tollen1Vor 5.000 Jahren in Araba

In einer Ausgrabungsstätte nahe der Stadt Laguardia in der süd-baskischen Provinz Araba wurden Anzeichen gefunden, die darauf hindeuten, dass in dieser Gegend die am längsten zurückliegende kriegerische Auseinandersetzung Europas stattgefunden hat. Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Schlacht von Tollense im heutigen Deutschland während der Bronzezeit (1250 v. Chr.) “der älteste Krieg“ war, von dem Spuren gefunden werden konnten. Die baskische Rioja-Gegend ist reich an prähistorischen Funden.

Eine in der renommierten Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlichte Studie der Skelettreste von 338 Menschen, die vor 5.000 Jahren in einem Massengrab bei Laguardia bestattet wurden, weist auf einen groß angelegten Konflikt hin, der tausend Jahre vor dem ersten dokumentierten Krieg auf dem Kontinent stattfand.

Über die Kriege, die während der europäischen Jungsteinzeit stattfanden (vor 9.000 bis vor 4.000 Jahren), ist noch wenig bekannt. Bisher wurde davon ausgegangen, dass es sich bei jenen Auseinandersetzungen um kurze, wenige Tage dauernde Raubzüge handelte, an denen kleinere Gruppen von 20 bis zu 30 Personen beteiligt waren. Daraus folgte die Annahme, dass die neolithischen (jungsteinzeitlichen) Gesellschaften nicht über die logistischen Möglichkeiten verfügten, um längere, größere Konflikte auszutragen. Einige Forschungen haben bisher nahegelegt, dass der erste groß angelegte Konflikt in Europa in der Schlacht von Tollense im heutigen Deutschland ausgetragen wurde, etwa 1250 vor Christus, also vor 3.270 Jahren) während der Bronzezeit (vor 4.000 bis 2.800 Jahren). Daran könnten oder sollten etwa 4.000 Kämpfer mit Metallwaffen beteiligt gewesen sein. (1) (2)

Tollense, Mecklenburg

tollen2Der Tollense-Fluss liegt in Mecklenburg-Vorpommern. Nördlich von Altentreptow, nahe der früh-mittelalterlichen Burg mit dem slawischen Namen Conerow (datierbar über die Mauerreste), wurden seit den 1990er-Jahren an Böschungen und im Flussbett menschliche Knochenreste gefunden, die vielfach Spuren von Gewalteinwirkung zeigen, wie Schädellöcher oder verbliebene Pfeilspitzen. Über eine Strecke von 300 Metern Flusslauf bargen Archäolog*innen der Universität Greifswald Knochen, die bisher mehr als 100 Individuen zugeordnet werden konnten. Man schätzt die Gesamtzahl der Getöteten jedoch höher und vermutet den – noch nicht gefundenen – Platz eines Gefechts flussaufwärts des historischen und heute geänderten Flussverlaufs. In den bis zu drei Meter dicken Lagen Torf konnten sich die menschlichen Überreste gut erhalten.

“Zwar deutet heute auf den ersten Blick nichts auf ein Verbrechen hin, doch die friedliche Gegend nahe der Kleinstadt Altentreptow muss blutige Zeiten erlebt haben. Wichtigstes Indiz für das mörderische Geschehen sind menschliche Überreste mit martialischen Verletzungen, die Wissenschaftler über mehrere hundert Meter entlang des Flusses gefunden haben: eingeschlagene Schädel, pfeildurchbohrte Armknochen, gebrochene Wirbel. Um 1250 vor Christus hat sich hier ein Gemetzel zugetragen, so viel scheint sicher. Die Forscher haben, unterstützt von Studierenden und Freiwilligen, am Flüsschen schon mehr als 2000 Knochen aus der Bronzezeit eingesammelt.“ (3)

Die Forscherin Teresa Fernández-Crespo und ihre Kollegen, darunter mehrere baskische Archäolog*innen, Anthropolog*innen und Gerichtsmediziner*innen, haben die Skelettreste von 338 Menschen untersucht, die vor 5.000 Jahren in einem Massengrab in der heutigen Rioja Alavesa bestattet wurden, dem baskischen Teil der Rioja-Weinregion. Dabei ging es um das Thema von verheilten und nicht verheilten Verletzungen, die an den Skeletten entdeckt worden waren. Die Schlussfolgerungen der Untersuchung sind sehr aufschlussreich.

