Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
Der Aberri Eguna (baskisch: Tag des Vaterlandes, in Bezug auf das historische Baskenland, Euskal Herria) ist ein Fest des baskischen Nationalismus, das jährlich am Ostersonntag stattfindet. Er wird gefeiert in den sieben baskischen Provinzen nördlich und südlich der Pyrenäen (Iparralde, Hegoalde), sowie in der baskischen Diaspora weltweit. Der Aberri Eguna geht zurück auf den Begründer des baskischen Nationalismus, Sabino Arana, der im Jahr 1895 auch die Baskisch Nationalistische Partei PNV gründete.
Der Aberri Eguna ist seit den 1930er Jahren ein Tag, an dem in allen baskischen Provinzen das Recht auf nationale Selbstbestimmung bzw. das Recht auf Unabhängigkeit eingefordert wird. Während der Dikatur war das Fest verboten, nach Francos Tod wurde es von der baskischen Rechten und Linken in getrennten Mobilisierungen begangen.
Zum heutigen Aberri Eguna wurde im Wesentlichen von zwei Seiten aufgerufen. Einerseits von der baskischen Rechten, die von der Baskisch Nationalistischen Partei EAJ-PNV repräsentiert wird. Auf der anderen Seite von der vielfältigen baskischen Linken, die angesichts der Pandemie auf zentrale Veranstaltungen verzichten musste und stattdessen zu vielen dezentralen, lokalen Demonstrationen und Kundgebungen aufrief.
Gefeiert wird der Aberri Eguna in den autonomen Gemeinschaften Baskenland und Navarra (Hegoalde) sowie im französischen Baskenland (Iparralde, zum Departement Pyrénées-Atlantiques gehörend), dazu von der baskischen Diaspora in aller Welt. Im Jahr 1932 wurde zum ersten Mal von der Baskischen Nationalistischen Partei EAJ-PNV zur Feier dieses Tages aufgerufen. Während des politischen Übergangs in Spanien (Transición) nach der franquistischen Diktatur nahmen kurzzeitig auch linksorientierte, nicht-nationalistische Parteien am Aberri Eguna teil. Die erste Feier fand 1932 in Bilbao statt. Sie wurde nach dem Spanienkrieg verboten und erst 1964 wieder aufgenommen.
Ursprung des Aberri Eguna
Dass der Tag auf Ostersonntag fällt, ist sicherlich kein Zufall. Die PNV vertritt die Auffassung, dass der Ursprung des Aberri Eguna daran erinnert, dass Sabino Arana, der Partei-Gründer und Vater des baskischen Nationalismus 50 Jahre zuvor "entdeckte", dass er kein Spanier sondern Bizkaino (Baske) war. Die Überlieferung besagt, dass Luis Arana, der Bruder von Sabino Arana, im Jahr 1882 eine Reise unternahm und dabei ein Abzeichen der Fuero-Anhänger trug. Ein Mann aus Santander, der mit ihm reiste und die Insignien sah, sagte etwas, das sich als transzendental erweisen sollte: "Nun, ich verstehe das nicht ganz. Wenn ihr Bizkainos Spanier seid und euer Vaterland Spanien ist, verstehe ich nicht, wie ihr Privilegien genießen wollt, die die übrigen Spanier nicht haben, und wie ihr euch vor Verpflichtungen drücken wollt, die alle Spanier gleichermaßen für das Vaterland auf sich nehmen. Ihr genießt Privilegien, müsst in der spanischen Armee keinen Dienst ableisten, zahlt kein Geld in die Schatzkammer des Vaterlandes. Ihr seid keine guten Spanier ...".
Aranas Offenbarung
Luis Arana verstand die Argumente des Mannes aus Santander und fragte sich, ob er nun Spanier oder Bizkaino sei. Er kam zu dem Schluss, dass Letzteres zutrifft. Im selben Jahr besprach er seine folgenschwere Entdeckung mit seinem Bruder Sabino Arana, der sich zu jener Zeit zu Hause von einer Tuberkulose erholte. Sabino folgte damals der karlistischen Tradition – und kam zum selben Schluss wie sein Bruder. An jenen Tag, an dem Sabino Arana als Bizkaino den baskischen Nationalismus entdeckte, wird mit dem Aberri Eguna erinnert. Nach der PNV-Überlieferung fand das Gespräch zwischen den Brüdern Arana am Ostersonntag 1882 statt. Diese Behauptung basiert auf einem angeblichen Schreiben von Sabino Arana, in dem er erklärte: "Aber am Ostersonntag 1882, gesegnet sei der Tag, an dem ich meiner Heimat begegnet bin!"
