abegun1Aberri Eguna für immer

Jeden Ostersonntag feiern diejenigen Bask*innen, die an eine eigene Zukunft ohne den spanischen oder den französischen Staat glauben, den Aberri Eguna. “Aberri“ ist baskisch und bedeutet Vaterland oder Nation. Dieser Vaterlandstag geht zurück auf den PNV-Gründer Sabino Arana, der als der Erfinder oder Vater des modernen baskischen Nationalismus gilt. Arana kam ideologisch aus dem Karlismus und erfand verschiedene Symbole, die der baskischen Nation künftig eine gemeinsame Grundlage geben sollten.

Gefeiert wird der Aberri Eguna in den sieben baskischen Provinzen nördlich und südlich der Pyrenäen (Iparralde, Hegoalde), sowie weltweit in der baskischen Diaspora. Zum ersten Mal wurde der Aberri Eguna 1932 in Bilbo begangen, mit einer Demonstration, zu der sich immerhin 60.000 Personen einfanden.

Die baskische Rechte (PNV) (1) und die baskische Linke (HB, Sortu, Bildu) (2) begehen den Vaterlandstag traditionell in getrennten Akten, weil ihre Wege hin zu einem “selbstbestimmten oder unabhängigen Baskenland“ sehr unterschiedlich aussehen. Während der Franco-Diktatur war das Fest selbstverständlich verboten. Dass der Tag von Sabino Arana auf Ostersonntag gelegt wurde, ist sicherlich kein Zufall, denn der Parteigründer war ein strammer Katholik.

abegun2Just die Zeit der ersten Vaterlandstage fällt zusammen mit der Gründerzeit der baskischen Linken. Teile der PNV hatten begonnen, Brücken zu schlagen zwischen dem baskischen Nationalismus und der sozialistisch-kommunistischen Arbeiter-Bewegung, die sich in den Bergbau-Gebieten Bizkaias entwickelt hatte und die einen ausgeprägten antiklerikalen und stark antibaskischen Charakter hatte. Der Versuch gipfelte in der Abspaltung der Acción Nacionalista Vasca (ANV) von der PNV, die neue Partei war links, republikanisch, stand für die Unabhängigkeit und sollte im Spanienkrieg eine wichtige Rolle spielen (3).

Für die auf einen Ausbau der baskischen Autonomie setzende christdemokratische PNV ist der Aberri Eguna eine im Wesentlichen von Tradition und Folklorismus geprägte Angelegenheit, mit einem zentralen Akt in Bilbo. Für die baskische Linke, die sich nach dem Ende von ETA in eine Reihe verschiedener Organisationen aufgespalten hat, steht die Forderung nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Vordergrund. Dabei tut sich die Linke mitunter schwer, bei ihren Unabhängigkeits-Diskursen ihr zweites elementares Ansinnen – Sozialismus – mitzuformulieren. Die soziale Frage bzw. die Klassenfrage fällt angesichts des patriotischen Impetus am Aberri Eguna häufig sehr knapp aus, wie am folgenden Text deutlich wird. Es handelt sich nicht um einen offiziellen Aufruf zum Aberri Eguna, dennoch folgt er einem Diskurs, der mitunter sogar am 1. Mai, dem Kampftag der Arbeiterklasse aus der Schublade geholt wird.

Aufruf zum Aberri Eguna

Das Dilemma, ob eine Nation überleben kann, ohne ein Staat zu sein, wird seit langem diskutiert. Für die abertzalen (baskisch: patriotisch) Aktivisten ist es eine historische Tatsache, dass ein Staat notwendig ist, weil er der einzige Überbau ist, der die notwendigen Mechanismen garantiert, um unseren Platz in der Welt einzunehmen und als Volk zu überleben. (4)

Diese Tatsache gilt schon immer, umso mehr in dieser beschleunigten Globalisierung, in der die Entwicklung des kapitalistischen Systems auf eine globale Vereinheitlichung zusteuert, die zum Verschwinden lokaler Kulturen und nationaler Identitäten führt, denen es nicht gelingt, sich in ihrer Region durchzusetzen.