Denn die Verletzungen, die einige der 338 in Laguardia bestatteten Personen erlitten haben, "deuten darauf hin, dass viele von ihnen Opfer einer Kriegsperiode waren, die tausend Jahre vor dem bisher ersten bekannten großen kriegerischen Konflikt in Europa stattfand", erklärt die Forscherin von der Universität Valladolid.

Die Studie, die Ende Oktober 2023 in der renommierten Fachzeitschrift Scientific Reports der Nature-Gruppe veröffentlicht wurde, steht unter der Leitung von Teresa Fernández-Crespo von der Abteilung für Vorgeschichte der Universität Valladolid und wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen anderer Institutionen durchgeführt, unter anderem von Universitäten in Oxford, dem Baskenland und Kantabrien. In ihren Schlussfolgerungen weisen die Autor*innen darauf hin, dass sowohl die Anzahl der Personen mit Skelett-Verletzungen als auch der überproportional hohe Anteil von Männern darauf schließen lassen, dass die Verletzungen das Ergebnis eines organisierten Konflikts waren, der möglicherweise mehrere Monate gedauert haben könnte.

Die Untersuchung dieser Skelettgruppe hat ergeben, dass die 338 an der Fundstelle bestatteten Personen 65 nicht verheilte und 89 verheilte Verletzungen aufwiesen. Betroffen waren 45% der an der Fundstelle erfassten männlichen Jugendlichen und Erwachsenen. Die Tatsache, dass die meisten nicht verheilten Wunden bei Männern festgestellt wurden, deutet darauf hin, dass viele von ihnen als Kämpfer aufgetreten waren und möglicherweise bei Auseinandersetzungen und Angriffen starben.

Alle untersuchten Überreste stammen aus der Begräbnisstätte San Juan Ante Portam Latinam, die sich in einem Felsunterstand nahe der Stadt Laguardia in Araba (span: Alava) befindet und deren Radiokohlenstoff-Datierung auf eine Epoche vor 5.400 bis 5.000 Jahre hinweist. An der Fundstelle wurden 52 Pfeilspitzen aus Feuerstein gefunden, von denen mindestens 41 Spuren von Einschlägen auf Textilien aufwiesen, so die Forscher*innen.

Männer, Frauen, Kinder

tollen3Die Expert*innen schätzen jedoch, dass nur ein Drittel der Pfeile, die auf menschliche Körper geschossen wurden, irgendwelche Knochen trafen oder erkennbare Spuren hinterließen. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass die meisten, wenn nicht sogar alle dieser 52 Pfeilspitzen, die in der Grabstätte geborgen wurden, einen Körper getroffen haben und mit den Leichen in den Felsenhort gebracht wurden. Die Zahl der tödlichen Verletzungen würde bedeuten, dass mindestens 90 der 338 an diesem Ort bestatteten Menschen, also 26,6 Prozent, eines gewaltsamen Todes starben. "Die Zahl könnte sogar noch höher sein, wenn wir bedenken, dass einige der an diesem Ort bestatteten Personen nicht unbedingt auf dieselbe gewaltsame Weise gestorben sind", wird hinzugefügt.

Diese Vorstellung wird verstärkt durch die unsystematische Anordnung vieler Körper, die in atypischen Positionen, mit dem Gesicht nach unten oder seltsam gebeugt, abgelegt wurden. Darunter Männer, Frauen und Kinder.

