lertxu01Baskisch, Literatur, Kultur

"Vor 40 Jahren haben wir von einer baskischen Kultur, wie wir sie heute haben, nicht einmal geträumt". Der Schriftsteller Anjel Lertxundi (Orio, * 1948) zieht eine positive Bilanz bei der Entwicklung der baskischen Sprache, Literatur und Kultur im Allgemeinen. Lertxundi gilt als einer der großen Erneuerer des Erzählens in baskischer Sprache. Sein umfangreiches vielfältiges Werk ist von Experimentierfreude geprägt, er benutzt Elemente aus verschiedenen Stilen und Epochen und fügt sie neu zusammen.

Anfang 2023 erhielt Anjel Lertxundi den Gutun-Zuria-Preis (bask: Weißer Brief) einer Sparkasse für eine literarische Laufbahn, die Romane, Kinderbücher, Essays, Filme, Biografien und Fernseh-Serien wie "Goenkale" umfasst.

Anjel Lertxundi Esnal (Orio, Gipuzkoa, 1948) ist ein baskischer Schriftsteller, Literaturkritiker, Journalist und Fernseh-Drehbuchautor. Der heute 75-Jährige blickt auf eine lange Karriere zurück, hat Romane, Kurzgeschichten und Essays sowie Kinder- und Jugend-Literatur verfasst. Sein Roman “Otto Pette“ aus dem Jahr 1994 (übersetzt als “Las últimas sombras“, Die letzten Schatten) gilt bereits als grundlegendes Werk. Danach konzentrierte er sich auf das Thema des traditionellen europäischen Glaubens, wie zum Beispiel Legenden, in denen der Teufel vorkommt.

lertxu02Die Ergebnisse wurde beim Verlag Alberdania veröffentlicht. Die Reihe besteht aus “Piztiaren izena“ (Buch mit Kurzgeschichten), “Azkenaz beste“ (Roman), “Argizariaren egunak“ (Roman) und “Letrak kalekantoitik“ (Essay). “Piztiaren izena“ (1995, Name des Raubtiers) ist eine Reihe von Erzählungen über den Faust-Mythos. Fünf Jahre später überarbeitete Lertxundi die Reihe zu einem Kurzroman, der auf Spanisch unter dem Titel “El huésped de la noche“ (Nachtgast, Verlag Alfaguara, 2001) veröffentlicht wurde. “Azkenaz beste“ (1996) handelt von der Strafe, die Nora und ihr Vater erleiden, die dazu verdammt sind, für immer in einem schwarzen Wagen umherzuziehen. Es wurde 1999 auf Spanisch unter dem Titel “Un final para Nora“ (1999, Eine Ende für Nora) veröffentlicht. “Argizariaren egunak“ (1998) ist eine Reflexion über Tod und Obsessionen auf zwei Ebenen. Auf Spanisch wurde es unter dem Titel “Los días de la cera“ (2001, Alfaguara: Tage aus Wachs) veröffentlicht.

Lertxundi hat auch für das Fernsehen gearbeitet, indem er Drehbücher für Fernsehserien schrieb und als Berater tätig war. Mit den Filmen “Hamaseigarrenean, aidanez“ ("A la decimosexta, al parecer"), der auf einem seiner eigenen Romane basiert, und “Karelatik“ ("Por la borda"), bei denen er selbst Regie führte, hat er auch mit der Filmwelt Bekanntschaft gemacht. Er schreibt für verschiedene Printmedien, unter anderem für die Zeitung Berria, für die er täglich eine Kolumne verfasst. Ein weiterer seiner Romane, der für das Kino adaptiert wurde, ist “Zorion Perfektua“ (Perfektes Glück), an dessen Verfilmung er allerdings nicht beteiligt war. 1982 beteiligte sich Lertxundi an der Gründung des Baskischen Schriftstellerverbandes, dessen erster Präsident er war (1982-1985).

