sortu01Quo vadis Baskische Linke?

"Dies sind keine Zeiten für Rückzug, wir brauchen einen Staat, der sich um die Menschen kümmert". Arkaitz Rodríguez wurde als Generalsekretär der links-nationalistischen Partei Sortu wiedergewählt. Im Interview erläutert er die strategischen Vorstellungen der Partei für die Zukunft, basierend auf den Beschlüssen des soeben beendeten dritten Partei-Kongresses, bei dem die bisherige Politik bestätigt und ein neuer Vorstand gewählt wurde. In Teilen der baskischen Linken ist Sortu nicht unumstritten.

Die Gründung von Sortu im Jahr 2012 bedeutete das Ende der Illegalisierung der baskischen Linken, im Gleichschritt mit dem Ende von ETA. Die neue Partei wurde Teil der Koalition EH Bildu und setzte fortan auf Parlamente und Institutionen. Gleichzeitig hat sich außerhalb von Sortu eine neue außerparlamentarische Linke gebildet, mit eigenen Inhalten und Formen der Organisation.

Bevor er in die Zukunft blickt, unterstreicht Arkaitz Rodríguez (Donostia 1979) "die elf Jahre des Bestehens von Sortu, die eine Änderung der Strategie der nationalistischen Linken ermöglicht und somit dazu beigetragen haben, neue Horizonte für die linke Unabhängigkeit zu eröffnen". Jetzt bewegt sich die Partei "in Richtung eines neuen Verständnisses von Organisation und politischer Praxis, um ihre strategischen Ziele der Unabhängigkeit und des Sozialismus effektiver zu erreichen, um eine unabhängige, sozialistische, feministische und baskisch-sprachige baskische Republik aufzubauen, die sich für den Aufbau einer neuen Zivilisation einsetzt, die aufhört, den Planeten zu zerstören". Ein Interview. (1)

Was sind nun die inhaltlichen Kernpunkte?

Wir gehen davon aus, dass die Pandemie alles verändert hat. Sie trägt dazu bei, die dem kapitalistischen System innewohnenden Widersprüche zu verschärfen. Es gibt Anzeichen dafür, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden. Wir sind mit großen Bedrohungen konfrontiert, wie der "Faschisierung", dem Aufstieg des Autoritarismus und des Individualismus. Aber wir stehen auch vor großen Chancen. Es ist ein offener Kampf, dessen Ausgang nicht feststeht, sondern davon abhängt, was wir tun. Alles ist möglich, also müssen wir mit Ehrgeiz, Überzeugung und Macht-Strategie handeln. Dies sind keine Zeiten des Rückzugs. Wir Baskinnen und Basken brauchen einen Staat, der sich um die Menschen kümmert und uns die Möglichkeit gibt, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen.

Wie kann dies geschehen?

Einerseits, indem wir die Fahne der Utopie hochhalten. Die umgestaltenden Kräfte müssen einen kollektiven Horizont entwerfen, der sich radikal von dem gegenwärtigen unterscheidet, in dem der Neoliberalismus jede Alternative verneint. Dies geschieht mit Vorschlägen, die geeignet sind, die Arbeits- und Lebensbedingungen der gesellschaftlichen Mehrheiten hier und jetzt zu verbessern. Die gegenwärtigen Zeiten erfordern Radikalität und Umsetzungsfähigkeit. Ein klares Bekenntnis zur Überwindung dieses Kapitalismus, der den Planeten und das Leben zum Aussterben verurteilt. Wir denken, dass dies nicht mit Proklamationen, egoistischen oder zufälligen Diskursen geschehen kann, sondern mit der Formulierung von konkreten und machbaren Vorschlägen.

