sanpuig1Ultrarechte randalieren

Unter dem Titel “Regierungsbildung in Spanien steht, rechte Ultras toben wegen Amnestie für katalanische Politiker“ beleuchtet der Journalist Ralf Streck für das Overton-Magazin die jüngste Regierungsbildung in Madrid. Weil sich der alte und neue sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez dabei neben Sumar-Podemos auf verschiedene Unabhängigkeits-Parteien stützt und die Katalanen um Puigdemont mit einer Amnestie belohnt, läuft die Ultrarechte von PP bis VOX Amok und schreit “Hochverrat“.

Dass der spanische Ex-König JC aus Angst vor Korruptions-Verfahren in Saudi Arabien ausharrt, ist ebenso sonderlich wie die Tatsache, dass die neue spanische Regierung in Brüssel ausgehandelt wurde. Die Gesellschaft ist polarisiert wie lange nicht, es stinkt nach Neo-Franquismus.

Overton: Pedro Sánchez kann mit einer sozialdemokratischen Minderheiten-Koalition weitermachen, doch er musste den Nationen im (spanischen) Staat vor allem auf Druck des katalanischen Exil-Präsidenten Carles Puigdemont große Zugeständnisse machen, die auch eine umfassende Amnestie und deren “nationale Anerkennung“ umfassen. Doch es gibt nicht nur eine faschistoide Aufwallung gegen die Abkommen mit Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, sondern auch Kritik aus der katalanischen Unabhängigkeits-Bewegung.

Patchwork-Minderheits-Regierung

Am Freitag (10.11.2023) war es schließlich nach vier Monaten soweit, als der geschäftsführende Ministerpräsident Spaniens auch persönlich das Abkommen mit der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) unterzeichnete. Nun steht seine noch buntere Patchwork-Minderheits-Regierung fast. Die soll für die nächsten vier Jahre halten. Pedro Sánchez will sich Ende der Woche erneut ins Amt wählen lassen und zwar mit absoluter Mehrheit schon im ersten Wahlgang. Den genauen Termin für die zweitägige Debatte und die Abstimmung wird die Parlaments-Präsidentin Francina Armengol am Montag (13.11.) festlegen.

Gegenüber den vorhergehenden dreieinhalb Jahren, denn Pedro Sánchez hatte angesichts der aufstrebenden Rechten und Ultrarechten die Wahlen eilig vorgezogen, musste er nun auch noch die Partei des katalanischen Exil-Präsidenten Carles Puigdemont ins Boot holen. Der und dessen “Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) hatten die Latte für eine Unterstützung stets sehr hoch gelegt und schon bisher durchgesetzt, dass im spanischen Parlament endlich auch Katalanisch, Baskisch und Galicisch gesprochen werden kann.

Puigdemont hatte auch vor Augen, dass der politische Konkurrent in der katalanischen Heimat (die sozialdemokratische ERC) vier Jahre lang praktisch gratis die Sánchez-Regierung unterstützt hatte. Die Republikanische Linke (ERC) war dafür von den Katalanen bei den letzten Kommunal-Wahlen schwer abgestraft worden. Sie hatte in den letzten Wochen versucht, darüber Aufwind zu erhalten, dass sie praktisch alle Forderungen von Puigdemonts JxCat kopierte, die sie in vier Jahren nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Im eigenen Abkommen mit den Sozialdemokraten (PSOE) wurden die Forderungen zudem stark verwässert.

Sánchez und die Katalanen

sanpuig2Sánchez wusste, dass er auf die ERC-Stimmen so oder so vertrauen konnte. Das galt auch für die der baskischen PNV. Die konnte allerdings für die Basken wichtige Forderungen im Endspurt im Windschatten von Puigdemont durchsetzen. So wurde die symbolische “nationale Anerkennung“ genauso in das Abkommen geschrieben, wie die Übertragung aller auch nach über 40 Jahren noch immer ausstehenden Kompetenzen an die baskische Autonomie.

