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Der Coronavirus von Txagorritxu

Am 28. Februar 2020 um 21 Uhr – vor wenig mehr als einem Jahr bestätigte die baskische Gesundheits-Behörde Osakidetza die ersten beiden Fälle von Coronavirus in Euskadi. Es handelte sich um zwei Frauen. Eine aus San Sebastian, die gerade von einer Reise nach Mailand zurückgekehrt war. Die zweite eine Internistin aus dem Zentral-Krankenhaus Txagorritxu in Vitoria-Gasteiz. Sie war zwei Wochen zuvor mit Freundinnen nach Malaga gereist. Was folgte ist bekannt: Lockdown und massive Einschränkungen.

Die ersten offiziellen Coronavirus-Fälle wurden in Euskadi am 28. Februar 2020 von den Gesundheits-Behörden bestätigt. Doch bereits vorher gab es – nach heutigen Schätzungen – mehr als 6.000 Fälle, die den Virus-Charakteristika entsprochen haben.

Bei ihrer Rückkehr am 17. Februar hatte Ärztin aus Vitoria-Gasteiz Atembeschwerden, die sich schließlich zu einer Lungenentzündung von unbekannter Ursache entwickelten. Sie erfüllte nicht die vom Ministerium damals festgelegten Bedingungen für die Durchführung eines PCR-Tests: sie war nicht in China oder Asien gewesen, auch nicht in Italien, sie hatte auch keinen Kontakt zu Personen aus gefährdeten Gebieten. Die Ärztin bestand darauf, zehn Tage nach Auftreten der ersten Symptome endlich getestet zu werden. Sie war positiv.

In den folgenden Tagen folgte ein Rinnsal von weiteren Infektionen. Die meisten von ihnen im Gesundheits-Personal der Abteilung für Innere Medizin, bei Patient*innen und Angehörigen von Patient*innen im Zusammenhang mit dem Ausbruch in Txagorritxu. Auch andere Orte waren betroffen. In Gipuzkoa wurde ein zweiter Fall bekannt, ein Arzt des Krankenhauses Donostia, der keinen Kontakt mit bekannten Infizierten oder kürzliche Reisen außerhalb des Baskenlandes gemacht hatte.

Am 3. März wurde der erste positive Fall in Bizkaia gemeldet. Es handelte sich um einen Mann, der mit einer aus Antwerpen kommenden Person in Frankreich gewesen war. Die belgische Stadt litt zu dieser Zeit unter einem großen Covid-Ausbruch. Am folgenden Tag schlug die Pandemie erneut zu: der erste Coronavirus-Tote im Baskenland, ein 82 Jahre alter Mann aus Basauri in Bizkaia.

covid02Zwei Wochen vor seinem Tod begann sein Unwohlsein. Im Galdakao-Krankenhaus wurde ihm eine Lungenentzündung diagnostiziert, er wurde mit Antibiotika behandelt. Weil dies zu keiner Besserung führte kam er am 29. Februar erneut in die Notaufnahme. Die Merkmale seines Gesundheits-Zustands erregten den Verdacht des Personals, die jedoch tagelang insistieren mussten, bis es ihnen gelang, den Mann zu einem PCR-Test zu bewegen. Obwohl er in keinem der vom Ministerium gekennzeichneten Risikoländer gewesen war. Er wurde am Morgen des 4. März getestet. Das Ergebnis wurde Stunden nach Manuels Tod bekannt: positiv. Seine Frau Antonia starb Tage später ebenfalls am Coronavirus. Encarni, eine der Krankenschwestern, die ihn betreute, starb zwei Wochen später an Covid.

Manuels Fall sorgte bei Osakidetza für Verwirrung. Der Fall lag außerhalb des vom Ministerium definierten Protokolls. Dasselbe geschah mit einem Obdachlosen, der seit Mitte Februar mit Verdauungs- und Atemproblemen in Basurto eingeliefert war. Erst als die Gesundheits-Behörde Ende des Monats darum bat, alle Personen, die mit einer Lungenentzündung eingeliefert wurden und die negativ auf das Vorhandensein anderer Viren, wie z. B. Influenza, getestet wurden, begann man, diese Patienten einem PCR-Test zu unterziehen. Das positive Ergebnis des Obdachlosen wurde ebenfalls am 4. März bekannt.

