Puerto Rico im Notstand
Einmal mehr fegt ein Hurrikan über die Karibikinsel Puerto Rico hinweg. Die Bevölkerung des von Einheimischen Boricua genannten Eilands zwischen Dominica und den Jungferninseln wurde schwer getroffen. Tote, totale Stromausfälle und enormer Sachschaden mussten als Bilanz verbucht werden. Die Privatisierung des öffentlichen Stromnetzes an einen kanadischen Multi hat die Lage in der US-Kolonie zusätzlich verkompliziert. Vor genau fünf Jahren war Boricua bereits von einem schweren Unwetter betroffen.
Der Hurrikan “Fiona“ hat auf der Karibikinsel Puerto Rico schwere Schäden angerichtet und zu einem totalen Stromausfall geführt. Zudem leidet die US-Kolonie unter der Privatisierung ihres Stromnetzes.
Während in New York die “Klimawoche“ beginnt und mehr als 150 Staats- und Regierungschefs zur UN-General-Versammlung zusammenkommen, hat Hurrikan “Fiona“ auf der Karibikinsel Puerto Rico am Wochenende große Zerstörungen angerichtet. Die Mehrheit der 3,2 Millionen Einwohner*innen blieb ohne Strom, nachdem der Sturm auf Land getroffen war. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 140 Stundenkilometern und Niederschlägen von bis zu 80 Zentimetern pro Quadratmeter war “Fiona“ am Sonntag (18.9.2022) über die Insel gefegt, bevor er sich westwärts der Dominikanischen Republik zuwandte. Nach ersten Meldungen der BBC sind auf Puerto Rico zwei Todesopfer zu beklagen. Der Flugbetrieb wurde eingestellt. Krankenhäuser schalteten ihre Notstrom-Generatoren ein.
An der Südwestküste löste der Hurrikan (Kategorie Eins) Sturzfluten und Erdrutsche aus. Im Ort Utuado wurde eine ganze Brücke wegspült, die nach dem Hurrikan “Maria“ des Jahres 2017 neu über den Fluss Guaonica erbaut worden war. In einer ersten Stellungnahme bezeichnete Gouverneur Pedro Pierluisi von der Neuen Progressiven Partei (PNP, der Demokratischen Partei der USA assoziiert) die Schäden als “katastrophal“. Er ordnete an, Schulen und Behörden mindestens am Montag geschlossen zu halten, und forderte obdachlos gewordene Einwohner*innen auf, die eingerichteten Notquartiere aufzusuchen.
Notstand
US-Präsident Joseph Biden hatte schon am Sonntag den Notstand über das sogenannte “Außengebiet der USA“ ausrufen lassen. Die Anordnung erlaubt es den Behörden, Katastrophenhilfe zu leisten. Etwa 600 Soldaten der den USA unterstehenden puerto-ricanischen Nationalgarde sind derzeit im Einsatz, dabei wurden nach Angaben der BBC mehr als 1.000 Menschen gerettet. Ersthelfer aus drei US-Bundesstaaten leisten zusätzlich Unterstützung bei den Maßnahmen.
“Fiona“ traf die Insel nur zwei Tage vor dem fünften Jahrestag des Hurrikans “Maria“, der Tausende Menschen getötet und die gesamte Infrastruktur Puerto Ricos einschließlich des labilen Stromnetzes zerstört und auf Monate lahmgelegt hatte. Diesmal fiel der Strom auf der ganzen Insel schon aus, bevor der Hurrikan das Land erreichte. Der Stromversorger Luma Energy versprach angesichts des Blackouts, die Versorgung schneller wiederherzustellen als nach dem Hurrikan “Maria“.
Gelungen ist das bislang nur für etwa 100.000 Einwohner in wohlhabenderen Gegenden. Im Jahr 2019 lebten laut BBC mehr als 43 Prozent der Einwohner*innen Puerto Ricos und 57 Prozent aller Kinder in Armut. So haben nur wenige Haushalte und Unternehmen ihre Häuser mit Solaranlagen oder Dieselgeneratoren ausgestattet.
Gegen Privatisierung
Die Bevölkerung Puerto Ricos protestiert seit Monaten dagegen, dass der von Washington eingesetzte Finanzkontrollrat das Stromnetz privatisiert und 2021 an das kanadische Energieunternehmen Luma Energy verkauft hatte. Am 1. September erklärte die von Frauen aufgebaute Bewegung “Mujeres contra Luma”, Luma Energy habe “der Bevölkerung Mittel entzogen, die für eine echte Sanierung des Stromnetzes und den Übergang zu erneuerbaren Energien” hätten verwendet werden können.
