Normalisierungs-Prozess im Baskenland
Seit im Jahr 2011 die baskische Untergrund-Organisation ETA das definitive Ende ihrer bewaffneten Aktivitäten bekannt gab, hat sich im Baskenland viel verändert: internationale Konflikt-Vermittler sind aktiv, der Personenschutz für Politiker/innen wurde aufgelöst, die meisten Organisationen der Unabhängigkeits-Bewegung sind wieder legal, doch noch immer sind mehr als 500 politische Gefangene in Haftanstalten über den gesamten spanischen Staat verteilt. Zwei Artikel beleuchten das neue Panorama.
(Der folgende von Ralf Streck verfasste Artikel erschien am 19. Oktober 2011 mit dem Titel "Dialog statt Gewalt im Basken-Konflikt. Friedenskonferenz forderte Verhandlungen der ETA mit Spanien und Frankreich" in der Tageszeitung Neues Deutschland)
Eine internationale Friedenskonferenz im Baskenland hat jetzt die ETA zum endgültigen Waffenverzicht sowie Spanien und Frankreich zu Verhandlungen aufgerufen.
Im Prozess zur friedlichen Beilegung des baskischen Konflikts gab es einen Schritt vorwärts. Im Seebad Donostia (spanisch San Sebastian) wurden auf der Internationalen Konferenz zur Förderung einer Lösung des Konflikts im Baskenland diverse Vorschläge diskutiert. Unter den Vermittlern befand sich auch der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der von allen Konfliktparteien"außerordentlichen Mut" forderte, "um den letzten bewaffneten Konflikt in Europa" zu beenden und die "Gewalt durch Dialog und Politik" zu ersetzen.
Für die Vermittlergruppe verlas der ehemalige irische Premierminister Bertie Ahern die Abschlusserklärung. Zur Gruppe gehörte auch der Vorsitzende der irischen Partei Sinn Féin, Gerry Adams, die frühere norwegische Regierungschefin Gro Harlem Brundtland, der ehemalige französische Innenminister Pierre Joxe und der einstige Chef-Unterhändler für den Nordirland-Konflikt, Jonathan Powell. Die Gruppe betonte, man sei nicht angereist, um den Bürgern, den Politikern und anderen Akteuren im Land etwas zu diktieren. Man sei vielmehr in der Hoffnung gekommen, "aus den eigenen Erfahrungen bei der Lösung langwieriger Konflikte in unseren Gesellschaften und Völkern und aus anderen Konflikten, zu deren Lösung wir beigetragen haben, Ideen beisteuern zu können".
Nach Anhörung der Stellungnahmen aller Beteiligten wurde als erster Schritt von der ETA die "definitive Einstellung der bewaffneten Aktivitäten" gefordert. Das sollten die spanische und die französische Regierung mit einem "Dialog" beantworten, der "ausschließlich die Konfliktkonsequenzen behandelt". Dafür seien Schritte zur Versöhnung notwendig, die Opfer auf beiden Seiten und der verursachte Schmerz müssten anerkannt werden.
Die Konferenz hat deutlich gemacht, dass es vor allem in Spanien weiter an der Bereitschaft zu einer Friedenslösung mangelt. Nahmen neben dem französischen Sozialisten Joxe auch Vertreter von Nicolas Sarkozys konservativer UMP an der Konferenz teil, lehnte die spanische Rechte dies ab. Die große konservative Volkspartei (PP), der alle Umfragen einen Sieg bei den vorgezogenen Neuwahlen am 20.November vorhersagen, sprach von "Wahlkampf-Propaganda für die Unterstützer der ETA".
Auch die Madrider Regierung und die regierenden Sozialisten (PSOE) fehlten aus Angst, die Volkspartei könnte ihnen mit ihrer Propaganda weitere Stimmen abnehmen. Nur die baskische Sektion war durch den sozialistischen Präsidenten Jesús Egiguren vertreten, der gegen alle Widerstände in den eigenen Reihen stets am Dialog zur friedlichen Beilegung des Konflikts festhielt, während seine Partei vor allem auf Repression und Verbote gesetzt hat.
Doch auch in Spanien nimmt die Zahl derer zu, die in den Friedens-Initiativen der baskischen Linken eine historische Chance sehen. Sie hat die ETA zur ihrer längsten Waffenruhe gedrängt, die erstmals von einer internationalen Kontaktgruppe überprüft wird. Deshalb nahmen neben allen baskischen Parteien und Gewerkschaften die beiden großen spanischen Gewerkschaften CCOO und UGT ebenfalls an der Suche nach einer Friedenslösung teil.
