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Das erfolgreiche Ende des Franquismus

Die Forderung nach einer Generalamnestie für alle politischen Gefangenen fand im Baskenland vor 40 Jahren breite Unterstützung. 1977 wurden drei Aktionswochen organisiert, das spanische Regime reagierte mit mehreren Teilamnestien. Die zweite Mobilisierungswoche im Mai verlief blutig, sieben Personen verloren das Leben durch das brutale Agieren der Guardia Civil. Die erreichte Amnestie hatte einen zweifelhaften Charakter, sie garantierte auch Straffreiheit für die Kriegsverbrechen der Franquisten.

Eine breite Bewegung forderte nach Francos Tod in Spanien wie im Baskenland eine Amnestie für alle politischen Gefangenen, nicht nur für die Gefangenen von ETA.

Vierzig Jahre sind vergangen, seit eine große Volksbewegung in den Jahren 1976 und 1977 eine Amnestie für alle noch aus der Diktatur stammenden politischen Gefangenen forderte. Um diese Forderung auf die Straße zu bringen wurden 1977 drei Aktionswochen organisiert. Die zweite Woche, vom 8. bis zum 16. Mai 1977, war von besonderer Polizeibrutalität geprägt. Mit sieben Todesopfern und vielen Verletzten waren diese Maitage das Symbol einer Bewegung, die für eine grundsätzliche Änderung der politischen Verhältnisse eintrat und sich bei diesem Ansinnen mit den Altfranquisten konfrontierte, die fest im Sattel saßen und keinerlei Interesse hatten an einer „demokratischen Öffnung“.

Politische Ausrichtung nach dem Franquismus

amnestie77bNoch vor die Amnestie-Bewegung in Gang kam, wurde anlässlich der Krönung des Königs Juan Carlos I am 25. November 1975 eine Teilamnestie erlassen. Davon profitierten insgesamt 8.900 soziale Gefangene, 680 wurden freigelassen, der Rest erhielt Strafreduzierungen. Die Entscheidung, zur Monarchie zurückzukehren war eine Entscheidung, die Franco bereits Jahre vorher getroffen hatte, der neue König hatte seinen Treueeid auf die faschistischen Werte der falangistischen Bewegung geschworen. Eine Volksabstimmung über die Frage der Monarchie gab es nie, Franco konditionierte den Prozess, der später „demokratischer Übergang“ genannt werden sollte (spanisch: Transición) und der im übrigen Europa als beispielhaft dargestellt wurde.

Seit Francos Tod am 20. November 1975 wurde über eine Reihe politischer Reformen diskutiert, die Situation auf der Straße war besonders aufgewühlt. Große Teile der Bevölkerung trugen ihre Forderungen nach einer wirklichen Demokratisierung in die Öffentlichkeit, besonders stark im Baskenland. Die von den Franquisten eingesetzte Übergangs-Regierung bot Reformen an, die von der Bewegung jedoch als unzureichend betrachtet wurden.

So hatte es bereits im Jahr 1976 auf Druck der Straße eine Teilamnestie gegeben, die vom König (als Staatschef) und von Adolfo Suarez (als vom König eingesetzter Übergangspräsident) am 30. Juli unterschrieben wurde. Diese Teilamnestie umfasste die Begnadigung derjenigen Gefangenen, die vom Franquismus aus politischen Gründen verurteilt worden waren. Ausgenommen waren allerdings diejenigen Gefangenen, die Bluttaten begangen oder Menschenleben in Gefahr gebracht hatten. Diese Einschränkung galt insbesondere für Gruppen, die im Franquismus bewaffnet agiert hatten, wie ETA und FRAP (1). Zum Zeitpunkt von Francos Tod gab es im gesamten Staat ca. 400 politische Gefangene, 250 davon waren wegen bewaffneter Aktionen verurteilt. Unter die Teilamnestie vom Juli 1976 fielen vorwiegend Mitglieder der unter Franco verbotenen Parteien und politische Aktivist*innen, die bei Arbeitskämpfen und Streiks festgenommen worden waren. Über die Freilassung dieser Gefangenen hinaus war das Amnestie-Dekret auch Grundlage für die folgende Wiederzulassung der kommunistischen Partei.

Für die baskische Linke, die für einen Bruch mit dem Franquismus eintrat und sich nicht mit dem Reformpaket zufrieden geben wollte, das sich unter dem Begriff Transición (Übergang) andeutete, ging der Kampf auf verschiedenen Ebenen weiter. Im Januar 1977 wurde unter anderem die Legalisierung der baskischen Nationalflagge Ikurriña erreicht.