Insgesamt wurden in dem Grab 137 Erwachsene und 201 Nicht-Erwachsene gefunden, wobei Männer eindeutig in der Überzahl waren. Von den 153 untersuchten Jugendlichen waren mindestens 107 männlich (70%). Die Autor*innen, darunter der renommierte Gerichtsmediziner Francisco Etxeberria von der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi, stellten fest, dass 23,1% der Personen Skelett-Verletzungen und 10,1% nicht verheilte Wunden aufwiesen, also deutlich mehr als bei sonstigen Skelettfunden aus jener Zeit, bei denen die üblichen Zahlen bei 7 bis17% Skelett-Verletzungen und 2 bis 5% nicht verheilte Wunden liegen.

Das Forschungsteam stellte außerdem fest, dass 74,1% der nicht verheilten Verletzungen und 70% der verheilten Wunden bei männlichen Jugendlichen oder Erwachsenen aufgetreten waren, ein deutlich höherer Prozentsatz als bei Frauen. Dies ist ein Unterschied, der an anderen europäischen Massen-Sterbeplätzen der Jungsteinzeit bisher nicht beobachtet worden war.

Ein großer Konflikt

Der Gesamt-Prozentsatz der Verletzungen, die höhere Verletzungsrate bei Männern und die an den Pfeilspitzen festgestellten Beschädigungen deuten darauf hin, dass viele der an diesem Fundort bestatteten Menschen vor ihrem Tod Gewalt ausgesetzt waren und möglicherweise selbst Opfer von Konflikten wurden. Nach Ansicht der Autoren, zu denen auch die Araba-Archäologen Javier Ordoño und José Ignacio Vegas gehören, lässt die Tatsache, dass bei einigen Personen sowohl verheilte wie nicht verheilte Wunden festgestellt wurden, darauf schließen, dass die kriegerische Auseinandersetzung mehrere Monate andauerte (um das moderne Wort Krieg zu vermeiden).

"Die Gründe für den Konflikt sind aus der zeitlichen Distanz schwer nachzuvollziehen". Allerdings gehen die Autor*innen der Studie davon aus, dass die relativ hohe Bevölkerungsdichte und die immer komplexer werdende sozio-ökonomische Zusammensetzung der Rioja Alavesa in der späten Jungsteinzeit eine Ursache gewesen sein könnten für die Konkurrenz um Ressourcen zwischen verschiedenen Gruppen der Region. "Es ist möglich, dass die tödliche Gewalt durch den Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Lebensweisen und Bestattungspraktiken ausgelöst wurde, im Kontext einer wachsenden Bevölkerung.“ Die Spannungen könnten schließlich zu einem "gewaltsamen Konflikt zwischen verschiedenen Parteien der lokalen Bevölkerung geführt haben. Anzeichen oder Hinweise für die Ankunft Personen aus anderen Gebieten gibt es jedenfalls nicht", so die Forscherin.

"Gewalt im großen Stil

tollen4Aufgrund all dieser Erkenntnisse und Vermutungen weist das Team darauf hin, dass diese Fundstelle in Araba "eine der vielversprechendsten Fundstellen für die größte bekannte Bestattung im Zusammenhang mit massiver Gewalt im europäischen Neolithikum" ist. Die Einzigartigkeit dieses Fundes steckt in den "Gewaltaktionen aus der Distanz", die sich aus den Pfeilwunden ableiten lassen. Dies unterscheidet den Laguardia-Fund von anderen neolithischen Massakern auf dem europäischen Kontinent, bei denen Schädelverletzungen vorherrschen, als direktes Ergebnis von Nahkampf. Außerdem zeigen die Überreste aus Laguardia, dass neben der direkten Gewalt der bewaffneten Auseinandersetzungen auch "Kollateralschäden für die Lebensqualität festgestellt werden konnten, wie Krankheiten und Ernährungsmängel", so Fernández-Crespo.

