bdp01Bericht Bildungsfahrt Baskenland

Bilbo. Ein Sonntag Abend Ende August. Nach knapp zweitägiger Fahrt schlendern wir müde von der Fahrt über die alternative Fiesta. Wir bewundern die phantasievoll gestalteten Stände. Da gibt es einen Stand mit einer überdimensionierten Asterix-Figur. Das gallische Dorf im Baskenland?!? Dieser und vielen anderen Fragen wollen wir gemeinsam mit unseren baskischen Freundinnen in den näxten Tagen nachgehen. (Bericht einer Reisegruppe aus Hessen im Sommer 2015: Oradour, Bilbo, Gernika, Elgeta, Lekeitio)

Nachdem einige von uns das Baskenland bereits in den letzten Jahren eher touristisch bereist haben, entstand in einer kleinen Gruppe vor ca. zwei Jahren die Idee, eine Bildungsreise zu planen, um mit Menschen vor Ort einen Austausch herzustellen, sowie einen fundierten Einblick unter die Oberfläche, also in den politischen, sozialen und historischen Prozess zu gewinnen. Mit der finanziellen Unterstützung des Bund Deutscher PfadfinderInnen, der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sowie der Partei Die Linke konnten wir unser Projekt nun in diesem Jahr realisieren.

Euskal Herria – das Land der Baskisch Sprechenden, ein Land, geteilt in zwei Teile, ein Land, in dem rund 20% links-(radikal) wählt, von bunter Musikkultur, aber auch trauriger Geschichte mit Flucht, Massenerschießungen, „Kriegsübungsplatz“ für Nazi-Deutschland, sowie Folter und Repression bis in die Gegenwart.

Nach einem Zwischenstopp in Frankreich mit Besuch der Gedenkstätte in Oradour-sur-Glane erreichten wir nach einigem Kreuz- und Quer durch die Bilbo-Innenstadt schließlich unser erstes Basiscamp – das Stadtteilzentrum „La Kultur“. Dort werden wir herzlich von unseren Gastgeberinnen begrüßt, laden unsere Sachen aus, versuchen irgendwie einen Parkplatz für unser Gefährt zu finden, um dann schließlich erste interkulturelle Erfahrungen mit der baskischen Feierkultur auf oben beschriebener Fiesta zu machen.

Tag drei: Auf dem Programm steht ein alternativer Stadtrundgang in Bilbo mit Andrea und Klaus. Einigen von uns fällt das Aufstehen nach dem Vorabend sichtlich etwas schwer. Unsere Guides Andrea und Klaus leben seit vielen Jahren in Bilbo. Sie sind Mit-Initiatorinnen unseres Partners Baskale, der seit mehreren Jahren unterschiedliche Projekte im Bildungsbereich organisiert.

Im Verlauf des Rundgangs geben sie uns einen Überblick zur historischen Entwicklung Bilbaos von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole, zur Entstehung der Arbeiterinnen- und baskischen Unabhängigkeitsbewegung, als auch zu aktuellen sozialen Kämpfen gegen Gentrifizierung.

Zum Abschluß der Wanderung kehren wir in eine der vielen „Herrikos“ ein. Die „Herrikos“ sind größtenteils ehrenamtlich betriebene Kneipen von Leuten aus der abertzalen – also baskischen – Linken, in denen mensch für kleines Geld Trinken und Essen kann. Ein Netzwerk von Herrikos überzieht den gesamten spanischen Teil des Baskenlands. Wie viele andere soziale Organisationen der abertzalen Linken schwebt derzeit ein Verbotsverfahren des spanischen Staats über den Herrikos. Begründung: Unterstützung der Organisation mit den drei Buchstaben, die vor ca. drei Jahren einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hat.