Arbeiterbewegung und Amnestie

Mobilisierungen für Amnestie gab es im gesamten spanischen Staat, sie waren nicht zuletzt Ausdruck einer Arbeiterbewegung, die nach den bleiernen Jahren des spanischen Faschismus enormen Aufwind spürte. Weil viele Parteien noch verboten waren oder sich noch nicht rekonstruiert hatten, erfolgte die Organisierung der Arbeiterschaft in Form von basisdemokratischen offenen Versammlungen. Für das altfranquistische Establishment bedeuteten solche sozialistischen Organisationsmodelle eine große Gefahr, die zurückgeschlagen werden musste. Zum Beispiel im März 1976 im baskischen Gasteiz-Vitoria, als die Polizei in einer Kirche eine solche Versammlung angriff und fünf Streikende erschoss. Doch kam die Reaktion nicht nur von Seiten der franquistischen Ordnungskräfte, auch faschistische Organisationen mischten sich ein. So wurde in Madrid der junge Arturo Ruiz von der Gruppe „Guerrilleros de Cristo Rey“ umgebracht (Guerrilleros Christus König) (2), als er am 22. Januar 1977 an einer Demonstration teilnahm. Zwei Tage später wurden fünf Gewerkschaftsanwälte in ihrem Büro in der Atocha-Straße von Madrid von einem rechtsradikalen Kommando erschossen (3).

amnestie77cFür Juni 1977 wurden vom spanischen Interimspräsidenten Suarez die ersten Parlamentswahlen angekündigt. Alle gesellschaftlichen Sektoren begannen umgehend, ihre politischen Positionen und Forderungen zu konkretisieren, oder zu diskutieren, ob sie unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt an diesem Wahlprozess teilnehmen sollten. Bei alldem war unklar, was aus den baskischen Gefangenen werden sollte. Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch baskische politische Gefangene, auch in französischen Gefängnissen. Die Forderung nach Freilassung und Amnestie aller Gefangenen erlebte in Euskal Herria große Unterstützung. Sie beinhaltete zwei Punkte: zum einen die Freilassung aller baskischen Gefangenen und zum anderen die Schaffung von Bedingungen, die dem Aufbau einer wirklich demokratischen Staatsstruktur dienen sollten. So sollte verhindert werden, dass es künftig erneut politische Gefangene gäbe. Auf diesen Forderungen basierend, organisierte die baskische Amnestie-Bewegung im Laufe des Jahres 1977 drei Aktionswochen: im Februar, im Mai und im Oktober.

Die Forderung nach Amnestie hatte also eine zentrale Funktion innerhalb des Kampfes um eine politisch-strukturelle Veränderung des Staates. Diese Bewegung hatte bereits während des Franquismus begonnen, Auslöser waren der Prozess von Burgos 1970 und die letzten Hinrichtungen unter Franco 1975 (4). Nach Francos Tod weitete sich die Bewegung deutlich aus. Die spanische Regierung reagierte auf diese Forderung jedoch nicht. Madrid war nicht bereit, Gefangene freizulassen, die wegen Attentaten im Gefängnis waren. So wuchs die Bewegung enorm. „Es wurden nur einige Gefangene freigelassen, aber diejenigen, die Attentate begangen hatten, nicht. Und genau das hat die Mobilisierung für eine Generalamnestie gestärkt“, erinnert der Historiker Iñaki Egaña (5).

Amnestie-Kommitees

Bereits Ende 1975 wurden in Donostia (spanisch: San Sebastián) erste Kommitees für eine Amnestie gegründet. Kurze Zeit später folgten weitere in vielen anderen Orten und Stadtteilen. Im Februar 1977 wurde die Amnestie-Plattform Gipuzkoas gegründet, die aus 44 Ortsgruppen bestand. In der Folge begannen sich alle Regionen zu organisieren. „Das war die bis dahin größte Solidaritätsbewegung“, erklärt Iñaki Egaña. „Das Engagement der Bevölkerung war enorm“ (5). Diese Pro-Amnistia-Gruppen organisierten unzählige Mobilisierungen, die bedeutendsten waren die Pro-Amnestie-Wochen. Der Bildhauer Eduardo Chillida (6), der bis Ende 1977 aktiv an der Amnestie-Plattform teilnahm, entwarf das Logo der Organisation.

amnestie77dAus diesen Kommitees entstanden 1979 die Gestoras Pro-Amnistia, die sich weiterhin für die baskischen politischen Gefangenen und Flüchtlinge stark machten und die die im Staat systematisch praktizierte strukturelle Folter anprangerten. 2001 wurde die Organisation von Richter Baltasar Garzón illegalisiert und ihre Aktivist*innen mit Gefängnisstrafen belegt. Garzon argumentierte – wie später gegen viele andere Organisationen der baskischen Linken – die Gestoras seien Teil von ETA.