Auch die Vermittlergruppe betont die Bedeutung der gesamten Gesellschaft für einen dauerhaften Frieden. Nach dem Dialog und den Verhandlungen der Politiker sollte die Bevölkerung das letzte Wort in einem Referendum erhalten, weil "das zu einer neuen Ära ohne Konflikt beiträgt". Das ist genau jene Formel, die die baskische Linke seit vielen Jahren vorschlägt. Doch eine Entscheidung der Basken selbst über ihre Zukunft war für Spanien bislang eine zu hohe Hürde.
(Der im Anschluss folgende von Ingo Niebel verfasste Artikel erschien am 6.1.2014 unter dem Titel "Innerstaatliche Konflikte: Baskenland" auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung. Er stellt die Situation nach der Waffenruhe dar und beschreibt die Ursachen des baskisch-spanischen Konflikts.)
2011 erklärte die ETA die Einstellung ihrer "bewaffneten Aktionen". Fast alle baskischen Parteien setzen heute auf Verhandlungen. Das gibt Hoffnung auf einen Friedensprozess im Baskenland. Allerdings schließt die spanische Regierung eine Verhandlungslösung nach wie vor aus.
Aktuelle Konfliktsituation
Ende Oktober 2011 beendete die baskische Untergrund-Organisation Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit – ETA) ihren "bewaffneten Kampf". Dieser richtete sich seit 1968 in erster Linie gegen Spanien. Aber auch Frankreich war davon betroffen, weil es der ETA als Rückzugsraum diente. Der Schritt der ETA erfolgte unmittelbar nach einer internationalen Konferenz in Donostia/San Sebastián, die unter Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan dazu aufgefordert hatte. Im Gegenzug sollten sich auch Madrid und Paris verhandlungsbereit zeigen. Parallel dazu hatte die gesamte baskische Nationalbewegung – von der christdemokratischen Baskischen Nationalpartei (PNV) bis zu den baskischen Linksparteien – diesen Kurswechsel befürwortet. Ein weiterer Faktor waren die Fahndungserfolge der Polizei gewesen, die zur Festnahme mehrerer ETA-Verantwortlicher und -Aktivisten geführt hatte.
Dass die ETA 2011 diese historische Entscheidung traf, ist Folge eines Paradigmenwechsels, den die ihr nahestehende linke Unabhängigkeits-Bewegung ab 2010 mit internationaler Unterstützung durchsetzte. Demnach sollen die Voraussetzungen für Verhandlungen nicht mehr militärisch, sondern nur noch gewaltlos und mit politischen Mitteln erkämpft werden. Für eine Verhandlungslösung des politischen Konflikts haben sich mehrere Friedensnobelpreisträger eingesetzt: z.B. Desmond Tutu, Frederik Willem de Klerk, John Hume und Betty Williams. Außerdem begleiten eine internationale Vermittlergruppe und eine Verifizierungskommission den Prozess im Ganzen und die Schritte der ETA zur Aufgabe ihres Kampfes im Einzelnen.
Die beiden führenden spanischen Parteien, die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die konservative Volkspartei (PP), lehnen allerdings die internationale Vermittlung und eine politische Lösung ab, die das Selbstbestimmungs-Recht der Basken beinhaltet. Ihre "rote Linie" ist die Unveränderbarkeit der Verfassung von 1978 und die "Unteilbarkeit" der "spanischen Nation". Sie verlangen, dass sich die ETA bedingungslos selbst auflöst.
Das politische Klima im Baskenland hat sich etwas normalisiert, nachdem 2011 die Parteien und Koalitionen der Unabhängigkeits-Bewegung wieder zugelassen wurden. Über ihnen schwebt aber weiterhin das Damoklesschwert des Verbots. Neben der Teilnahme am politischen Tagesgeschäft unter dem Druck der gesamtspanischen Wirtschaftskrise setzen sie sich für einen "demokratischen Prozess" ein, der zu einer Verhandlungslösung führen soll. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei der Lösung der Gefangenenfrage zu. Anfang 2013 demonstrierten 115.000 Menschen für die Rechte der über 600 politischen Gefangenen. Dazu aufgerufen hatte die zivilgesellschaftlich organisierte Gefangenenhilfsorganisation Herrira (Heimwärts). Sie wurde im Herbst 2013 verboten. Kurz darauf kassierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die "höchstrichterliche Grundsatzentscheidung 197/2006", weil sie nachträglich und somit rechtswidrig Haftstrafen verlängerte. Das Urteil betrifft 50-70 ETA-Häftlinge, die jetzt nach weit über 20 Jahren Gefängnis freikommen. Das spanische Innenministerium betrachtet die ETA als "besiegt". Es beobachtet verstärkt die politische Arbeit der Unabhängigkeitsbewegung.
