Faschisten, Sozialisten und ein Anarchist
Quer über das 20. Jahrhundert verteilt war der 20. November Todestag einer ganzen Reihe von Politikern. Kurz nach dem Militärputsch von 1936 starb der Anarchist Durruti durch eine Kugel. Falange-Führer Primo de Rivera wurde von der Republik hingerichtet, der spanische Diktator Franco starb hingegen im Bett. Sicher nicht zufällig wurde am selben Novembertag 1984 der baskische Politiker Santi Brouard in seiner Arztpraxis erschossen. Den Abgeordneten Josu Muguruza ereilte 1989 dasselbe Schicksal.
Der Anarchosyndikalist Buenaventura Durruti und der Faschist Antonio Primo de Rivera starben am selben 20. November 1936. 39 Jahre später war am 20.N der Putschist, Massenmörder und Diktator Francisco Franco an der Reihe. Genau 9 bzw. 14 Jahre danach (1984 und 1989) wurden zwei baskische Politiker von spanischen Söldnern ermordet: Santiago Brouard und Josu Muguruza.
Buenaventura Durruti
Buenventura Durruti und Jose Antonio Primo de Rivera gehörten zu den ersten prominenten Opfern des Spanienkrieges, der durch den Militärputsch am 18. Juli 1936 ausgelöst wurde. Durruti war Mitglied der anarcho-syndikalistischen CNT und bereits lange vor dem Krieg 1936 durch revolutionäre Aktivitäten überregional bekannt.
Buenaventura Durruti (León, 1896 – Madrid, 1936) war erst Sozialist, dann Anarchosyndikalist und immer als Revolutionär aktiv. Aus einer Arbeiterfamilie stammend wurde er Schlosser und trat in die Sozialistische Gewerkschaft UGT ein. 1917 beteiligte er sich in Asturien an einem Streik, den die Armee niederschlug. Durruti wurde entlassen, schloss sich der anarcho-syndikalistischen CNT an und ging bis 1920 nach Paris, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Nach seiner Rückkehr schloss er sich anarchistischen Kampfgruppen an, wurde verhaftet, zum Militär eingezogen, jedoch wegen eines Leistenbruchs als untauglich entlassen. (1)
Nachdem in Barcelona mehr als 30 Anarchosyndikalisten umgebracht wurden, schloss sich Durruti als Kämpfer den Arbeiter-Selbstverteidigungskorps an. 1923 begann die Diktatur von Miguel Primo de Rivera, Durruti ging erneut ins Exil nach Paris, wo er bei Renault als Schlosser arbeitete. Weil mittlerweile international gesucht, schiffte er sich 1924 nach Kuba ein. Nach revolutionären Reden für die spanische Revolution musste er auch von dort fliehen und wurde bei der Rückkehr in Paris verhaftet. 1928 lebte Durruti mehrere Wochen in Berlin-Wilmersdorf im Hause des deutschen Anarchisten Augustin Souchy, der Aufenthalt endete mit Ausweisung. Ab 1930 verbrachte er zwei ruhige Jahre in Belgien, 1931 wurde die Zweite Spanische Republik ausgerufen, seine anarcho-syndikalistische CNT hatte sich nach der Diktatur neu formiert. Nach einem Aufstand in Katalonien 1932 wurde er in Präventivhaft genommen und nach Fuerteventura deportiert – Rückkehr im selben Jahr. Es folgten Streiks und Aufstände, in denen große Differenzen mit Sozialisten und marxistischen Kommunisten deutlich wurden. 1936 gewann die reformistische Linke die Wahlen, in Barcelona kam es zu Aufstand und Sieg der CNT-FAI und damit zur ersten und einzigen anarcho-syndikalistischen Selbstverwaltung einer politischen Region in Europa.
Im Juli 1936 folgten Militärputsch und Spanienkrieg. Durruti wurde zum Kommandeur einer anarchistischen Miliz, der in Aragon kämpfenden Kolonne Durruti. Am 19. November 1936 wurde Durruti bei der Belagerung von Madrid von einer Kugel getroffen und erlag seinen Verletzungen am 20. November. Um die Verantwortung für seinen Tod ranken sich zahlreiche Gerüchte: es könnten Faschisten, Kommunisten oder sogar enge Freunde gewesen sein. Durruti wurde in Barcelona-Montjuic beigesetzt, am Trauerzug nahm eine halbe Million Menschen teil.