sortu02Zum Kongress gab es zwei unterschiedliche Arbeitskonzepte. Die so genannte Alternative erhielt 22% der Stimmen. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Es fand eine eingehende Debatte statt, und das ist gut so. In jeder Organisation ist es normal, dass es verschiedene Standpunkte gibt, auch bei Sortu. Um effektiv zu sein, müssen wir diese Unterschiedlichkeit managen und eine klare politische Linie verfolgen, die die Organisation als Ganzes eint. Und wir denken, dass Sortu zu beidem in der Lage ist. Wir wissen, wie man mit Unterschiedlichkeit umgeht, und haben ein Arbeitskonzept, das eine überwältigend große Unterstützung erfahren hat. Wenn die nationalistische Linke als Bewegung das 21. Jahrhundert erreicht hat, so ist dies der Tatsache zu verdanken, dass ihre Aktivisten stets eine goldene Regel im Auge hatten: Wir können über alles diskutieren, aber wenn einmal kollektiv Entscheidungen getroffen wurden, müssen sich alle Aktivisten dieser Entscheidung gegenüber loyal verhalten und sich daran halten. Und auf diese Weise werden wir weiter vorankommen.

Bei der Wahl der neuen Führung gab es keine Alternative.

Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die große Mehrheit der Aktivisten auf den Vorschlag des scheidenden Vorstands vertraut. Einerseits gibt es eine gewisse Kontinuität, andererseits aber auch eine wichtige Erneuerung, da vor allem junge Leute aus verschiedenen Gebieten hinzukommen. Dies wird der Führung die nötige Erfahrung und Vielfalt geben, um die Herausforderungen zu meistern.

Welche Rolle spielt Sortu, nachdem EH Bildu und EH Bai stärker geworden sind?

Der Prozess der nationalen und sozialen Befreiung erfordert unterschiedliche Subjekte. Nötig sind soziale Bewegungen, starke und übergreifende Volksbewegungen, weitreichende politische Plattformen mit großem institutionellem Potenzial wie EH Bildu und EH Bai (2). Notwendig sind nationale und klassenorientierte Gewerkschaften wie LAB und Jugendorganisationen wie Ernai. Und eine Organisation wie Sortu mit einer starken strategischen Überzeugungskraft, die ihr Bestes gibt und ihre Bemühungen in den Dienst all der von mir genannten Akteure stellt. Es geht darum, Arbeits-Beziehungen zwischen allen zu schaffen, damit das Ganze ein größtmögliches Potenzial entwickeln kann.

Werden die traditionellen Zeichen der Identität der nationalistischen Linken verwässert?

Wenn ich das höre, kommt mir das Lied "wir sind dieselben wie zu Beginn" in den Sinn. Ich frage mich, welche Funktion eine Organisation mit Veränderungsanspruch wie Sortu haben kann: Soll ihr Ziel unverändert bleiben? Ich denke nicht. Wenn das Ziel darin besteht, die Realität tiefgreifend zu verändern, würde die Tatsache, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst zu verändern, bedeuten, dass wir nicht weit kommen. Ja, wir sind immer noch dieselben wie am Anfang, denn wir gehen immer noch davon aus, dass sozialer Wandel, Klassenkampf, Feminismus, Antirassismus und Umweltschutz in Euskal Herria mit nationaler Befreiung einhergehen. In anderer Weise sind wir nicht mehr dieselben, weil wir in der Lage waren, uns an die sich ständig verändernde Realität anzupassen und insbesondere einen tiefgreifenden Strategiewechsel zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, als der Prozess der nationalen und sozialen Befreiung dies erforderte. Wir sind unserem strategischen Projekt treu geblieben. Um es zu verwirklichen, werden wir zu jedem Zeitpunkt alle erforderlichen Anpassungen vornehmen.

Die Stimmen für Unabhängig in der Bevölkerung von Euskal Herria scheinen weniger geworden sein.

Diese Vorstellung teile ich überhaupt nicht. Solche Behauptungen sind Teil einer Agenda, die besagt, dass die Befürworter der Unabhängigkeit immer weniger werden und dass sich die gesellschaftliche Mehrheit zunehmend mit dem bestehenden Status zufrieden gibt. Die Realität widerlegt dies. Das Projekt der Unabhängigkeits-Befürworter hat noch nie so viel Unterstützung durch Wähler und Institutionen erfahren. Verschiedene Umfragen, wie z. B. Naziometroa zeigen, dass es im ganzen Land eine breite Mehrheit gibt, die das Baskenland als Nation, als politisches Subjekt mit Entscheidungsrecht betrachtet.

