Bilbo-Getxo vor 80 Jahren
Ein Projekt zum immateriellen Kulturerbe erforscht die Geschichte der langen Mündung des Nervion-Flusses zwischen Bilbao und Getxo. Es sammelt und dokumentiert die Nutzungen und traditionellen Bräuche, die zum Teil auch die Gegenwart bestimmen. Im Mittelpunkt stehen Handwerks-Betriebe, Volksfeste und Fabriken. Der Nervion-Fluss war seit jeher Teil des Lebens der Einwohnerinnen von Bizkaia. Um das immaterielle Erbe dieser Wasserstraße zu demonstrieren, lassen wir seine Geschichte Revue passieren.
Industrie, Fischfang, Handwerk, Sport, Freizeit – ein Spaziergang entlang der Sozialgeschichte des Nervion-Flusses, entlang seines Verlaufs von Bilbao nach Getxo, wo er ins Meer mündet.
Als Flussmündung werden in diesem Zusammenhang die letzten 13 Kilometer des Nervion-Flusses bezeichnet, die bis zum Stadtteil Abusu (La Peña) zurückreichen. Bis hier reichen die Meeres-Gezeiten, bis hinter die Markthalle sind täglich zwei Hoch- und zwei Tiefstände zu sehen, das Wasser hat Salzgehalt. In die Geschichte dieser Flussmündung einzutauchen ist ein Weg, die eigenen Großeltern und Wurzeln kennen zu lernen.
So wie sich das Leben in der afrikanischen Savanne an Brunnen und Tümpeln konzentriert, wird es in Bizkaia in der Ría von Bilbao geprägt. Was ist der Unterschied zwischen “río“ und “ría“? “Río“ ist die spanische Bezeichnung für Fluss, “ría“ ist der Teil des Flusses, der direkt mit dem Meer in Verbindung steht und Gezeiten unterworfen ist.
Lastkähne am Ripa-Kai im Zentrum von Bilbao, gegenüber von Rathaus und Arenal-Park in den 1920er Jahren. An dieser Stelle, dreizehn Kilometer vom Meer entfernt, war bis in die 1960er Jahre der Hafen von Bilbo. (Archiv der Hafenbehörde)
Das Gebiet der Flussmündung zwischen Bilbo und Getxo wuchs in der Hitze der wirtschaftlichen Aktivitäten des Hafens und der Industrie, die an den beiden Ufern entstand. In diesem Umfeld entwickelten sich viele Gewohnheiten und Bräuche sozialer, religiöser, handwerklicher und sportlicher Natur. Dieses Ambiente prägt die Gastronomie, die Feste, die Bräuche - generell die Identität einer Bevölkerung, die ohne den Fluss mit großer Wahrscheinlichkeit nie hierher gekommen wäre.
Alles zusammen macht das immaterielle Erbe aus, das Leben und den Alltag der Bevölkerung. Eine Stiftung namens “Punta Begoña“ (Spitze von Begoña) in Getxo forscht mit einem Projekt unter dem Titel “Nervion-Mündung, Leben zwischen den Gezeiten“. Beteiligt sind die Stadtverwaltung von Getxo und die baskische Regierung. Worum geht es? Um Berufe und Erwerbs-Möglichkeiten, die mit dieser Umgebung verbunden sind und die bis heute überlebt haben, wie die "Anguleros" (Angula-Fischer), die “Sardineras“ (Sardinen-Verkäuferinnen), die Uferschreiner und die Bootsführer.