José Antonio Primo de Rivera
Primo de Rivera war Chef der Falange-Bewegung, die später neben der katholischen Kirche und der Guardia Civil zu den Stützen des franquistischen Regimes zählte. Der Sohn des von 1923 bis 1930 herrschenden spanischen Generals und Diktators Miguel Primo de Rivera war Anwalt und faschistischer Politiker. José Antonio Primo de Rivera (1903, Madrid – 1936, Alicante) war von 1933 bis 1936 Parteiführer der faschistischen Falange-Partei. Er schrieb für rechtsgerichtete Zeitungen und bemühte sich um das Erbe seines Vaters. 1932 beteiligte er sich am Militärputsch des Generals und späteren Franco-Mitverschwörers José Sanjurjo und wurde daraufhin verhaftet. Bei den Wahlen des Jahres 1936 erhielt die Falange nur 0,7 % der Stimmen. Nach dem Sieg der linken Kräfte wuchs die Partei jedoch rasch und hatte im Juni bereits 40.000 Mitglieder. Nach einem Mordversuch wurde die Partei jedoch von der republikanischen Regierung verboten. José Antonio Primo de Rivera wurde im Juni 1936 wegen Waffenbesitzes verhaftet und in Madrid inhaftiert. Vom Gefängnis aus leitete er die Partei weiter. Er wurde nach Alicante verlegt. Im Juli 1936 erklärte er öffentlich, dass er die Generäle Mola und Franco bei ihrem Militärputsch gegen die Zweite Spanische Republik unterstützte. Am 17. November 1936 wurde er wegen militärischer Revolte zum Tode verurteilt und am 20. November 1936 hingerichtet. (2)
Franco schuf später einen Personenkult um José Antonio Primo de Rivera. Nach seiner Verhaftung nannten ihn die Falangisten „der Abwesende“, nach seiner Erschießung auch „Märtyrer des Kreuzzugs“. Während der Diktatur wurden in allen Dörfern Gedenktafeln für gefallene Franquisten errichtet. Sie trugen die Inschrift „Caídos por Dios y por España“ (Gefallen für Gott und Spanien). Auf jeder Tafel war der Name von Primo de Rivera als erster aufgeführt. Nach dem Krieg ließ Franco bei Madrid das Mausoleum Valle de los Caídos bauen: für die Gefallenen des Regimes und zur Verherrlichung der Falange. José Antonio Primo de Rivera wurde dort 1959 beigesetzt. Die letzte öffentliche Statue von Primo de Rivera wurde im März 2005 in Guadalajara auf Drängen der Zapatero-Regierung entfernt.
Francisco Franco Bahamonde
Dass der General, Massenmörder und Diktator Franco ebenfalls an einem 20. November sterben würde, war Zufall. In der Reihe der in diesem Artikel vorgestellten Persönlichkeiten ist er der einzige, der keines gewaltsamen Todes starb. Sein Ableben war eine Frage der Zeit, die Diktatur wies schon seit einiger Zeit sichtbare Risse auf. Seit den 1960er Jahren trauten sich viele Arbeiter wieder zu streiken, der von ihm designierte Nachfolger Carrero Blanco war von ETA beseitigt worden.
Franco (1892 – 1975) war zusammen mit den Generälen Mola aus Navarra und Sanjurjo einer der Drahtzieher des Militärputsches vom 18. Juli 1936, der später zum Spanienkrieg führte – fälschlicherweise Bürgerkrieg genannt. Seine ersten militärischen Sporen verdiente sich der Galicier als junger Befehlshaber in der spanischen Kolonie Marokko. Insbesondere im sogenannten Rif-Krieg gegen den Berber-Fürsten Abd el-Krim. Franco zeichnete sich durch Disziplin und Brutalität gegenüber dem Gegner aus, in ultrarechten und militärischen Kreisen fand er dafür Beachtung und wurde zum jüngsten General Europas befördert.
Dass der militärische Sieg gegen die Berber mit deutschem Giftgas erreicht wurde, steht in keiner Franco-Biografie. „Nach der Niederlage in Marokko bemühten sich spanische Rüstungsexperten um Giftgas aus Deutschland.1922 schlossen spanische und deutsche Dienststellen einen geheimen Vertrag zum Bau einer Giftgasfabrik bei Madrid“, heißt es in der Broschüre „Ein voller Erfolg der Luftwaffe“ des Arbeitskreises Regionalgeschichte Neustadt (3). „Die Kabylen waren dem Giftgas wehrlos ausgeliefert. Zehntausende starben unter unbeschreiblichen Qualen. Felder und Trinkwasser wurden verseucht. Der bis dahin erfolgreiche Aufstand brach zusammen. Auch zu Beginn des Spanienkrieges setzte das putschende Militär Giftgas ein. Anders als die Kabylen verfügten die Republikaner jedoch über einen effektiven Gasschutz“. Franco stand Pate.