Was bedeutet es heute, auf Sozialismus zu setzen?

Der Traum und die Vorstellung eines kollektiven Horizonts, der sich radikal von dem gegenwärtigen unterscheidet. Aber auch in der Lage zu sein, Vorschläge zu erarbeiten und Erfolge zu erringen, wie klein sie auch sein mögen, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der gesellschaftlichen Mehrheit zu verbessern. Für den Ausbau des öffentlichen Sektors, für die Verteilung des Wohlstands, für eine Politik, die Beruf und Familie zusammenbringt, für die Überwindung der Kluft zwischen den Geschlechtern und der Geißel der männlichen Gewalt.

Wie können der Kampf auf der Straße und der institutionelle Kampf miteinander verbunden werden?

Wir müssen mit einer nicht auflösbaren Spannung umgehen, die konstruktiven Charakter haben soll. Der Prozess der nationalen und sozialen Befreiung erfordert beides. Dies ist eine der großen Lehren aus dem katalanischen Prozess. Auch bei uns wird es notwendig sein, eine breite gesellschaftliche Mehrheit aufzubauen, die sich schließlich in einer Mehrheit ausdrückt, die die Institutionen in den Dienst ihrer Bedürfnisse stellt.

sortu03Wie beabsichtigt Sortu, seine gesellschaftliche Mehrheit zu erweitern?

Sortu vertraut diese Funktion EH Bildu und EH Bai (2) an, die wir als breite, übergreifende und wachsende Plattformen begreifen; Instrumente, die der linken Unabhängigkeits-Bewegung zur Verfügung stehen, um die politische Hegemonie zu artikulieren und um sie zu kämpfen. Bei der Verbreiterung der sozialen Basis entstehen Widersprüche, denn es gibt Menschen, die sich keine Vereinbarungen mit jenen vorstellen können, die ideologisch andere Vorstellungen haben.

Es ist nicht möglich, voranzukommen, ohne Vereinbarungen zu treffen oder bis zu einem gewissen Grad mit politischen, sozialen oder gewerkschaftlichen Kräften zusammenzuarbeiten, die nicht genau dasselbe denken wie wir. Das ist unmöglich. Dies gilt umso mehr in einer Situation wie der gegenwärtigen, in der das Vordringen rechter und rechtsextremer Positionen es erforderlich macht, möglichst breite und übergreifende Kompromisse zwischen unterschiedlichen Kräften um Minimal-Programme herum aufzubauen. Die aktuellen globalen und für Euskal Herria spezifischen Herausforderungen, wie die Erschöpfung des Bildungssystems, eine Strategie zur Verbreitung der baskischen Sprache, die demografische Krise sind Herausforderungen, die diese Bevölkerung nur mit der Aktivierung ihrer kollektiven Energie und einem breiten Konsens angehen kann.

Können mit der PNV Fortschritte in der nationalen Frage erzielt werden?

Die jüngste Vergangenheit lässt eine solche Möglichkeit im Moment eher unwahrscheinlich erscheinen. Aber wir werden sehen. Wir werden auf niemand warten. Die PNV ist es gewohnt, umworben zu werden, das verleiht ihr eine Machtposition. Wir sind nicht dazu berufen, ewige Bewerber der PNV zu sein. Wir sind entschlossen, voranzukommen. Wenn mit PNV, ist das gut, wenn ohne die PNV, ebenfalls.

Geht es auch ohne PNV?

Das sind wir schon gewohnt. Wir kommen seit vielen Jahren auch ohne die PNV voran. Die Frage sollte lauten, was getan werden muss, um im Bereich der Souveränität generell weiterzukommen, welche Bündnisse, welche Vereinbarungen, welche Kooperationen zu diesem Fortschritt beitragen können. Das ist die Frage, die wir uns ständig stellen.

