amnesie1Franquisten in Alarm-Stimmung

Die Regierungsbildung im spanischen Staat hat die post-franquistische und neo-faschistische Rechte auf den Plan gerufen. Weil der Sozialdemokrat Sanchez mit baskischen und katalanischen Linken und Rechten eine Mehrheit bastelt, sieht die Ultrarechte den Fortbestand des Staates in Gefahr. Krawallmeuten ziehen zum PSOE-Sitz in Madrid. Im Mittelpunkt des faschistischen Ärgers (Feijoos PP mit VOX und gestandenen Neonazis) steht eine Amnestie für die katalanischen Unabhängigkeits-Aktionen von 2017.

Weil die sozialdemokratische PSOE bereit ist, im Zusammenhang mit der Unabhängigkeits-Erklärung Kataloniens ein Amnestie-Gesetz zu verabschieden, zum Preis einer Regierungs-Unterstützung, holt die post- und neo-franquistische Rechte zum Schlag aus. Unterstützt von Teilen der Justiz.

Dass Anhänger der postfranquistischen PP und der neo-franquistischen VOX-Partei zum Sturm auf die Parteizentrale der PSOE in Madrid geblasen haben, ist nur ein Teil des politischen Panoramas in der spanischen Hauptstadt. Auch die nach der Diktatur nie erneuerte Justiz zieht am Strang in die repressive Vergangenheit und stellt neue Galgen auf.

amnesie2Ein Richter des Polit-Gerichts Audiencia Nacional zog den Joker des “Terrorismus-Vorwurfs“ gegen den Ex-Ministerpräsidenten Puigdemont – “Terrorismus“ ist nämlich nicht amnestierbar. Sechs Jahre kam niemand auf eine solch absurde Idee, doch die Not macht bekanntlich erfinderisch und katapultiert alle Arten von juristischen Taschenspieler-Tricks auf die politische Tagesordnung. Daneben erhob die höchste juristische Kontroll-Instanz des Staates (Consejo General del Poder Judicial – Allgemeiner Rat des Justizwesens, derzeit mit PP-Mehrheit) Einspruch gegen das derzeit verhandelte Amnestie-Gesetz, von dem noch nicht einmal ein Entwurf vorliegt. Vorverurteilende Justiz.

Nach den Krawallen versucht die rechte Presse zwar, die rechten Aufläufe zu verniedlichen und den Hass einer Handvoll verrückter Neonazis in die Schuhe zu schieben. Den Ultras ginge es gar nicht um eine mögliche Amnestie in Katalonien, sondern generell um eine Wiederholung der linksliberalen Regierung. Doch Fotos der Mobilisierungen sprechen eine andere Sprache. Wie immer werden verbotene franquistische Symbole vorgezeigt, faschistische und xenophobe Parolen sind zu hören – die Amnestie wird mit Namen genannt. Mit dem Schutz des angegriffenen Parteisitzes beauftragt ist die National-Polizei (Policia Nacional), die nicht eben den Ruf einer demokratisch-liberalen Einheit genießt. Denn ihr wie auch der Guardia Civil wird eine starke ideologische Nähe zu den Faschisten von VOX nachgesagt. Die legendäre Geschichte vom Bock, der zum Gärtner gemacht wird.

Die PP ist weit davon entfernt, sich von den faschistoiden Krawallen zu distanzieren, im Gegenteil. Der erst zwei Tage zuvor bestimmte neue baskische PP-Chef sprach von einer “gesunden Haltung“, die hinter den Protesten stehe. VOX rief direkt zu den nicht angemeldeten Mobilisierungen auf und wies die Polizei an, “illegalen Anweisungen und Befehlen nicht Folge zu leisten“ – nichts anderes als Putschisten-Rhetorik. Dazu schreibt Ralf Streck in der Tageszeitung Neues Deutschland:

Vor dem Sitz der sozialistischen Partei (PSOE) in Madrid protestieren rechte Demonstranten gegen ein Abkommen zur Regierungsbildung zwischen der PSOE und den spanischen Separatisten. Nach mehreren Nächten, in denen Parteibüros der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) von ultrarechten Protestlern belagert wurden, kam es am Montag zum Krawall vor der PSOE-Zentrale in Madrid. Nachdem die Polizei tagelang untätig blieb, ging sie zaghaft gegen Angriffe von gut 3.500 Rechtsextremen vor. Die versuchten, Absperrungen zu durchbrechen, um die Parteizentrale zu stürmen. Dabei wurden drei Personen festgenommen. (1)

amnesie3Offiziell richtet sich der über soziale Netzwerke mobilisierte Aufruhr gegen eine geplante Amnestie für die Vorgänge um das Unabhängigkeits-Referendum in Katalonien 2017 – eine Bedingung der katalanischen Unabhängigkeits-Parteien, um die erneute Regierungs-Bildung von Pedro Sánchez zu ermöglichen. Angeführt wurde die Meute in der Hauptstadt vom Vizepräsidenten der autonomen Gemeinschaft Kastilien und Léon, Juan García-Gallardo (Vox). In einigen Regionen (Aragon, Rioja, Kastilien, Balearen, Andalusien, Extremadura) regiert die rechte Volkspartei (PP) mit Unterstützung der Anhänger der Franco-Diktatur.

