Der Erfinder ein Baske aus Bilbao
Kürzlich erzielte Cristiano Ronaldo von Real Madrid mit einem Fallrückzieher ein Tor. Ein spektakuläres, das jedoch vor allem wegen seines Schützen derart gefeiert wurde. Denn Fallrückzieher gab es viele in der Geschichte dieses Sports. Bekannt werden jedoch nur die im Fernsehen übertragenen Aktionen. Sie finden Eingang in die Sportgeschichte, wie auch jener legendäre Elfmeter von Panenka 1976. Wenig bekannt ist, wer den Fallrückzieher erfand. Auf der Suche stoßen wir auf eine baskische Geschichte.
Der erste Fallrückzieher in der Fußballgeschichte wird dem Basken Ramón Unzaga zugeschrieben, vor mehr als 100 Jahren. Unzaga war nach Chile ausgewandert und verbrachte dort sein kurzes Leben. Er starb mit 29 Jahren.
Als im April 2018 Cristiano Ronaldo per Fallrückzieher gegen Juventus Turin ein entscheidendes Tor schoss, war die Sportpresse eine Woche lang mit fast nichts anderem beschäftigt. Es war des Schützen erstes Tor auf diese Art. Alte Geschichten wurden bemüht, berühmte Schützen, unter denen sich auch ein paar Deutsche befanden wie Horst Hrubesch, Jürgen Klinsmann und Klaus Fischer. Eine Geschichte, die in der Folge erzählt wurde, bezog sich auf den Ursprung des Fallrückziehers, der im Fußball als eine der sensationellsten Aktionen bekannt ist. (*)
Erfinder-Geschichten
Mehreren Fußballspielern wird der Titel als „Erfinder des Fallrückziehers“ zugeschrieben. Ein Erfinder soll der Italiener Carlo Parola gewesen sein. Doch auch der Brasilianer Leônidas da Silva (1938 beim 6:5 gegen Polen) und der italienische Kicker Silvio Piola (1939 gegen Deutschland) sollen per Fallrückzieher Tore erzielt haben. Eine These stammt aus Chile. 1914 soll es Ramón Unzaga in Chile vollbracht und erfunden haben. International bekannt geworden ist jedoch der Fallrückzieher des Chilenen David Arellano von 1927. Nicht zuletzt wegen des Ortes der Ausführung wird der Fallrückzieher in der spanischsprechenden Welt „la chilena“ genannt wird – „die Chilenische“.
Der baskische Urheber
Wenden wir uns der These zu, die sich auf den frühesten Zeitpunkt bezieht: 1914 – Ramón Unzaga. Wer war dieser chilenische Fußballer? Nun, eigentlich war er kein Chilene. Er war Baske, geboren 1894 in Deustu, ein damals noch unabhängiger Ort, der heute ein Stadtteil von Bilbao ist. 1906, mit 12 Jahren, zog Ramón Unzaga mit seinen Eltern nach Chile. Im Baskenland war Emigration keine Seltenheit, auf der Suche nach einem besseren Leben zogen seit dem 19. Jahrhundert Zehntausende Baskinnen und Basken nach Nord- und Süd-Amerika und auf die Philippinen.
Ramón wurde zu einem begeisterten Sportler, das bezog sich nicht allein auf Fußball. Er praktizierte Leichtathletik, die 100 Meter, Hürdenlauf, Speerwurf, Hochsprung, Stabhochsprung, Schwimmen und Wasserball. Mit dem Fußball begann Ramón 1912, erst für das Betriebsteam der Schwager-Bergwerke, dann für die Auswahl des Ortes Talcahuano. Ein wichtiger Unterschied zu der großen Mehrheit der Fallrückzieher-Akteure ist, dass Ramón kein Stürmer, sondern Verteidiger war. Ein gewisses Temperament wird dem Basken nachgesagt, der mit 18 Jahren die chilenische Staatsangehörigkeit annahm. Gelegentlich übertrat er die Grenzen des Wünschenswerten und Zulässigen.