Ursachen und Hintergründe
Der Konflikt dreht sich um die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, der Territorialität und Identität der Basken durch den spanischen und französischen Staat. Diese Forderung erheben neben der linken Unabhängigkeits-Bewegung auch andere Parteien, so z.B. die PNV als stärkste politische Kraft.
Das Baskenland am Golf von Biskaya umfasst sieben Provinzen, von denen sich vier im spanischen Königreich und drei in der französischen Republik befinden. Seit dem 16.Jahrhundert nennen Basken dieses Gebiet "Euskal Herria" (das Land, wo Baskisch gesprochen wird). Die Region ist so groß wie Sachsen-Anhalt, in ihr leben drei Millionen Menschen. Das wirtschaftliche Zentrum ist der Großraum Bilbo/Bilbao.
Zwei wesentliche Merkmale trennen die Basken von ihren Nachbarn: die Sprache und die traditionelle Selbstregierung. Die baskische Sprache, das Euskera, ist das identitätsstiftende Band: "Baske ist, wer Baskisch spricht". Paris erkennt das Baskische bis heute nicht als Minderheitensprache an. Madrid gesteht dem Euskera zwar den Status einer zweiten Amtssprache im Baskenland zu, doch ist niemand verpflichtet, sie zu lernen. Ihr Überleben als Europas älteste (noch) lebende Sprache hängt damit allein vom Engagement ihrer Sprecher und von den politischen Umständen ab.
Die Basken besaßen bis zum 18. und 19.Jahrhundert eine spezielle Art der Selbstregierung. Grundlage waren die sogenannten "Fueros" – besondere Rechte wie z.B. demokratische Entscheidungsfindung, Schutz vor staatlicher Willkür und Steuerfreiheit. Der Zustand endete im Norden mit der Französischen Revolution (ab 1789) und im Süden mit dem Karlistenkrieg von 1876. Der Geist der Fueros lebt in den Autonomie-Statuten des 20.Jahrhunderts und in der Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit fort.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Gegenwärtig stehen sich zwei grundlegend verschiedene Lösungsansätze gegenüber: Die Verfechter des spanischen Nationalstaats verlangen, dass die ETA sich bedingungslos selbst auflöst. Die Sicherheits-Behörden halten trotz der veränderten Gesamtlage ihren Fahndungsdruck aufrecht. Dabei kam es in der Vergangenheit auch zu Folterungen von Häftlingen im Polizeigewahrsam, wie der UN-Sonder-Berichterstatter für Menschenrechte Martin Scheinin feststellte.
Der spanische Staat hat seit 1997 gesetzliche Vorkehrungen getroffen, um das gesamte zivile und politische Umfeld der baskischen Unabhängigkeitsbewegung verbieten zu können. Danach reicht der Anti-ETA-Kampf von Anzeigen wegen der "Verherrlichung des Terrorismus" bis hin zu Partei- und Organisationsverboten. Erst 2011 konnte sich die illegalisierte Unabhängigkeitsbewegung wieder über eine Parteien-Koalition artikulieren. Ihre Zulassung musste sie gerichtlich erkämpfen.
Die Unabhängigkeits-Befürworter sehen die ETA nicht als Ursache, sondern als Ausdruck des Konflikts. Statt einer "technischen" bedürfe es deshalb einer "politischen" Lösung, die die Identität, Territorialität und das Selbstbestimmungs-Recht der Basken respektiert. Vorgeschlagen wird die bereits im Gesprächsprozess 2006/07 praktizierte "Zwei-Tisch-Methode": Zum einen verhandeln alle Parteien des Baskenlandes über die Zukunft der Region, zum anderen regeln die ETA und die spanische Regierung die technischen Fragen der Demilitarisierung. Internationale Mediatoren sollen den Verhandlungsprozess betreuen. Als Fernziel wird das Selbstbestimmungs-Recht in der Form angestrebt, wie es Schottland und Grönland seit 2008 praktizieren. Aktuell sucht man gegen den Widerstand aus Madrid nach einer Lösung der Gefangenenfrage, die als Schlüssel für die weitere Entwicklung gilt.
Geschichte des Konflikts
Der Konflikt begann, als Paris ab 1789 und Madrid ab 1876 die Selbstregierung der Basken außer Kraft setzten. Bereits 1801 warnte der preußische Gelehrte Wilhelm von Humboldt in seinem Werk "Die Vasken", dass der spanischen Krone mehr Probleme denn Vorteile entstünden, wenn sie die Sonderrechte (Fueros) abschafft.
