In den Bergen gegen Franco
Auf der Suche nach den verlorenen Spuren der antifranquistischen Guerrilla: Archäolog*innen und Historiker*innen haben bei Ausgrabungen in Galicien die legendäre Waldstadt (Ciudad de la Selva) entdeckt, die der antifranquistischen Maquis-Guerrilla als Unterschlupf diente sowie als Ausgangspunkt für ihre Aktionen. In diesen Lagern der Guerrilla wurden alte Waffen gefunden sowie verschiedene andere Gegenstände des täglichen Lebens. Historische Forschung wurde verbunden mit archäologischen Arbeiten.
Für viele republikanische Kämpfer war der Spanienkrieg mit dem Sieg der aufständischen Faschisten im April 1939 nicht beendet. In verschiedenen spanischen Regionen zogen sie sich in die Berge zurück und bekämpften von dort das neue Regime. Ausgrabungen haben ein Lager in Galicien wieder entdeckt.
Maquis – Guerrilla
Der Maquis dient als Überbegriff für die antifranquistische Guerrilla nach 1940, die Kämpferinnen werden ebenfalls mitunter als Maquis bezeichnet. Der Maquis war bekannt unter den Begriffen “Guerrilla” (la guerrilla), “Spanischer Widerstand“ (resistencia española) oder “Spanische Guerrilleros“ (guerrilleros españoles). Zu verstehen ist unter Maquis die Gesamtheit antifaschistischer Guerrilla-Bewegungen im Widerstand, deren Aktivität nach dem Ende des Spanienkrieges im April 1939 begann. Wer auf der Flucht vor den siegreichen Faschisten nicht in den Norden fliehen konnte, ging in die Berge, um an Guerrillaaktionen teilzunehmen, mit denen der Franquismus geschwächt und besiegt werden sollte.
Solche Gruppen gab es in verschiedenen spanischen Regionen u.a. in Galicien, Kantabrien, Asturien und in der Levante (nicht im Baskenland). Zu Beginn wurden sie von der Kommunistischen Partei unterstützt, nach Stalins Absage an diesen Kampf jedoch im Stich gelassen. Sie existierten dennoch teilweise bis Mitte der 1950er Jahre. Das Wort geht auf das französische “maquis“ zurück, das wiederum dem Korsischen und dem Italienischen “macchia“ entstammt, was so viel bedeutet wie Buschlandschaft, Sträucher (maquia).
Archäologie
"Gegenstände lügen nicht“. Ein rostiger Revolver zum Beispiel erinnert an den Angriff der Guardia Civil auf einen Unterschlupf der antifranquistischen Guerrilla. Sein Aussehen erinnert an eine klassische Smith & Wesson, in Wirklichkeit handelt es sich um eine Nachahmung, die vom Unternehmen Orbea Hermanos in Eibar hergestellt wurde. Diese klapprige Pistole, von geringerer Qualität als das Original, liefert mehr Informationen, als es den Anschein hat. Denn die Tatsache, dass die Maquis-Guerrilla auf veraltete Waffen zurückgriff, "sagt uns auch etwas über den epischen Charakter dieses ungleichen Krieges", schreibt Xurxo Ayán in seinem Buch “Föderation der Guerrillas von León-Galicien“ (Federación de Guerrillas de León-Galicia), publiziert vom Verlag Edicións Positivas. (1)
Der Archäologe erinnert an die Emotionen des Historikers Alejandro Rodríguez, als er diesen Revolver in der Waldstadt (Ciudad de la Selva) fand, dem wichtigsten Guerrillalager im Nordwesten Spaniens. Es erstreckte sich über die Täler und Berge von Casaio, nahe des Ortes Valdeorras in der galicischen Region Ourense. Ein Gefühl, das ihm nicht fremd war, denn im Jahr 2016 hatte Xurxo Ayán an der ersten archäologischen Ausgrabung einer Guerrilla-Siedlung im spanischen Staat teilgenommen. Genauer gesagt in einem Haus in Repil (Lugo), wo eine Schießerei stattfand, bei der drei Widerstandskämpfer fielen.
Patronen und Bierflaschen
In der Wohnung einer Witwe, die den Guerrilleros Unterschlupf gewährte, wurden Patronenhülsen gefunden. Der Forscher aus Lugo weist auch auf andere "Waffen" hin, die dort gefunden wurden: eine Kaffeekanne, ein Regenschirm, eine Bierflasche und ein Kochtopf. Er spricht von "Waffen", weil er diesen häuslichen Raum, die Küche von Doña Teresa, als "Kriegsfront" begreift. Weil der Widerstand ohne diesen Teller mit Brühe zusammenbrechen würde, ohne diesen Schluck dampfenden Kaffees, ohne das Schieferdach, das es heute nicht mehr gibt, weder in der Hausruine von Reptil noch in den Hütten der Ciudad de la Selva, wo nur noch die Steine der Mauern übrig sind. Dort hat der Archäologe Carlos Tejerizo, Leiter des Forschungsprojekts Sputnik Labrego, im Dickicht des geschlossenen Berges die Gegenstände gefunden.