Elf Jahre später putschte Franco mit den ihm unterstellten Truppen gegen die zweite spanische Republik (deren Angestellter er war). Mit einer spanisch-nationalistischen und traditionalistischen Doktrin ließ Franco „Autonomie-Bestrebungen in den periferen Regionen unterdrücken, Sprache und Kultur verbieten. Er ließ Hunderttausende vermeintliche und tatsächliche Gegner exekutieren und rund 1,5 Millionen politische Häftlinge in insgesamt 190 verschiedenen Konzentrationslagern internieren“ (4). Die Geschichte der Diktatur ist halbwegs bekannt. Weniger bekannt ist, dass die Riege der alten Franquisten auch nach dem sogenannten „demokratischen Übergang“ im Sattel blieb: auch hier hatte Franco vorgesorgt, obwohl er seinen designierten Nachfolger verloren hatte.
Im 2. Weltkrieg hielt sich der Diktator neutral und gewann die Gunst des Westens, der im Kalten Krieg dringend Verbündete gegen die Sowjetunion brauchte. Die USA revanchierten sich mit politischer Anerkennung und bauten auf der Halbinsel Militärbasen. „In Spanien wirken der Franquismus und die jahrzehntelange Glorifizierung der Persönlichkeit Francos durch einen in der spanischen Geschichte einzigartigen Personenkult politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich bis heute nach“ (4). Auch wenn es die Nazis der Legion Condor waren, die die Vernichtung von Gernika planten und durchführten, die politische Verantwortung für dieses und viele andere Massaker lag bei Franco.
Santiago Brouard
Sicher gibt es wenige Friedhöfe außerhalb Kubas, auf denen eine Fahne des Revolutionärs Ernesto Che Guevara weht. Im baskischen Fischerort Lekeitio ist dies der Fall. Gut sichtbar über der Friedhofsmauer weht die schwarzrote Fahne – über dem Grab von Santiago Brouard, der 1984 in Bilbao in seiner Arztpraxis ermordet wurde. Brouard ist einer von vielen Basken, die seit den 1960er Jahren von spanischen Polizisten oder ultrarechten Todeskommandos ermordet wurden. Eine der Besonderheiten seines Todes ist der Todestag. Brouard wurde am 20. November 1984 in Bilbao erschossen – exakt neun Jahre nachdem der Diktator Franco im Bett gestorben war. Wer beim Mord an Santi Brouard vielleicht noch dachte, es könnte sich um eine zufällige Datums-Übereinstimmung handeln, musst spätestens weitere fünf Jahre später klein beigeben, als in einem Madrider Restaurant der gewählte baskische Parlaments-Abgeordnete Josu Muguruza erschossen wurde – an einem 20. November.
Doch zurück zu Santi Brouard. Im Laufe seiner politischen Karriere war Brouard Stadtrat in Bilbao, stellvertretender Bürgermeister und Abgeordneter im baskischen Regional-Parlament. Vor allem aber war er Präsident einer linken Partei, die für die Unabhängigkeit eintrat, sowie Mitglied der kollektiven Leitung der ebenfalls links-nationalistischen Koalition Herri Batasuna.