Die Fälle dieser beiden Personen aus Bizkaia, zusammen mit dem im Krankenhaus Donostia, eines weiteren Patienten mit Lungenentzündung, der in Txagorritxu eingeliefert wurde, und der Internistin aus Vitoria-Gasteiz veranlassten die damalige Gesundheits-Senatorin Nekane Murga zu der öffentlichen Einschätzung, dass das Virus schon vorher in den Straßen zirkuliert haben könnte. Es hatte sich in drei Krankenhäuser eingeschlichen, ohne entdeckt zu werden. Diese fünf infizierten Personen hatten keinen Kontakt zueinander und waren nicht in Hochrisiko-Ländern gewesen. Die Explosion der Fälle, die in den folgenden Tagen zu beobachten war, unterstützte diese Theorie, ebenso wie spätere wissenschaftliche Studien und Daten des Gesundheits-Ministeriums.

Das baskische Virus

Eine der Studien, die die Theorie von der Existenz des Virus bereits in der ersten Februar-Hälfte unterstützt, stammt von den Forschern Antonio Salas und Federico Martinón, von einem Labor der Universität von Santiago de Compostela. Sie analysierten 41.362 genomische Proben von SARS-CoV-2 aus der ganzen Welt, 1.245 davon wurden von spanischen Labors zur Verfügung gestellt, davon 274 aus dem Baskenland. Die Untersuchung bewies, dass das Virus in der ersten Welle auf mindestens 34 verschiedenen Wegen in den spanischen Staat gekommen war. 95 % davon, bevor der Lockdown verhängt wurde. Einer der hauptsächlichen Zugangswege war über die baskische Hauptstadt (Vitoria-Gasteiz).

covid03Ein Großteil der Fälle, die im Land damals auftraten, wird fünf Virus-Linien zugeschrieben und eine davon stammt laut Studie aus Vitoria-Gasteiz. Die ersten beiden nachgewiesenen Fälle dieses Stammes datieren vom 27. dieses Monats. Die Variante hörte nicht auf, sich zu verbreiten, in jenen Wochen wurde sie zur Ursache für 67,3% aller Infektionen im Baskenland und für 31% im ganzen Land.

Genetiker*innen vermuten den Ursprung dieser Variante um den 11. Februar und glauben, dass das Virus bereits Tage zuvor im Baskenland zirkulierte. Obwohl sie nicht glauben, dass es dies vor Ende Januar der Fall war. Experten sprechen von zwei wichtigen Momenten der Expansion dieser Variante in Vitoria-Gasteiz. Die erste zwischen dem 5. und 14. Februar und die zweite zwischen dem 15. und 19. März, dank der Ausbreitung des Erregers durch Super-Verbreitung. Eine Beerdigung nahe der Stadt, die am 23. Februar stattfand, wurde sehr wahrscheinlich von einer infizierten Personen besucht, die eine große Fähigkeit hatte, das Virus zu verbreiten. Auf diese Beerdigung gehen mehr als 60 Fälle zurück.

Warum vermuten die Forscher das Auftreten der B3a-Variante auf den 11. Februar in Vitoria-Gasteiz und nicht auf ein anderes Datum oder einen anderen Ort? Es gibt keine stichhaltigen Beweise, die darauf hindeuten, dass dieser Stamm von einem anderen Ort kommt. Sie wurde durch lokale Variationen des Virus gebildet und brauchte einige Zeit, um sich zu entwickeln. Der Erreger braucht etwa zwei Wochen, um zu mutieren. “Wir zählen also rückwärts vom Zeitpunkt der ersten Entdeckung und der 11. ist das wahrscheinlichste Datum. Es ist die molekulare Uhr", erklärt Antonio Salas, einer der Autoren der Studie.