Zu Jahresbeginn 1977 empfing der Übergangspräsident Suarez (ein ehemaliger Falangist) Vertreter verschiedener Parteien, die im Franquismus illegal gewesen waren, darunter Felipe Gonzalez und einen Politiker von der baskischen PNV. Sie forderten eine Amnestie für alle Gefangenen und alle Taten zwischen dem 18. Juli 1936 (Tag des Franco-Putsches) und dem 15. Dezember 1976. Die Regierung erweiterte daraufhin die Teilamnestie, weitere Gefangene kamen frei, aber immer noch nicht alle.

Fatale Wochen

Zwischen Dezember 1976 und Juni 1977 starben dreizehn Personen an den Folgen von Polizeieinsätzen in Araba, Bizkaia, Gipuzkoa und Nafarroa. Der Frühling 1977 war besonders folgenschwer. ETA militar (ETA-m), ETA politico-militar (ETA-pm) und andere bewaffnete Gruppen blieben aktiv, dazu kam die neu formierte Untergrund-Organisation GRAPO (1). Die politische Lage spitzte sich zu. Als Resultat der Zusammenarbeit zwischen Paris und Madrid wurden viele in Iparralde (nördliches Baskenland innerhalb des französischen Staates) lebende baskische Flüchtlinge von der französischen Regierung auf die Atlantikinsel Île de Ré (7) deportiert. Außerdem waren die sechs im Prozess von Burgos zum Tode verurteilten und später begnadigten Aktivist*innen, sowie andere weiterhin im Gefängnis. „Die Auseinandersetzung zwischen Anhängern einer vom Franquismus selbst angeregten Reform und der Bewegung, die einen klaren Bruch forderte, war auf ihrem Höhepunkt“, erinnert sich Egaña. (5)

In dieser Atmosphäre gewann die Pro-Amnistia-Bewegung an Stärke und begann drei Aktionswochen zu organisieren. Die zweite Pro-Amnestie-Woche im Mai 1977 lag kurz vor den für Juni angesetzten Wahlen. Die Polizeigewalt während jener Woche kannte keine Grenzen. In Renteria (Gipuzkoa) schoss die Guardia Civil mit Schnellfeuerwaffen und Pistolen auf Demonstrierende. Egaña erinnert sich gut an diese Tage. „Die Polizei ging rücksichtslos vor, weil sie bereits im Vorfeld wusste, dass sie straffrei agieren konnte. Nicht nur die vom Innenministerium beauftragten Polizeieinheiten, auch die in jener Zeit entstandenen paramilitärischen Gruppen gingen rücksichtslos vor. Für sie waren es fette Jahre“. (5)

Bis zum 12. des Monats gab es keine besonderen Vorkommnisse. Doch für den 12. Mai war ein Streik ausgerufen worden und um die Mittagszeit zerschlug die Guardia Civil die Demonstration in Renteria (Gipuzkoa). Es gab viele Verletzte durch Schussverletzungen, manche davon schwer. Und es gab drei Tote. Gregorio Maritxalar wurde auf seinem Balkon von einer Kugel getroffen, er starb Tage später im Krankenhaus; Rafael Gomez traf ein Schuss aus einem Maschinengewehr, als er spazieren ging; Clemente del Caño Ibañez wurde von einem Auto erfasst auf der Strecke Bilbo-Behobia, als ihn die Guardia Civil dazu zwang, eine Straßenbarrikade abzubauen.