Kann mit den Sozialdemokraten von der PSE regiert werden?

In Verbindung mit der vorangegangenen Antwort ist für uns klar, dass das Land einen Kurswechsel braucht. Wir brauchen einen Wandel bei den öffentlichen Dienstleistungen. Dies erfordert eine neue Mehrheit und eine neue Führung, die nur vom linken Souveränismus kommen kann, von EH Bildu im Fall des Süd-Baskenlandes und von EH Bai in Ipar Euskal Herria (2).

Von hier aus muss die linke Unabhängigkeits-Bewegung in der Lage sein, mit allen denkbaren Kräften große oder kleine, strategische oder taktische, dauerhafte oder vorübergehende Bündnisse zu schließen. Bei jedem Abkommen, jeder Zusammenarbeit, jedem Bündnis muss geklärt sein, ob es dazu beiträgt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der gesellschaftlichen Mehrheit zu verbessern, ob es dazu beiträgt, das Projekt der linken Souveränität zu stärken, und ob es dazu beiträgt, die Beziehungen dieses Volkes zu den beiden Staaten zu verbessern: Ja oder nein? Wenn die Antwort Ja lautet, muss der Einsatz unserer Meinung nach zugunsten des Bündnisses, der Vereinbarung oder dieser Zusammenarbeit ausfallen.

Geht die Zustimmung zu den Haushalten (im spanischen Staat, in Navarra und in Euskadi) in diese Richtung?

Ja, denn erstens ist es uns gelungen, diese Budgets zu verbessern. Und zweitens sollte nicht vergessen werden, dass ein Teil dieser Entscheidungen auch ein strategisches Kalkül beinhaltet. Wir wollen eine baskische Republik errichten und zwar so schnell wie möglich, aber das erreichen wir nicht durch Proklamationen oder Diskurse. Dafür haben wir eine Strategie. Wir müssen uns jederzeit über die Kräfteverhältnisse, die Risiken und Chancen, die Bedrohungen und Stärken bewusst sein, um unsere Position zu verbessern. Niemand wird leugnen, dass ein längeres Fehlen von genehmigten Haushalten zum Sturz einer Regierung führen kann. Im Fall von Navarra und Madrid wäre jede Alternative zu den derzeitigen Regierungen schlimmer, eine Bedrohung für die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheiten und für die Demokratie selbst.

Gibt es Fortschritte in Bezug auf die Situation der Gefangenen?

Ja, dank der starken Mobilisierung von Tausenden von Menschen in diesem Land, dank der harten Arbeit einiger Aktivisten, die einen breiten Konsens und Allianzen erreicht haben. Zum Teil auch dank der institutionellen Stärke von EH Bildu. Doch kommen diese Fortschritte nicht nur zu spät, sondern sind auch unzureichend. Zehn Jahre nach dem Ende der gewaltförmigen Aktionen von ETA ist die weitere Existenz von politischen Gefangenen, Exilanten und Deportierten ein Wahnsinn. Alle Ausnahme-Maßnahmen müssen sofort beendet werden, es muss eine endgültige und umfassende Lösung in der Gefangenenfrage gefunden werden im Sinne einer Übergangsjustiz. Die baskische Gesellschaft will Frieden und Koexistenz, das erfordert die Rückkehr aller politischen Gefangenen nach Hause. In keinem Land mit einem bewaffneten Konflikt gab es eine Lösung, ohne dass die Frage der Gefangenen vollständig und vernünftig gelöst wurde.

sortu04Rückkehr von Gefangenen nach Hause ohne öffentlichen Empfang?