Brouard wurde 1919 in der bizkainischen Küstenstadt Lekeitio geboren. In Valladolid studierte er Medizin und spezialisierte sich in Basurto (Bilbao) auf Kindermedizin. Mit 17 Jahren meldete er sich 1936 als Freiwilliger zu der in Eile formierten baskischen Armee, um das Baskenland und die Republik gegen den faschistischen Militärputsch zu verteidigen. Mit 40 Jahren heiratete er und hatte drei Kinder. Brouard erlebte den Franquismus, die Gründung der Organisation ETA (Baskenland und Freiheit), Repression und die Notwendigkeit des Widerstands. Er beteiligte sich an der Gründung der ersten Baskisch-Schulen, die damals noch völlig illegal waren. Teilweise in Privatwohnungen wurde Unterricht in baskischer Sprache erteilt. (5)
Weil er einen von der Polizei angeschossenen ETA-Militanten medizinisch versorgte, musste er 1974 mit seiner Frau Tere zusammen ins französische Baskenland fliehen, nach Donibane Lohizune, St. Jean de Luz. Dort kam er in Kontakt mit historischen Persönlichkeiten des baskischen Linksnationalismus und von ETA. Mit José Miguel Beñarán „Argala“ zusammen arbeitete er nach Francos Tod die “Alternative KAS” aus, eine Art links-nationalistisches Minimal-Programm, dem sich verschiedene Organisationen der baskischen Linken anschlossen, auch ETA político-militar (ETA pm), sowie verschiedene Parteien und Gewerkschaften. Argala ereilte übrigens dasselbe Schicksal wie Brouard. In seinem nordbaskischen Exil wurde er 1978 von einem Todeskommando der ultrarechten Gruppe Batallón Vasco Español (Baskisch-Spanisches Bataillon) mit einer Autobombe getötet (6). An einem ebenfalls verdächtigen Tag: fünf Jahre und ein Tag zuvor soll Argala am ETA-Attentat in Madrid beteiligt gewesen sein, bei dem der designierte Franco-Nachfolger Carrero Blanco ebenfalls mit einer Autobombre getötet worden war.
Nach seiner Rückkehr aus dem Exil arbeitete Brouard als Kinderarzt und blieb in verschiedenen Parteien politisch aktiv. Bis zu seinem Tod war er Direktions-Mitglied bei Herri Batasuna. Bei den ersten postfranquistischen Kommunal-Wahlen 1979 war er Bürgermeister-Kandidat für die Koalition und von 1979 bis 1983 stellvertretender Bürgermeister von Bilbao. Bei den Provinzwahlen 1983 wurde er zum Bevollmächtigten der Bizkaia-Provinz-Versammlung gewählt. Im selben Jahr wurde er nach den Ereignissen im Provinz-Parlament von Gernika inhaftiert. Dort hatte eine Gruppe von Herri-Batasuna-Abgeordneten den anwesenden spanischen König Juan Carlos I ausgepfiffen und die baskische Hymne „Eusko Gudariak“ gesungen.
Bei den Regionalwahlen von 1984 wurde Santi Brouard für Herri Batasuna ins baskische Parlament gewählt. Am 20.November desselben Jahres drang ein bewaffnetes GAL-Kommando in seine Praxis und erschoss ihn. Es handelte sich um die angeheuerten Söldner Luis Morcillo und Rafael López Ocaña. Letzterer sagte aus, von Morcillo für das Attentat drei Millionen Peseten erhalten zu haben. Das Geld stammte von Rafael Masa, damals Kommandant der Guardia Civil, der wiederum hatte es von Julián Sancristóbal, dem Generaldirektor für Staatssicherheit. (5) Ein staatlich geplanter Mord also. Die Untersuchung der Hintergründe des Attentats war langwierig. Neun Jahre später wurde López Ocaña als Attentäter zu 33 Jahren Haft verurteilt, ein weiterer Angeklagter zu 8 Jahren wegen Beschaffung der Tatwaffen. López Ocaña war schließlich nur 12 Jahre eingesperrt. Bei einem erneuten Prozess im Jahr 2003 wurden José Amedo, Rafael Masa und Luis Morcillo wegen fehlender Beweise von der Anklage des Brouard-Mordes freigesprochen. In einem Zeitungs-Interview bekannte sich Morcillo 2013 als Mittäter des Mordanschlags, als ihm juristisch nichts mehr passieren konnte. Amedo folgte seinem Beispiel im Jahr 2016.
Im November 2014 wurden im baskischen Parlament vier Gedenktafeln aufgehängt für die vier getöteten Parlamentarier Enrique Casa (Autonome Kommandos), Gregorio Ordóñez und Fernando Buesa (ETA), sowie Santiago Brouard (BVE). Erst 2013 wurde Brouard auch vom Rathaus Bilbao geehrt. Zu seinem Andenken trägt die Mehrzweck-Sporthalle seiner Geburtsstadt Lekeitio seinen Namen, ebenso ein bunt gestalteter kleiner Park am Stadtrand. Im Ametzola-Park von Bilbao steht ein Erinnerungs-Monument für Brouard.