Eine Menschenmenge drängt sich mit Regenschirmen auf einem Dieselschiff, im Jahr 1978. Wegen der wirtschaftlichen Aktivitäten im Zentrum (Verladen, Werft) konnte es keine feststehenden Brücken geben, die Hindernisse dargestellt hätten. Zur Überquerung des Flusses wurden deshalb an vielen Stellen regelmäßig Dieselboote eingesetzt. (Cecilio Hijo, Stadtarchiv Bilbao)
Daneben geht es um andere Arbeiten, die verschwunden sind, die möglicherweise vermisst werden und wiederbelebt werden könnten. Wie die "Rederas" (Netzflickerinnen), die jetzt, wenn sie gebraucht werden, aus dem kantabrischen Santoña, oder aus Lekeitio und Ondarroa an der Bizkaia-Küste gerufen werden. Es gibt Vorgänge, die sich vermischen, wie Transport und Festlichkeiten auf dem Schiff, Fischfang und sportliche Wettbewerbe auf Lastkähnen. Dazu kommen Freizeit-Aktivitäten und Feste wie die Prozession mit der Carmen-Schutzheiligen, die Kucaña (Balance-Stange) und die Alzadas (makabres Spiel mit Gänsen). Die Ortsnamen, die verschiedenen Formen der baskischen Sprache, Lieder, Essen sollen ebenfalls analysiert werden.
Daran arbeitet ein Team, das verschiedene Archive durchforstet und Interviews mit unterschiedlichen Profilen führt, um dieses immaterielle Erbe zu analysieren. "In jeder Tür, die wir öffnen, finden wir eine Menge Information", stellen sie mit großer Überraschung fest. Im September 2023 soll bei “Punta Begoña“ in Getxo eine Ausstellung mit allen gesammelten Materialien eröffnet werden. Wer weiß, ob daraus nicht ein Interpretations-Zentrum entsteht, in dem analysiert wird, was wir heute sind, als Folge dessen, was unsere Großeltern waren. Davon zeugen Dutzende von Fotos, von denen eine kleine Auswahl an dieser Stelle zu sehen ist.
Eine Gruppe junger Leute fährt auf einem Boot, mit den Kränen der Euskalduna-Werft, am linken, südlichen Ufer des Flusses. Die Werft war im Zentrum von Bilbo angesiedelt, heute steht an dieser Stelle das Guggenheim-Museum.
Ein Angula-Fischer an der Nervion-Ría, 1957. Glasaale waren ein besonders gefragter Leckerbissen, der nachts aus dem Wasser geholt, teuer verkauft, mittlerweile künstlich ersetzt wurde und heutzutage unter Schutz steht. (Stadtarchiv Bilbao)
Große Mengen von Sardinen werden im alten Hafen von Algorta-Getxo mit Körben und Netzen direkt aus dem Wasser geholt, auch Kinder helfen. (Getxo-Bibliotheken)
Eine Gruppe von Freunden spaziert am Nervion-Ufer entlang, in Zorrotzaurre, an der Ribera de Deusto. Die Halbinsel Zorrotzaurre entstand durch die Ausgrabung eines Kanals auf der anderen Seite. Heute, nach dem Ende der meisten Industriebetriebe, wurde daraus eine Insel gemacht, die massiv bebaut wird – das letzte große Spekulationsgebiet Bilbaos. (Archiv der Hafenbehörde)
Makabre Spiele mit Gänsen im Hafen von Getxo: Männer versuchen, an einem Stahlseil hängenden lebendigen Gänsen den Kopf abzureißen. (Kepa Urkiza, Getxo-Bibliotheken)
Training von Trainera-Ruderbooten in Getxo. Ursprünglich wurden ähnliche Boote beim Walfang eingesetzt, heute ein professioneller Sport mit eigener Liga. (Bibliotheken von Getxo)
Sardinenfischer liefern ihren Fang am Hafen in Santurtzi ab. Sardineras, Sardinen-Verkäuferinnen legen die Fische in ihre Körbe, die sie auf dem Kopf zu den Märkten tragen, am Ende des 19. Jahrhunderts. (Sammlung Cortés, Stadtarchiv Burgos)
Ein Lastkahn fährt vor dem La Naja Kai unter der Arenal-Brücke durch. Ende des 19. Jahrhunderts. (Stadtarchiv Burgos)
ANMERKUNGEN:
(1) “Un paseo por la historia de Bilbao a través de su arteria fluvial” (Ein Spaziergang durch die Bilbao-Geschichte mittels seiner Flussader” El Correo, 2023-05-08 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Nervion-Fluss (elcorreo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-05-09)