Das hat das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen beschlossen, und das wird von Sortu unmissverständlich unterstützt. Wenn der Aufbau der Koexistenz in unserem Land die Anpassung einiger unserer Praktiken erfordert (wie die Ongi Etorris), sind wir bereit, dies zu tun. Wir unternehmen diese Schritte nicht, um diejenigen zu befriedigen, die immer mehr Forderungen an die nationalistische Linke stellen, die unmöglich zu erfüllen sind, weil sie so formuliert sind, dass sie nicht erfüllt werden können. Das sind wir ihnen nicht schuldig. Verpflichtet sind wir gegenüber diesem Volk, seinen Sehnsüchten und Forderungen. Unsere Schritte zeugen von unserem grundsätzlichen Engagement für die Bevölkerung und für den Aufbau von Frieden und Koexistenz, der auf gegenseitigem Respekt beruhen muss und darauf, diesem Volk das letzte Wort über seine Zukunft zu geben.

Wir verstehen das Unbehagen und sogar die Angst eines Teils unserer gesellschaftlichen Basis, da nur wir Schritte unternehmen und die übrigen an diesem Konflikt beteiligten Akteure sehr wenig getan haben und tun. Aber ich wiederhole, dass alle Schritte, die wir unternommen haben, die wir unternehmen und die wir in Zukunft machen können, auf die Verpflichtung abzielen, die wir gegenüber unserem Volk haben, um den Prozess der nationalen und sozialen Befreiung und den Aufbau eines gerechten, stabilen und dauerhaften Friedens voranzutreiben.

Aus diesem Grund haben wir auch die Erklärung vom 18. Oktober in Aiete abgegeben. Wir müssen alle Opfer anerkennen und ihnen Wiedergutmachung leisten. Es ist wichtig, den Schmerz der ETA-Opfer zu lindern und Tausende von Opfern des Staates anzuerkennen und zu entschädigen, die immer noch diskriminiert und noch nicht einmal Opfer betrachtet werden. (1)

Medien-Kommentare (Zusammenfassung)

EH Bildu (Treffpunkt Baskenland) ist im baskischen Parlament die zweitstärkste Kraft, in Navarra die viertstärkste. EH Bai erhält in Iparralde bis zu 10% der Wahlstimmen. In Euskadi erhielt EH Bildu zuletzt so viele Stimmen wie Sozialdemokraten, Podemos und Postfranquisten zusammen; in Navarra sind sie mit 14% Mehrheitsbeschaffer für die sozialliberale Regierung. Wichtigster Faktor innerhalb der EHB-Koalition ist zweifellos Sortu, als Ausdruck der traditionellen baskischen Linken. Der eben zu Ende gegangene dritte Parteikongress stand unter dem Motto "Stärke für die Unabhängigkeit", damit wurde die alte zentrale Forderung der baskischen Linken erneuert, nachdem es in den vergangenen 10 Jahren eher um Sammlung von linken Kräften gegangen war. Das Arbeitsprogramm der bisherigen Führung wurde von 89% der fast 8.000 Mitglieder unterstützt, direkt teilnehmen konnten wegen Covid-Zugangsbeschränkung nur 800 in der Pelota-Halle von Bilbo. Ein alternativer Vorschlag wurde abgelehnt.

Der neue Vorstand verbindet Generationswechsel mit der Erfahrung alter Aktivist*innen und ehemaligen ETA-Aktivisten. Besondere Beachtung fand die Wahl von David Pla, der als letzter Chef von ETA gilt, jener ETA, die ihr eigenes Ende beschloss und durchführte. Pla hat seine Strafe in Frankreich abgesessen und keine weiteren Verfahren abhängig, er wird als "Nummer vier" eine strategische Funktion übernehmen (s.u.). Von Beobachterinnen wird dies als Bemühen gewertet, ein neues Gesicht zu bieten, ohne sich von der Vergangenheit zu distanzieren. David Plas Berufung wird von den rechtsorientierten Opferverbänden scharf kritisiert und ist Wasser auf die Mühlen derer, die noch nie einen Unterschied zwischen ETA und dem politischen Flügel der abertzalen Linken gemacht haben.