Um dorthin zu gelangen, in eine zerklüftete Landschaft, in der Ourense (Galicien) auch Zamora oder El Bierzo (beide Kastilien) sein könnte, hatte er zunächst die Hilfe von Francisco Fernández in Anspruch genommen, der ihn zu einem Lager im Tal von Morteiras führte. Dank der Zusammenarbeit mit anderen Nachbarn entdeckten sie nach fünf Jahren Arbeit weitere zwanzig Siedlungen, dokumentierten fünfzig Strukturen (darunter eine Kühlanlage zur Aufbewahrung von Lebensmitteln) und führten ein Dutzend Ausgrabungen durch. Die Hirtenkinder der Gegend, die zwischen 1941 und 1946 durch diese Wälder und Täler wanderten, fungierten inzwischen älter geworden als Sherpas. Von ihnen wurden sie zur Waldstadt geführt, von hier aus wollte die Guerrilla dem Franco-Regime ein Ende bereiten.
Ourense, Galicien
"Bis dahin war dieses Guerrilla-Lager eine vage Vorstellung, in der Geschichte mehrfach kurz erwähnt, aber ohne genaue Beschreibung. Doch schließlich konnten wir die große Ausdehnung erkennen und erforschen, die die Lager einnahmen. Sie waren sehr gut organisiert, mit Aufgabenteilung und ständiger Überwachung, was zudem die Kontrolle über das Gebiet gewährleistete", erinnert sich Carlos Tejerizo. Er geht davon aus, dass ein solch ausgeklügelter Komplex "die Bestätigung erlaubt, dass der Spanienkrieg in diesen Gebieten während der 1940er Jahre weiterging" (offiziell war er am 1. April 1939 zu Ende). Die mündlichen und schriftlichen Quellen wurden schließlich mit der archäologischen Darstellung der Guerrilla ergänzt. Diese Materialien "vermitteln uns einen Aspekt, der in der Dokumentation bisher fehlte: das tägliche Leben in einem Hochland, in dem das Überleben sehr schwierig war", erklärt der Direktor von Sputnik Labrego.
Pistolen und Hygieneartikel
"Die gefundenen Gegenstände offenbaren wesentliche soziale Beziehungen zwischen der Guerrilla und den lokalen Gemeinschaften. Sie widerlegen die von der Franco-Propaganda vermittelte Vorstellung, dass es sich bei den Guerrilleros um Banditen und dreckige Wölfe handelte", erklärt Tejerizo. Vielmehr überrascht die Menge an Hygieneartikeln (Zahnpasta, Handcreme, Maniküre-Scheren, Spiegel) und Medikamenten wie Hustensaft oder Penicillin, die 1944 in den Lagern der Guerrillas ankamen. Das Vorhandensein von Antibiotika mitten im entlegenen Wald, als dessen Verteilung noch überaus prekär war, sowie von Batterien, Taschenlampen und Schreibmaschinen unterstreicht die "Modernität" der Guerrilla in einem ländlichen Umfeld, in dem solche Hilfsmittel rar waren, erinnert sich Alejandro Rodríguez.
Auch die Logistik war hervorragend, unterstützt durch die Verbindungsleute, die die Guerrillas mit Lebensmitteln versorgten. Solches Material wurde üblicherweise versteckt in Hütten auf halbem Wege, die in der dichten Vegetation und den Laubwäldern versteckt waren und von den Guerrilleros nachts aufgesucht wurden. Die Lage in den Bergen war von entscheidender Bedeutung, so wurden die Hütten in der Nähe von Flüssen und alten Pfaden errichtet oder sogar, um den Lärm zu dämpfen, unter einem Wasserfall. Der Sockel war aus Stein und das Dach aus Schiefer. Niemand wusste, wo sie sich befanden, außer ihren Bewohnern, die sich mit Geheim-Codes orientierten, die nur von denen entschlüsselt werden konnten, die sich in der Landschaft auskannten. Eine feste und stabile Siedlung, ein weiteres einzigartiges Merkmal der Waldstadt, in der Dutzende von Maquis-Guerrilleros lebten und sich versteckten.
“Banditen“ im Franco-Jargon
Mit seinen Untersuchungen und Erkenntnissen hat Sputnik Labrego die Geschichte des versteckten Widerstands in den Bergen von Casaio neu geschrieben – und gleichzeitig die Geschichte der Guerrilla-Föderation von León-Galicia. Die im Maquis-Wald vorgefundenen Materialien unterschiedlichster Art ermöglichen es (wie Tejerizo in seinem im Verlag Positivas erschienenen Buch unterstreicht), "einigen von der Franco-Propaganda etablierten Vorstellungen zu widerlegen. Dabei wurde versucht, den Feind zu diskreditieren und zu entmenschlichen". Zum Beispiel mit der falschen Behauptung, es handle sich um "bloße Bergbanditen, deren Ziel es war, Schrecken zu verbreiten und nicht, ein Terrorregime zu bekämpfen". Auch der offensive Charakter eine Art von Front, der sich in den Strukturen selbst und der Fülle von Patronenhülsen aus Handfeuerwaffen und Mausergewehren widerspiegelt.
