Commissaire Verlain wird gehetzt
Der Kriminal-Roman “Baskische Tragödie“ von Alexander Oetker zieht sich von Nord nach Süd durch das Baskenland. Commissaire Luc Verlain treibt es zur Auflösung des Falls von Bordeaux über Biarritz nach San Sebastian. Ausgangspunkt ist ein Drogenfund an der Atlantikküste mit verhängnisvollen Folgen. Doch wird aus dem kriminellen Fall mit der Zeit ein persönlicher Fall des Commissaires. Vom polizeilichen Verfolger wird er zum Verfolgten, vom Aufklärer zum Opfer von undurchsichtigen Mafia-Strukturen.
Alexander Oetkers vierter Aquitaine-Krimi “Baskische Tragödie“ spielt erst im französichen und dann im spanischen Baskenland. Was das spezielle Interesse von Baskultur.info weckt. Ein Drogenfall wird zur Entführung und handelt weitgehend im Seebad Donostia (San Sebastian). Der bei Hoffmann und Campe erschienene Krimi spielt gerne mit der fast schon legendären baskischen Gastronomie.
Aquitaine-Krimireihe
Luc Verlains Commissaire-Karriere beginnt eigentlich in Paris, von wo er sich aus persönlichen Gründen in seine Heimatstadt Bordeaux versetzen lässt. Dort beginnt der vorliegende Krimi mit dem Titel “Baskische Tragödie“. Ziemlich schnell verlagert sich das Geschehen von Bordeaux aus in südlicher liegende baskische Gefilde.
An den Stränden des Atlantik werden unbekannte Pakete angespült, deren Inhalt sich als hochwertiges Kokain herausstellt. Ein im Sand spielendes Kind probiert neugierig davon und fällt ins Koma. Luc Verlains Team mit der Kollegin Anouk Filipetti und den Kollegen Hugo Pannetier und dem Basken Gilen Etxeberria übernehmen die Ermittlungen. Aus dem einzelnen Kokain-Paket wird eine ganze 100-Kilo-Ladung unbekannten Ursprungs. Das Besondere: der Stoff ist ungewöhnlich rein. An einen vergleichbaren Fall Jahre zuvor kann sich Etxeberria erinnern.
Lockvogel
Dann geht es Schlag auf Schlag. Verlain erhält eine Botschaft von Unbekannten, die sich offenbar gut mit seiner Vergangenheit auskennen und ihn zu erpressen suchen. Eiligst macht er sich auf den Weg in den Süden, lässt seine Kollegin und Freundin Anouk zurück, die von ihm ein Kind erwartet. Ohne die andern darüber zu informieren, was ihn so zur Eile treibt. Es ist zu persönlich.
Der Weg, der Verlain mit unbekanntem Ziel nach Donostia (San Sebastian) führen soll, endet brüsk auf einer Landstraße bei Biarritz. Der Commissaire wird gestoppt und unter dem Vorwand einer wahnwitzigen Anklage festgenommen: Körperverletzung mit Todesfolge, Entführung und Drogenhandel. Vom Polizeiverfolger ist Verlain innerhalb von Stunden zum Gejagten geworden. Wer steckt hinter dieser Finte?
So überraschend die Festnahme in Biarritz (baskisch: Miarritze), so überraschend seine unkonventionelle “Freilassung“, die in der Presse als Flucht dargestellt wird. Verlain weiß mittlerweile etwas mehr über die Leute, die ihm übel mitspielen. Vor allem aber weiß er jetzt, dass ihm sein Status als Polizist nicht mehr helfen wird. Er ist der Flüchtige, dessen Bild in der Presse und auf Fahndungsbildern erscheint und muss sich verstecken, wo auch immer.
Auf der Flucht
Verlain erkennt Schritt für Schritt, dass die Geschichte, die ihm angehängt wird, von langer Hand geplant ist. Jemand hat seine Geschichte ausgeschnüffelt und eine perfekte Indizienkette gegen ihn zusammengebaut. Dass er von einem Polizisten “freigelassen“ wird, macht die Geschichte noch undurchsichtiger. Mit der Hypothek der Anklage im Nacken hat er nur eine Chance: sich nach San Sebastian durchzuschlagen, um eine Geschichte aufzuklären, von der er nur vage Anhaltspunkte hat. Und keine Kontakte.