Die PNV hat in vielen Jahren gelernt, dass den Sozialdemokraten nicht zu trauen ist, weil sie immer wieder Vereinbarungen brechen. Deshalb wurde vereinbart, dass alles innerhalb “von zwei Jahren“ übertragen werden muss. Besonders nervt nicht nur rechte Ultras im Land, dass endlich auch die Sozialversicherung übertragen werden soll, wie es das verfassungs-ausführende Gesetz von 1979 (!) vorsieht. Seither wird Jahr um Jahr die Verfassung gebrochen, sei es von einer rechten Regierung der Volkspartei PP oder einer der PSOE. Die rechten Medien fragen nun: “Wenn das Baskenland eine `Nation` ist und eine eigene Sozialversicherung hat, wo bleibt dann der Staat?“ Dass bisher die Verfassung gebrochen wurde, auf die sie sonst mit Blick auf die Ansprüche von Basken und Katalanen stets pochen, ist ihnen dabei egal.

Rechte stört die Amnestie für katalanische Politiker

Auf die Barrikaden treibt das alles natürlich weiter die Rechte, die sich aber vor allem offiziell darüber aufregt, dass mit Puigdemont eine umfassende Amnestie vereinbart wurde. Die beinhaltet nicht nur die Vorgänge um das Unabhängigkeits-Referendum von 2017 und die Proteste gegen die harten Strafen gegen Politiker und Aktivisten, sondern sie umfasst auch alle Vorgänge vor und nach der Volksbefragung 2014 und dem Referendum 2017 bis heute.

Dass in dem Dokument von “lawfare“ – einem juristischen Krieg – gesprochen wird, dessen Folgen auch in die Amnestie einbezogen werden sollen, treibt Richter-Vereinigungen ebenfalls auf die Barrikaden. Die stört, dass die PSOE den “lawfare“ anerkennt und dass die Vorgänge in “parlamentarischen Untersuchungs-Ausschüssen“ behandelt werden sollen. Daraus könnten sich nämlich auch strafrechtliche Konsequenzen ableiten lassen.

Dabei ist das offenkundig, was hochrangige spanische Juristen bisweilen sogar “Justizputsch“ oder Schauprozesse genannt haben. Willkürliche Inhaftierungen haben nicht nur Menschenrechts-Organisationen, der Europarat, die UNO und zuletzt sogar das US-Außenministerium kritisiert.

Politische Justiz

Vom “juristischen Krieg“ betroffen waren auch Personen wie der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye, der mit absurden Anschuldigungen vor Gericht gezogen wird und sogar mit der Spionage-Software Pegasus ausgespäht wurde. Darunter dürfte auch der Puigdemont-Büroleiter Josep Lluís Alay fallen, der mit hanebüchenen Anschuldigungen sogar zum russischen Spion gemacht werden sollte. Vielen gefällt natürlich auch nicht, dass die Katalanen demnächst wie die Basken die Steuern einziehen sollen, da die Katalanen unter einer massiven Unterfinanzierung leiden. Jährlich fließen mehr als 20 Milliarden Euro nach Madrid ab und kommen nie wieder zurück.

Dass Junts auch noch ein weiteres Referendum auf die Tagesordnung setzt, treibt dann definitiv den Hass der Rechten und Ultrarechten an. Sie gehen, wie an dieser Stelle schon berichtet wurde, schon seit Tagen gewaltsam auf die Straße, greifen PSOE-Politiker an, belagern Parteibüros und liefern sich zum Teil Straßenschlachten mit einer Polizei, die gegen den gewalttätigen Mob sehr zurückhaltend vorgeht. Mit Blick auf die Justiz, Puigdemont und andere sogar wegen Rebellion verurteilte, wird per “X“ (Twitter) gefragt, “ob die spanische Justiz jetzt auch diese Rechten wegen Rebellion und Terrorismus anklagt“. Zu sehen ist ein Video, wie der gewalttätige rechte Mob mit massiver Gewalt die Polizei angreift.

