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Tourismus zerstört Lebensalltag

Immer mehr Bewohner*innen der Altstadt Bilbao spüren, wie die Luft dünner wird, wie sich die Schlinge des Massentourismus um den Hals der Lebensader der baskischen Stadt legt. Hunderte von Tourismus-Wohnungen, steigende Mieten, regelmäßige Hoteleröffnungen und ein Dauerfluss von Reisegruppen, die in den alten historischen Kern der Stadt kommen, sind an der Tagesordnung. Nicht nur in den Ferienmonaten, sondern das ganze Jahr über. Die Betroffenen haben angefangen, sich dagegen zu organisieren.

Begriffe wie Gentrifizierung, Touristifizierung, Massentourismus und Verdrängung fallen mittlerweile immer häufiger, wenn es um die Zukunft der Altstadt von Bilbao geht. Immer mehr Bewohner*innen werden sich bewusst, welche fatalen Folgen der Tourismus für alle nach sich zieht.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich Bilbao stärker und schneller verändert als jede andere baskische Stadt. Der sogenannte “Guggenheim-Effekt“ hat die Stadt auf die kulturelle Weltkarte katapultiert und zum Mode-Reiseziel gemacht. Auf den Grundfesten der ehemaligen Industriemetropole wurde eine Kulturstadt entworfen, an der fleißig weiterpoliert wird. Das schmutzige Bilbao der 1970er Jahre wird mit allen Mitteln zur Edelstadt aufgemotzt. Es soll weiter Millionen anlocken, die hier ihr Geld ausgeben, um die Säckel der Investoren zu füllen. Im vergangenen Jahr waren es 940.000, eine Steigerung von 24% in vier Jahren. Und noch nicht das Ende der Fahnenstange.

sosaz02Demgegenüber sind die Perspektiven all derer, die innerhalb dieser neuen Stadtentwicklung ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, eher düster. Der Arbeitsalltag in den Bereichen Tourismus, Dienstleistung und Gastronomie ist prekär, schlecht bezahlt und ohne jegliche Sicherheit. Arbeitsverträge von einem Tag Dauer sind keine Seltenheit mehr. “Hire and fire“, nennen die Gewerkschaften diesen Sachverhalt. Während sich wohlhabende Europäer*innen über die leckeren Pintxos hermachen, lebt ca. 30% der Bevölkerung Bilbaos an der Armutsgrenze.

Tourismus in Bilbao

Um den Verdacht der Dramatisierung gar nicht erst aufkommen zu lassen, sagen die Kritiker*innen dieser Stadtentwicklung ganz klar, dass Bilbao lange nicht das schlimmste Beispiel der Folgen von Massentourismus darstellt. Der Vergleich mit Barcelona oder Amsterdam ist nicht angesagt, in jenen Metropolen herrschen Zustände, die sich die meisten Bilbao-Bewohner*innen noch gar nicht vorstellen können. Das Problem liegt in der Entwicklungs-Dynamik. Bilbao ist noch nicht so weit – geht aber mit geraden Schritten auf das Chaos und Elend der genannten Städte zu.

Bis vor zehn Jahren war die Bilbao-Altstadt eine relativ ruhiges Pflaster für die Anwohner*innen. Insbesondere nachdem im Jahr 1997 der Autoverkehr (bis auf die morgendlichen Lieferanten) verbannt wurde. Ausnahme war die Fiesta-Woche im August, in der alles drunter und drüber geht – aber das gehört zum baskischen Leben wie der Korken auf die Weinflasche. Als das Guggenheim mit seinen Effekten ins Leben gerufen wurde, beschwerten sich die politisch Verantwortlichen darüber, dass die Besucher*innen nur einen Tag blieben, um ausschließlich das Museum zu begutachten und schnell weiterzureisen. Niemand kam auf die Idee, in der Stadt nach weiteren Sehenswürdigkeiten zu suchen.

