Folter und Mord durch die Guardia Civil
Luis Cobo, Luis Montero und Juan Mañas waren drei junge Spanier, die fälschlicherweise für Mitglieder von ETA gehalten wurden. Von der Guardia Civil wurden sie gefoltert, verstümmelt, erschossen, verbrannt ... Vier Jahrzehnte später warten ihre Angehörigen immer noch darauf, dass die ganze Wahrheit ans Licht kommt und dass sie offiziell anerkannt werden als Opfer von staatlicher Gewalt. Folter gehört seit dem Franquismus zum spanischen Polizei-Alltag, Folterkeller sind Teil der Kasernenstruktur.
Der “Fall Almería“ geriet vor 40 Jahren in die Schlagzeilen, weil ein Gericht nicht der offiziellen Version folgte und Guardia-Civil-Beamte wegen Folter und Mord verurteilte. Drei kantabrische Männer waren mit einem ETA-Kommando verwechselt worden und starben auf brutalste Weise.
Mit dem Ende der baskischen Untergrund-Organisation ETA ist der Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Baskenland, Katalonien und der postfranquistischen Zentralmacht nicht verschwunden. Gerne wird in den Medien von den Opfern der ETA-Gewalt gesprochen. Aber ein Konflikt ist ein Konflikt, und solche Auseinandersetzungen haben gewöhnlich zwei Protagonisten. Die Rolle von ETA ist weitgehend aufgearbeitet, was nicht besonders schwierig war, weil die Organisation sich immer zu ihren Aktionen bekannte. Nicht so die andere Seite: der Staat, seine Justiz und Sicherheits-Organe. Folter, Todesschwadronen, Geheimfonds zur Finanzierung von Terroraktionen gehörten zum Handwerkszeug der franquistischen Regimes und seiner “demokratischen“ Nachfolge-Regierungen. Wenn nicht zufällig unwiderlegbare Beweise vorlagen, wurden all diese Aktionen des “schmutzigen Kriegs“ vertuscht, wenn es in Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen kam, wurden die Erwischten schnellstmöglich begnadigt und befördert. Der folgende Fall ist symptomatisch.
Tödliche Reise in den Süden
Es ist der 8. Mai 1981, ein Freitag. Drei junge Männer aus Santander machen sich auf, die Iberische Halbinsel von Norden nach Süden zu durchqueren. Eine kleine Odyssee für ein Wochenende. Weder die Autos noch die Straßen waren damals so, wie sie heute sind. Luis Montero ist der Älteste, er ist 33 Jahre alt und kommt aus Salamanca. Luis Cobo ist 29 Jahre alt und kommt aus Santander. Der Jüngste heißt Juan Mañas, er hat seine beiden Freunde davon überzeugt, nach Pechina, in sein Heimatdorf in der Süd-Provinz Almeria zu reisen, um der Erstkommunion seines kleinen Bruders Francisco Javier beizuwohnen.
Unterwegs haben sie eine Panne bei Manzanares del Real, in der Region Madrid (nördlich der Hauptstadt Madrid). Sie nehmen einen Zug nach Puertollano, in der Provinz Ciudad Real (Region Castilla La Mancha, südlich von Madrid), wo sie ein anderes Fahrzeug mieten, einen grünen Ford Fiesta. In den frühen Morgenstunden des 9. September (ein Samstag) erreichen sie schließlich ihr Ziel. Sie schlafen im Haus von Mañas' Familie und am Nachmittag fahren sie nach Roquetas de Mar bei Almeria. Dort werden sie von der Guardia Civil verhaftet. (2)
Vorgeschichte
Drei Tage zuvor, am 7. Mai, hatte ETA in Madrid einen Anschlag auf den General-Leutnant der spanischen Armee, Joaquín de Valenzuela, den Leiter des Militärquartiers des damaligen Königs Juan Carlos I. verübt. Zwei Mitglieder der bewaffneten Organisation auf einem Motorrad setzten eine Bombe auf das Dach seines Autos, als es an einer Ampel anhielt. Valenzuela erlitt schwere Verletzungen, überlebte aber, die drei Begleiter starben. Die Aktion fand zweieinhalb Monate nach dem faschistischen Putschversuch vom 23. Februar im spanischen Parlament statt (3).