Aufgrund mangelnder Beweise wird diese Datierung von vielen jedoch nicht als glaubwürdig angesehen. Einige Historiker gehen davon aus, dass die rechten nationalistischen Führer den Vaterlandstag Aberri Eguna mit dem Ostersonntag zusammenfallen ließen, um dem Fest eine größere Symbolik zu verleihen und um im Gegensatz zum Säkularismus der Zweiten Spanischen Republik den zutiefst katholischen Charakter des baskischen Nationalismus zu betonen. Nicht vergessen werden darf die Symbolik von Aranas Entdeckung, die von den baskischen Nationalisten als die “Wiederauferstehung“ der baskischen Nation angesehen wird – ein überaus christlich-katholisches Syndrom.
Der erste Aberri Eguna (1932)
Die erste Feier fand nach der Gründung der Zweiten Spanischen Republik (1931) statt. Der katalanische Nationalismus feierte seit 1889 seine "Diada" und der galizische Nationalismus seit 1919 den "Día de la Patria Gallega" (Tag des galicischen Vaterlandes). Der erste Aberri Eguna im Jahr 1932 brachte immerhin 60.000 Menschen zusammen und wurde in Bilbao von der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) am 27. März 1932, einem Ostersonntag, gefeiert. Er bestand aus einer Demonstration, die vom Sagrado Corazón Platz zum Geburtshaus von Sabino Arana führte, das 1931 als Sitz der PNV in Bilbao restauriert wurde (heute Sabin Etxea). Hier enthüllte Luis Arana eine Gedenktafel.
Im folgenden Jahr 1933 wurde die Festkundgebung in San Sebastián (bask: Donostia) ausgerichtet, mit dem Slogan Euzkadi-Europa, an ihr nahmen der spätere Lehendakari (Ministerpräsident) José Antonio Aguirre und Telesforo de Monzón teil. Im Jahr 1934 wurde die Feier in Vitoria-Gasteiz in Anwesenheit von Manuel de Irujo und im Jahr 1935 in Pamplona abgehalten. Diese Demonstration wurde jedoch von der Zentralregierung und der navarrischen Rechten abgelehnt. Um die notwendige staatliche Genehmigung zu erhalten, musste der Name in "Euzko Eguna" (Baskischer Tag) geändert werden, ebenso das Datum, so wurden verschiedene politische und kulturelle Veranstaltungen im Pelota-Fronton "Euskal Jai" und in der Stierkampf-Arena durchgeführt. Die politische Unstabilität vor dem Ausbruch des Spanienkriegs im Juli 1936 führte dazu, dass es keine einheitliche Feier an einem bestimmten Ort gab, stattdessen kleinere Veranstaltungen an verschiedenen Orten.
Die Feiern nach dem Spanienkrieg
Während der Franco-Diktatur (1937-1975) war der Aberri Eguna in Spanien zunächst verboten und wurde erst Jahrzehnte später wieder zu feiern versucht, immer als Tag des Protestes und des Kampfes für die Freiheit. Nur im französischen Baskenland hielten die PNV und die baskische Exil-Regierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs regelmäßig an der Feier fest. Im Jahr 1947 fand die erste halbwegs bedeutende Kundgebung in Bilbao statt. Kurz darauf, am 1. Mai, war die Provinz Bizkaia Schauplatz eines Generalstreiks im Metall-Sektor, der auch von der PNV unterstützt wurde, etwa 50.000 Arbeiter mobilisierte und mit der Besetzung Bilbaos durch die Armee endete, sowie mit der Verhaftung von viertausend Personen und der Zerschlagung der illegalen Strukturen der sozialistischen UGT (Unión General de Trabajadores, Gewerkschaft der PSOE) und der lokalen Komitees der anarcho-syndikalistischen CNT (Confederación Nacional del Trabajo). 1963 rief zum ersten Mal in der Geschichte eine ausschließlich baskisch-französische Gruppe, Enbata, zu einem Aberri-Eguna-Fest außerhalb der PNV auf.
