Politik mit Fremdenhass
Das neue britische Einwanderungs-Gesetz öffnet in Europa die Tür für menschenrechts-feindliche Rege-lungen aller Art. Auf einem KZ-artigen Gefängnis-Schiff sollen vor einer Insel im englischen Süden Illegale eingesperrt werden, vor allem zu Abschreckung. Regierungschef Sunaks Gesetz-Entwurf gegen irreguläre Migration bedroht das Asylrecht und alarmiert die UNO, während fremdenfeindliche Positionen in der Europäischen Union an Bedeutung gewinnen. Ein eigener Migrations- und Asyl-Pakt ist überfällig.
Vor der englischen Küste wurde ein Containerschiff geparkt, in dem künftig illegale Flüchtlinge eingesperrt werden sollen, bis ihr Asylantrag bearbeitet ist, oder besser gesagt abgelehnt. Gefängnis-Schiff schreiben kritische Medien, notwendig sagen rassistische Politiker.
Das Containerschiff mit dem Namen “ Bibby Stockholm“ soll ab sofort 500 Asylbewerber unterbringen, die ins Vereinigte Königreich einwandern wollen. Doch jenseits des Gefängnisschiffs für Flüchtlinge – und der umstrittenen und zumindest vorerst verbotenen Rücktransport-Flüge nach Ruanda zur Abschiebung von Migranten – hat das United Kingdom einen entscheidenden Schritt in seiner Migrationspolitik unternommen, der eines der in der Genfer Konvention anerkannten grundlegenden Menschenrechte aushöhlt: das Recht auf Asyl, das Recht, in diesem Land internationalen Schutz zu suchen.
Das britische Parlament mit der reaktionären Regierung Rishi Sunak an der Spitze verabschiedete am 18. Juli 2023 das Gesetz über irreguläre Migration, das von der Innenministerin Suella Braverman ausgearbeitet und verteidigt wurde. Der Text geht über die einwanderungs-feindlichen Slogans und effekt-hascherischen Vorschläge hinaus, die vor dem Brexit die politische Szene überschwemmt hatten.
Jene Rhetorik der “Migration als Bedrohung für die nationale Sicherheit“ und als “Belastung für den Wohlfahrtsstaat“, zusammen mit dem Diskurs, man müsse die Kontrolle über die Grenzen gegenüber der Europäischen Union zurückerlangen, ist nun zu einem Rechtsakt geworden und stellt nach Ansicht der Vereinten Nationen und Dutzender Menschenrechts-Organisationen eine gefährliche Perspektive für einen Rückschritt bei den Menschenrechten und dem Völkerrecht dar.
Niemand, der oder die irregulär in das Vereinigte Königreich einreist, wird dort Asyl beantragen können, sondern wird sofort in das Herkunftsland oder in ein als sicher geltendes Drittland wie Ruanda zurückgeschickt. Für diejenigen, die bleiben, wird ein KZ-ähnliches Schiff mit 500 Plätzen für Asylbewerber an der Insel Portland angedockt (zwischen Exeter und Bournemouth), wo sich mehrere britische Gefängnisse befinden. Zurückgeschickt oder eingesperrt bis zur Entscheidung über Asyl. Das wird das Schicksal von Tausenden von Afghanen, Sudanesen, Iranern, Irakern und Syrern sein, die auf der Suche nach einem Neuanfang um die halbe Welt gereist sind.
Während das Gefangenenschiff dieser Tage sein Ziel erreichte, billigte das britische Parlament das Maßnahmenpaket, ohne Änderungsanträge zur Abschwächung zuzulassen, weder von der Opposition noch von jenen Konservativen, die dem Projekt kritisch gegenüberstehen. Es fehlt die Unterschrift des Königs, dann wird die Ankunft auf unsicheren Schiffen, oft nach Irrfahrten auf dem Meer, im Vereinigten Königreich bereits als "illegal" interpretiert. Die gleiche Regel gilt für unbegleitete Minderjährige, die mit Vollendung des 18. Lebensjahres des Landes verwiesen werden sollen.
Gleichzeitig wird das gesetzliche Zeitlimit aufgehoben, bis zu dem einer Person ohne Papiere die Freiheit entzogen werden kann. Die Inhaftierung von Migranten im Hinblick auf ihre Abschiebung wird zur Regel.
Rechts von der extremen Rechten
Dies sind Maßnahmen, die über das hinausgehen, was die spanische Franquisten-Partei Vox in ihrem Wahlprogramm vorschlägt. Sie sind restriktiver als die Positionen der rechtsextremen Regierung in Italien oder der Nationalen Sammlungs-Bewegung von Marine Le Pen in Frankreich. Die Neofaschisten werden von namentlich Konservativen rechts überholt.