Es scheint, dass jemand während der Fahrt zwischen Santander nach Almería Mañas, Montero und Cobo mit den Tätern des Anschlags verwechselte. Denn deren Phantombilder waren in den Medien veröffentlicht worden. Möglicherweise war das die Person, die ihnen das Auto vermietet hatte. Ein Anruf bei der Guardia Civil, um sie zu alarmieren. Am nächsten Morgen, nur wenige Stunden nach der Verhaftung der drei jungen Männer, wurden ihre leblosen Körper neben einer Straße in der Nähe von Gérgal, am Rande des Wüstengebiets Tabernas gefunden, zwanzig Kilometer von Almeria-Stadt entfernt. Alle drei Leichen waren übel zugerichtet, zerstückelt, erschossen, verbrannt.
Die "offizielle" Version versicherte zunächst, dass zwei Zivilgardisten die drei Häftlinge auf dem Rücksitz eines Ford Fiesta transportierten, während andere Beamte ihnen in einem zweiten Fahrzeug folgten; dass in einem bestimmten Moment die jungen Männer mit Waffen versuchten, die Kontrolle über das Auto zu übernehmen, dass es eine Böschung hinunterstürzte, dass es zu einer Schießerei kam – dabei war es offensichtlich völlig unmöglich, dass die Häftlinge Waffen bei sich hatten. Danach habe das Auto Feuer gefangen, ohne dass einer der elf anwesenden Zivilgardisten etwas tun konnte. Eine ziemlich unhaltbare Geschichte.
Versionen abseits der Wahrheit
Tatsächlich folterten Castillo Quero und seine 11 Untergebenen die drei unschuldigen Männer die ganze Nacht hindurch in einer alten verlassenen Kaserne der Zivilgarde, die sich in der Stadt Casafuerte in Almeria befand. Nachdem sie ihre Verwechslung entdeckten, versuchten sie, alle Beweise zu vernichten. Die toten jungen Männer wurden zerstückelt, um sie danach in ihr Auto zu legen. Dann wurde das Fahrzeug die Böschung hinuntergefahren, die toten Körper wurden beschossen und in Brand gesetzt.
Juan José Rosón, der damalige Innenminister, wiederholte die offizielle Polizei-Version in einer parlamentarischen Anhörung, obwohl die Presse beschrieb, dass "die Leichen, grausam verbrannt, ohne Beine und Arme erscheinen und sichtbare Einschusslöcher in verschiedenen Teilen des Rumpfes und des Gesichts haben". Im Laufe weniger Stunden wurden die Foltertoten von einem schwer bewaffneten ETA-Kommando zu angeblich "gewöhnlichen Kriminellen" und am Ende zu drei jungen Arbeitern, die in Santander lebten, die zu Tode gefoltert und dann verbrannt wurden, um die Beweise zu vernichten. In den Medien wurde begonnen, über einen möglichen "Fehler" der Guardia Civil zu sprechen. Als ob der "Fehler" ausschließlich in der Identifikation der drei Toten und nicht im Vorgehen der Guardia Civil selbst läge.
Der "Almería-Fall" genannte Polizeimord kam ein Jahr später, im Juni 1982, zur Verhandlung. Im Urteil heißt es, dass Mañas, Montero und Cobo nach ihrer Verhaftung in eine verlassene Kaserne namens Casafuerte gebracht wurden, wo sie von einer Gruppe von Zivilgardisten unter der Leitung von Oberstleutnant Carlos Castillo Quero, Chef des Kommandos von Almería, zu Tode misshandelt wurden. Später wurden sie in ihr Auto gesteckt, eine Böschung hinuntergeschoben, mit Maschinengewehren beschossen und verbrannt, um eine komplett unglaubhafte Geschichte zu erfinden.
Wer es wagte, diese Polizei-Brutalität anzuprangern, wurde bedroht, zensiert, unterdrückt. Zum Beispiel der Anwalt der Familie Mañas, Darío Fernández, der in einem Interview mit der Tageszeitung Diario de Almería darauf hinwies, dass "der Prozess ein Theaterspiel war“. Allgemein wurde mit einem Freispruch gerechnet, nicht aber damit, dass die Leichen zu einer zweiten Autopsie gebracht werden würden und dass die Kugeln in den Leichen die Wahrheit über die Lüge der Gerichtsmediziner erzählen würden".