Rückzieher ohne Tore
Wenige Spielaktionen werden im Fußball so geschätzt wie die sehenswerten Fallrückzieher. Es handelt sich um einen komplexen und recht schwierigen Bewegungsablauf. Deshalb kann der Versuch in die Extreme führen: zur Sensation oder zur Lächerlichkeit. Ronaldo, Messi, Fischer oder Rooney beherrschen alle fußballerische Technik. Doch die Anfänge sahen weder besonders gut aus, noch wurden sie allzu bekannt. Ramón Unzagas Besonderheit als Verteidiger war, dass er den Fallrückzieher nicht zum Toreschießen nutzte, sondern um in seiner Position Tore zu verhindern. 1914 muss die Premiere gewesen sein, bei einem Spiel im El-Morro-Stadion der chilenischen Kleinstadt Talcahuano.
Unzagas erster Versuch begeisterte das kleine lokale Publikum, über das Spiel hinaus wurde er aber nicht weiter bekannt. Die Leute erzählten davon, in der Regionalpresse war kurz davon die Rede. Das änderte sich bei den Amerika-Meisterschaften von 1916 und 1920, bei denen Ramón Unzaga für das chilenische Team antrat. Spieler der großen Teams – Uruguay, Brasilien, Argentinien – waren beeindruckt von der Technik des Basken. So was hatten sie bisher noch nicht gesehen. Ramón Unzaga hatte eine der speziellsten Aktionen im Fußball erfunden, dafür wird er in seiner Heimatprovinz bis heute verehrt.
Kleine Biografie
Unzaga war bekannt als eifriger Arbeiter. Er lernte Buchhaltung und arbeitete bei den Schwager-Bergwerken. Sein erster Fallrückzieher wurde zunächst „Chorera“ genannt, nach dem Namen des Clubs, für den er spielte: Escuela Chorera. Nachdem seine Luftakrobatik über die Südamerika-Meisterschaften bekannt wurde, begann die argentinische Presse die Aktion „Chilena“ zu nennen. Dieser Name hat sich gehalten. In Uruguay wurde der Fallrückzieher „Trizaga” genannt, dreifache Abwehr. Denn nach deren Interpretation hatte die Aktion eine dreifache Abwehrfunktion. Zuschauer berichteten, dass Unzaga in manchen Spielen gleich mehrere Fallrückzieher praktizierte. Dabei muss der gute Athlet eine besondere Sprungkraft gehabt haben, denn manchmal sprang er so hoch, dass es schien, er würde auf seinen Gegenspielern „reiten“.
Baskische Untugenden
Trotz seiner besonderen Fähigkeiten ging manchmal das Temperament mit ihm durch. Vor allem, wenn er vom Platz gestellt wurde. Als er eines Tages vom Schiedsrichter vom Feld geschickt wurde, ging er in die Kabine, holte eine Pistole und kam zurück an die Linie. Er gab zwei Schüsse ab, worauf der Schiedsrichter das Spiel abbrach. Aus dem folgenden Zitat ist zu schließen, dass Ramón nicht sonderlich bescheiden war. Bei der Geschichte handelte es sich um einen weiteren Platzverweis. „Zwei Mal pfiff der Schiedsrichter Freistoß, als ich gute Sprünge gemacht hatte, die allein dazu gedacht waren, den Ball abzuwehren. Er sagte, es sei Foulspiel. Ich sah mich gezwungen, dem Schiedsrichter seinen Fehler zu erklären. Ich sagte ihm, dass verschiedene andere Schiedsrichter ähnliche Aktionen nicht bestraft hatten. Es folgte ein Wortwechsel an dessen Ende der Señor Beitia (der Schiedsrichter) mir das Verlassen des Feldes befahl. Ich weigerte mich zu gehen, um mit ihm ‘Rechnungen zu begleichen‘. So kam es, außerhalb des Spielfelds tauschte ich mit dem Señor Beitia einige Ohrfeigen aus.“ Das erzählte Unzaga 1918 in einem Interview mit der Tageszeitung „El Sur“ aus Concepción. Nebenbei und interessanterweise ist Beitia ebenfalls ein urbaskischer Name. Ein Enkel Unzagas äußerte sich vor wenigen Jahren in einem Interview mit der Tageszeitung „La Tercera” in sarkastischem Unterton über seinen Großvater: „Seine Interessen waren Arbeiten, Lernen und Spielen. Er war ein Baske mit allen Untugenden der Basken, zum Beispiel seine Jähzornigkeit“.