Lertxundi wurde zweimal mit dem Kritikerpreis für Erzählungen in baskischer Sprache ausgezeichnet. Im Jahr 1983 für “Hamaseigarrenean, aidanez“ und im Jahr 1991 für “Kapitain Frakasa“. Im Jahr 1999 erhielt er den Euskadi-Literaturpreis für “Argizariaren egunak“. 2010 gewann er den Spanischen Essaypreis für “Vidas y otras dudas“ (Eskarmentuaren paperak, Leben und andere Zweifel). Außerdem wurde er mit dem galizischen Rosalía de Castro-Preis für seine literarische Karriere ausgezeichnet.

Interview 2023

Anjel Lertxundi (Orio, 75 Jahre alt) hat den Eindruck, dass er und seine Generation die anstehenden Aufgaben immer mit einer gewissen Dringlichkeit erledigen mussten. Als Lehrer an der Ikastola-Schule in Zarautz und Dozent an der Diözesan-Schule für Lehrerinnen und Lehrer in Donostia (San Sebastian) stellte er fest, dass es an zeitgemäßer Kinder- und Jugendliteratur in baskischer Sprache mangelte. Dieser Aufgabe übernahm er ebenso wie den ersten in baskischer Sprache gedrehten Spielfilm. Später kam das Fernsehen hinzu, wo er zwei Jahrzehnte lang als Drehbuch-Autor für die Teleserie “Goenkale“ tätig war. (1)

Frage: In Ihrem Gedicht “Instantes" (Momente) sagt Borges, wenn er noch einmal leben könnte, würde er weniger schreiben und mehr reisen. Leben oder Schreiben: Macht die Alternative Sinn?

lertxu03Anjel Lertxundi: Nein. Schreiben ist auch Leben. Was ich tun würde, ist, nicht so viel zu veröffentlichen. Als ich anfing, gab es in der Welt der baskischen Sprache noch viel zu tun. Jeder offene Weg war wichtig. Bei der Kinderliteratur habe ich versucht, darauf zu achten, dass der didaktische Aspekt nicht den kreativen Aspekt aufhebt. Inspiriert wurde ich von Asun Balzola, mit der ich zusammengearbeitet habe. Ich mochte sie sehr, sie war eine außergewöhnliche Künstlerin. (Balzola, 1942-2006, war eine baskische Schriftstellerin, Übersetzerin und Illustratorin).

Wann haben Sie beschlossen, sich dem Schreiben zu widmen?

AL: Ich war im Priesterseminar, 14 oder 15 Jahre alt, und fragte mich, ob das, was ich schrieb, das war, was ich wollte, oder das, was das Dogma mir auferlegte. Da zum Schreiben Freiheit notwendig ist, habe ich das Dogma aufgegeben.

Frage: Woran erinnern Sie sich bei der Regie zum Film "Hamaseigarren, adanez" (Zum sechzehnten Mal, scheint es), der auf Ihrem gleichnamigen Roman basiert?

AL: Ich hatte keine technischen Kenntnisse. Wir haben ein gutes Team zusammengestellt, mit wunderbaren Schauspielern. Imanol Uribe war als Regisseur vorgesehen. Er stellte die Bedingung, dass er, wenn er eine Finanzierung für eines seiner Projekte bekäme, sich diesem widmen und unseres verlassen würde. Und er bekam seinen Film. Wir hatten bereits die Drehorte bestimmt, ich hatte daran teilgenommen, hatte den Roman geschrieben, so war es schwer für mich, nein zu sagen. Bei der Arbeit an diesem Film habe ich viel gelernt.

Frage: In welcher Hinsicht?

AL: Seitdem habe ich eine Kamera im Kopf, wenn ich dem Schreiben beginne. Das hilft mir, die Erzählung in die richtige Reihenfolge zu bringen und unnötige Beschreibungen zu vermeiden, weil die Leser sie sich bereits vorstellen. Früher waren Pferdeszenen im Kino zwei Minuten lang. Jetzt sieht man, wie sich die Beine bewegen, und man weiß aus dem Zusammenhang, dass jemand gejagt wird.