Allerdings ist der Aufruhr, von dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz am späten Freitag in Malaga betroffen war, wo er mit Sánchez zusammentraf, wieder abgeflaut. Einen Termin musste Scholz aber absagen, weil eine ultranationalistische “aufgebrachte Menge“ den Tagungsort belagerte. Erst mit einstündiger Verspätung konnten Scholz und Sánchez das Gebäude verlassen. So bekam Scholz mit, wie sich der spanische Nationalismus gebärdet.

“Den letzten Tropfen Blut für Spanien vergießen“

Die Frage ist, wie sich die Lage weiterentwickelt. Nach neuen heftigen Straßenschlachten und 24 Festnahmen am Donnerstag (9.11.), ging die Zahl der Protestierer vor dem zentralen Parteibüro der Sozialdemokraten am Freitag in Madrid wieder stark zurück. Auch am Samstag war ein weiteres Abflauen der Proteste zu beobachten. Es bleibt aber abzuwarten, ob das nur die relative Ruhe vor dem Sturm ist und was aus den Protesten wird, welche die rechte PP für Sonntag (12.11.) in allen 52 Provinz-Hauptstädten angekündigt hatte.

Der Aufruf wird auch von deren Rechtsabspaltung VOX unterstützt. Beide Parteien heizen die Stimmung derweil weiter an, da sie nicht verkraften können, dass die PP zwar die Wahlen gewonnen hat, aber auch mit Unterstützung der offenen Anhänger der Franco-Diktatur nicht wie in einigen spanischen Regionen im ganzen Land regieren kann.

Die PP wirft Sánchez inzwischen “Verrat“ und “Erniedrigung“ vor, weil er eine Mehrheit erreicht hat. Das Abkommen mit Puigdemont im belgischen Exil nennen PP und VOX sogar “Hochverrat“. Die heimliche PP-Chefin Isabel Díaz Ayuso, die als Präsidentin der Hauptstadt-Region Madrid nur darauf wartet, den PP-Chef Alberto Núñez Feijóo wegen dessen Scheitern abzuschießen, erklärt sogar: “Sie haben uns eine Diktatur gebracht, sie haben sie durch die Hintertür gebracht, und wir stehen am Anfang davon“. Das ist die merkwürdige Auffassung von Demokratie, von Leuten wie Ayuso, die kein Problem damit haben, wenn man sie “Faschisten“ nennt.

Putsch-Fantasien

sanpuig3Wie schon berichtet, kursieren in Kasernen des Militärs und der paramilitärischen Guardia Civil sowie in der Nationalpolizei auch schon Putsch-Aufrufe. Nun ist auch noch ein Aufruf von einer Vereinigung innerhalb der Guardia Civil aufgetaucht. Darin unterstreichen die Mitglieder der APROGC, bereit zu sein, “auch den letzten Tropfen unseres Bluts für Spanien zu vergießen“ (Anm: Die Tageszeitung El Pais berichtete am 10.11., dass das Innenministerium eine Untersuchung zu diesem Fall angestrengt hat).

Dass die Guardia Civil damit ausgerechnet die “Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens“ und zudem seine “verfassungsmäßigen Ordnung“ verteidigen wollen, ist leider keine Realsatire, sondern zeigt den geistigen Zustand von Leuten in bewaffneten Sicherheitskräften, die mit einem Putsch eine verfassungsmäßige Ordnung gegen eine demokratische Entscheidung der Bevölkerung “verteidigen“ wollen. Man kennt die kranke Logik vom Putsch der Generäle 1936 gegen die Republik, der Spanien einen Bürgerkrieg und Jahrzehnte einer brutalen Diktatur gebracht hat. (Anm: 1981 wurde Ähnliches erneut versucht.)