Wer nun letztlich den Fallrückzieher erfunden oder zuerst praktiziert hat, scheint nicht ganz geklärt. Vieles spricht fur Ramón Unzaga. Klar ist, dass die Rückzieher-Premiere aus Lateinamerika stammt. Nicht einmal englische Quellen, die ansonsten beanspruchen, den Fußball überhaupt erfunden zu haben, stellen das in Frage. Kein Geringerer als der uruguayische Schrifsteller und Philosoph Eduardo Galeano ließ in seinem Buch „Fußball im Licht und im Schatten“ keinerlei Zweifel. „Ramón Unzaga erfand den Spielzug auf dem Spielfeld der chilenischen Hafenstadt Talcahuano: sein Körper lag in der Luft, mit dem Rücken zur Erde, die Beine schossen den Ball nach hinten, mit einem plötzlichen Scherenschlag“. Sicherlich waren die Fallrückzieher von Ramón Unzaga nicht so ästhetisch und brillant wie jene von Rivaldo, Ronaldinho, Ibrahimovic, Cristiano Ronaldo und anderen aus den folgenden Jahrzehnten. Doch war er der Ursprung der spektakulärsten Aktion im Fußball“.
Kurze Kicker-Karriere
Ramón Unzaga wurde Kapitän der Auswahl Chiles. Er debütierte am 2. Juli 1916 bei der Südamerika-Meisterschaft und bestritt die drei Spiele der Copa. Danach folgten in jenem Jahr zwei Freundschaftsspiele. Sein einziges Tor erzielte Unzaga am 16. Juli 1916 im letzten Freundschaftsspiel der Tour – nicht mit Fallrückzieher. Das Spiel endete 3:0 gegen eine Auswahl aus dem argentinischen La Plata, der einzige chilenische Sieg jenen Jahres. Bei der Südamerika-Meisterschaft 1920 war Chile Gastgeber, zum ersten Mal bereitete sich das Team professionell vor. Zusammengestellt wurde das Team von einer Kommission, die sich aus zehn Personen zusammensetzte. Darunter der Präsident des chilenischen Fußball-Verbands, der Sportredakteur der Tageszeitung „La Union“ aus Valparaiso und der neu verpflichtete Trainer der Auswahl. Die Mehrheit der Spieler kamen aus dem chilenischen Süden. Ramón Unzaga war wieder mit dabei und spielte die drei Partien der Meisterschaft Nummer IV. Es war sein letzter Einsatz für Chile.
Das Tatort-Stadion
Das Stadion von Talcahuano ist das älteste in Chile, eingeweiht um 1900. 1962 wurde es für die Fußball-Weltmeisterschaft im Lande ausgebaut. Im selben Jahr spielte Brasilien mit Pele hier ein Freundschaftsspiel. 2007 wurde das Stadion bei einem Erdbeben zerstört und musste neu aufgebaut werden. 2014 wurde neben dem Stadion, in dem mittlerweile das Zweitliga-Team La Naval spielt und das Ramón Unzagas Namen trägt, eine Bronze-Skulptur zur Erinnerung an den Rückzieher-Erfinder eingeweiht. Geschaffen wurde sie von der Bildhauerin María Angélica Echavarri – dem Namen nach ebenfalls baskischer Herkunft. Die Figur wiegt 600 Kilogramm, wurde von einem Kupfer-Unternehmen gesponsort und stellt Unzaga – was auch sonst – beim Fallrückzieher dar.
Ramón Unzaga erhielt verschiedene Angebote, in ausländischen Teams zu spielen. Doch zog er es vor, bei seinem Club Estrella del Mar aus Talcahuano zu bleiben. Er starb am 31. August 1923 im Alter von 29 Jahren an einem Herzschlag.
ANMERKUNGEN:
(*) Information aus: (A) Artikel Tageszeitung El Correo Español, Ausgabe Bizkaia vom 5.4.2018: „La chilena de Cristiano la inventó un bilbaíno” (Cristianos Fallrückzieher erfand ein Bilbaino). (B) Wikipedia Ramón Unzaga.
ABBILDUNGEN:
(1) Schematische Darstellung (Wikipedia)
(2) Ramón Unzaga (Wikipedia)
(3) WM 2014 Brasilien (Morgenpost)
(4) Denkmal Unzaga (Biobiochile)
(5) Fallrückzieher (11 Freunde)