Josu Muguruza
Muguruza wurde 1958 im Arbeiter-Stadtteil Bilbao-Rekalde geboren, der im Jahr 2011 durch die Räumung der besetzten Kukutza-Fabrik europaweit bekannt wurde. Er studierte Journalismus, lernte die baskische Sprache Euskara und war aktiv bei der baskischen Linken. 1981 musste er ins französische Baskenland fliehen, nachdem seine Freundin wegen mutmaßlicher Kontakte zu ETA verhaftet worden war. Zu Beginn der 1980er Jahre gab es noch keine Auslieferungen von Frankreich nach Spanien, Muguruza konnte daher ein normales und öffentliches Leben führen. In den folgenden sechs Jahren arbeitete er in Baiona (frz: Bayonne) als Baskisch-Lehrer bei einer AEK-Schule. Gleichzeitig war er beim Lokalradio Gure Irratia (Unser Radio) und bei der baskischen Tageszeitung Egin weiterhin als Journalist tätig. (7)
Muguruza gehörte zu den Mitgründern des „Flüchtlings-Kommitees“, das sich um die Belange der vielen baskischen Exilant*innen kümmerte, die sich in Iparralde (Nordbaskenland) aufhielten. In dieser Zeit wurde er zu einer einflussreichen Persönlichkeit im abertzalen Spektrum. Muguruza wurde zu einem der Mitinitiatoren einer neuen Strategie, die konkrete Verhandlungen von ETA mit der spanischen Regierung zum Ziel hatte und die 1988/1989 zu den Verhandlungen von Algier führte. Am 12. März 1987 wurde er von der französischen Polizei festgenommen und in einer Express-Auslieferung nach Spanien gebracht (7). Denn in den Jahren 1983 bis 1987 hatten spanische Behörden, Rechtradikale und Polizisten eine Todesschwadron aufgestellt, die in Iparralde mehr als 20 Personen umgebracht hatte. Mit dieser spektakulären Mord-Kampagne sollte die Regierung in Paris gezwungen werden, ihre neutrale Haltung aufzugeben und den südbaskischen Flüchtlingen den Aufenthalt zu verbieten. Mit Erfolg.
Josu Muguruza wurde durch verschiedene spanische Gefängnisse gereicht, musste jedoch Ende des Jahres freigelassen werden, weil ihm nichts vorgeworfen werden konnte. Mit seiner Frau zog er in die baskische Hauptstadt Gasteiz (span: Vitoria) und arbeitete als Chefredakteur der linken Tageszeitung Egin, unter dem Pseudonym Iratzar schrieb er politische Analysen. Gleichzeitig war er in der Leitung der abertzalen Koordinierungsgruppe KAS und seit 1988 in der Wahlkoalition Herri Batsauna. In jener Zeit galt Muguruza neben Iñaki Esnaola oder Jon Idigoras als einer der wichtigen Ideengeber der baskischen Linken. Der PNV-Präsident Xabier Arzalluz sollte ihn eines Tages den „General von HB“ nennen.
Bei den Wahlen am 29. Oktober 1989 wurde Muguruza für Herri Batasuna Bizkaia ins spanische Parlament gewählt. Innerhalb der linken Koalition hatte sich zum ersten Mal die Strategie durchgesetzt, an spanischen Institutionen teilnehmen zu wollen – bis dahin hatte HB zwar an Wahlen teilgenommen, die erreichten Sitze im Parlament aber nie eingenommen. Die konstituierende Sitzung des spanischen Parlaments sollte am 21. November 1989 stattfinden. Die in den Kongress und den Senat gewählten HB-Politiker – darunter Iñigo Iruin und Jose Luis Elkoro – trafen sich zum Abendessen im Madrider Hotel Alcala, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Zwei vermummte Pistoleros betraten den Raum und schossen auf die Gruppe. Muguruza wurde tödlich getroffen, Iñaki Esnaola schwer verletzt. Muguruza war 31 Jahre alt, seine Frau war schwanger.
Der Mordanschlag ereignete sich am 20. November, für die spanische Ultrarechte ein wichtiges Datum: Todestag von Francisco Franco und José Antonio Primo de Rivera. Wie eben beschrieben war ein weiterer baskischer Politiker – Santi Brouard – fünf Jahre zuvor ebenfalls an einem 20N umgebracht worden. Eine Rekonstruktion der Tat ergab, dass wahrscheinlich Iñaki Esnaola und Jon Idigoras wichtigste Ziele des Attentats gewesen waren. Zwar bekannte sich die Todesschwadron GAL zu dem Anschlag, es gab jedoch Zweifel an dieser Version, weil die Gruppe seit 2 Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten war. Verhaftet wurden zwei bekannte Ultrarechte: Ángel Duce und Ricardo Sáenz de Ynestrillas. Duce wurde 1993 zu 99 Jahren Haft verurteilt, Ynestrillas freigesprochen wegen Mangel an Beweisen. Duce bereute die Tat und erhielt wenige Jahre danach den Freigänger-Status, er starb bei einem Verkehrsunfall. Ynestrillas war der Sohn eines franquistischen Armeekapitäns, der nach Francos Tod mehrfach in Putschpläne verwickelt war und am 17. Juni 1986 in Madrid von ETA umgebracht wurde. Ynestrillas Junior war vor und nach seinem Freispruch in einer langen Liste von neofaschistischen Organisationen tätig.