Julio Marques wurde in Renteria schwer verletzt. Er war 21 Jahre alt und nahm an der Demonstration teil. „Die Guardia Civil griff uns frontal an. Wir liefen Richtung Kaserne und die Guardia Civil begann auf uns zu schießen. Ich war der erste, den sie trafen“, erzählt er. Schwerverletzt wurde er ins Krankenhaus nach Donostia gebracht. „Ein Dum-Dum Geschoss hatte mich erwischt. In meinem Bein war alles zerfetzt: Schienbein, Wadenbein, Arterien, Sehnen“. Fast ein Jahr verbrachte er im Krankenhaus. „Das war hart, sie haben meine Jugend zerstört“. (5)

amnestie77eJulio Marques hat die Demonstrationen und die Polizeigewalt jener Tage ziemlich präsent, weil ihn Freunde und Familienangehörige bei ihren Besuchen im Krankenhaus auf dem Laufenden hielten. „Ich war fast ein Jahr lang im Krankenhaus, aber sie haben mir alles berichtet“. Gegen die Schützen waren wir machtlos. „Wir haben Anzeige beim Gerichtshof in Burgos erstattet, aber sie wollten von uns Vor- und Nachnamen des Schützen wissen und das war unmöglich“. Die vor 40 Jahren erlittene Schussverletzung hat bis heute physische Auswirkungen: ein Virusbefall des Knochens. Auch die psychischen Wunden sind nicht verheilt. „Ich werde nie vergessen, was passiert ist, mein Bein erinnert mich täglich daran. Trotzdem, ich komme damit klar und lebe mein Leben“. (5)

Weitere Tote für die Amnestie

Die Ereignisse lösten in ganz Euskal Herria Reaktionen aus. Am 13. Mai wurde in allen baskischen Provinzen des spanischen Staats ein Generalstreik ausgerufen: Mobilisierungen, Sitzblockaden und Hungerstreiks. Auch da blieb die Guardia Civil bei ihrem brutalen Vorgehen. Die Auseinandersetzungen eskalierten mit tragischen Konsequenzen. Jose Luis Cano wurde in jener Nacht in Iruñea (spanisch: Pamplona) umgebracht. Ein Polizist erschoss ihn aus nächster Nähe in der Straße Caldereria. Er arbeitete als Typograf bei der Tageszeitung „La Voz de España“ und war Mitglied der Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras).

Sein Bruder Angel Cano erinnert sich an den Tag: „Er war auf der Demonstration in Iruñea. Die Leute fingen an zu rennen und er suchte zusammen mit vielen anderen Schutz in einer Kneipe. Die Polizei drängte hinein und trieb die Leute unter Schlägen auf die Straße, darunter mein Bruder. Sie begannen auf ihn einzuschlagen, zu dritt oder zu viert, einer zog die Pistole und schoss ihm in den Nacken. Die Kugel zerschlug ihm den Kieferknochen“, erklärt er. Sein Bruder war 28 Jahre alt. „Die Tage waren sehr sehr hart“, sagt Cano. „Ich werde nie vergessen wie brutal die Polizei vorging. Nach allem was ich je erlebt habe, war das die schlimmste Zeit“. Der Mörder seines Bruders wurde nicht vor Gericht gestellt, er wurde von den politisch Verantwortlichen protegiert. Angel Cano gesteht, dass er auch 40 Jahre danach noch eine unglaubliche Wut empfindet. „An der Macht sind immer noch dieselben, heute haben sie sogar noch mehr Macht und bis heute hat niemand zu diesen Verbrechen Stellung genommen“ (5).

Am selben Tag wie Jose Luis Cano starb auch der 72jährige Luis Santamaria, ebenfalls in Iruñea. Die von einem Polizisten abgeschossene Gummikugel schlug neben ihm auf seinem Balkon ein, er erlitt einen Herzinfarkt. Manuel Fuentes wurde in der nächsten Nacht in Ortuella (Bizkaia) getötet. Als er zu rennen begann, schoss ihn ein Guardia Civil in den Kopf. In Bilbao wurde Francisco Javier Nuñez von Ultrarechten ermordet.

Generalamnestie

Auf Druck der Straße verabschiedete das mittlerweile gewählte spanische Parlament (Congreso de los Diputados) am 17. Oktober 1977 ein Amnestiegesetz, das alle politisch bedingten Straftaten und Verbrechen in der Zeit vom 18. Juli 1936 bis 15. Dezember 1976 umfasste. Unterstützt wurde das Gesetz von PSOE (Sozialdemokraten), PCE (Kommunisten), UCD (Postfaschisten um Suarez), PNV (baskische Christdemokraten) und CIU (katalanische Rechte). Alianza Popular (Postfranquisten) und Euskadiko Ezkerra (ein Teil der baskischen Linken) enthielten sich (8).

amnestie77fDas Gesetz wurde damals als wichtiger Teil der Aussöhnung zwischen den beiden am Krieg von 1936 beteiligten Seiten bezeichnet. Nach Ansicht seiner Befürworter sollte das Gesetz dazu beitragen, alte Wunden zu schließen und die angespannte Lage zu beruhigen. Denn vierzig Jahre katholisch-faschistische Diktatur hatte tiefe Spuren hinterlassen, insbesondere in linken und baskisch-nationalistischen Kreisen. Die Sieger des Krieges von 1936 hatten gewissenlos geherrscht mittels massiver Repression, Massenerschießungen, Vergewaltigungen, Enteignungen, Zwangsarbeit und einer Auslöschung der Geschichte der Opfer. Dennoch wurde die Generalamnestie in vielen linken Gruppen und Parteien als Errungenschaft gefeiert, die Freude über die letzten Entlassungen aus dem Gefängnis war groß.

