daimler1Betriebsrat gespalten

Eigentlich waren beim Kampf für einen neuen Tarifvertrag bei Mercedes in Vitoria-Gasteiz sechs Streiktage beschlossen, und zwar von allen im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften zusammen. Die Forderungen sind: Lohnerhöhung gemäß Preissteigerung und keine sechste Schicht. Doch just vor dem vierten Streiktag führte ein Vorschlag der Geschäftsleitung zu Uneinigkeit im Betriebsrat. Die Gewerkschafts-Mehrheit sieht im Vorschlag eine Diskussionsbasis und verzichtet vorerst auf Streiks. Andere nicht.

Ein neuer Tarifvertrag für die 5.000 Beschäftigten bei Mercedes Gasteiz ist überfällig. Weil die Betriebsführung keine Bewegung zeigt, wird gestreikt. Geflissentlich stellte der Konzern eine Investition von 1,2 Milliarden ins Araba-Werk in Aussicht. Die Geschichte riecht nach Erpressung.

Mitten im Streik hat die Geschäftsleitung des Mercedes-Benz-Werks in Gasteiz dem Betriebsrat einen neuen Vorschlag unterbreitet, der einige Verbesserungen im Bereich des Arbeits-Managements vorsieht. Die sozialpakt-interessierten Gewerkschaften CCOO, UGT, Ekintza und PIM (sie stellen die Mehrheit im Betriebsrat) sehen in diesem Vorschlag eine Basis für weitere Verhandlungen und haben den für den 6. Juli 2022 geplanten Streik abgesagt. Die baskischen Gewerkschaften ELA, LAB und ESK (die auf gesamt-baskischer Ebene die Mehrheit darstellen) betrachten den Mercedes-Vorschlag als Finte, weil ihre zentralen Forderungen darin nicht berücksichtigt werden. Konsequenterweise halten sie am Streikaufruf fest. (1)

Der neue Vorschlag, den die Geschäftsführung von Mercedes Benz Gasteiz dem Betriebsrat vorgelegt hat, beinhaltet einige Verbesserungen im Bereich des Wirtschafts- und Flexibilitäts-Managements. Konkret wird eine Lohnerhöhung von 5% in diesem Jahr und 2% für die Jahre 2023 bis 2026 vorgeschlagen, sowie eine Zulage von 750 Euro, die ab diesem Jahr jährlich im September gezahlt werden soll.

Was die Flexibilität anbelangt, so würde die Jahresarbeitszeit bei 214 Tagen bleiben, es gäbe eine neue Schichtenregelung für die Wochenenden, die das Unternehmen verpflichtet, zehn Tage vor Beginn des Vormonats Bescheid zu geben, was nur "in wenigen Ausnahmen" geändert werden soll.

daimler2Berichten zufolge ist das Management bereit, eine neue Arbeitsgruppe einzustellen, die an Samstagen, Sonn- und Feiertagen arbeitet, um die mehr als 190.000 geplanten Viana-Transporter pro Jahr zu produzieren. Dieses neue Team würde 80 Prozent der Schichten übernehmen. Die restlichen 20% würden von Beschäftigten abgeleistet, die sich für diese Extraschichten freiwillig melden. Ihnen soll eine Prämie von 4.500 Euro pro Jahr zugestanden, ihre Jahresarbeitszeit soll um 200 Stunden reduziert werden.

Das Angebot der Unternehmens-Leitung hat die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften CCOO, UGT, Ekintza und PIM dazu veranlasst, den für heute (2022-07-06) geplanten Streik zu "verschieben". Demgegenüber halten die baskischen Gewerkschaften ELA, LAB und ESK den Streik aufrecht, ebenso die Arbeitsniederlegungen an den beiden folgenden Tagen. Sie sind der Ansicht, dass der neue Vorschlag "sehr wenig" Bewegung darstellt und gemessen an den von einer großen Mehrheit der Beschäftigten beschlossenen Streikforderungen als "unzureichend" betrachtet werden müssen.

