mitgliedern überschritten hat. Mitxel Lakuntza fühlt sich bestätigt an der Spitze einer starken Organisation, deren Strategie der Gegenmacht durch den Kongress bestärkt wurde. Für das kommende Jahr stellt Lakuntza Tarifverhandlungen in den Mittelpunkt seines gewerkschaftlichen Handelns, um gegen Prekarität und den Verlust von Arbeit-Rechten zu kämpfen. Er sagt, er wünsche sich mehr Verhandlungen, Vereinbarungen und weniger Konflikte. Gleichzeitig warnt er mit Blick auf die Inflation (derzeit 5,6%), dass es Streiks geben wird, wenn es zu keinen Vereinbarungen kommt (1).
Kurze Geschichte der Gewerkschaft ELA
Eusko Langileen Alkartasuna, spanisch: Solidaridad de los Trabajadores Vascos (ELA-STV oder einfach ELA) ist eine Gewerkschaft mit baskisch-nationalistischer Ideologie, die in den Autonomen Gemeinschaften Euskadi und Navarra vertreten ist. Sie definiert sich als eine "nationale und klassenbezogene Gewerkschaft", unabhängig von politischen Parteien. ELA ist die größte Gewerkschaft im Baskenland, mit 40,4% der Delegierten im Jahr 2017, doppelt so viel wie die zweitgrößte Gewerkschaft LAB (19%). In Navarra ist sie die am drittstärkste Gewerkschaft mit 22,7% der Delegierten (25,5% UGT, 23,8% CCOO).
Die Gründung von ELA stand in engem Zusammenhang mit der Industrialisierung im Großraum Bilbao und der Entstehung von Klassen-Gewerkschaften. Die PNV (Baskisch Nationalistische Partei) sorgte sich um ihre gesellschaftliche Stellung, weil die Arbeiterschaft in anderen Organisationen aktiv wurde: in der damals noch sozialistischen PSOE mit der UGT als Gewerkschaft, in der Kommunistischen Partei oder in der anarcho-syndikalistischen CNT. Um Einfluss zu nehmen in der Arbeiterschaft wurde auf Betreiben der PNV am 23. Juli 1911 in Bilbao die Gewerkschaft ELA gegründet. Bezeichnenderweise entstand sie hauptsächlich in den Euskalduna-Werften, die der Unternehmer-Familie Sota gehörten. Ramon de la Sota war maßgeblich an der Gründung der nationalistischen Partei beteiligt. Organisch war ELA jedoch nicht mit der PNV verbunden. ELA “wurde unter dem Namen Solidaridad de Obreros Vascos (SOV) mit dem Ziel gegründet, den Einfluss der Klassengewerkschaften (UGT und CNT) unter den baskischen Arbeitern, insbesondere unter den baskisch-stämmigen Arbeitern, im Gegensatz zu denen aus anderen Ländern zu verringern“ (2 wikipedia). In der Anfangsphase leistete die sich die katholisch geprägte Gewerkschaft Sozialarbeit unter ihren Mitgliedern. Die Expansion von ELA-STV verlief in den Provinzen Gipuzkoa und Bizkaia relativ schnell, in Navarra und Alava dagegen langsamer.
Der erste Gewerkschafts-Kongress fand im Oktober 1929 in Eibar statt, der zweite Kongress im April 1933 in Vitoria. Der Name wurde von SOV in ELA-STV geändert. Im Franquismus war ELA wie alle Parteien und Gewerkschaften verboten, der dritte Kongress konnte erst 1976 in Iruñea (Pamplona) stattfinden. Auf diesem Kongress werden neue Grundsätze und Statuten der Gewerkschaft verabschiedet, die zu ihren Markenzeichen werden: Nationale und Klassengewerkschaft, Unabhängigkeit von politischen Parteien, Offenheit für alle Arbeitnehmer*innen im Baskenland, wirtschaftliche Unabhängigkeit (finanziert durch Mitgliedsbeiträge), konföderaler Charakter, Widerstandsfonds, internationale Solidarität usw. Diese Linie sollte auf den folgenden Kongressen ratifiziert und vertieft werden. In der Zeit der sogenannten Transition, (des „“demokratischen Übergangs“) nach der Diktatur, lehnte die ELA die Moncloa-Pakte ab, die das neue politische und wirtschaftliche System charakterisieren sollten. Auf ihrem vierten Kongress 1979 unterstützte ELA das neue Autonomie-Statut für Euskadi, warnte jedoch vor dessen sozialpolitischen Mängeln.