Das Vorhandensein von Wunden durch Pfeilspitzen und anderen Anzeichen von Gewalt an den Skeletten stützt die Idee, dass es "ständige und organisierte Gewalt zwischen rivalisierenden Gemeinschaften gab": zum Beispiel Kopftraumata oder Frakturen an weiteren zeitgenössischen Fundorten in der Region. "Zusammen mit den Skelettspuren und Isotopenfunden, die mit biologischem Stress und Unterernährung sowie einer ständigen Mobilität in der Region vereinbar sind, deutet dies auf weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen hin, wie sie im europäischen Neolithikum bisher noch nicht beobachtet wurden", so die Autor*innen.

Zufällig entdeckte Stätte

Die Fundstätte San Juan Ante Portam Latinam liegt zwei Kilometer von Laguardia entfernt in der Nähe des Carralogroño-Sees. Sie wurde 1985 zufällig entdeckt, als ein landwirtschaftlicher Weg etwa zwei Kilometer südöstlich von Laguardia und nahe des Carralogroño-Sees verbreitert wurde. Sein etwas kurioser Name bezieht sich auf eine alte Bruderschaft, die in der Stadt Laguardia lebte und dort Weinberge besaß. Archäologische Ausgrabungen wurden in den Jahren 1985, 1990 und 1991 durchgeführt.

Es handelte sich um einen kleinen natürlichen Schutzraum, der vor etwa 5.000 Jahren als kollektive Begräbnisstätte genutzt wurde. Die Einzigartigkeit der Bestattung geht auf die untypische Beschaffenheit des gewählten Ortes, die große Anzahl von Leichen (338), sowie die Anzahl von Pfeilspitzenwunden und anderen Zeichen von Gewalt an den menschlichen Überresten zurück. Bei einer der Leichen wurde ein Feuerstein-Pfeil im Becken gefunden, ein bisher einzigartiger Fall im Baskenland und einer der wenigen in Europa.

Neben den gefundenen Knochen wurden auch Stein- und Knochen-Werkzeuge sowie persönliche Schmuckgegenstände geborgen. Dazu kamen einige Überreste von Tieren, darunter der Schädel eines Hundes mit Spuren einer Enthauptung. Die genaue Lage der Fundstelle ist ausgeschildert, das gefundene Material wird im Archäologischen Museum Bibat von Alava in der Hauptstadt Vitoria-Gasteiz aufbewahrt.

Allgemeine Daten

(*) Die am Fundort Laguardia in Alava untersuchten Knochenreste sind 5.400-5.000 Jahre alt. (*) Die Schlacht von Tollense, im heutigen Deutschland, fand vor 3.300 Jahren statt und galt bisher als die älteste dokumentierte kriegerische Auseinandersetzung überhaupt. (*) Die Stätte in La Rioja, Alava, wurde 1985 entdeckt und im selben Jahr sowie 1990 und 1991 archäologisch untersucht.

ANMERKUNGEN:

(1) “Encuentran en un enterramiento alavés evidencias de la guerra más antigua de Europa” (Beweise für den ältesten Krieg in Europa in einer Grabstätte in Alava gefunden), Tageszeitung El Correo, Autor: Sergio Carracedo, 2023-11-02 (LINK)

(2) “El primer conflicto a gran escala documentado en Europa tuvo lugar en Araba hace 5.000 años” (Der erste groß angelegte und dokumentierte Konflikt in Europa fand vor 5.000 Jahren in Alava statt) Tageszeitung Gara, 2023-11-03 (LINK)

(3) “Bronzezeit-Gemetzel macht Archäologen ratlos“, Spiegel Online, 2009-09-23 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Laguardia-Fund (elcorreo) - Oberflächenansicht eines Teils der Begräbnisstätte vor der Ausgrabung in der Fundstätte San Juan Ante Portam Latinam in Laguardia. José Ignacio Vegas / Schädel mit erheblichen stumpfen Gewalteinwirkungen auf den rechten Scheitel- und Stirnknochen des Schädels. / Mauer neben dem Fundort. / Verteilung der nicht verheilten (rote Punkte) und verheilten (grüne Punkte) Schädelverletzungen der untersuchten Individuen aus dem Fundort Laguardia.

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-11-06)

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