In einem kurzen Kommuniqué warnte die größte baskische Gewerkschaft ELA (35% der Betriebsräte), dass die Unternehmensleitung "die Kaufkraft der Beschäftigten weiterhin nicht garantiert, da die von der Unternehmens-Leitung vorgeschlagenen Lohnerhöhungen weit unter dem aktuellen Verbraucherpreis-Index liegen". Das würde für die Beschäftigten einen Verlust an Kaufkraft bedeuten, den viele Gewerkschaften angesichts von Preissteigerungen von mehr als 10% unbedingt verhindern wollen.

"Außerdem wird die sechste Nacht beibehalten, der Betrieb setzt weiter auf Flexibilität. Der Vorschlag regelt nicht die Bedingungen der neuen Gruppe, die an Wochenenden und Feiertagen arbeiten soll, er ignoriert die Forderungen zum Modell V und zur Mobilität", heißt es von Seiten von ELA. Betont wird, dass "dies alles Forderungen sind, die von der Belegschaft auf der letzten Versammlung beschlossen und verteidigt wurden. Aus diesem Grund hat der Betriebsrat, der sich mehrheitlich aus UGT, CCOO, Ekintza und PIM zusammensetzt, zwar beschlossen, den Streik am 6. Juli auszusetzen. ELA, LAB und ESK hingegen halten den Streik wie von der Versammlung beschlossen aufrecht".

Im selben Sinn haben Quellen der abertzalen Gewerkschaft LAB gegenüber Europa Press erklärt, dass in Bezug auf Ersetzungs-Verträge Fortschritte erzielt wurden (das Management hat sich verpflichtet, während der gesamten Laufzeit der Vereinbarung 250 solcher Verträge abzuschließen), aber "im Übrigen gibt es nichts Neues".
Aus diesem Grund haben diese drei Gewerkschaften beschlossen, die geplanten Streiks beizubehalten. Der erste Tag beginnt am Südtor des Werks mit einer Demonstration, gleichzeitig wird eine Versammlung für die Beschäftigten stattfinden, um sie ausführlicher über die Vorschläge der Geschäftsführung zu informieren.

Treffen in Stuttgart

daimler3Der Streik am 6. Juli fällt mit dem in Stuttgart geplanten Treffen zwischen dem baskischen Ministerpräsidenten Iñigo Urkullu und den Managern des deutschen multinationalen Unternehmens zusammen. Urkullu beabsichtigt, die Gelegenheit zu nutzen, das Werk in Gasteiz für den Fahrzeug-Multi als "attraktives Umfeld" darzustellen, um die Führung zur Investition der in Aussicht gestellten 1,2 Milliarden Euro zu ermutigen.

Dies erklärte der Sprecher der Regionalregierung, Bingen Zupiria, der betonte, dass das Treffen "nichts mit dem Arbeitskonflikt" in der Fabrik zu tun habe, die in den letzten Wochen dreimal gezwungen war, aufgrund von Arbeitsniederlegungen die Produktion komplett einzustellen. Nach Angaben der Gewerkschaften werden die Forderungen von 95% der Produktionsarbeiter*innen unterstützt.

Dass die Milliarden-Ankündigung nichts mit dem Tarifkonflikt zu tun habe, ist ein billiges Ammenmärchen. Denn kapitalistische Investitionen sind immer an Bedingungen geknüpft. In diesem Fall war es ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Beschäftigten, sich mit ihren Forderungen zurückzuhalten und nicht den “Verlust ihrer Arbeitsplätze“ zu riskieren. Denn gerne lassen sich Kapitalisten auffordern, doch bitte schön am Standort zu bleiben, egal was und unter welchen Umständen produziert wird. Die baskische Regierung wird sicher alles tun, den Gewerkschaften den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Mercedes Gasteiz ist einer der größten Arbeitgeber im Baskenland. In Zeiten lange nicht erlebter Inflation und von massivem Kaufkraftverlust hat dieser Arbeitskampf eine Dimension, die weit über die Werkstore von Daimler hinaus gehen. Er hat Signalwirkung. Das wissen die Gewerkschaften genau. Wenn dieser Streik aus Sicht der Beschäftigten ein positives Ende hat, werden folgende Streiks in anderen Bereichen oder Fabriken größere Chancen auf Erfolg haben. Auch die Kapitalisten wissen das.