Das hat sich gründlich verändert. Dank vieler teurer Werbekampagnen, Tourismus-Messen, willfähriger Artikelschreiber*innen und Millionen von Hochglanz-Prospekten. Eines der Probleme in Bilbao ist, dass sich der Tourismus in einem sehr kleinen Bereich der Stadt abspielt. Oder besser in zwei. Zum einen um das Guggenheim-Museum herum – zum anderen in der historischen Altstadt. Am ersten Ort stört das nicht weiter, es handelt sich um ein weitläufiges Gebiet mit Büros, Hotels und Bibliotheken, indem es wenig einheimisches Leben auf den Straßen gibt. Die kommerzielle Innenstadt mit ihren globalisierten Läden ist in nächster Nähe, auch hier spielt es keine Rolle, ob zwei- oder zwölftausend Personen herumschwadronieren.

sosaz03Die konzentrierte Altstadt

In der Altstadt ist dies anders. In den engen Gassen reicht bereits eine 50er-Gruppe, um den Durchgang zum Stillstand zu bringen. Zu Hochzeiten sind es jedoch zehn oder zwanzig Gruppen gleichzeitig – programmiertes Chaos. Tendenz steigend. Mehr und mehr Plätze, die vorher dem Lebensalltag der Bewohner*innen und Gewerbetreibenden vorbehalten waren, werden besetzt und zweckentfremdet: überall Restauranttische und Sonnenschirme, im Winter mit dicken Brennheizern versehen. Wer sich nur 100 Meter aus der Altstadt entfernt, sieht keinen einzigen Touristen mehr, als hätte jemand eine unsichtbare Grenze gezogen, die nur Reisende sehen können. Die Folge ist eine totale Konzentration auf die – tatsächlich sehenswerte – Altstadt, die mit der Stadtgründung vor 719 Jahren ihren historischen Anfang nahm. 70 oder 80 Prozent der Stadtbewohner*innen erleben vom Tourismus nichts – oder nur dann, wenn sie selbst in die Altstadt kommen.

Hier konzentrieren sich somit nicht nur die Massen von Besucher*innen, deren Anwesenheit führt zu weiteren weitreichenden Veränderungen. Der Airbnb-Effekt führt dazu, dass viele Mietwohnungen Tourist*innen vorbehalten werden. Der Markt für Mietwohnungen kam dadurch zum Erliegen, die Preise stiegen in einem Jahr um 40%. Auch die Ladenstruktur verändert sich rapide. Noch vor 25 Jahren gab es im Casco Viejo alles zu kaufen, was zum Leben notwendig war. Diese Vielfalt ist Vergangenheit. Mieterhöhungen und Geschäftsaufgaben aus Altersgründen haben zu einer Monokultur unter den Läden geführt. Die alteingesessenen verschwinden zugunsten von Souvenirläden (mittlerweile ca. 30), Angeboten von iberischem Schinken, Fastfood, Obst, Eis und Waffeln, sowie den überall vertretenen globalisierten Modeketten.

Das Arbeitsplatz-Argument

“Von irgendwas müssen wir ja leben“ – dieser Satz war noch vor zehn Jahren häufig zu hören, wenn es in Diskussionen um Tourismus und seine Folgen ging – das bekannte Argument für das kleinere Übel. Gerne benutzt auch von Tourist*innen, die ihre Reisefrequenz zu legitimieren versuchen. Doch mit der Zeit wird immer deutlicher, dass die Übel gar nicht so klein sind. Es geht um Verdrängung, Vertreibung, Verlust der Existenzgrundlagen, Verlust von Lebensqualität. Mit Ausnahme der Unternehmer verdient sich im Bereich Tourismus und Dienstleistung niemand eine goldene Nase. Prekarität ist angesagt: schlechte Bezahlung, schlechte Bedingungen, unbezahlte Überstunden, wer weiß wie lange. Für manche ist ein zweiter Job nötig, um die Kosten des Alltags zu bewältigen. Viele können schon ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen.

Die Fisch-Verkäuferinnen in der Markthalle können ein Lied davon singen, was es heißt, auf dem touristischen Präsentierteller zu stehen. Unfreiwillig. Jeden Tag ziehen hunderte von Tourist*innen durch den zu Unrecht hochgelobten Markt und fotografieren hemmungslos die dort Angestellten. Niemand fragt, wie es sich gehören würde. Das Recht auf Privatsphäre an diesem Arbeitsplatz existiert nicht mehr, die Verkäuferinnen werden selbst zur Ware, zum Anschauungsobjekt. Hier wie in der Altstadt geht es zu wie im Zoologischen Garten. Häuser wie Bewohner*innen verkommen zur folkloristischen Beilage. Alles steht zum Verkauf bereit.

sosaz04Wohin die Entwicklung geht macht der Markt selbst deutlich. In früheren Zeiten – damals noch ohne Halle – war “der Platz“ (wie viele Bilbainas bis heute sagen) das kulturelle, religiöse, wirtschaftliche und politische Zentrum der Stadt. Mit dem Bau der Halle wurde dies reduziert auf die Faktoren Kultur und Ökonomie. Vor 10 Jahren wurde die Halle von Grund auf reformiert. Der Komplex wurde aufgespalten in einen gastronomisch-touristischen Bereich und den traditionellen Markt. Um die Stände zu reduzieren wurden die Gebühren dramatisch erhöht, sodass viele ihre Läden aufgeben mussten. Die verbliebenen Metallstände haben jeglichen Charm vergangener Jahre verloren. Beide Seiten der Markthalle haben ihre sozialen Bedeutung verloren und wurden auf ihren Warencharakter reduziert.