Kritik in Katalonien an Puigdemonts Verhandlungs-Ergebnissen

In der katalanischen Unabhängigkeits-Bewegung ist das Vorgehen von Puigdemont nicht unumstritten. Denn er hatte schon für die Aufnahme von Verhandlungen nicht nur eine Amnestie versprochen, sondern auch ein abgestimmtes Referendum gefordert. Darüber soll nun aber erst im Laufe der Legislaturperiode verhandelt werden. Ohnehin wollen viele kein neues Referendum, da das von 2017 eine deutliche Mehrheit für die Unabhängigkeit gebracht hatte. Dass ein mögliches neues Referendum nun zudem sogar auf die lange Verhandlungsbank geschoben wird, welches die PSOE weiter ablehnt, stößt auf einiges Unverständnis.

Die Kritik versucht Puigdemont, der nach Verabschiedung der Amnestie nach sechs Jahren in seine Heimat zurückkehren kann, über eine Urabstimmung in seiner JxCat zu überspielen. Die Parteibasis soll das Abkommen ratifizieren, das er mit der PSOE geschlossen hat. Alles spricht dafür, dass das auch geschieht. Eine Überraschung bei der Abstimmung bis Sonntag um 18 Uhr ist aber nicht völlig ausgeschlossen. Das Problem Puigdemonts ist, dass sich der von ihm gegründete “Republikrat“ mit großer Mehrheit (75%) auf Antrag eines Mitglieds dafür ausgesprochen hatte, Sánchez nicht zu unterstützen und seine Amtseinführung zu blockieren.

Heftige Kritik kommt von der ebenfalls Exilierten Clara Ponsatí, die wie Puigdemont für JxCat im Europaparlament sitzt. Tatsächlich bleibt, wie festgestellt wird, das Abkommen in den zentralen Fragen reichlich vage. Die ehemalige Bildungs-Ministerin der Puigdemont-Regierung erklärt nach dem Abkommen das “Ende der Vorstellung“. Es sei eine “Demütigung“ für Katalonien, die “nur schwer zu überwinden sein wird“. Dass Puigdemont gesagt habe, “dass er nichts mit Spanien zu tun haben will, nun aber zustimmt, den PSOE-Chef zum Ministerpräsidenten Spaniens zu machen, ist eine Verachtung für die Menschen, die ihm vertraut und ihn geschützt haben“, erklärt sie enttäuscht.

Es bleibt abzuwarten, was nun tatsächlich, auch gegenüber den Basken, von den blumigen Sánchez-Versprechen umgesetzt wird und ob die PNV tatsächlich nach zwei Jahren die Regierung stürzt, wenn die Kompetenzen nicht vollständig übertragen sind. Wer die PNV kennt, weiß, dass Sánchez nichts zu befürchten hat. Das gilt vor allem auch gegenüber der ERC und der links-nationalistischen baskischen EH-Bildu (Baskenland vereinen). Der hatte er (vor vier Jahren) unter anderem sogar schriftlich eine vollständige Streichung der (neoliberalen) Arbeitsmarkt-Reform versprochen, real kam eine Konsolidierung von 95 Prozent dabei heraus, ohne dass Bildu der PSOE die Unterstützung aufgekündigt hätte.

Ob sich Puigdemont auf die übliche sozialdemokratische Strategie einlässt, alles in Kommissionen zu verschieben, um Zeit zu schinden und real nichts oder kaum etwas umzusetzen, wird sich zeigen. Die Frage ist, ob Beobachter nun Recht behalten, dass vor allem die Amnestie das Tauschgeschäft ausgemacht hat und es ansonsten wie schon in den vergangenen vier Jahren laufen wird, es also praktisch keine Fortschritte in Richtung Unabhängigkeit Kataloniens geben wird.

ANMERKUNGEN:

(1) Regierungsbildung in Spanien steht, rechte Ultras toben wegen Amnestie für katalanische Politiker“, Overton-Magazin, Autor: Ralf Streck, 2023-11-11 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Regierung (20min)

(2) Patchwork (korea.net)

(3) Guardia (aprogc)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-11-13)

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