Nachtrag 7.7.2022

Auch wenn es nur die “Gewerkschafts-Minderheit“ war, die gestern (6.7.2022) zum fünften Streiktag bei Daimler Benz in Gasteiz mobilisierte, waren es dennoch erneut 95% der Bandarbeiter*innen, die dem Aufruf folgten. Wie berichtet hatte die Mehrheit im Betriebsrat (UGT, CCOO) nach einem Angebot der Geschäftsleitung den Streik ausgesetzt. Die baskischen Gewerkschaften ELA, ESK und LAB hatten sich jedoch nicht aus der Spur werfen lassen, weil das Angebot “faul“ war und nicht auf die gemeinsam beschossenen Forderungen reagiert hatte.

Das rächt sich nun für die Kompromissbereiten. Nicht nur wegen der erneut hohen Streikbeteiligung, sondern vor allem deshalb, weil die morgendliche Verhandlungsrunde äußerst kurz geriet. Nur so lange, wie der Oberchef brauchte, um mitzuteilen, dass er nicht bereit zu Verhandlungen sei, solange der Streik andauere. Für die Mehrheits-Gewerkschaften ein Schlag ins Gesicht. Aus den Reihen der kampfwilligen Minderheit hieß es, die Verhandlungen seien somit fulminant gescheitert, die Kompromissler beeilten sich mit der Feststellung, ganz so schlimm sei es nicht. Sie gestanden dennoch ein, dass sie ihre Haltung, den Streik auszusetzen, nach dem heutigen Affront “überdenken“ müssten.

Dazu bleibt nicht viel Zeit, denn am morgigen Freitag (8.7.) ist bereits der sechste Streiktag angesagt, von dem keine geringere Beteiligung zu erwarten ist, auch wenn die Betriebsrats-Mehrheit nicht dazu aufrufen sollte. Die Belegschaft ist auf Krawall gebürstet und sie haben allen Grund dazu. ESK, ELA und LAB haben zudem eine Schippe draufgelegt und für die kommende Woche drei weitere Streiktage in Aussicht gestellt. Derweil lässt der in Stuttgart zum Besuch bei der Konzernleitung verweilende Lehendakari (baskische Ministerpräsident) Urkullu über die Presse verlauten, er sei optimistisch, dass die schwäbischen Oberbosse ihre Ankündigung wahrmachen und 1,2 Milliarden in das Gasteiz-Werk investieren und auf eine mittelfristige Zukunft in Gasteiz setzen.

Nachtrag 8.7.2022

Streiken ist das einzige Mittel, sich gegen hartnäckige Kapitalisten und Konzernchefs durchzusetzen. Das zeigt der Arbeitskampf bei Mercedes-Gasteiz. Nachricht des Tages war gestern der Verhandlungsabbruch durch die Firmenleitung. Man werde nicht mehr sprechen, solange gestreikt werde. Genau das geschah heute wieder, zum sechsten Mal in zwei Wochen, erneut mit großer Beteiligung, obwohl nur die “Gewerkschafts-Minderheit“ auf die Straße gerufen hatte. Danach die Überraschung: die Chefetage verzichtet auf die umstrittene “sechste Nacht“ – eine der beiden Hauptforderungen der Streikenden. Man trete wieder in Verhandlungen, wenn die für kommende Woche in Aussicht gestellten Streiks ausgesetzt würden. Somit steht nur noch eine Hauptforderung zur Debatte: die Angleichung der Löhne an die Preissteigerungs- und Inflationsrate. Das Umsetzen dieser Forderung wäre – wohlgemerkt – keine Lohnerhöhung, sondern allein die Absicherung der Kaufkraft der Belegschaft. Spannung in Gasteiz.

ANMERKUNGEN:

(1) Information aus: “División en el comité de empresa ante la última propuesta de la dirección de Mercedes Benz” (Spaltung im Betriebsrat nach dem letzten Vorschlag der Betriebsleitung von Mercedes Benz), Tageszeitung Gara, 2022-07-05 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Mercedes

(2) Mercedes (neomotor)

(3) Mercedes (gasteiz hoy)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-07-06)

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