Lebensqualität

Mit den auflaufenden Massen, der reduzierten Ladenstruktur und der Privatisierung einst öffentlichen Raumes geht in der Altstadt zunehmend Lebensqualität verloren. Die Tourismus-Wohnungen verschlimmern die Situation. Nach den Regeln der baskischen Regierung darf pro Gebäude nur eine Wohnung touristisch genutzt werden, maximal in der ersten Etage. Doch wo keine Kontrolle ist, machen alle was sie wollen. Schlaue Investoren kaufen Wohnungen und teilen sie durch vier oder fünf. Ein Trick, der Regierungsregel zu entkommen ist, dort eine Person anzumelden, dann handelt es sich formal nicht mehr um eine T-Wohnung, sondern um eine Wohngemeinschaft. So einfach ist es, die wenigen Hindernisse auf dem Wohnungsmarkt auszutricksen.

In Barcelona gehört es zur traurigen Tagesordnung, auch in Bilbao werden schon länger Anzeichen von Party-Tourismus verzeichnet. Das heißt, lärmende Gruppen von jungen Leuten, die betrunken zu jeder Nachtzeit von der Straße in den fünften Stock poltern und zurück. Angesichts solcher Situationen auf Hilfe von Seiten der Ordnungshüter zu hoffen ist eine Illusion. Wenn es um Tourismus geht, wird nicht einmal auf die Einhaltung der wenigen verordneten Regeln gepocht. Restaurants stellen ihre Tische auf die Straße, wie sie wollen. Ausgestellte Markisen sind in der Altstadt eigentlich verboten, aber eben nur eigentlich. Wer sich ans Zählen macht, kommt leicht auf hundert.

Einige Casco-Bewohner*innen haben schon die Reißleine gezogen und ihre Wohnungen verlassen oder verkauft, weil die Lage unerträglich geworden ist. Kein Wunder, dass sich Widerstand regt. Langsam und bescheiden, aber immer mehr. Überall sind Graffitis und Parolen zu sehen wie “Tourist go home“, “Gentrifizierung bedeutet Klassenkampf“ oder “Stadtteil zu verkaufen. Grund: das Kapital“. Manche fallen auch deftiger aus.

sosaz05Aufklärung ist der Anfang

Die Stadtteilgruppe SOS Altstadt hat schon vor einem Jahr begonnen, eine Bilanz der touristischen Unterkünfte zu erstellen und illegale Wohnungen zu markieren. Zusammen mit dem Nachbarschafts-Verein Bihotzean (baskisch: im Herzen) wird Aufklärungsarbeit gemacht. Viele Nachbar*innen können sich mittlerweile unter dem unsäglichen Begriff Gentrifizierung etwas vorstellen.

Die Stadtverwaltung reagiert auf jegliche Kritik äußerst sensibel, die verantwortlichen neoliberalen Statthalter (Konservative und Sozialdemokraten) sehen ihre Felle wegschwimmen. Bereits nach den ersten Kritiken am Massentourismus vor einigen Jahren wurde der Kampfbegriff “Tourismusphobie“ geprägt. Den müssen sich seither alle Kritiker*innen anhören, so rational sie ihre Kritik an den Tourismus-Modellen auch formulieren. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der neoliberale Bürgermeister von Donostia (San Sebastian) vorsichtig eingesteht, dass brachialer Tourismus Probleme schafft. In Bilbao ist diese Einsicht trotz der geringen Entfernung von 100 Kilometern noch nicht angekommen.

Gegenangriff der Hausbesitzer

Organisiert haben sich auch die Anbieter*innen von Tourismus-Wohnungen. AVITUR heißt der Verband, der sich mit einem Rechtsanwalt der Öffentlichkeit vorstellte (Asociación de Viviendas Turisticas – Verband der Tourismus-Wohnungen) – ein Euphemismus, denn hier organisieren sich nicht Wohnungen, sondern Hausbesitzer, denen die Lebensqualität ihrer Nachbar*innen scheißegal ist. Sie greifen die Stadtverwaltung wegen ihrer (völlig unzureichenden) Limitierungen an und fordern einen freien Markt für die Vermietung an Tourist*innen. Auch eine Klage wurde aus diesem Grund angestrengt.