Wenn diese Phase des Kapitalismus sogar die differenzierte Identität der konsolidierten Staaten durch die Märkte und die ideologische Durchdringung verwässert, was kann dann aus den Nationen werden, die nicht über die Mittel verfügen, sich zu verteidigen? Was kann aus uns werden, die wir von zwei Staaten besetzt und kolonisiert sind, die seit Jahrhunderten unser Verschwinden als Volk anstreben und keine Mittel scheuen, einschließlich Gewalt, um dies zu erreichen?

abegun3Die Welt entwickelt sich derzeit nicht zu einem günstigen Szenario für kleine Nationen, für Minderheiten-Kulturen wie die unsere, die ohne einen eigenen Staat zum Aussterben verurteilt sind und kaum mehr als ein folkloristisches Bollwerk mit einer Touristen-Attraktion von kommerziellem Interesse sein werden.

Für Unabhängigkeit zu kämpfen, um einen Staat zu gründen, ist das Ziel eines jeden abertzalen Aktivisten; ein erster grundlegender Schritt, um auf das nächste große Ziel zuzugehen: diesen Staat auf den sozialistischen Horizont “Unabhängigkeit und Sozialismus“ auszurichten sind unsere beiden unverzichtbaren Achsen; das kraftvolle Herz der abertzalen Linken. Euskal Herria und die Freiheit.

Weil unsere Nation überleben und am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitwirken muss, können wir als sozialistische Patrioten nicht nur maximalistische Ziele anvisieren und diesen Idealismus von den Posen derjenigen abgrenzen, die nur Lippenbekenntnisse abgeben. Wir können uns auch nicht auf die Verwaltung von Mitteln beschränken, die dem Baskenland zwar zweifellos zugute kommen und das Leben der baskischen Arbeiterschaft und der Gesellschaft verbessern, die jedoch den Geist und die Energie des Kampfes lahmlegen.

Unsere Nation ist in all ihren Facetten von Identität ständigen Angriffen aus Spanien und Frankreich ausgesetzt. Das jüngste Gerichtsurteil auf der Halbinsel gegen die baskische Sprache zeigt deutlich, worum es in diesem Streit geht. Baskisch zu sein und zu sprechen ist ein Recht, aber Spanisch zu sein ist eine Pflicht. Wäre die Aggression nicht von solchem Kaliber, würde ich sagen, dass nur noch Manolo el del Bombo (ein spanischer Fußball-Einpeitscher mit Trommel) mit dem Soundtrack fehlt.

Aber das Bedauerlichste ist die Kollaboration der eigenen einheimischen Institutionen, die, anstatt sich in den Dienst der Wiedererlangung der Souveränität und der territorialen Einheit zu stellen, sich auf die spanische Seite schlagen und Ansichten und kulturelle Trägheit fördern, die unserer nationalen Identität zuwiderlaufen.

Der Fall des EITB (das öffentliche baskische Fernsehen) ist eklatant. Indem es seine eigene Existenzberechtigung verleugnet, wird es zu einem weiteren Faktor der Entnationalisierung. Die Auswahl der Nachrichten, die Herangehensweise, die Persönlichkeiten, sogar die Geopolitik der Nachrichten lösen uns in den Gebieten und Dynamiken Spaniens auf. Das gleiche gilt für die Ressourcen der Verwaltung und der Autonomie-Regierungen. Auch hier ist die PNV (rechtsbaskische neoliberale Regierungspartei) direkt verantwortlich.

Und was sollen wir über die (baskische Regionalpolizei) Ertzaintza sagen! Der Lauf der Zeit hat diejenigen ausgesiebt, die der Partei (PNV) treu geblieben sind, während die neue Führungsriege nach dem Polizeigesetz von Rodolfo Ares (sozialdemokratischer Innensenator 2009-2012) die Ertzaintza und die Lokalpolizei mit faschistoiden Spaniern überschwemmen, die mit der abscheulichsten Perversion des Polizeiberufs gedopt sind. Der PNV ist die Ertzaintza aus der Hand geglitten. Auch wenn es paradox erscheinen mag, besteht hier eine Gefahr, denn diese Leute sind Behörden und sie sind bewaffnet.