Eine andere Studie von vier Forscher*innen, darunter der Epidemiologe Ignacio Garitano, ehemaliger Koordinator des Osakidetza-Überwachungs-Netzwerks, stellt fest, dass zu dem Zeitpunkt, als Osakidetza die ersten beiden Positiven meldete, in Euskadi bereits "mehr als 6.000" Basken und Baskinnen von Symptomen berichtet hatten, die mit der Krankheit kompatibel waren. In einem Artikel, der im Mai in mehreren medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurde, wird erklärt, dass im März ein Tool zur Überwachung der Epidemie über das Internet gestartet wurde, mit dem Ziel, die Anzahl der Menschen, die sich seit dem Auftreten des Virus im Baskenland infiziert hatten, zu verifizieren. In diesen Wochen war die Anzahl der durchgeführten Tests gering, sie wurden nur für die schwersten Fälle verwendet. 128.812 Personen nahmen an dieser virtuellen Umfrage teil, das sind 5,5 % der baskischen Bevölkerung. Sie gaben unter anderem an, ob sie Symptome des Coronavirus hatten und wenn ja, seit wann sie diese aufwiesen. Die meisten der 26.375 Personen, die die vom Ministerium festgelegten Fallkriterien erfüllten, legten den Ausbruch der Krankheit zwischen dem 9. und 19. März fest, und 6.147 taten dies vor den ersten beiden PCR-Diagnosen am 28. Februar.

covid04Covid-Import in "Wellen"

In den Schlussfolgerungen dieser Arbeit heißt es, dass es im ganzen Land – auch nicht im Baskenland – einen alleinigen Patienten Null gab, vielmehr sei das Virus in jenen Wochen "in Wellen in Spanien eingeschleppt worden". Im Baskenland war der Zustrom von Menschen und die Mobilität in Risikogebiete wie Italien zu jener Zeit konstant. Vitoria-Gasteiz hatte zwei Flüge pro Woche mit Bergamo, einem der Virus-Epizentren des transalpinen Landes. Als die Gesundheitskrise losging, bat die baskische Regierung die Erasmus-Studenten in diesen Orten, nach Hause zurückzukehren.

Die Daten des Gesundheits-Ministeriums stützen die Schlussfolgerungen beider Studien und bescheinigen mit berichtigten offiziellen Zahlen, dass das Virus im Baskenland schon lange vor den ersten positiven Ergebnissen vorhanden war. Das Nationale Zentrum für Epidemiologie veröffentlicht Informationen über Personen, die mit einer durch unbekannte Viren oder Bakterien verursachten Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurden und deren Fälle auf Anfrage des Ministeriums a posteriori untersucht wurden. Es waren deutlich mehr als die drei, von denen Osakidetza Anfang März berichtet hatte. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde wurden im Februar 2020 im Baskenland 39 Personen mit deutliche Symptomen von Atembeschwerden eingeliefert, die mit dem Coronavirus kompatibel sind. Die erste Einlieferung war am 3. Februar in der Provinz Araba, die zweite in Bizkaia am 4. Februar.

Ein Jahr nach der ersten offiziellen Bestätigung von Coronavirus-Fällen in der Region Baskenland wird ebenfalls festgestellt, dass bereits vor diesem historischen Datum, das häuslichen Lockdown und Ausgangssperren nach sich zog, mehr als 6.000 Personen vom Virus infiziert gewesen sein könnten. Weil sie – im Nachhinein gesehen – Symptome hatten, die mit dem Coronavirus kompatibel sind. Dies wird sicher nicht das letzte statistische Untersuchungs-Ergebnis sein, weitere Offenbarungen werden folgen. 

ANMERKUNGEN:

(1) Information zum Artikel: ”Más de 6.000 vascos tuvieron síntomas de covid antes del primer positivo oficial” (Mehr als 6.000 Basken hatten Covid-Symptome, bevor der erste offizielle Fall bekannt gegeben wurde), Tageszeitung El Correo, 2021-02-28 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Bilbao 2020 (Foto-Archiv-Txeng - FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-03-03)

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