Der Verwaltung spielt dieser Angriff in die Hände, deren Vertreter können sich so zum einen als Schützer vor dem Vermietungs-Wildwuchs darstellen, zum anderen als moderate Tourismus-Förderer. AVITUR argumentiert: “Hier ist nicht Ibiza, Barcelona oder Mallorca. Hier gibt es überhaupt kein Probleme. Den ungehinderten Wettbewerb der Wohnungseigentümer zu limitieren verstößt gegen die Regeln der freien Marktwirtschaft und ist ein Irrtum“ (1). AVITUR will den Rambo-Tourismus, freie Hand und unkontrollierten Profit für die Eigentümer.

sosaz06Unerwartete Unterstützung erhalten die Leute von SOS Alde Zaharra und Bihotzean bei ihrer Kritik der Tourismus-Wohnungs-Betreiber. Die Hotel-Lobby ist ebenfalls gegen die Vermietung von Privatwohnungen, wenn auch aus einem ganz anderen Grund: ihnen geht ein Stück vom Profitkuchen verloren, weil ihr Angebot in der Regel zu teuer und zu unpersönlich ist. Genau das ist ja das Erfolgsgeheimnis von Airbnb. In Bezug auf Hotels muss dabei ein Unterschied zwischen den kleinen und den großen gemacht werden. Bisher hatte Bilbao eine Hotelstruktur wie jede andere (nicht auf Tourismus setzende) Stadt. Nach dem Effekt und dem Boom setzen ausschließlich große multinationale Ketten auf Bilbao und investieren Millionen. Dabei nutzen sie den Hype der Großevents, die Bilbao regelmäßig an Land zieht, um ihre Preise an bestimmten Tagen um das zehnfache (!) zu erhöhen.

Klassenkampf?

Objektiv gesehen hat die Tourismus-Dynamik tatsächlich Elemente von Klassenkampf. Denn die Faktoren Markt, Profit, Kostensteigerungen und Verdrängung stehen immer mehr im Vordergrund. Bei richtungsweisenden Entscheidungen wird die betroffene Bevölkerung komplett ignoriert, Demokratie findet nur alle vier Jahre bei den Wahlen statt. Brummender Tourismus lädt das anhängende Gewerbe und die Gastronomie zu Preiserhöhungen ein, die letztendlich auch die Einheimischen bezahlen. Nur steigen die Einkommen leider nicht in gleichem Maße. Tourismus-Wohnungen trocknen den ohnehin kleinen Markt an Mietwohnungen aus und treiben die Preise in die Höhe. Wer sich diese Mieten nicht leisten kann, wird vertrieben. Ein Prozess wie beim Billard, wenn eine Kugel von der andern ins definitive Loch getrieben wird.

Die abgewählte Podemos-Regierung der Hauptstadt Madrid hat kürzlich beschlossen, nur noch solche Tourismus-Wohnungen zu legalisieren, die einen eigenen Zugang zur Straße haben. Damit würde die Zahl der TW auf 5% sinken – eine äußerst vernünftige Idee. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie nicht zum Tragen kommen, denn der neue Bürgermeister wird ein neoliberaler Rechter sein, der alle Türen wieder öffnen dürfte.

Bask*innen lieben die Masse

Ein spezifischer Umstand macht es vielen Bask*innen enorm schwer, Massentourismus überhaupt erst zu zur Kenntnis zu nehmen. Die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung hat die Gewohnheit, viele soziale und kulturelle Aktivitäten zu gleicher Zeit und in großer Zahl zu unternehmen. Entweder sind die Straßen voll oder es ist niemand zu sehen, zu Kulturfesten treffen sich locker mal 100.000 in einer Kleinstadt – alles in Masse. Wenn sich also 10.000 Besucher*innen “zufällig“ ein Wochenende lang in der Stadt tummeln (Kreuzfahrer zum Beispiel), fällt das vielen gar nicht weiter auf. Dieser Umstand erschwert die Bewusstwerdung über den Massentourismus und seine Folgen.