Die Stärke von ELA liegt heute sowohl in ihrer Unabhängigkeit alsauch in ihrer Mitgliederstärke. Mit ihrem Solidaritätsfond hat die Gewerkschaft in den vergangenen zehn Jahren lange Streiks erfolgreich beendet, wozu andere Gewerkschaften niemals in der Lage gewesen wären: der Streik der Pflegefrauen 2015, der im Kunstmuseum Bilbao 2017 oder aktuell beim Industire-Unternehmen Tubacex in Amurrio (3). Aus Tradition sind nach wie vor viele PNV-Leute Mitglied bei ELA, was von Zeit zu Zeit zu bitterer Polemik führt. Denn ELA kritisiert in scharfen Tönen die neoliberale Wirtschaftspolitik der PNV: Privatisierung, Unternehmenspolitik, Sparmaßnahmen. Im Folgenden das Interview mit dem ELA-Generalsekretär in der konservativen Tageszeitung El Correo (1).
INTERVIEW MITXEL LAKUNTZA
Frage: Auf dem ELA-Kongress haben Sie ein schwieriges Jahr angekündigt. Was wird das bedeuten?
Mitxel Lakuntza: Ich erwarte ein konfliktreiches Jahr, aber für uns ist Konflikt nicht negativ. Negativ ist der Missbrauch, die Arbeits-Prekarität und die Annahme, dass wir das nicht umkehren könnten. Für uns gibt es ein Leben, wenn Menschen sich erheben, Forderungen stellen und sich organisieren. Streiks und Konflikte eröffnen einen Horizont von Möglichkeiten, der uns durch Schweigen oder Unbeweglichkeit keinesfalls gegeben wäre. Wenn wir uns den Kalender anschauen, stehen im nächsten Jahr viele sektorale Tarifverhandlungen an: Metall in Bizkaia, Grafik in Gipuzkoa, alle Altersheime und der Handel. Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die darauf hinweisen, dass der Verbraucher-Preis-Index VPI aktualisiert werden muss, selbst in bereits unterzeichneten Tarifverträgen.
Frage: Der Arbeitgeberverband Adegi in Gipuzkoa hat vorgeschlagen, nur die Hälfte des VPI-Kosten-Anstiegs zu übernehmen und diesen im folgenden Jahr auszugleichen, da die derzeitige hohe Inflation nur vorübergehend sei. Was halten Sie davon?
Mitxel Lakuntza: Wir haben Vereinbarungen und Tarifverträge, es gibt einen unterzeichneten VPI, der angewendet werden muss. Wir fordern ganz schlicht, dass unterzeichnete Vereinbarungen eingehalten werden.
Frage: Doch angesichts der andauernden Covid-Pandemie, der schleppenden Überwindung der Krise und der aktuellen Probleme mit den Energie- und Rohstoffpreisen könnten viele Unternehmen in Schwierigkeiten geraten. Ist die Verteidigung des VPI unverhandelbar?
Mitxel Lakuntza: Unabhängig von der wirtschaftlichen Konjunktur hören wir immer die gleichen Argumente. Die Arbeitgeber sagen seit 20 Jahren das Gleiche. Das ist merkwürdig, sie sind nicht besonders innovativ. Hier gibt es immer eine Offensive gegen die Löhne, sie stellen die Unternehmens-Gewinne nicht in Frage. Wir werden die Vereinbarungen verteidigen, die mit der den alten VPI-Daten unterzeichnet wurden. Wir werden die Löhne und Gehälter verteidigen, weil sie ein wichtiger Bestandteil einer qualitativ hochwertigen Beschäftigung sind und weil das Problem des Kaufkraftverlustes vor der Tür steht. Die Menschen hier müssen verstehen, dass Strom, Hypotheken, Benzin teurer werden. Das Einzige, was nicht steigt, sind die Löhne. Ist es das, was die Menschen verstehen müssen? Das ist das Letzte, was eine Gewerkschaft vermitteln wird.
Frage: Der Bericht, der auf dem ELA-Kongress verabschiedet wurde, legt großen Wert auf die Lohn- und Geschlechter-Unterschiede in den feminisierten Sektoren. Ist dies der neue Weg für die Gewerkschaft, um zu wachsen?
Mitxel Lakuntza: Unsere Strategie ist die Bekämpfung der Prekarität, und das ist umfassend. Wir nehmen das Lohn- und Geschlechtergefälle als spezifisches Thema auf, weil es so gravierend ist. Dies steht in engem Zusammenhang mit unseren Überlegungen zur Pandemie und den entsprechend wichtigen Sektoren: Pflegepersonal, Altersheime, Reinigung, Handel. Dabei wird klar, dass alles Wesentliche prekär strukturiert ist und immer das Gesicht einer Frau hat. Was die Mitgliedschaft betrifft, vor allem Frauen kommen zu uns, wir liegen bereits bei 46% Frauenanteil und ich hoffe, dass wir bald die Parität erreichen.
Frage: Die Arbeitgeber und die baskische Regierung erheben schwere Vorwürfe gegen ELA wegen Streiks wie bei Tubacex, der fast acht Monate andauerte. ELA wird dafür verantwortlich gemacht, neue Investoren abzuschrecken.