Seit 1964 wurden die Feiern im Baskenland abgehalten, halblegal und immer unter starker Polizeikontrolle. In jenem Jahr wurde die Stadt Gernika (span: Guerncia) ausgewählt, mit einer Besucherzahl, die die Erwartungen der PNV deutlich übertraf. Im Jahr 1965 sollte Bergara (span: Vergara) der Austragungsort sein, doch war der Zugang zur Stadt von Francos Polizei abgeschnitten, sodass im folgenden Jahr ein Umzug nach Vitoria-Gasteiz erfolgte.
Versuche in den 1960er Jahren
Im Jahr 1966 wagte sich die Untergrund-Organisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna) zum ersten Mal an einen Aberri-Eguna-Aufruf, geladen wurde nach Irun (in Gipuzkoa) und Hendaia (Iparralde, frz: Hendaye). Im Jahr 1967 wurde die Feier auf dem zentralen Plaza del Castillo in Pamplona abgehalten, unter strengsten Sicherheits-Vorkehrungen. Der Akt endete mit einem Polizeieinsatz und der Verhaftung von mehr als 300 Teilnehmer*innen. Weitere wichtige Meilensteine des Aberri Eguna waren die gemeinsame Feier von EGI und ETA im Jahr 1969 oder die erste gemeinsame Feier in Baiona (frz: Bayonne) im Jahr 1972, an der unter anderem die Baskische Nationalistische Partei (PNV), deren Gewerkschaft ELA-STV, EGI, ETA und Enbata teilnahmen.
Gegen Ende der Diktatur und während der transición (dem sogenannten demokratischen Übergang im spanischen Staat) wurde der Aberri Eguna von allen baskischen nationalistischen Parteien gefeiert und auch von nicht-nationalistischen linken Parteien als baskischer Heimat-Feiertag bzw. zumindest als Nationalfeiertag des Baskenlandes übernommen. So wurde 1975 in Gernika (ein halbes Jahr vor Francos Tod) die gemeinsame Feier von internationalen Persönlichkeiten besucht, von denen einige von der Polizei verhaftet wurden.
Im April 1974 sorgte Jesús María Leizaola, der Präsident der baskischen Exil-Regierung, für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er für einen Tag unter falscher Identität nach Spanien eingereist war und an einer heimlichen Feier des Aberri Eguna in der Casa de Juntas von Gernika teilgenommen hatte. Leizaola selbst leugnete dies jedoch in einem Interview mit dem Journalisten Vicente Talón in der Zeitung Pueblo und gab an, dass er eine offizielle Genehmigung gehabt hatte und lobte die Art und Weise des Wiederaufbaus der von der Legion Condor zerbombten Stadt.
Post-Franquismus
Im Jahr 1978 kam es zu der historischen gemeinsamen Forderung nach einem Autonomiestatut für das Baskenland. Aus dieser Zeit stammt das heutzutage eher peinlich wirkende Video, auf dem der junge Felipe Gonzalez zu sehen ist, mit erhobener Faust, “Gora Euskadi askatuta“ rufend: “Es lebe das befreite Baskenland“ (Gonzalez darf heute getrost zur spanischen Ultrarechten gezählt werden). Doch nach ersten gemeinsamen Aufrufen war die politische Atmosphäre im Baskenland immer stärker von Spannung geprägt, nicht zuletzt, weil ETA sich angesichts der Kontinuität des Franquismus auf allen Ebenen für eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes entschieden hatte. Die gemeinsamen Aufrufe brachen ab. Die sozialdemokratische PSE-PSOE hörte nach der Ausgabe von 1979 auf, den Aberri Eguna zu feiern, obwohl sie das Fest am Rande wiederbelebte, als sie sich 1993 mit Euskadiko Ezkerra (Euskadi-Linke) zusammenschloss, einer ehemaligen Strömung von ETA, die in den 1980er Jahren die Waffen niedergelegt und den Weg in die politische Mitte angetreten hatte.