Fragwürdiger Erfolg

Doch war der Erfolg der politischen Mobilisierungen letztendlich ein Pyrrhus-Sieg. Denn im letzten Moment der Verhandlungen hatte die neue Regierung in das Amnestiepaket auch die Verbrechen der Franquisten aufgenommen. Das bedeutete die Straffreiheit all jener Verbrechen des Regimes aus der Zeit des Krieges und der Diktatur. Vielen war die Tragweite des Gesetzes in jenem Moment nicht klar. Zu den wenigen, die sich dagegen aussprachen, gehörten die baskische Linke und die anarcho-syndikalistische CNT, doch die waren nicht im Parlament vertreten. Folge der damaligen Entscheidungen war, dass sich die Gefängnisse schon bald wieder mit politischen Gefangenen zu füllen begannen. Folge war auch, dass ETA in Anbetracht der Kontinuität der franquistischen Kräfte in demokratischem Gewand keine Grundlage sah, ihre Strategie zu ändern und auf bewaffnete Aktionen zu verzichten.

Jenes Amnestie-Gesetz verhindert bis heute, dass Verantwortliche des Franco-Regimes (Minister, Militärs, Guardia Civil, Gefängnisleiter, Folterer, etc.) vor Gericht gebracht werden können. Nie stand auch nur einer der Kriegsverbrecher und Diktatoren vor Gericht. Dabei liegen unter der Erde des spanischen Staates nach wie vor mehr 110.000 Personen in bekannten und unbekannten Massengräbern. Manche sprechen sogar von 140.000. Die Menschenrechts-Kommission der UNO hat die spanische Regierung mehrfach darauf hingewiesen, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weder verjähren noch amnestiert werden können. Die spanische Regierung hat diese Regel unterschrieben, hält sich aber nicht daran.

Neuer Übergang gefordert

Vierzig Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes und achtzig Jahre nach dem Militärputsch werden immer mehr Stimmen laut, die einen neuen Übergang fordern, eine neue Transición. Wieder einmal sind es außerparlamentarische Bewegungen, die ihre Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit und nach der Umsetzung der Menschenrechte auf die Straße tragen. Dabei geht es nicht um Abrechnung, wie ein Vorwurf von rechts ein ums andere Mal wiederholt. Vielmehr geht es um eine wirkliche Aufarbeitung, um Justiz und Wiedergutmachung, es geht um Rehabilitation und um das Eingeständnis von Verbrechen.

Bis heute ist das letzte Wort der spanischen Regierungen, dass Gernika von den Basken selbst angezündet worden sei – die Version, die Franco 1937 verbreiten ließ. Nie hat eine postfranquistische „demokratische“ Regierung das Gegenteil zum Ausdruck gebracht, weder die Rechte noch die Sozialdemokratie. Für jene, die einen neuen Übergang fordern, geht es um Wahrheit und um eine Garantie, dass sich die dramatischen historischen Ereignisse nicht wiederholen. Dafür muss den Empfehlungen der UNO Folge geleistet werden, die letzten verbleibenden Folterer, Minister und Diktaturverbrecher müssen vor Gericht gestellt werden.

ANMERKUNGEN:

(1) ETA-m – ETA-militar ist die Organisation, die nach einem Prozess verschiedener Spaltungen üblich geblieben ist und im November 2011 den bewaffneten Kampf definitiv einstellte. / ETA-pm – ETA-político-militar spaltete sich 1974 von ETA ab, war als Gruppe jedoch weiterhin aktiv. Nach mehrfacher interner Spaltung gab sie 1982 den bewaffneten Kampf auf. Zuvor hatte sie die Rückkehr ihrer Aktivisten in die Legalität mit dem spanischen Staat ausgehandelt. / GRAPO: Die „Grupos de Resistencia Antifascista Primero de Octubre“, kurz GRAPO, deutsch: „Gruppen des antifaschistischen Widerstands des 1. Oktober“ sind eine bewaffnete kommunistische Untergrund-Organisation, die von 1976 bis 2007 aktiv war und in dieser Zeit Attentate auf Repräsentanten des Staates und Zivilpersonen verübte. (Wikipedia) / FRAP: Die „Frente Revolucionario Antifascista y Patriota”, deutsch: “Revolutionäre antifaschistische patriotische Front” wurde 1973 gegründet, verübte Attentate gegen spanische Militärs. Drei FRAP-Militante gehörten zu den letzten vom Franquismus exekutierten Regimegegnern (September 1975).