Aber auch PP-Anhänger waren bei den Protesten. Das Ex-Führungsmitglied der PP Esperanza Aguirre rief Demonstranten dazu auf, die Straße zu blockieren. PP-Chef Alberto Núñez Feijóo kündigte derweil landesweite Proteste für den Sonntag an. Die Amnestie bezeichnete er als “Angriff auf den spanischen Staat“, welcher von “beispiellosem Ausmaß in der Geschichte der Demokratie“ sei. (1) (Erinnert sei an dieser Stelle, dass kurz nach dem Tod Francos 1977 ein Amnestie-Gesetz beschlossen wurde, das eine Verfolgung aller Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Diktatur bis heute unmöglich machte.)

Der Chef der rechtsextremen Vox-Partei, Santiago Abascal, war ebenfalls am PSOE-Sitz. Der Ultra-Chef kündigte eine Klage gegen das “offensichtlich verfassungswidrige“ Gesetz an, das es bisher nicht einmal gibt, da darüber noch mit dem katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont in Belgien verhandelt wird.

Mit einer Schutzklage wollen die Ultras dessen Behandlung im Parlament verhindern. Dabei können sie sich auf den zweifelhaften Vorgang berufen, mit dem das damals von PP-Richtern dominierte Verfassungsgericht einst Gesetzes-Debatten im katalanischen Parlament verboten hat. Die ehemalige Parlaments-Präsidentin Carme Forcadell wurde wegen angeblichen Aufruhrs zu 11,5 Jahren Haft verurteilt. Sie hatte die Debatte mit Verweis auf die Parlaments-Autonomie und Gewaltenteilung zugelassen.

Sogar Putsch-Aufrufe zirkulieren schon in Polizeizentralen und Kasernen der paramilitärischen Guardia Civil. Diese war federführend am letzten Putsch von 1981 in Spanien beteiligt. In einem “Brief des Volkes an die Streit- und Sicherheitskräfte“ wird eine Antwort der “Armee, der Guardia Civil und der Nationalpolizei“ angesichts einer “erbärmlichen und völkermörderischen Aktion“ gefordert. Man habe es mit einer “nie dagewesenen Katastrophe“ zu tun, die zum “Zerbrechen des Vaterlandes über den Separatismus“ führe. Man kennt diese Rhetorik vom Putsch 1936 gegen die Republik, mit dem das Land in den Bürgerkrieg gestützt wurde, auf den bis 1975 die Franco-Diktatur folgte. (1)

amnesie4Bekannt sind solche Phrasen auch vom Putsch-Versuch von 1981, der dann auf wundersame Weise vom König von Francos Gnaden “neutralisiert“ wurde. In eher frischer Erinnerung sind die “Panzer-auf-die-Straße“-Phantasien der spanischen Ultra-Nationalisten während des Versuchs der katalanischen Linken und Rechten, vor sechs Jahren eine katalanische Republik auszurufen. Sanchez war als Regierungschef zuletzt vier Jahre lang damit beschäftigt, die alten Wogen mit den Unabhängigkeiten-Kräften zu glätten. Nicht zuletzt deshalb, weil er nur mit ihnen eine Parlaments-Mehrheit in Madrid und sein eigenes politisches Überleben sichern konnte.

Eine weitere Geschichte wiederholt sich: Wie vor 87 Jahren (1936) halten heute die regionalistischen Kräfte in Katalonien und im Baskenland – linksliberal wie rechts – zur republikanischen Zentralkraft. Das hält im ultranationalistischen spanischen Staat, der den Franquismus nie aufgearbeitet hat und nie aufarbeiten wollte, keine Sau aus. Fremd dürfte der post- wie neo-franquistischen Rechten der Sachverhalt „Amnestie“ auf keinen Fall sein. Jahrzehnte lang – unter den Vorzeichen einer von den alten Herren der Franco-Riege bewachten “Demokratie“ – wurden Polizeifolterer, Mörder in Uniform und Organisatoren von Todesschwadronen begnadigt, befördert oder eben amnestiert. Nun werfen die im Glashaus sitzen mit Steinen, in der Hoffnung auf das schlechte Gedächtnis der Bevölkerung. Auf die Mainstream-Medien kann sich diese Rechte jedenfalls verlassen.

ANMERKUNGEN:

(1) “Rechter Krawall gegen Regierungsbildung in Spanien“ Neues Deutschland, Autor: Ralf Streck, 2023-11-07 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Neonazis in Madrid (elcorreo)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-11-08)

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