Im Jahr 1984 wurde ein Film veröffentlicht, der die Ereignisse erzählt, mit einem blutjungen Antonio Banderas, Iñaki Miramón und Juan Echanove in den Rollen der Opfer, sowie Fernando Guillén als Carlos Castillo, Kommando-Chef der Guardia Civil von Almería. Auch die Filmvorführungen waren nicht frei von Druck.
Drei Verurteilte
Der Kommando-Chef Castillo Quero wurde wegen dreifachen Mordes zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, während zwei seiner Männer, Leutnant Manuel Gómez Torres und Wachmann Manuel Fernández Llamas, zu fünfzehn und zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Gleichzeitig sollten sie vier Millionen Peseten (24.000 Euro) an jede der Familien zahlen. Das bedeutet, dass von elf an Folter und Mord beteiligten nur drei verurteilt wurden.
1984 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verurteilung von Oberstleutnant Castillo Quero sowie die beiden anderen Urteile. Die Verbüßung der Strafe war mit Unregelmäßigkeiten gespickt, denn bis die Mörder aus der Guardia Civil ausgeschlossen wurden, verbüßten sie ihre Strafe in Militär-Gefängnissen statt in gewöhnlichen Knästen und erhielten eine Rente, mehrere Millionen Peseten aus den reservierten Fonds des Innenministeriums. Der Anwalt Darío Fernández, der die Familien der Verstorbenen vertrat, erhielt viele Morddrohungen und musste untertauchen. Die Bedrohungen gingen so weit, dass er zeitweise versteckt in einer Höhle leben musste. Keiner der Mörder sollte auch nur die Hälfte der Strafe absitzen.
Bekennerschreiben aus Kreisen der Guardia
Das aufschlussreichste Dokument der Geschehnisse im Fall Almería erhielt die Familie Mañas in Form eines anonymen Briefes, drei Jahre nach dem Mord an ihrem Sohn. In diesem anonymen Brief, geschrieben von einem Zivilgardisten der Almería-Kaserne, werden die Brutalitäten von 1981 detailliert beschrieben. Dazu die Vor- und Nachnamen der Beteiligten: "Liebe Familie, mit allem Respekt, den Sie verdienen, schreibe ich Ihnen, um Ihnen die folgende Tatsache bezüglich der seltsamen Umstände des Unglücks Ihres Sohnes und seiner Gefährten mitzuteilen, die in den Händen der Mörder der Kaserne dieser Ortschaft starben". (4)
Der anonyme Schreiber stellt fest, dass er "zur Zeit (1984) ein Guardia Civil ist, aber kein Mörder", erzählt die Familie Mañas. "Sie wurden in die Casafuerte-Kaserne gebracht, wo sie einem Verhör unterzogen wurden, dann ordnete Castillo Quero an, dass sie erdrosselt werden sollten und fragte nach Freiwilligen. Zu denen gehörten JM vom Informationsdienst, der Guardia P, der Guardia F, ebenfalls vom Informationsdienst. Das waren die drei Mörder Ihres Sohnes". Keiner dieser Wächter wurde als Täter vor Gericht gestellt und wegen des Mordes an Mañas und seinen Freunden verurteilt.
Nach den Folterungen kam der Tod: "Am Anfang schlugen sie heftig zu, besonders der Guardia C, die Opfer verloren das Bewusstsein. Dann wurden sie mit Pistolenschüssen getötet, jeder einzeln. Castillo Quero ordnete an, sie sollten an einem Ort abgeladen werden, an dem sie niemand sehen und finden konnte. Sie sollten angezündet werden, damit die Misshandlungen nicht sichtbar würden". Der anonyme Zivilgardist berichtet auch, dass die Mörder das Geld der Opfer zum Kauf des Benzins benutzten, mit dem sie den Ford Fiesta mit den drei Leichen in Brand setzten: "Bevor sie Feuer legten, schoss der Guardia C mit dem Maschinengewehr zwei Magazine mit je 30 Patronen auf die Leichen, dann zündete er mit dem Feuerzeug das Benzin an, das aus dem Tank auslief, und fügte aus einem separaten Kanister zusätzliches Benzin hinzu".