Ein großes Graffiti unter der Autobahn und ein Gedenkstein im Park des Bilbao-Stadtteils Rekalde erinnern an Josu Muguruza. 2014 wurde der Dokumentarfilm Zohardia und eine Biografie von Muguruza vorgestellt: „Der Traum, den die Kugeln nicht beenden konnten“, von Iñaki Altuna y Mikel Zubimendi. Der Film wurde 2015 vom baskischen Fernsehen ausgestrahlt. (7)
Außerdem am 20. November …
1695: Der gegen das Sklaventum kämpfende Zumbi wird in der portugiesischen Kolonie Brasilien hingerichtet. Er war letzter Anführer der größten Sklavensiedlung Palmares, die von den Plantagen geflohenen afrikanischen Sklaven jahrzehntelang eine Heimstatt bot. **** 1910: Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi stirbt. **** 1945: Im Justizpalast in Nürnberg beginnt mit der Verlesung der Anklage der Prozess gegen zwanzig führende Persönlichkeiten des „Dritten Reichs“, darunter Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop und Julius Streicher, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. **** 1962: Ende der Kuba-Krise, nachdem die Sowjetunion verspricht, keine Atomraketen auf der Insel zu stationieren und John F. Kennedy zusagt, die Insel nicht anzugreifen. **** 1966: Der Schweizer Kanton Zürich stimmt in einer Volksabstimmung gegen das Frauenwahlrecht. **** In einer Tageszeitung von Cleveland, USA erscheinen Fotos des My Lai Massakers in Vietnam, bei dem US-Soldaten Hunderte von Zivilist*innen ermordeten, darunter Kinder. **** 1985: Microsoft beginnt mit dem Verkauf seiner Software Windows 1.0. (8)
(Publikation: Baskultur.info 2018-11-20)
ANMERKUNGEN:
(1) Buenaventura Durruti, Information (Wikipedia)
(2) José Antonio Primo de Rivera, Information (Wikipedia)
(3) Arbeitskreis Regionalgeschichte „Ein voller Erfolg der Luftwaffe. Die Vernichtung von Gernika am 26.April 1937. Geschichte und Gegenwart einer deutschen Kriegsverbrechens“, Neustadt 2010. (Link)
(4) Francisco Franco Bahamonde (Wikipedia)
(5) Santi Brouard, Information (Wikipedia)
(6) BVE – Die ultrarechte Gruppe Batallón Vasco Español (Baskisch-Spanisches Batallion) wird oft gleichgesetzt mit anderen neofaschistischen Gruppen wie „Alianza Apostólica Anticomunista” (AAA – Antikommunistische Apostolische Allianz) oder „Triple A" (Dreifaches A); Antiterrorismo ETA (ATE) oder „Acción Nacional Española” (ANE – National-Spanische Aktion). BVE war – laut Wikipedia – eine „parapolizeiliche terroristische Organisation“, die vorwiegend im südlichen und nördlichen Baskenland aktiv war. Nachdem sich die Organisation 1981 auflöste, wurde davon ausgegangen, dass einige Aktivisten in die GAL-Todesschwadrone (Grupos Antiterroristas de Liberación) übergingen, die ab 1983 aktiv wurden. BVE begann seine Aktionen im Juni 1975, kurz vor Francos Tod und eineinhalb Jahre nach dem ETA-Attentat gegen den Franco-Nachfolger Carrero Blanco. (Wikipedia)
(7) Josu Muguruza, Information (Wikipedia)
(8) 20. November (Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(1) Brouard Muguruza Collage (FAT)
(2) Durruti (Wikipedia)
(3) Primo de Rivera
(4) Durrutis Begräbnis
(5) Friedhof Lekeitio: Che (FAT)
(6) Santi Brouard Lekeitio (FAT)
(7) Josu Muguruza (Egin)
(8) Josu Muguruza, Rekalde (FAT)