(2) Guerrilleros de Cristo Rey: ultrarechte Gruppe, die sich aus Polizei und Nazis zusammensetzte und in den 70er Jahren Attentate gegen vor allem baskische Linke ausführte.

(3) Mit Blutbad von Atocha von 1977 wird ein Attentat am 24. Januar 1977 in der Calle de Atocha nahe dem Madrider Bahnhof Atocha bezeichnet. Das Kommando der Alianza Apostólica Anticomunista stürmte die Arbeitsräume einer Gruppe von Anwälten, die der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CC.OO.) angehörten und eröffnete das Feuer. Fünf Anwälte starben, und weitere vier Personen wurden schwer verletzt.

(4) Im sogenannten „Prozess von Burgos“ 1970 wurden 15 angebliche ETA-Mitglieder vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Der Prozess weckte internationale Aufmerksamkeit und nötigte das Franco-Regime, die Urteile nicht zu vollstrecken. / Auch beim Prozess gegen fünf Militante von ETA-pm und der bewaffneten Gruppe FRAP kam es zu einer internationalen Protestbewegung. Doch wurden in diesem Fall die Todesurteile ausgeführt, bekannt als letzte Hinrichtungen unter Franco 1975. Bekannt sind vor allem die beiden exekutierten Basken Txiki und Otaegi. Siehe auch (Link)

(5) Zitate aus dem Artikel „Doluz jantzitako astea“ (Eine Woche voller Schmerzen), Tageszeitung BERRIA 6. Mai 2017. Daneben liegen dem vorliegenden Artikel Informationen zugrunde aus „Semana Pro-Amnistia, siete muertes y 40 años de lucha“ (Amnestie-Woche, sieben Tote und 40 Jahre Kampf) aus der Tageszeitung Gara vom 9. Mai 2017

(6) Eduardo Chillida (1924-2002) war baskischer Bildhauer und Zeichner. Er gehört zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Seine bekanntesten Werke sind große Skulpturen mit raumgreifenden Strukturen (Wikipedia)

(7) Île de Ré: Urlaubsinsel vor der französischen Atlantikküste, auf der es ein großes Gefängnis gibt, in dem bis heute baskische Gefangene einsitzen (Link)

(8) Parteien bei der Abstimmung zum Amnestie-Gesetz: PSOE (Partido Socialista Obrero Español, dt:Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) / PCE (Partido Comunista Español, dt: Spanische Kommunistische Partei) / UCD (Unión de Centro Democrático, dt: Union des Demokratischen Zentrums); sie wurde als Wahlbündnis für die Wahl am 30. Juni 1977 unter Vorsitz von Adolfo Suárez gegründet und 1982 aufgelöst. / PNV (Partido Nacionalista Vasco, dt: Baskisch Nationalistische Partei), bis heute Regierungspartei im Baskenland / CiU (Convergencia i Uni), Parteienbündnis in Katalonien, gegründet 1977, wurde am 17. Juni 2015 aufgelöst und unter neuem Namen wiedergegründet. / Alianza Popular (Volksallianz); von Franco-Anhängern nach seinem Tod gegründet; Vorsitzender war der Franco-Minister Manuel Fraga. Ging 1989 nach einem Neugründungsprozess in die PP (Partido Popular) über, die aktuell (2017) in Madrid regiert. / Euskadiko Ezkerra (dt: Baskische Linke), gegründet 1977, fusionierte 1993 mit der PSOE, um den baskisch-regionalen Ableger PSE der PSOE zu gründen.

ABBILDUNGEN:

(1) Protest in Gasteiz wegen des 3.März (irabazi.org)

(2) Denkmal für die Atocha-Toten (neuvatribuna)

(3) Amnestie-Demo 1977 (granollers.com)

(4) Polizeiterror 3.März 1976 in Gasteiz (lemiaunoir.com)

(5) Amnestie-Demo 1977 (publico.es)

(6) Gedenk-Graffiti in Gasteiz (eldiario.es)

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