Die Familie
Juan Mañas' Mutter, María Morales, hat das Entschädigungsgeld nie angerührt. "Wenn ich sterbe, wenn meine Kinder es ausgeben wollen, sollen sie es tun, ich kann es nicht ausgeben, denn dieses Geld verbrennt mich", sagte sie vor zehn Jahren der Tageszeitung Diario de Almería. Außerdem bewahrt sie seit vier Jahrzehnten wie einen Schatz einen kleinen Knochen auf, ihrer Meinung nach ein Teil des Schädels ihres Sohnes, den sie aufgesammelt hat "von dem, was am Fundort Gérgal übrig geblieben ist, wo sie das Auto angezündet haben".
Das ist, was ihr geblieben ist. Daneben der Monolith mitten im Nirgendwo, der daran erinnert, dass die Leichen von Luis Montero, Luis Cobo und Juan Mañas "unter merkwürdigen Umständen verbrannt auftauchten". An diesem Ort findet jedes Jahr ein Gedenktreffen statt. Vor wenigen Tagen jährte sich die Bestialität der Guardia Civil zum vierzigsten Mal. Selbst diese lange Zeit war nicht ausreichend, um eine offizielle Anerkennung als Opfer von Polizeigewalt zu erhalten. Die Angehörigen der Gefolterten und Ermordeten hatten keine Chance auf Zugang zu den polizei-internen Unterlagen, nach den Urteilen von 1982 erhielten sie keine weiteren Erklärungen.
Nachbemerkungen
Politische Beobachter*innen stellen fest, dass die Guardia Civil einen Staat im Staat darstellt, deren Machtposition nicht einmal die zuständigen politischen Verantwortlichen der spanischen Regierung in Frage zu stellen trauen. Persönliche oder berufliche Verwicklungen kommen dazu. Der derzeitige Innenminister Fernando Grande-Marlaska (5) war bis zu seiner Ernennung Richter am politischen Sondergericht Audiencia Nacional, ein direktes Erbe aus dem Franquismus. Als Richter hat er jahrelang über die Folter und Folteranzeigen betroffener Verhafteter hinweg gesehen und ist ihnen nie nachgegangen. So wie die Gerichtsmediziner (wie im vorliegenden Fall) immer unsinnige Erklärungen und Gutachten abgaben über Verletzungen, die Gefangene in der Kontaktsperre-Zeit erlitten. Entweder wurde von Selbstverletzungen gesprochen oder von einer ETA-Strategie, spanische Polizei und Behörden mit falschen Beschuldigungen in ein schlechtes Licht zu stellen.
Richter, Mediziner, Folterer waren alle Teil eines Systems, das im Staat niemand in Frage stellte – nur in Ausnahmesituationen stellten Leute wie der baskische Forensiker Paco Etxeberria unwiderlegbar die Auswirkungen von Folter fest (im Fall der verurteilten T4-Attentäter Igor Portu und Mattin Sarasola). Mehrfach hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die spanische Justiz gerügt, berichtigt oder verurteilt, weil Folteranzeigen nicht ausreichend nachgegangen wurde. Erst seit dem Ende der Aktivitäten von ETA haben sich die Folteranzeigen von Verhafteten deutlich verringert.
ANMERKUNGEN:
(1) Almería, 40 años sin verdad“ (Almeria, 40 Jahre ohne Wahrheit), Tageszeitung Gara 2021-05-11
(2) Guardia Civil, paramilitärische spanische Polizeitruppe, deren Beamte in Kasernen leben. Die Guardia Civil zählte zu den Fundamenten der franquistischen Diktatur. (LINK)
(3) Putschversuch ultrarechter Polizisten und Militärs am Vorabend der Regierungs-Übernahme durch die PSOE von Gonzalez. Die Rolle des Königs bleibt undurchsichtig, manche behaupten, er war der Ausgangspunkt des Putsches. (LINK)
(4) ”El Caso Almería” (LINK)
(5) Fernando Grande Marlaska, seit 2019 spanischer Innenminister in der PSOE-Regierung Sanchez, vorher umstrittener Richter der Audiencia Nacional, die systematisch Folter verhüllte. (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Almeria-Fall (FAT)
(2) Almeria-Fall (diario almeria)
(3) Beerdigung (ideal)
(4) Gedenkplakat (diario almeria)
(5) Almeria-Fall (film affinity)
(6) Gedenkfeier (diario almeria)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-05-13)