Mehrtägige Demonstrationen in der Hauptstadt San Juan wurden brutal von der Polizei niedergeschlagen und Aktivistinnen verhaftet. Für die “Mujeres Contra Luma” Zeichen dafür, “dass Agenten des Staates mittels Gewalt versuchen, die wachsende Frustration und Wut der Bevölkerung, die in diesen Demonstrationen zum Ausdruck kommt, zum Schweigen zu bringen”. Ziel der Volksbewegung sei es, das Stromnetz des Landes wieder in Gemeineigentum zu überführen.
Juan Carlos Dávila, Korrespondent des US-Nachrichtenprogramms “Democracy Now”, erklärte zur aktuellen Notlage in Puerto Rico, die Folgen der Klimakatastrophe und die Privatisierung des Stromnetzes hätten “in Verbindung mit dem Erbe des US-Kolonialismus die Krise verursacht”. Washington habe “die armen Menschen und die Arbeiterklasse mit diesem elektrischen System, das im Grunde nie funktioniert, im Stich gelassen”.
Carmen Yulín Cruz, San Juans frühere progressive Bürgermeisterin, sagte dem Programm am Montag (Ortszeit), der Kolonialismus in Puerto Rico werde derzeit durch den US-Finanzkontrollrat verkörpert, der der Insel harte Sparmaßnahmen auferlegt habe. Die Not, in der sich ihr Land permanent befinde, sei deshalb “eng mit dem Kolonialismus verbunden”.
ANMERKUNGEN:
(1) “Notstand im Außengebiet“, Junge Welt, Autor: Jürgen Heiser, 2022-09-21 (LINK)
(2) Die Geschichte Puerto Ricos begann mit der Besiedlung des Archipels durch die Ortoiroiden zwischen 3000 und 2000 v. Chr. Andere Volksstämme wie die Igneri und die Arawak besiedelten die Insel zwischen 120 und 1000 n.C. Zur Zeit von Christoph Kolumbus Ankunft in der Neuen Welt bildeten die zu den Arawak gehörenden Taínos die dominante einheimische Kultur. Sie starben in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. aus durch Ausbeutung, Krieg und die Krankheiten, die die spanischen Kolonisatoren eingeschleppt hatten. Dank seiner Lage im Nordosten der Karibik spielte Puerto Rico in den frühen Jahren der “Entdeckungsreisen“, Eroberungen und Kolonisation der Neuen Welt eine Schlüsselrolle für das kastilische Imperium. Die kleinste Hauptinsel der Großen Antillen war ein bedeutender Militärstützpunkt bei vielen Kriegen zwischen Kastilien / Spanien und anderen europäischen Mächten um die Herrschaft in der Region während des 16., 17. und 18. Jhs. Die Insel war ein Zwischenschritt auf dem Weg von Europa nach Kuba, Mexiko, Mittelamerika und zu den nördlichen Territorien Südamerikas. Während des 19. Jhs. und bis zum Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges (1898) waren Puerto Rico und Kuba die letzten beiden spanischen Kolonien in der Neuen Welt und dienten als letzte Außenposten bei den spanischen Strategien zur Rückeroberung des amerikanischen Kontinents.
1898 besetzten die USA Puerto Rico im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges und beanspruchten die Insel für sich. Durch den Jones-Shafroth Act von 1917 wurde Puerto Rico ein organisiertes, aber nicht inkorporiertes Territorium der Vereinigten Staaten und alle Puerto-Ricaner*innen erhielten die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten. Am 16. April 1929 wurde ein Gesetz verabschiedet, das allen Frauen, die lesen und schreiben konnten, das Wahlrecht verschaffte und 1932 in Kraft treten sollte. Damit war zwar ein eingeschränktes Frauenwahlrecht erreicht, faktisch waren aber die meisten Puerto-Ricanerinnen von der Wahl ausgeschlossen. 1935 wurde ein Gesetz beschlossen, das das allgemeine Wahlrecht garantierte. Zu ersten demokratischen Wahlen kam es im Jahr 1952, doch der politische Status Puerto Ricos (Frei Assoziierter Staat) bleibt auch mehr als 500 Jahre nach der ersten Kolonisierung durch die Europäer umstritten. Wikipedia (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Hurrikan Fiona auf Puerto Rico (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-09-21)