"Euskal Herria muss als Nation respektiert werden und in der Lage sein, frei und demokratisch über seine Zukunft zu entscheiden", erklärte der alte und neue Generalsekretär Arkaitz Rodríguez. Er sprach von "nationaler Befreiung", vom Aufbau eines "anständigen" baskischen Staates im Gegensatz zu Spanien und Frankreich und verkündete, dass "die Revolution die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts und der Souveränität der Völker verlangt". Er forderte ein Ende des "unkontrollierten neoliberalen" Modells und wies mit Blick auf die baskische Gewerkschaftsmehrheit von ELA und LAB den "schändlichen Versuch, die Arbeitsreform der PP fortzusetzen", nachdrücklich zurück. Der Fahrplan zur Verwirklichung eines "unabhängigen, sozialistischen und feministischen Euskal Herria" ist klar und wird in dem Arbeits-Dokument "Herrigaia" erklärt, das dem Kongress zugrunde lag. Dazu gehört die Konfrontation, die Verbreiterung der sozialen Basis der Unabhängigkeits-Befürworter*innen, die Ausweitung von Bündnissen, um einen heterogenen gesellschaftlichen Raum zu besetzen, der die nationalistische Linke in die Lage versetzt, der PNV die politische Vorherrschaft im Baskenland streitig zu machen.

sortu05EH Bildu – EH Bai

Das Werkzeug zur Überwindung der Hindernisse ist EH Bildu, in Iparralde EH Bai, sie sollen für eine "breite Front von Souveränität und Fortschritt“ sorgen. "Wir bekräftigen unser klares Bekenntnis zu EH Bildu und EH Bai, und wir sind fest entschlossen, sie für neue Sektoren zu öffnen", sagte Rodríguez. Im Zusammenhang mit der Aiete-Erklärung vom Oktober 2021 forderte er eine "umfassende und endgültige Lösung" für die ETA-Gefangenen, ein Ende der "Ausnahmepolitik in den Gefängnissen" und Wiedergutmachung und Anerkennung "aller Opfer".

Als großen Erfolg konnte Sortu ihrer Basis die neue Situation der ETA-Gefangenen präsentieren. Die Hälfte von ihnen befindet sich mittlerweile in baskischen Gefängnissen, die Zerstreuung (dispersión) ist de facto beendet, mittelfristig werden neue Ergebnisse erwartet, die ihre Freilassung begünstigen sollen. Dies ist das Ergebnis einiger strategischer Schachzüge, die Sortu in den letzten Jahren unter Spannung gesetzt hat. Denn die Zustimmung zu den neoliberalen (nicht gerade von linken Inhalten geprägten) Haushalten von Navarra, Madrid und Euskadi war umstritten, sowohl innerhalb von EHB und vor allem bei der größten baskischen Gewerkschaft ELA (die ebenfalls für das Selbstbestimmungs-Recht eintritt).

Diese Spannungen existieren auch innerhalb von Sortu. Obwohl das offizielle Arbeits-Programm "Herrigaia" von einer großen Mehrheit unterstützt wurde, gab es einen kritischen Vorschlag, angeführt von Joseba Alvarez (Ex-Batasuna-Vorstand), der einen Alternativtext vorlegte. Dieser Sektor sieht die Unterstützung für Pedro Sánchez kritisch und befürchtet, dass "der Puls der Straße" verloren geht. Rodríguez konterte: "Die Revolution zu machen, erfordert konkrete Vorschläge und konkrete Kämpfe, die die Arbeits- und Lebens-Bedingungen der gesellschaftlichen Mehrheit hier und jetzt verbessern können".

Der harte Kern von Sortu wird vom nationalen Sekretariat mit 15 Personen gebildet, eine Mischung aus historischen Mitgliedern und neuen Personen. Neben David Pla finden sich Namen wie Elena Beloki, die für internationale Angelegenheiten zuständig sein wird, und Haimar Altuna, der Rufi Etxeberria an der Spitze der Kommission "für die Bewältigung der Folgen des Konflikts" ablöst. Er wird für Fragen im Zusammenhang mit Gefangenen zuständig sein. Diese 15 Mitglieder sind in den Nationalrat integriert, der sich aus insgesamt 30 Personen zusammensetzt. Der besteht aus 14 Frauen und 16 Männern, alle Provinzen (herrialde) sind darin vertreten.