Mitxel Lakuntza: Das ist noch so ein klassisches Argument. Historisch gesehen war das Baskenland schon immer stärker industrialisiert, aber es ist eine Tatsache, dass die Industrie an Gewicht verliert. Die baskische Regierung versucht, ihren Mangel an Industriepolitik zu verbergen, indem sie diese Art von Argumenten zugunsten der Arbeitgeber benutzt, um die Aufmerksamkeit abzulenken. Die Tatsache, dass die Unternehmer-Verbände uns mit ETA oder der sizilianischen Mafia vergleichen, ist im Grunde ein Zeichen dafür, dass sie den demokratischen Charakter der Gewerkschaften nicht akzeptieren. In einer Demokratie gibt es Gewerkschaften, die eine Rolle spielen, Streik ist ein demokratisches Instrument. Sie sagen, sie brauchen Rechtssicherheit ... doch was sie verlangen, ist rechtlich unbegrenzten Spielraum, damit sie tun können, was sie wollen, ohne dass jemand einschreitet. Und die letzte Grenze stellen heute Gewerkschaft dar. Bei Tubacex in Araba wurden 129 Arbeiter in die Wüste geschickt, doch nach dem erfolgreichen Streik arbeiten sie wieder. Dafür ist die Gewerkschaft nützlich.
Frage: Haben sich die Beziehungen zur Gewerkschaft LAB nach der Intervention von Garbiñe Aranburu auf dem ELA-Kongress und einer anschließenden gemeinsamen Demonstration verbessert? (4)
Mitxel Lakuntza: Garbiñe Aranburu hat bei unserem Kongress gesprochen, weil wir sie eingeladen haben, weil LAB die wichtigste mit uns verbündete Gewerkschaft ist. Auch wenn Dinge manchmal nicht so laufen, wie wir es uns wünschen, werden wir nicht nach Alternativen zu diesem Bündnis suchen. Es ist von großem Nutzen, dass wir zusammenarbeiten, wenn wir können. In einigen Fragen, in denen wir unterschiedliche Positionen vertreten, wird ELA sich nicht zurückhalten.
Frage: Wie beurteilen Sie die Unterstützung der linken Koalition EH Bildu für den Haushalt der baskischen Regierung?
Mitxel Lakuntza: Für uns ist diese Vereinbarung im negativen Sinne schwerwiegend. Es gab keine strukturelle Veränderung im Haushalt. Die politische Schlussfolgerung ist ganz klar: Dies ist ein Triumph für die regierenden Christdemokraten, denn es ist ihnen gelungen, EH Bildu dazu zu bringen, ihr Wirtschafts- und Sozialmodell zu akzeptieren. Hier geht es um den Verzicht von Opposition und die Absage an die Verteidigung eines alternativen Modells.
Frage: Es entsteht der Eindruck, dass ELA allein gelassen wird als radikalster Teil der Linken ...
Mitxel Lakuntza: Es scheint, dass Einsamkeit ein Synonym für Minderheit ist ... doch das täuscht gewaltig. Zunächst einmal sind wir eine Gewerkschaft mit 100.000 Mitgliedern, die größte Gewerkschaft in diesem Land. Wir liegen bei 40% der Vertretung in den Betriebsräten. Das Problem ist nicht, dass ELA weiterhin dieselben Positionen vertritt. Das Problem ist, dass andere versuchen, das neoliberale Modell der PNV zu assimilieren.
Frage: Wie wollen Sie den Weg zu einer unabhängigen Republik einschlagen?
Mitxel Lakuntza: Um unser sozialistisches, feministisches, gleichberechtigtes und ökologisches Projekt voranzubringen, ist es wichtig, einen eigenen Staat zu haben. Wir wissen sehr wohl, dass es heute keine Mehrheit für die Unabhängigkeit in diesem Land gibt, aber das muss morgen nicht mehr unbedingt so sein. Und dafür werden wir uns einsetzen.
ANMERKUNGEN:
(1) “ELA defiende que los convenios deben subir con el IPC y si no, habrá huelgas“ (ELA verteidigt den Anstieg der Löhne nach der Preissteigerungsrate, wenn nicht gibt es Streiks) Tageszeitung El Correo, 2021-12-05 (LINK)
(2) Geschichte von ELA, Wikipedia (LINK)
(3) “236 Tage im Streik – Ein Exemplarischer Ausstand“, Streik bei Tubacex, Amurrio 2021, Baskultur.info, 2021-10-11 (LINK)
(4) Garbiñe Aranburu ist seit 2017 Generalsekretärin der 1974 (noch im Franquismus) gegründeten abertzalen Klassengewerkschaft LAB (Langile Abertzaleen Batzordea, Vereinigung patriotischer Arbeiter*innen). LAB ist mit 45.000 Mitgliedern die zweitstärkste Gewerkschaft im Baskenland, sie ist organischer Teil der baskischen Unabhängigkeits-Bewegung und war seit Ende des Franquismus eng verbunden mit der linken abertzalen Wahlkoalition Herri Batasuna, heute Euskal Herria Bildu.
ABBILDUNGEN:
(*) Mobilisierung ELA (FAT)
(Alle Abbildungen stammen aus dem FOTO-ARCHIV-TXENG)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-12-09)