sani001Im Windschatten der Pandemie

Baskenland: Beschäftigte kämpfen gegen Rückbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Nach den Mobilisierungen im Februar organisierten die Gewerkschaften ELA, LAB, SATSE und ESK, sowie CCOO und UGT am vergangenen Freitag zum dritten Mal einen eintägigen Ausstand der Beschäftigten bei Osakidetza, dem Gesundheitsdienst der Autonomen Gemeinschaft Baskenland. Der Schwerpunkt lag im Bereich der Primärversorgung. Laut Angaben der aufrufenden Gewerkschaften beteiligten sich mehr als 50% der Beschäftigten.

Die Streiks gegen weitere Kürzungen und Schließungen im baskischen öffentlichen Gesundheitsdienst hatten ihren Schwerpunkt in den drei Provinzhauptstädten Gasteiz, Donostia und Bilbo. Unterstützt wurden die Streikenden wieder von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, darunter beispielsweise die Bewegung der Rentnerinnen und Rentner.

Die Lage sei “sehr ernst”, mahnte Eneko Pascual, Vertreter der Gewerkschaft LAB, am Wochenende (10.04.2022) gegenüber der Tageszeitung Berria und beklagte, die Verhandlungen mit der Regierung seien ins Stocken geraten. Die derzeitige Zahl der Ärztinnen und Ärzte reiche nicht aus. In einigen Ambulanzen seien nur 25 Prozent der zugelassenen Arztstellen tatsächlich besetzt. Jedes Jahr gingen 2.200 Mitarbeiter in den Ruhestand – und es werde kein neues Personal eingestellt. Diese Situation sei unerträglich für Beschäftigte wie für Patient*innen.

Esther Saavedra, Sprecherin der Gewerkschaft ELA, pflichtete ihm auf der Abschluss-Kundgebung in Bilbao bei: “Der Zustand in der Primärversorgung ist besonders ernst und werde sich verschlechtern, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden”. Amaia Mayor, Mitglied der Gewerkschaft SATSE (Gesundheits-Bereich), mahnte in ihrem Redebeitrag eine dringende Entlastung des Personals an, das gerade durch die Pandemie dauerhaft überlastet sei. Die Geschäftsführung der von der baskischen Regierung abhängigen Osakidetza-Behörde müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass diese “Belastung die Qualität der Dienstleistung beeinträchtigt”.

sani002aAna Vázquez, Vertreterin der (sozialdemokratischen) Gewerkschaft UGT, entwarf ein düsteres Bild der näheren Zukunft: Osakidetza habe seine Probleme jahrelang geleugnet. Ein weiteres Jahr werde der Gesundheitsdienst im Sommer seine Öffnungszeiten einschränken müssen. Statt den öffentlichen Gesundheitsdienst weiter kaputtzusparen und immer mehr Bereiche zu schließen und zu privatisieren, forderte sie, unverzüglich mehr Personal einzustellen und mehr finanzielle Mittel, um den Gesundheitsdienst besser ausstatten zu können.

Alle gewerkschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter forderten die Verantwortlichen von Osakidetza auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Diese hätten nach den Streiks im Februar nicht einmal die Bereitschaft gezeigt, über die Art und Weise von Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu sprechen. Die Leitung von Osakidetza sei nicht bereit zu verhandeln, sondern mache nur Propaganda, so Saavedra im Gespräch mit Berria.

Die Gewerkschafts-Vertreterinnen verlangten konkrete Schritte von der Politik sowie den sofortigen Rücktritt von Gesundheits-Senatorin Gotzone Sagardui von der christdemokratischen (neoliberalen) PNV. Statt die prekären Arbeitsbedingungen der Beschäftigten von Osakidetza zu beseitigen, kümmere sich Sagardui um die Umbenennung öffentlicher Plätze.

(So wurde vor einigen Wochen ein bisher namenloser Platz in der Innenstadt medienwirksam auf den Namen "Platza der Gesundheitsarbeiter" getauft. Vor wenigen Tagen änderten Gewerkschafts-Aktivist*innen diesen Namen in "Platz des Vergessenen Personals von Osakidetza". Sagardui war die Ersatzfrau der ersten in der Pandemie für Osakidetza verantwortlichen Senatorin. Schnell bekannt wurde sie, als sie in einem parteiinternen Kompetenzstreit in den Medien dreiste Lügen erzählte.)