Frage: Der Roman "Otto Pette", ins Spanische übersetzt als "Die letzten Schatten", war ein Wendepunkt in Ihrer Karriere.

AL: Ich stand vor der Herausforderung, einen Roman auf Baskisch zu schreiben, der im Mittelalter spielt. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen über die baskische Sprache aus dieser Zeit. Wir mussten ein glaubwürdiges Baskisch erfinden, das wie Mittelalter klang. Das passiert auch bei anderen Sprachen. Der Unterschied ist, dass es im Spanischen, Französischen oder Englischen viele Präzedenzfälle gibt, aber nicht im Baskischen.

Frage: Es ist eine Geschichte über die Brutalität der Macht.

AL: Über die Skrupellosigkeit der Macht. Der Protagonist lässt zu, dass sich eine Pandemie ausbreitet, um immer mehr Macht zu haben. Es geht auch um den Hass, den die politische und die kirchliche Macht gegeneinander hegen und wie sie sich gleichzeitig gegenseitig brauchen. Mich hat das Erscheinen der Figur interessiert, die alles über die Vergangenheit des Adligen Otto Pette weiß, als dieser bereits im Ruhestand ist. Pette weiß nicht, wer das ist und ob er kommt, um Rache zu üben. Die Figur weiß absolut alles über ihn. Es war ein literarisches Abenteuer, das mir sehr viel Spaß gemacht hat, auch wegen der Notwendigkeit, eine Sprache zu schaffen.

Frage: Es war Ihr Sprung in den Bereich der spanischen Literatur und der Übersetzungen.

AL: Ich hatte die Befürchtung, dass der Roman von Verlag zu Verlag weitergereicht würde. Ich hatte das Glück, dass er Pere Gimferrer und anderen Redakteuren bei Seix Barral (Verlag in Katalonien) gefiel. Jorge Giménez Bech, der Direktor vom Verlag Alberdania, der den Roman übersetzt hatte und ihn in seinem Verlag wiederveröffentlicht hat, hat mir ebenfalls geholfen.

Frage: In den Neunzigern haben Sie Fantasy- oder Geisterromane veröffentlicht, wie “Un final para Nora“ (Ende für Nora), “El huésped de la noche“ (Der Nachtgast) oder auch “Los días de la cera“ (Tage aus Wachs), letzterer mit etwas mehr Humor.

AL: Ich habe mitteleuropäische Autoren wie Leo Perutz und Joseph Roth gelesen. Um von Vampiren zu erzählen, muss man nicht nach Transsylvanien gehen. Man kann es auch tun, indem man baskische Legenden adaptiert. In ganz Europa gibt es eine gemeinsame Tradition, und das erlaubte mir, bei “Un final para Nora“ den wandernden Juden durch eine wandernde Jüdin zu ersetzen und die Geschichte im Baskenland spielen zu lassen.

lertxu04Frage: Und von der wandernden Jüdin ging es weiter zu einem Roman, “Linea de fuga“ (Fluchtlinie), in dem ein junger Nazi entdeckt, dass er jüdisches Blut hat.

AL: Er wurde von nichtjüdischen Eltern adoptiert und demonstriert seit 17 Jahren seinen antisemitischen Hass, bis er die Wahrheit erfährt und Angst hat, dass seine Freunde es herausfinden könnten.

Frage: Hatte die gewaltsame Trennung zwischen wir und sie im Baskenland eine besondere Bedeutung? (Anspielung auf den bewaffneten Konflikt)

AL: Für viele Leser schon. Als Schriftsteller wird man durch den gesellschaftlichen Kontext beeinflusst, nicht nur in der Handlung, sondern auch in den Details.

Frage: Im Baskenland leben wir seit mehr als einem Jahrzehnt ohne politische Gewalt.

AL: Das Leben hat sich verändert. Das ist völlig klar. Aber es gibt immer noch ein Defizit, wenn es darum geht, den angerichteten Schaden einzugestehen. Wir müssen uns damit konfrontieren, dass wir einige Dinge sehr schlecht gemacht haben.

Frage: Sie sprechen im Plural?