Die niederländische Regierung ist letzte Woche zurückgetreten, weil sich die Koalition nicht auf eine Einschränkung ihres Asylsystems einigen konnte. Dabei ging es jedoch nur darum, die Zahl der Familien-Zusammenführungen von Flüchtlingen mit anerkanntem Status im Land zu reduzieren. Nur Dänemark hat es bisher gewagt, einige Flüchtlinge nach Syrien zurückzuschicken. Griechenland führt fast täglich “Rückführungen“ auf hoher See durch, deutlicher gesagt: Deportationen, ohne Komplexe, obwohl diese immer noch illegal sind. Aber keines dieser Länder hat sein Rechtssystem unter Missachtung des internationalen Rechts reformiert. Unterdessen versucht die spanische EU-Ratspräsidentschaft, eine Einigung über den Migrations- und Asyl-Pakt zu erzielen, während die einwanderungs-feindlichen Positionen auf dem Kontinent immer mehr an Boden gewinnen.
"Es ist widersprüchlich, aber Großbritannien hat Illegalität formalisiert, etwas Illegales wurde in ein Gesetz gegossen. Das verstößt nicht nur gegen internationale Menschenrechts-Konventionen, sondern auch gegen einen Teil des britischen Rechts. Es bleibt abzuwarten, ob das Gesetz angewandt werden kann, denn die Gerichte werden sich damit befassen. Doch die Botschaft ist vor allem symbolisch und normalisiert Positionen und Handlungen, die bis vor kurzem noch rote Linien waren", analysiert Blanca Garcés, die an der Universität Amsterdam in Sozialwissenschaften promoviert hat und am CIDOB forscht, einem Zentrum für internationale Beziehungen in Barcelona.
"Wenn wir eine Karte zeichnen mit liberalen oder restriktiven Ländern in Bezug auf die Migration, ist die Unterscheidung zwischen der extremen Rechten und traditionellen, zwischen konservativen oder sogar progressiven Parteien fast irrelevant", argumentiert die Expertin. Dies mache den fremdenfeindlichen Diskurs zur Normalität und verstärke die Thesen, mit denen sich die extreme Rechte in Europa durchgesetzt habe, so ihre Warnung.
Scharfe Kritik von der UN
Doch das britische Gesetz gehört bereits zu den härtesten in Europa und hat bei mehreren UN-Organisationen die Alarmglocken schrillen lassen. Überraschend war der nachdrückliche Charakter der Erklärung, die der Hoch-Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR), Filippo Grandi, und der Hoch-Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Volker Türk, am selben Tag abgaben - stets kritisch, aber in einem wenig diplomatischen Ton. Aus ihrer Sicht gab es keine halben Sachen. Bei den Vereinten Nationen wird von einem "völkerrechts-widrigen" Gesetz gesprochen: "Die neue Gesetzgebung untergräbt in erheblichem Maße den rechtlichen Rahmen, der so viele Menschen geschützt hat, und setzt Flüchtlinge ernsthaften Risiken aus, indem es gegen internationales Recht verstößt", sagte Grandi.
"Die Durchführung von Abschiebungen unter diesen Umständen verstößt gegen das Verbot der Zurückweisung (Rückführung an einen Ort, an dem das Leben oder die Unversehrtheit der Person gefährdet sein kann) und auch gegen das Verbot von Kollektiv-Ausweisungen, gegen das Recht auf ein faires Verfahren, gegen das Recht auf ein Familien- und Privatleben und gegen den Grundsatz des Wohls der betroffenen Kinder", sagte Türk.
Nach Ansicht der beiden UN-Organisationen steht das britische Gesetz im Widerspruch zu den Verpflichtungen des Landes im Rahmen der internationalen Menschenrechts- und Flüchtlings-Gesetzgebung und “wird tiefgreifende Folgen für Menschen haben, die internationalen Schutz benötigen". Außerdem schaffe es "weitreichende Befugnisse zur Inhaftierung mit begrenzter richterlicher Aufsicht".
An den Rand gedrängt
Der Flüchtlings-Rat UK, eine führende britische Nicht-Regierungs-Organisation, schätzt, dass das Gesetz dazu führen wird, dass schätzungsweise 190.000 Menschen eingesperrt und / oder an den Rand der Gesellschaft und in die soziale Ausgrenzung gedrängt werden, darunter 45.000 Kinder, die ins Elend gedrängt werden könnten.