sosaz07Phobie und andere Kampfparolen

Dass der Begriff “Tourismusphobie“ als Kampfparole gegen die Kritiker*innen gewählt wurde ist pure Demagogie. Niemand hat etwas gegen Reisen oder Reisende, nur sollte es sich im Rahmen halten. Tourist*innen und Einheimische haben unterschiedliche Interessenlagen, die in ihrer Mehrzahl widersprüchlich sind, die sich an bestimmten Punkten aber auch treffen könnten. Voraussetzung für eine Koexistenz im Sinne beider Interessen-Gruppen ist ein Gleichgewicht: berücksichtigt werden müssen die Interessen derjenigen, die ihren Alltag an einem Ort verbringen, dieser Alltag kann nicht in Frage gestellt werden. Auf der anderen Seite hat auch die Neugier von Besucher*innen ihre Berechtigung, vorausgesetzt, sie setzt sich nicht über die Interessen und Lebensgrundlagen der Nachbar*innen hinweg.

Ein Berührungspunkt könnte sein, dass durch Tourismus vernünftige und würdige Arbeitsplätze geschaffen werden, die es der Bevölkerung erlauben, ohne Existenzangst davon zu leben. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die 10.000 Arbeiter*innen, die einst in der Euskalduna-Werft gearbeitet haben – just an der Stelle, wo sich heute das Guggenheim befindet – waren gewerkschaftlich organisiert, hatten ihre festen Löhne und waren ein politischer Faktor in der Stadt. Die aus dem Tourismus resultierenden Arbeitsplätze – abgesehen vom Direktor des Museums – stellen den Antagonismus dar.

Kampf um die Zukunft

Bestes Beispiel war der Streik im Jahr 2017, als 20 Bedienstete des Guggenheim-Museums für bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung streikten. Sie endeten allesamt auf der Straße – obwohl doch nach Angaben der Stadtverwaltung das Museum bereits Milliarden in die Stadt gebracht hat. Doch die fließen in andere Taschen, nicht in jene derer, die die schmutzige Arbeit machen.

Vor Initiativen wie SOS Alde Zaharra liegen schwierige Zeiten, sie sehen sich dunklen Wolken gegenüber. Die Verantwortlichen des Silber-Museums fordern lautstark eine Erweiterung, die Bezirksregierung hat bereits vor Jahren sogar den Bau eines zweiten Guggenheims ins Spiel gebracht – außerhalb von Bilbao und ausgerechnet in einem Naturschutzgebiet. Die Geister scheiden sich immer mehr.

Filmtourismus und Kreuzfahrer

Der Hype einer Filmserie führte bereits dazu, dass ein landschaftliches Juwel an der baskischen Küste zum kommerziellen Abfallplatz verhunzt wurde (Gaztelugatxe). Auch kleinere und weniger zugängliche Orte im Binnenland lechzen nach Besuchermassen und stellen ihre Vorzüge auf Werbeprospekten zur Schau. Die Zahl der Kreuzfahrer*innen, die im Jahr 2019 in Bilbao-Getxo anlanden, wird die Schallgrenze von 100.000 erreichen. Dass die Kreuzfahrerei generell als fatal für das weltweite Ökologiesystem angesehen wird, spielt dabei keine Rolle. Verkauft wird, was sich verkaufen lässt – ohne Rücksicht auf Verluste, weder in der Umwelt noch in der Bevölkerung. Also doch Klassenkampf.

Daher die Notwendigkeit, die Anreisenden zumindest optisch mit der Ablehnung des Massentourismus zu konfrontieren, mit Graffitis, Plakaten, Flyern und Aufklebern. Überall in der Stadt, vor jedem Hotel. Die aktuell organisierte Demonstration wendet sich hingegen an jene politisch Verantwortlichen, die entsprechende Entscheidungen getroffen haben und auch in Zukunft treffen. Die Argumente liegen auf dem Tisch, diametral entgegengesetzt, ohne Aussicht auf Verständigung.

SOS Alde Zaharra - Notruf aus der Altstadt

Der Aufruf von SOS Alde Zaharra und der Nachbarschaftsgruppe Bihotzean wird von einer ganzen Reihe von sozialen Gruppen unterstützt, unter anderem von der Föderation aller Nachbarschaftsgruppen Bilbaos, also auch aus jenen Stadteilen, die (noch) nicht vom Massentourismus betroffen sind. In diesem Aufruf heißt es:

sosaz08“Seit einiger Zeit erlebt die Altstadt Bilbaos tiefgreifende sozio-ökonomische und urbanistische Veränderungen, die die Mehrheit der Bewohner*innen betreffen. Diese Änderungen sind Folge des neuen Entwicklungsmodells, das die Behörden vorantreiben. Die Zeiten, in denen die Altstadt ein angenehmer Ort zum Leben war, sind vorbei. Sie hat sich verwandelt in “den größten Supermarkt der kantabrischen Küste unter freiem Himmel“ – mit diesen Worten beschreibt der Verband der Gewerbetreibenden den Stadtteil. Bei den Veränderungen spielen die Meinungen der Bewohner*innen keine Rolle, sie wurden und werden nicht gefragt. Bei der neuen Stadtentwicklung geht es allein ums schnelle Geld, die Folgen betreffen direkt die Bewohner*innen. Als es um diesen merkantilistischen Plan ging, um diesen riesigen Supermarkt unter freiem Himmel, wurden die Betroffenen Anwohnerinnen komplett ignoriert, wir wurden nicht gefragt, was wir dazu meinen, oder ob wir andere Vorschläge haben.

Schritt für Schritt werden die alt eingesessenen Läden und Restaurants ersetzt von Ladenketten, transnationalen Konzernen und Souvenirläden. Sie sind die einzigen, die die unaufhörlich steigenden Mieten der Ladenlokale bezahlen können. Die Straßen und Plätze füllen sich mit Terrassen, öffentlicher Raum wird privatisiert und für Anwohner*innen unzugänglich gemacht, ihre Nutzung wird unmöglich. Unsere Wohnhäuser füllen sich langsam mit legalen und illegalen Tourismus-Wohnungen, ständig werden touristische Unterkünfte eröffnet, im laufenden Jahr wurden allein in der Altstadt drei neue Hotels aufgemacht. Die Konsequenzen dieser Tourismus-Politik sind für alle Nachbar*innen verheerend, denn dieser “Boom“ hat direkte Auswirkungen auf die Miet- und Wohnungspreise, die kräftig steigen. Gleichzeitig machen sich Wohlhabende auf dem Immobilienmarkt breit und investieren, weil sie wissen, dass das Geld hier gut angelegt ist und sichere Profite bringt.

Die Behördenstrategien pro Tourismus haben zu einem Niedergang der Lebensqualität in der Altstadt geführt. Sie verwandelt sich immer mehr in einen Themenpark, in dem es ausschließlich um die Befriedigung der Bedürfnisse der Tourist*innen geht. Wenn dieses Tourismus-Modell nicht gestoppt wird, wird es in der Altstadt zwar eine große Anzahl von Konsumangeboten geben, die Bewohner*innen werden jedoch verschwinden.

Noch besteht die Möglichkeit, diesen Prozess zu beenden oder zu verändern. Zu diesem Zweck haben Nachbarinnen und Nachbarn der Altstadt beschlossen, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen und eine Demonstration zu organisieren. Wir sagen klipp und klar, dass wir eine Altstadt in Händen von Multis, Ketten und Zweigstellen ablehnen. Wir wollen einen Stadtteil mit Kleinhandel, der sich durch Nähe auszeichnet. Anstatt den Stadtteil ausschließlich dem touristischen Vergnügen und Konsum zu widmen, fordern wir ein lebendiges Barrio, das die Bedürfnisse seiner Bewohner*innen erfüllen kann. Wir wollen eine Altstadt, die nicht nach außen schaut, sondern nach innen. Eine Altstadt, in der es nicht um wirtschaftlichen Profit geht, sondern um Wohlstand für die Bevölkerung. Deshalb rufen wir auf zu einer (nicht) touristischen Stadtführung am 20. Juni 2019.“ (2)

(Publikation Baskultur.info 2019-06-20)

ANMERKUNGEN:

(1) Quelle: “Bilbao planta cara a Competencia y mantiene las limitaciones a los pisos turísticos” (Bilbao widersetzt sich der Wettbewerbsprüfung und hält an den Begrenzungen bei Tourismus-Wohnungen fest), El Correo 2018-05-24 (LINK)

(2) Mobilisierungs-Aufruf der Nachbarschaftsgruppe SOS Alde Zaharra (SOS Altstadt) in Bilbao zu einem öffentlichen auftritt am 20. Juni 2019

ABBILDUNGEN:

(1) Collage SOS AZ

(2) Touristinnen (elcorreo)

(3) Warteschlange (elcorreo)

(4) Bilbao Markthalle (periodico)

(5) Kreuzfahrer (elcorreo)

(6) Gaztelugatxe (deia)

(7) Pressekonferenz (FAT)

(8) Tourist (airbnb)

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