Über die militärische Perspektive hinaus haben sich die Forscher auch mit dem Alltag der Guerrilla befasst. So erzählen die Blechdosen und Gemüse-Konserven von ihrer Ernährung, während Tabakpfeifen und Flaschen mit Anis, Schnaps oder Wein (das übliche alkoholische Getränk) Hinweise auf ihre Freizeit lieferten, die "ein Leben erträglich machte, das dem ständigen Druck von Gefahr und Tod ausgesetzt war", schreibt der Archäologe über diesen "Mechanismus der Distanzierung und der Abwehr von Trauma und Gefahr". Mit der Wiederentdeckung vergessener Erinnerungen der Guerrilla-Nachbar*innen wurde das, was zunächst wissenschaftliche Forschung war, zu einem gemeinschaftlichen archäologischen Projekt.
“Vergessene Landschaft“
"Früher waren die Objekte nur eine formale Unterstützung, um die Darstellung von Historikern zu veranschaulichen, aber das Paradigma hat sich geändert. Jetzt erlauben uns die Gegenstände, die Aktivitäten der Guerrilla und die faschistische Unterdrückung zu rekonstruieren, als wären wir Gerichtsmediziner", erzählt der Historiker Xurxo Ayán. Er betont, dass "die materiellen Reste und die Schauplätze der Kämpfe" jetzt den mündlichen und dokumentarischen Quellen gegenübergestellt werden können, "um ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und zu versuchen, die Wahrheit zu finden". Neben den greifbaren Beweisen hebt der Archäologe die Tatsache hervor, dass dank dieses Projekts eine "vergessene Landschaft" wieder Teil der Erinnerung und des öffentlichen Raums wird, "der von den Siegern des Krieges besetzt wurde".
Eine abwesende Landschaft, so Tejerizo, denn die Lager waren nicht nur während des goldenen Zeitalters der Guerrilla verborgen, sondern auch in der vagen Erinnerung der lokalen Bevölkerung, die nun sichtbar gemacht wird. "Unsere Arbeit hatte eine Wirkung, die wir nicht erwartet hatten, sowohl wegen der Größe der Maquis-Waldstadt als auch wegen des Ausmaßes der zum Schweigen gebrachten Erinnerungen, die sich dahinter verbergen. In der Tat waren die Bewohner von Casaio, die in der Guerrilla-Zeit traumatische Erfahrungen gemacht haben, die ersten, die sie zum Wiederentdeckung beitragen wollten", schließt der Direktor von Sputnik Labrego. Er ist glücklich darüber, dass "die Archäologie diese Räume der Abwesenheit füllen konnte".
Dokumentarfilm
Miguel Riaño, Regisseur von “Ciudad de la Selva“, bezeichnet seinen Dokumentarfilm als "wissenschaftlich und aseptisch", obwohl er eine "ungezähmte und spektakuläre" Landschaft fotografiert. Er hat eine innovative Arbeit geleistet. Der Produktionsleiter von Metropolis.coop erklärt, dass er keinen Film über archäologische Schürfungen gedreht hat und er eine Aneinanderreihung von Erzählungen vermieden hat, "die die Ereignisse subjektivieren". Der Film kombiniert die Zeugenaussagen der Nachbar*innen von Casaio mit den Aussagen der Forscher. "Angesichts der unterschiedlichen Interpretationen haben wir empirisch gearbeitet, um das rigoros zu behandeln, was manchmal auf sentimentale und nicht sehr objektive Weise behandelt wurde", schließt Riaño. Der Dokumentarfilm “Ciudad de la Selva“ (Waldstadt) ist ab Ende März 2023 in Madrid zu sehen.
Weiter Artikel zum Thema:
Maquis-Guerrilla (1) – Antifranquistischer Kampf nach dem Krieg
http://www.baskultur.info/geschichte/krieg36/299-maquis-1
Maquis-Guerrilla (2) – Erfolg und Niedergang
http://www.baskultur.info/geschichte/krieg36/302-maquis-2
Maquis aus Frankreich (3) – Operation spanische Wiedereroberung
https://www.baskultur.info/geschichte/krieg36/552-maquis-aran-3
Antifranquistische Guerrilla – In den Bergen Kantabriens
https://www.baskultur.info/politik/antifa/819-guerrilla-bejes
ANMERKUNGEN:
(1) “Las huellas del maquis: en busca del tesoro perdido de la guerrilla antifranquista” (Auf den Spuren des Maquis: Auf der Suche nach dem verlorenen Schatz der antifranquistischen Guerrillabewegung”, Tageszeitung Publico, 2023-03-25 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Maquis (wikipedia)
(2) Maquis (ser)
(3) Maquis (flickr)
(4) Maquis (txalaparta)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-03)