Die Gewerkschafts-Vertreter*innen verwiesen auch auf Streiks in den kommenden Wochen. So soll am 16. Mai 2022 in weiteren Bereichen des Gesundheitsdienstes gestreikt werden. Ana Tere Álvarez von LAB erinnerte daran, dass die Reinigungskräfte von Osakidetza in diesen Tagen ebenfalls gegen die (beabsichtigte) Privatisierung ihres Bereichs streiken.

Der Streik der Lkw-Fahrer ging unterdessen zu Ende. Seit Ende vergangener Woche wird im Hafen von Bilbao – einem der Zentren des Streiks – wieder gearbeitet. Die Mitglieder der baskischen Transportarbeiter-Gewerkschaft Hiru und der Vereinigung der Transport-Kleinunternehmer Tradisna hatten mit knappen Mehrheiten für die Beendigung des Streiks votiert. In ihren Erklärungen begrüßten sie “die Sichtbarkeit des Problems in der Öffentlichkeit, die starken Mobilisierungen sowie die Dialogbereitschaft der Regierungen Navarras und der Autonomen Gemeinschaft Baskenland”. Sollten die Zusagen der Regionalregierungen nicht umgesetzt werden, schlossen Hiru und Tradisna weitere Mobilisierungen jedoch nicht aus.

Anmerkungen:

Das Besondere an diesem Streik gegen den Gesundheits-Notstand ist die Tatsache, dass sich alle relevanten Gewerkschaften beteiligen und einig sind, dass die ohnehin schlimme Situation sich weiter verschlechtern wird, wenn nicht auf politischer Ebene einschneidende Maßnahmen ergriffen werden.

sani003Wie in Frankreich oder Italien sind die Gewerkschaften im sopanischen Staat bzw. im Baskenland nicht unter einem organisatorischen Dach zusammengefasst (wie etwa dem DGB in Deutschland), vielmehr sind sie nach regionalen und ideologischen Kriterien aufgefächert. Die staatsweit operierenden Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO, ehemals kommunistisch) und die historische Unión General de Trabajo (UGT, ehemals sozialistisch, heute sozialdemokratisch) gelten weitgehend als Anhänger von Sozialpakten, bei denen häufig Arbeitnehmer-Interessen verkauft werden, zuletzt bei der “Reform der neoliberalen Arbeitsreform“, bei der CCOO mit den Arbeitgebern und Podemos einen völlig unzureichenden Kompromiss aushandelte, der erneut auf Kosten der Rechte von Arbeitnehmer*innen ging.

Bei Streiks werden nur jene Gewerkschaften aktiv, die in den jeweiligen Betrieben ausreichend Mitglieder haben. Häufig enden Streiks damit, dass ein Teil der beteiligten Gewerkschaften Verhandlungs-Kompromissen zustimmt, andere jedoch nicht. Die baskischen Gewerkschaften ELA, LAB, ESK, STELAS, HIRU oder SATSE (für den Gesundheitsbereich) sind als kämpferisch, nationalistisch und wenig paktanfällig bekannt. Sie nehmen zum Beispiel nicht an den ständigen Diskussionsrunden zwischen Arbeitgeberverbänden, Regierung und Gewerkschaften teil, wo unter anderem Bildungsgelder verteilt werden.

Zum Gesundheitsbereich: Tatsache ist, dass die baskische Regierung einerseits verantwortlich ist für den existierenden Personalnotstand und andererseits einer schleichenden Privatisierung Vorschub leistet. Eine Grundversorgung nach Stadtvierteln ist zwar generell gewährleistet, viele spezielle Untersuchungen und Behandlungen werden jedoch aussortiert und privaten Organisationen oder Unternehmen überlassen (Rotes Kreuz, IMQ). In vielen Fällen sind sich die betroffenen Patienten nicht einmal bewusst, dass sie von Osakidetza an die Privaten übergeben werden, die – ohne Einverständnis der Betroffenen – über persönliche Daten der Patient*innen verfügen.

Privatisierung ist somit nicht nur eine Angelegenheit derer, die sich gezielt privat versichern. Mittels der Überlassung von speziellen, eigentlich öffentlichen Dienstleistungen sind letztendlich alle Patient*innen betroffen. Das öffentliche System wird mehr und mehr auf ein immer schlechter werdendes Basisnetz reduziert, bei dem die Bevölkerung nicht einmal die Möglichkeit hat, eine Ärztin des Vertrauens zu wählen.

ANMERKUNGEN:

(1) “Streiks gegen Gesundheits-Notstand“, Tageszeitung Junge Welt, 12.04.2022, Autor Jan Tillmanns (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Gesundheits-Notstand (FAT)

(2) Gesundheits-Notstand (FAT)

(3) Gesundheits-Notstand (FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-15)

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