Nun beginnt die eigentliche Flucht. Für Luc ungewohnterweise vor der Polizei. Plötzlich ist alles anders als in seinem normalen Berufsalltag. In Biarritz entwischt er den Gendarmen, trampt in den Grenzort Hendaye (baskisch: Hendaia) und kommt über die Grenze. Und sein Team in Bordeaux hat keine Ahnung, was Sache ist – alles was sie wissen, erfahren sie aus der Zeitung. Mit dem Grenzbus erreicht Verlain sein Ziel, Donostia, wie die Bask*innen es nennen, San Sebastian. In der Zeitung liest er zu seiner Bestürzung, dass alle Vorwürfe gegen ihn handfest sind und von der Presse weit verbreitet werden.
Donostia - San Sebastian
Was danach kommt sind billige Hotels in der Concha-Stadt, Prügeleien mit Auftrags-Gorillas, eine unfreiwillige Surfstunde und die omnipräsente süd-baskische Gastronomie. Ein Kommissar der baskischen Polizei, der ihn erkennt, an einer Festnahme aber kein Interesse zeigt, ist Verlains einziger Lichtblick in einem Sumpf von Polizeikonspiration und Überwachung. Auf seinem Irrweg erhält Luc Verlain immer wieder Botschaften, die ihn zum jeweils nächsten Ort im Verfolgungs-Mosaik führen. Der Commissaire wird zu einer Art von “Dr. Kimble auf der Flucht“, der nicht nur einen Kriminalfall auflösen, sondern auch seine eigene Unschuld beweisen muss. Allein gegen alle findet er die definitive Spur, auf der Schwelle des Todes erhält er überraschende Hilfe.
Wiedererkennungswert
Üblicherweise brauchen Kriminalromane keine bekannten Spielorte, meist reicht es, sie in bekannt-berüchtigten Schauplätzen anzusiedeln. Doch es geht auch anders. Wie schon Enzensbergers historische Erzählung “Der kurze Sommer der Anarchie“, lebt auch Oetkers “Baskische Tragödie“ (zumindest für einige der Leser*innen) von der Ortskenntnis von Biarritz oder Donostia. Denn längst ist Lokalkolorit zu einem Markenzeichen geworden, von dem ein Sektor der Krimi-Autor*innen zehrt. Was nicht schlecht ist! Denn der Wiedererkennungswert von Handlungs-Schauplätzen führt natürlicherweise zu einer stärkeren Identifizierung der Leserinnen mit den Akteur*innen und zu einer persönlichen Implikation.
Leseerfahrung
Alexander Oetkers “Baskische Tragödie“ ist eine geradlinige Geschichte ohne viel kriminalistischen oder dem neuerdings so modernen technologischen Krimskrams. Die gentechnischen Analysen besorgt in diesem Fall die dunkle Gegenseite. Kimble-Verlain wird atemlos durch die Landschaft gehetzt, da bleibt wenig Zeit für eine tiefgreifendere Beschreibung der beteiligten Charaktere. Auch nicht für einen breiteren oder komplizierteren Handlungs-Plot.
Die entstehende Oberflächlichkeit wird durch Action wettgemacht. Dabei bleiben potenziell ertragreiche Elemente der Krimi-Reihe auf der Strecke. Verlains Team in Bordeaux kommt fast nicht vor und bezieht seine Informationen aus der Presse. Nicht einmal die Horror-Nachrichten über den Chef lassen die Kolleginnen (im Roman) aktiv werden. Ein Manko. Mit der Ausarbeitung dieser (und anderer) Elemente hätte der Krimi bereichert werden können. Einschränkung: Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, die ersten drei Verlain-Fälle vorher zu lesen, um die Welt der Aquitaine-Krimis besser kennenzulernen.
Klischees
Den baskisch-spanischen Konflikt mit seinen gewaltförmigen Erscheinungen zu verstehen und vernünftig zu analysieren, war noch nie einfach und stand häufig unter dem Einfluss der Medienmächte. Die Krimi-Insinuierungen “Luc kannte die Geschichten“ über die baskische Polizei sind reichlich fragwürdig und bedienen spanische Terror-Legenden. Dass die Ertzaintza ETA Waffen geliefert hätte, geht über das Recht des Autoren, nicht immer bei der Realität zu bleiben, hinaus. Damit wird der Roman-Charakter des Buchs in Frage gestellt, denn was Luc in den Mund gelegt wird (oder in die Gedanken) ist reine Fiktion.