Abgesehen von seiner Rechtmäßigkeit besteht das Hauptproblem des Gesetzes darin, dass es darauf setzt, dass Abschiebungen schnell und effektiv erfolgen. Die historischen Daten über Abschiebungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Der Prozentsatz der Abschiebungen von Migranten ist viel niedriger als die Zahl der Ankünfte in Europa insgesamt. Sie hängen von Vereinbarungen mit den Herkunfts- oder Transit-Ländern ab, die Deportationen nicht immer akzeptieren.
Das andere Standbein des Plans ist die Abschreckung von Migranten, die Großbritannien als Aufnahmeland ansehen, damit soll die Ankunft von Booten gebremst werden. Das Problem ist, darin sind sich UN-Organisationen und zahlreiche Experten einig, dass der Preis für diese Abschreckung darin besteht, dass die Zahl der Menschen ohne Papiere steigen wird – Menschen ohne Rechte, ohne Sozialleistungen, ohne legale Arbeit, ohne Gesundheits-Versorgung. Tausende von sozial ausgegrenzten Personen, die ernsthafte Probleme für das Zusammenleben und unnötiges Leid verursachen können.
Ein deutliches Beispiel für die Fragilität dieses Projekts ist der Plan für Abschiebungen nach Ruanda, ein zentraler Pfeiler der neuen Post-Brexit-Migrations-Politik, der jedoch von britischen Gerichten ausgesetzt wurde. Dutzende von NGOs haben dagegen geklagt und argumentiert, das Land biete keine Sicherheitsgarantien für die zurückgeschickten Flüchtlinge. Der Tory-Regierung gelang es jedoch, die Aufhebung vor dem Obersten Gerichtshof anzufechten, der darüber entscheiden muss, ob der afrikanische Staat ein sicherer Ort für die von Großbritannien abgelehnten Asylbewerber*innen ist, deren Zahl von nun an erheblich steigen wird.
Rechtsextreme Thesen gewinnen die Oberhand
Auslöser für diese Gesetzesvorlage war der enorme Anstieg der Ankünfte von Migranten in kleinen Booten in Südengland über den Ärmelkanal. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 45.000 Migranten, während es 2021 nur 28.300 und 2020 nur wenig mehr als 8.000 waren. Der Anstieg ist enorm, aber es handelt sich nicht um Zahlen einer Migrationskrise. Sie sind vergleichbar mit denen Spaniens, das im Jahr 2022 fast 42.000 irreguläre Migranten aufnahm, weit entfernt von den Ankünften in Italien oder Griechenland, wo das Phänomen ebenfalls durch den Schleier der Bedrohung gefiltert wird.
Es ist nicht schwer, den Weg zu dieser Rechts-Beschneidung und dem Bankrott des internationalen Rechts nachzuzeichnen, jener Reihe von Vereinbarungen, auf denen das europäische Projekt nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall des Faschismus beruhte. Jetzt scheinen diese Rechte mit dem Wiederaufleben ultra-nationalistischer Diskurse unterzugehen.
Während die EU mit Sorge auf die autoritäre Haltung Polens und Ungarns in der Migrations- und Asylfrage blickt oder vor dem Rückschlag warnt, den die ultrarechte Regierung Italiens einbringen könnte, ist das Vereinigte Königreich, die Wiege der liberalen Demokratie, weiter und schneller als alle anderen gegangen, indem es die ultrarechten Positionen, die Europa durchdringen, in Gesetze gegossen hat. Und das mit einer konservativen Regierung, die angesichts des Aufstiegs von Nigel Farages extremistischer UKIP den Brexit befürwortete und die Migration als großes Problem bezeichnet, während die Wirtschaft und die öffentlichen Dienste des Landes ins Trudeln geraten.
Jede neue Anti-Einwanderungs-Limitierung kommentiert Garcés, es handele sich um "einen weiteren Schritt". Doch Europa geht diesen Weg nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt. "Vorher haben die Staaten illegale Machenschaften praktiziert und versucht, sie zu verbergen. Nun werden diese Praktiken am helllichten Tag durchgeführt. In Großbritannien werden sie zum Gesetz. Aber ob sie durchgesetzt werden oder nicht, ist gar nicht wichtig. Ziel ist es, die Wählerschaft davon zu überzeugen, dass die Regierung alles Notwendige tut, um sie vor dieser konstruierten Bedrohung von außen zu schützen", so Garcés abschließend.
ANMERKUNGEN:
(1) “La ley migratoria de Reino Unido abre la puerta a legislar contra los derechos humanos en Europa” (Das britische Einwanderungs-Gesetz öffnet die Tür für menschenrechtswidrige Gesetze in Europa), Internet-Tageszeitung Publico, 2023-07-19 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Migranten-Knastschiff (publico)
(2) Sunak (vozpopuli)
(3) Migranten-Knastschiff (publico)
(4) Portland (historic england)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-22)