Aberri Eguna heute
Heutzutage ist der Aberri Eguna ein nichtoffizieller Feiertag, der nur von baskisch-nationalistischen und abertzalen Parteien und Organisationen begangen wird. Auch die baskische Diaspora feiert den Tag im Ausland, in den auf der ganzen Welt verteilten baskischen Kulturzentren, Euskal Etxeak. Doch schon lange wird das Fest nicht mehr gemeinsam organisiert, derzeit gibt es zwei Aufruf-Tendenzen. Die PNV hat ihre politischen Veranstaltungen zum Aberri Eguna in den letzten Jahren auf dem Plaza Nueva in Bilbao abgehalten, die Parteivorsitzenden und der Lehendakari (Ministerpräsident, wenn er von der PNV ist) nehmen regelmäßig daran teil. Auch wenn es widersprüchlich erscheinen mag, hat sich die Partei von Diskursen um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sehr stark entfernt. Sie arbeitet vorzüglich zusammen mit den verschiedenen staatlichen Machthabern, besonders gut mit den Sozialdemokraten von der PSOE, von der sie sich die Stärkung ihrer Autonomie-Rechte (innerhalb des spanischen Staates) verspricht.
Der linke Aberri Eguna
Die baskische Linke legt generell Wert auf die Feststellung, “abertzal“ und nicht “nationalistisch“ genannt zu werden, weil sie einen Nationalismus im bekannten (rechtslastigen Sinn) ablehnt und sich vielmehr zu einem solidarischen Internationalismus bekennt. Zu Zeiten von ETA hatte die relativ homogene baskische Linke weitestgehend die Hoheit zu Aufrufen von links, zusammen mit den abertzalen Gewerkschaften ELA und LAB, sowie einer Reihe kleiner sektorialer Gewerkschaften (STELAS, HIRU, EHNE, ESK). Dies hat sich in den vergangenen Jahren verändert.
Nach dem Ende von ETA und dem Schwenk der baskischen Linken – zur besseren Unterscheidung mittlerweile offizielle baskische Linke genannt – hin zu Parlamentarismus und institutioneller Arbeit, hat sich das linke Spektrum deutlich diversifiziert. Seit 2012 feiert das Netzwerk Independentistak den Aberri Eguna in Iruñea (Pamplona) mit einer Demonstration für die Unabhängigkeit, die von den übrigen zum offiziellen Spektrum zählenden Organisationen (EH Bildu, Sortu, EA, Aralar, Alternatiba, Abertzaleen Batasuna, EH Bai) und von den linken Gewerkschaften ELA und LAB unterstützt wird. Die Feier endet üblicherweise mit einem Akt vor dem Fueros-Denkmal. Mit dem Aufkommen der Selbstbestimmungs-Bewegung Gure Esku Dago (Es ist unser Recht), ist Independentistak in den Hintergrund getreten, mittlerweile rufen neu gegründete Plattformen auf.
Im vergangenen Jahr mussten wegen der Coronavirus-Pandemie sämtliche Veranstaltungen und Feiern abgesagt werden, in diesem Jahr wurde der zentrale Akt in Pamplona wegen gesundheitlichen Vorwänden verboten, dafür gab es mehr als 100 lokale Veranstaltungen. Neu auf den Plan getreten sind junge kommunistische Organisationen wie Jardun, Jarki oder die Koordinadora Sozialista, die das von der institutionellen baskischen Linken vernachlässigte Terrain beackern und an neuen links-abertzalen Konzepten arbeiten. Mit beachtlichem Erfolg, wie jüngste Mobilisierungen gezeigt haben. Insbesondere die Jugend sucht neue Wege, sich zu organisieren und einzumischen. Auch zum Aberri Eguna.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus: Aberri Eguna, Wikipedia spanisch (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Aberri Eguna (not-de-gip)
(2) Aberri Eguna (oarsoalde hitza)
(3) Aberri Eguna (sare antifa)
(4) Aberri Eguna (pnv)
(5) Aberri Eguna (ks)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-04-04)