Am 9. April (Datum des diesjährigen Nationalfeiertages) müssen wir die Straßen unserer historischen Hauptstadt (Iruñea-Pamplona) füllen und ein Zeichen setzen

abegun4Wir können mit Meinungsumfragen weitermachen, die darauf abzielen, die Vorstellung zu schüren, dass die baskische Gesellschaft die Unabhängigkeit ablehnt; mit der Eröffnung banaler Debatten, um die Aufmerksamkeit abzulenken; mit der ständigen Verwässerung von Identitätsmerkmalen in einem Rahmen außerhalb von Euskal Herria (baskischer Begriff für das historische Baskenland). Merkwürdigerweise liegt der Staffelstab für all diesen Unsinn wieder einmal nicht südlich des Ebro (in Spanien), sondern in den Händen derjenigen, die behaupten, gegen den Franquismus gekämpft zu haben, indem sie sich heimlich in einer Ikurriña versteckt haben (baskische Flagge).

Wir stehen an der Schwelle zum Aberri Eguna. Obwohl jeder Tag ein Tag unserer Nation sein sollte und ist, lohnt es sich doch, das Datum zu nutzen, um uns mit patriotischer Energie aufzuladen, mit jener Kampfkraft, die uns im Laufe der Geschichte am Leben erhalten hat und die uns als Einzelne und als Volk zur Freiheit führen wird. Wir haben die Kraft dazu und zudem eine patriotische und sozialistische Jugend, die mit Entschlossenheit vorwärts schreitet in Zeiten, die nicht gerade von großem Engagement gekennzeichnet sind.

Und genau darin liegt der Schlüssel für die Zukunft von Euskal Herria, in dem Stolz, einem uralten Volk anzugehören, das seine Zukunft mit der gleichen Waffe erobern wird, mit der es überlebt hat: mit dem Kampf.

Unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Die Geschichte des Widerstands von gestern und die Geschichte des Aufbaus von heute. Die Ikurriña (baskische Flagge) und die Navarra-Fahne sind unsere einzigen nationalen Zeichen. Unsere Symbole, unser Charakter; der Schatz der baskischen Sprache Euskara, der uns als ein eigenständiges Volk ausweist. Weder spanisch, noch französisch, weder gestern, noch heute, niemals.

Und weil wir wissen, was Engagement und Würde sind, vergessen wir nicht diejenigen, die noch immer Gefängnis, Exil und Deportation erleiden. Auch sie werden beim Aberri Eguna anwesend sein, weil wir sie in unseren Herzen tragen. Am 9. April müssen wir die Straßen unserer historischen Hauptstadt füllen, um ein weiteres Mal einen Meilenstein zu setzen, um zu zeigen, dass wir uns für die Zukunft unseres Volkes einsetzen und dass uns nichts daran hindern kann, die Zukunft zu erobern, die uns zusteht. Es lebe der Aberri Eguna! Immer.

Mehr Information

Im baskisch-deutschen Webportal Baskultur.Info erschien bereits am 4. April 2021 ein Artikel zum Thema unter dem Titel “Aberri Eguna, Vaterlandstag – Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“. (5)

ANMERKUNGEN:

(1) Baskisch Nationalistische Partei: EAJ-PNV, (baskisch) Eusko Alderdi Jeltzalea, (spanisch) Partido Nacionalista Vasco (LINK)

(2) EAE-ANV: Acción Nacionalista Vasca(spanisch), Eusko Abertzale Ekintza (baskisch) – Baskisch Nationalistische Aktion (LINK)

(3) Weil im Franquismus Parteien und Gewerkschaften verboten waren, wurden die ersten linken Organisationen (abgesehen von ETA) nach Francos Tod Mitte der 1970er Jahre gegründet, Herri Batasuna (Volks-Einheit) stand dabei im Mittelpunkt. Nach der Illegalisierung der baskischen Linken und dem Ende von ETA formierte sich die Linke neu in der Partei Sortu, damit verbunden war ein politischer Kurswechsel in Richtung Realpolitik und Sozialdemokratie. Weil vor allem viele junge Abertzale diesen Rechts-Schwenk nicht mitmachten, entstand eine Reihe von neuen Organisationen wie ATA, GKS und Jardun-Jarki, die als neue baskische Linke bezeichnet werden.

(4) “Siempre Aberri Eguna” (Tag der Patrioten auf ewig), Tageszeitung Gara, 2023-03-27, Autor: Joxemari Olarra Agiriano, Aktivist der abertzalen Linken des Baskenlandes (LINK)

(5) “Aberri Eguna, Vaterlandstag – Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“, Baskultur.Info, 2021-04-04 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Aberri Eguna (eitb)

(2) Aberri Eguna (belostikale)

(3) Aberri Eguna (lehoinabarra)

(4) Aberri Eguna (pinterest)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-07)

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