Nach einer weiteren eher kürzeren Nacht führt uns der Weg am kommenden Morgen in südliche Richtung raus aufs Land. Baranbio ist ein kleiner Ort, der während des Spanischen Bürgerkriegs an einer wichtigen Verteidigungslinie – dem sogenannten Eisengürtel – zur Verteidigung Bilbos lag. Bei strahlendem Sonnenschein und zunehmender Hitze machen wir uns mit Schippen und Hacken bestückt den Berg hinauf. Ziel ist ein Berggipfel mit Kapelle, bei der wir auf Bewohnerinnen des Dorfes treffen. Sie erzählen uns von der Situation während und nach dem Krieg. Neben der geografischen Front verlief diese auch mitten durch Familien und Dorfgemeinschaften, die bis weit nach Ende des Krieges reichten. Betroffenes Schweigen tritt nach und nach ein. Vielerorts beginnt wie auch erst jetzt – viele Jahre später – der Austausch und die Aufarbeitung dieser Zeit.bdp02

Gemeinsam mit unseren Partnerinnen richten wir im Anschluss nachdenklich mit dem mitgebrachten Werkzeug eine Stellung her, an dem internationale Freiwillige für die spanische Republik und ein unabhängiges Baskenland gestritten haben. Symbolisch für all diese Menschen bringen wir an dieser Stelle wir eine Plakette für den Spanienkämpfer Fritz Teppich an, der an diesem Frontabschnitt stationiert war.

Auf mehrere Tage Großstadthitze folgt der Wechsel an die angenehm klimatisierte Atlantikküste. Lekeitio, ein malerisches Küstenstädtchen mit Blick direkt vom Zeltplatz auf den Atlantik. Auf Polittag folgt ein Kulturtag. Besuch des bemalten Oma-Walds, Höhlenmalereien in der Santamine-Höhle, Wanderung zur Kapelle San Juan de Gaztelugatxe im Meer. Am Abend Sonnenuntergang am Meer mit Blick auf die AKW-Ruine Lemoiz incl. Geschichten aus den Protestzeiten in den 80ern.

Das Gernika-Bild von Pablo Picasso ist weltweit bekannt. Gernika wurde während des Spanischen Bürgerkriegs von der deutschen Legion Condor durch ein Flächenbombardement vollständig zerstört. Ein großer Teil der Bevölkerung kam bei der Bombardierung ums Leben. Während des Franco-Faschismus konnte kein Gedenken an das Ereignis stattfinden. Erst nach Ende der Diktatur wurde ein öffentliches Erinnern möglich, genauso wie eine konkrete Aufarbeitung der Ereignisse. Mittels einer Führung und eines Museumsbesuchs durch unsere Partner wird uns nach und nach das ganze Grauen der Zerstörung vor Augen geführt. Mit Zeitzeugen sprechen wir über die Zeit des Franquismus, über Familienangehörige, die unbekannt verschwunden sind, den Widerstand und den Kampf um die Erinnerung. So auch um Picassos Bild, das noch immer in Madrid steht.

Die Tage vergehen wie im Flug. Schließlich ist der Abreisetag erreicht und wir fahren mit unseren PartnerInnen auf die letzte Teiletappe der Reise nach Gurs in den französischen Teil des Baskenlandes. So schlagen wir einen ähnlichen Weg ein, wie rund 80 Jahre zuvor viele Menschen, die zum Ende des Bürgerkriegs vor dem siegreichen Faschismus die Flucht als einzigen Ausweg betrachteten, um dann hinter den Pyrenäen in einem Lager wie Gurs interniert zu werden.

In mehreren Phasen wurden in Gurs zunäxt Spanienkämpferinnen, dann französische Linke und jüdische Menschen aus Deutschland vor Deportation in die Vernichtungslager interniert. Der Himmel wirkt grau und trist. Ein Sturm zieht auf. Am näxten Morgen krabbeln wir aus unseren Zelten. Der Herbst ist da. Abschied nehmen von uns in den letzten Tagen lieb gewonnen Menschen, Heimreise und Melancholie sind angesagt.bdp03

Wir haben in diesen Tagen einen intensiven Blick in das Leben, die Geschichte und Konflikte von Menschen nehmen können, was uns sehr stark bewegt hat, viele Antworten gegeben hat, aber auch viele neue Fragen aufgeworfen hat. Eine Geschichte, deren Konflikt bis in die Gegenwart fortbesteht. Einige Wochen nach unserer Fahrt wurde der Baske Tomas Elgorriaga Kunze – ein Mitarbeiter der Uni Freiburg – wegen seinem Engagement für die abertzale Linke unter Terrorismus-Verdacht von Deutschland an Frankreich ausgeliefert. Mit der Internationalismus-Gruppe Askapena wurde gegen eine weitere Gruppe ein Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eröffnet, der Ausgang ist noch unklar.

FOTOS:

(*) Gernika, Europa-Park, Skulptur von Eduardo Chillida „Unseres Vaters Haus“

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