Neue Verantwortliche bei Sortu

Arkaitz Rodriguez (1979 Donostia) wurde als Generalsekretär wiedergewählt // Nuria Alzugarai (1974 Donostia, Informatikerin) technische Sekretärin. // Oihana San Vicente (1976 Agurain-Araba, Psychologin) interne Koordinatorin. // David Pla (1975 Pamplona) war politischer Führer von ETA, verantwortlich für strategische Ausrichtung. // Itsasne Fernandez (1989 Oiartzun) seit 2020 für die Organisation von Sortu zuständig. // Kizkitza Gil de San Vicente (1974 Donostia) zuständig für politische Aktion. // Xabi Iraola (1993 Igeldo, Gipuzkoa) verantwortlich für Herrigintza. // Gotzon Elizburu (1988 Soraluze, Journalist) war Mitglied von Ernai, jetzt Leiter der Abteilung Kommunikation. // Elena Beloki (1961 Areta) ehemalige politische Gefangene, Leiterin des internationalen Bereichs. // Haimar Altuna (1976 Lizartza) Leiter der Kommission zur Bewältigung der Folgen des Konflikts. // Lur Albizu (1993 Artazu) Verantwortliche für Navarra. // Jon Iker Aramendi (1989 Gasteiz, Techniker) verantwortlich für Alava-Araba. // Aitor Servier (1997 Askain, Bertsolari-Sänger) verantwortlich für Ipar Euskal Herria, das nördliche Baskenland. // Paul Laka (1990 Algorta) zuständig für Bizkaia. // Aritz Artzallus (1981 Azpeitia) zuständig für Gipuzkoa. // Ane Sainz-Espiga (1996 Barakaldo) vorher Mitglied von Ikasle Abertzaleak (Uni), jetzt Mitglied der Jugendorganisation Ernai und Neska Gazteen Sarea (Netz junger Frauen). // Txoli Mateos (1956 Zeberio, ehemals Dozentin für Soziologie an der baskischen Universität) früher im Vorstand von Herri Batasuna. // Ibai Redondo (1981 Bergara, Baskische Philologie) Mitglied von Euskal Herriak Bere Eskola und LAB. // David Oroz (1974 Urdiain) Vorsitzender der Mancomunidad de Sakana, Navarra. // Aiora Epelde (1977 Aizarotz, Nafarroa) früher bei der Jugendorganisation Jarrai, jetzt im Nationalrat. // Haizea Kortaberria (1995 Eibar) war Mitglied von Ernai, Ikasle Abertzaleak und Neska Gazteen Sarea. // Iker Alcedo (1993 Portugalete) Jugendorganisation Ernai. // Asier Zamorano (1993 Algorta) seit 2021 Mitglied des Sortu-Sekretariats Bizkaia. // Amaia Etxabe (1988 Arrasate) wird in der Leitung von Gipuzkoa mitarbeiten. (Liste ist unvollständig).

ANMERKUNGEN:

(1) “No son tiempos para el repliegue, necesitamos un Estado que cuide a la gente“ (Kein Moment für Rückzug, wir brauchen einen Staat, der seine Leute schützt), Tageszeitung Gara, Iñaki Iriondo, 2022-01-23 (LINK)

(2) Euskal Herria Bai (EH Bai, Baskisch: "Ja zu Euskal Herria") ist der Name einer politischen Formation im französischen Baskenland mit linker baskischer nationalistischer Ideologie, die ursprünglich als Wahlbündnis zwischen Abertzaleen Batasuna, Eusko Alkartasuna und Batasuna gegründet wurde und 2013 offiziell zur gemeinsamen politischen Plattform dieser Kräfte wurde.

ABBILDUNGEN:

(1) Sortu (naiz)

(2) Sortu (pampl.actual)

(3) Sortu (naiz)

(4) Sortu (ultimahora)

(5) Sortu (naiz)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-01-28)

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