Die Ausführungen lesen sich, als stünde hinter jedem baskischen Polizisten ein spanischer, der ihn kontrolliert. Tatsache ist, dass im Baskenland immer vier Polizei-Einheiten hinter den Aktivisten aus der Unabhängigkeits-Bewegung her waren, die ihre Ermittlungs-Ergebnisse mit den Kollegen der Konkurrenz auf keinen Fall teilten. Auf der französischen Seite die Gendarmerie, auf der Südseite die baskische Ertzaintza und die spanische Polizei. Deren zwei Einheiten – Policia Nacional und die kasernierte paramilitärische Guardia Civil – agieren jeweils als hermetische Gruppen, die auf eigene Verfolgungserfolge aus sind (S.130). Die Ertzaintza folgte diesem Beispiel.
Merci beaucoup
Dankenswerterweise bemüht sich der Autor in seinem Nachspann, noch ein wenig Licht auf die baskische Sprache und Kultur zu werfen. Das machen nicht viele. Doch zeigt sich an solchen Stellen auch, mit welcher Sorgfalt (oder nicht) Beobachtungen gemacht wurden. Bereits im Krimi sah der Commissaire eine baskische Zeitung (Diario Vasco), “von der er kein Wort verstand“. Weil es sich um zwei romanische Sprachen handelt, verstehen Spanier durchaus etwas Französisch und umgekehrt. Der Autor sinniert also, dass Verlain mit baskischer Sprache konfrontiert ist. Doch genau das nicht, denn es gibt nur eine Tageszeitung in baskischer Sprache, BERRIA, nachdem die vorherige Zeitung EGUNON EGUNKARIA von der spanischen Justiz wegen ETA-Vorwurfs geschlossen wurde (zu Unrecht übrigens). Diario Vasco hingegen bedient sich ausschließlich der spanischen Sprache.
Dass “eskerrik asko“ für “vielen Dank“ richtig zitiert ist, freut die Leserin, die neben Deutsch auch Euskara versteht. Zum zitierten baskischen Gruß “ahur, mit hartem ch gesprochen“ wäre anzumerken, dass er nur in einigen wenigen Orten in Iparralde üblich ist, dem nördlichen Baskenland. Im Süden, auch und gerade in Donostia-San Sebastian, benutzt mehr als 90% der Bevölkerung (euskaldune und nicht-euskaldune) den Gruß “agur“ (mit weichem g), der angesichts der verbreiteten baskischen Nicht-Religiosität aber nicht “adiós“ bedeutet, sondern eher “tschüss, ciao, hasta luego“. Feinheiten ... die ins Auge stechen.
Wer nach der Pandemie und nach dem Lesen des Buches die Gelegenheit hat, in Donostia vor Ort nach beschriebenen Schauplätzen zu suchen, sollte sich übrigens bei der Heiligen Klara wenig Hoffnungen auf unterirdischen Zugang machen.
Daten zum Buch
Die Redaktion Baskultur.info dankt dem Verlag für die großzügige Zusendung eines Rezensions-Exemplars (was heutzutage nicht mehr immer üblich ist, für ein kleines Medienprojekt wie Baskultur.Info jedoch unverzichtbar). Buchdaten: “Baskische Tragödie“, Autor: Alexander Oetker. Luc Verlains vierter Fall. Ein Aquitaine-Krimi. Broschiert, 320 Seiten. Verlag: Hoffmann und Campe. Erscheinungsdatum: 07.10.2020. Preis: 16,90 Euro. Schauplätze: Aquitaine, Biarritz (Frankreich), Donostia - San Sebastián, Baskenland.
Weitere Baskenland-Krimis
In der langsam wachsenden Rezensions-Reihe von Baskultur.Info sind zwei weitere Empfehlungen zu finden. Die erste bezieht sich auf das Buch “Der Baske“ von Claus Karst, herausgegeben in der Edition Oberkassel (LINK). Die zweite Rezension geht der seit 2019 im Fischer-Verlag erschienenen Thriller-Trilogie der baskischen Autorin Eva García Sáenz auf die Spur: “Die Stille des Todes“, “Das Ritual des Wassers“ und “Die Herren der Zeit“, drei eindrucksvolle Werke, die in der Euskadi-Hauptstadt Gasteiz-Vitoria angesiedelt sind. (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Buchtitel (FAT)
(2) Miarritze-Biarritz (barcelo.com)
(3) Donostia – San Sebastian (inout viajes)
(4) Donostia – San Sebastian (DSS turismo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-12-21)