In der ersten Phase des baskischen Nationalismus unter Sabino Arana (1876-1936) reichten die politischen Forderungen von der Wiederherstellung der Fueros bis hin zum Autonomie-Statut als ersten Schritt zur Unabhängigkeit.
Der Bürgerkrieg (1936-1939) spaltete das spanische Baskenland wie das übrige Staatsgebiet in einen republikanischen und einen faschistischen Teil. Die Baskische Nationalpartei (PNV), die eigentlich den faschistischen Putschisten näher stand, entschied sich für die Volksfrontregierung, als diese ihr die ersehnte Autonomie gewährte. Im Gegenzug sollte die PNV zusammen mit den Volksfront-Parteien das Baskenland gegen die Putschisten verteidigen. 1937 mussten die baskischen Milizen vor der übermächtigen Phalanx aus Franquisten, deutschen Nationalsozialisten und italienischen Faschisten kapitulieren.
Die Diktatur Francos (1936-1975) kam einem Vernichtungsfeldzug gleich: ca. 6.000 Basken wurden aus politischen Gründen hingerichtet, Zehntausende kamen in Konzentrationslager, Hunderttausende flüchteten, alles Baskische wurde verboten und verfolgt. Aber der Widerstand ging auch im von Deutschland besetzten Südwesten Frankreichs (1940-1944) weiter. Die Schwäche der PNV-geführten baskischen Exil-Regierung und die franquistische Repression führten am 31.7.1959 zur Gründung der ETA. Sie entstand, um das Baskenland von der spanischen Unterdrückung zu befreien und verstand sich daher auch als Widerstandsorganisation gegen die Franco-Diktatur.
Anfangs widmete sich die ETA der Bewahrung der baskischen Sprache und Kultur. 1968 ging sie zum bewaffneten Kampf gegen das franquistische Regime über. Der erste Anschlag richtete sich gegen den als Folterer berüchtigten Polizeiinspektor Melitón Manzanas. Seine Opfer ließ die Tageszeitung El País am 28.1.2001 ausführlich zu Wort kommen. 1973 tötete ein ETA-Kommando den spanischen Ministerpräsidenten Admiral Luis Carrero Blanco, den wichtigsten Mann des Regimes, der dessen Fortbestand nach Francos Tod sichern sollte.
Die neue demokratische Verfassung von 1978 wurde von der gesamten baskischen Nationalbewegung, einschließlich PNV und ETA, abgelehnt, weil sie das Selbstbestimmungs-Recht nicht berücksichtigt, die territoriale Trennung beibehält und die baskische Autonomie jederzeit aussetzen kann. Die Nationalbewegung spaltete sich, als die PNV 1979 das neue Autonomie-Statut akzeptierte. Angesichts der andauernden Repression entschied die ETA, den bewaffneten Kampf fortzuführen. 1995 gab sie jedoch ihre Vorreiterrolle auf und erklärte 1998 eine einseitige Waffenruhe.
Dieser Strategiewechsel ermöglichte ein breites Bündnis nationalbaskischer Parteien mit der ETA, das im "Pakt von Lizarra" mündete. Über die Vereinigung der Städte und Gemeinden (Udalbiltza) wollten die Akteure 1998 die territoriale Teilung überwinden sowie die politischen und institutionellen Grundlagen für ein baskisches Gemeinwesen legen. Das Vorhaben scheiterte an der konservativen Regierung von José María Aznar (1996-2004), die keine Verhandlungen mit der ETA wollte und am verfassungsrechtlichen Status quo festhielt. Die erneute Eskalation erreichte am 11.3.2004 ihren Höhepunkt, als die Regierung Aznar wider besseres Wissens die ETA der islamistischen Attentate in Madrid mit 192 Toten bezichtigte.
Literatur: Collado Seidel, Carlos (2010): Die Basken. Ein historisches Porträt, München: C.H.Beck. / Iriondo, Iñaki/ Sola, Ramón/ Otegi, Arnaldo (2008): Das Baskenland. Wege zu einem gerechten Frieden. Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi, Bonn: Pahl-Rugenstein. / Kasper, Michael/ Bernecker, Walther L. (2008): Baskische Geschichte, 2., bibliogr. aktualisierte und mit einem Schlusskapitel von Walther L. Bernecker vers. Aufl., Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. / Lang, Josef (1988): Das baskische Labyrinth. Unterdrückung und Widerstand in Euskadi, 2., erw. Aufl. Frankfurt a.M.: Isp-Verl. / Niebel, Ingo (2009): Das Baskenland. Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts, Wien: Promedia. / Niebel, Ingo (2012): Schreiben für das Baskenland, Bonn: Pahl-Rugenstein Verlag.