AL: Ja, denn wir haben zugeschaut, wir haben uns enthalten, wir haben geschwiegen, auch wenn wir nicht einverstanden waren. Einige mehr als andere, das ist richtig. Es kann nur eine Versöhnung geben, wenn wir zu dem stehen, was wir getan haben, vor allem diejenigen, die direkt für das verantwortlich sind, was wir so viele Jahre lang erlitten haben.

Frage: In "Das Leben und andere Zweifel" (Eskarmentuak paperak) nehmen Sie eine Art Bestandsaufnahme Ihrer schriftstellerischen Laufbahn vor.

AL: Vor vierzig Jahren haben wir nicht einmal davon geträumt, eine Kultur in baskischer Sprache zu haben, wie sich dies heute darstellt. Ich habe mir vorgestellt, dass meine Karriere als Schriftsteller fast anonym verlaufen oder sich auf das baskisch-sprachige Publikum beschränken würde, von dem ich auch nicht dachte, dass es so zahlreich sein könnte.

Frage: Warum sind Ihre Erwartungen übertroffen worden?

AL: Aus mehreren Gründen. Ich würde die Vereinheitlichung der baskischen Sprache (Euskara Batua) hervorheben (2). Ohne sie hätten wir nicht eine so konstante Leserschaft gehabt. Als Autor willst du das Beste aus der Sprache herauszuholen, aber die meisten Schriftsteller meiner Generation wurden mit dem Batua diszipliniert. Es war wichtig für die Bildung, für die Verwaltung und so weiter. Du musst bei dieser Bewegung also mehr oder weniger vorbildlich sein.

Frage: Eine ganz andere Facette Ihrer Arbeit ist die als Drehbuchautor, vor allem für die langjährige Teleserie “Goenkale“ (Straßenname, im baskisch-sprachigen Kanal des baskischen Fernsehens).

AL: Wir wollten, dass sich die ganze Familie zusammensetzt, um eine Folge zu sehen, und dass die Sprache zum verbindenden Element zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wird. Auch hier kam es zu dem wurde Phänomen, dass durch die Dialoge ein Beitrag zu einer baskischen Umgangssprache geleistet wurde.

In deutscher Sprache

Der Pahl-Rugenstein-Verlag publizierte 2008 in seiner Reihe Zubiak (Brücken) die Erzählung “Domingos letzte Wette“. Bei Baskultur.Info erschien im Herbst 2022 eine Rezension des Werks. (3)

ANMERKUNGEN:

(1) “Hace 40 años ni soñábamos con tener una cultura en euskera como la actual” (Vor 40 Jahren haben noch nicht von einer baskisch-sprachigen Kultur geträumt wie wir sie heute haben), Tageszeitung El Correo, 2023-03-15 (LINK)

(2) Batua, baskisch: “vereint“ ist der Begriff für das in den 1960er Jahren entwickelte Standard-Baskisch oder einheitliche Baskisch. Es handelt sich um die Standardisierung des Baskischen, die von der Akademie der Baskischen Sprache (auf Baskisch: Euskaltzaindia) nach dem Kongress im Kloster von Aranzazu 1968 vorgeschlagen wurde und als formales Modell und schriftliche Unterstützung der baskischen Sprache dient, im Gegensatz zu den baskischen Dialekten, die die mündliche und informelle Kommunikation dominieren. Batua-Baskisch wird in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungswesen und in anderen Institutionen verwendet, häufig auch in den Medien, in Zeitungen und in der Literatur. Batua wurde geschaffen, um die Einheit der Sprache zu fördern und die Kommunikation zwischen den Sprechern der verschiedenen baskischen Dialekte zu erleichtern, und basiert hauptsächlich auf den hauptsächlichen baskischen Dialekten. (Wikipedia)

(3) “Domingos letzte Wette“, Anjel Lertxundi, Rezension, 2022-11-09 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) A. Lertxundi (interaktum)

(2) A. Lertxundi (txalaparta)

(3) Goenkale (film affinity)

(4) Buch und Film (erein)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-03-19)

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