sumpod1Yolanda mit der Axt an die Spitze

Die Präsidentschafts-Kandidatin der neuen links-sozialdemokratischen Partei Sumar, eine Abspaltung bzw. Neugründung von Podemos, sortiert Konkurrentinnen aus und hat Erfolg mit ihrer Strategie, die alte Protestpartei Podemos zu absorbieren. Podemos verhält sich angesichts der der Krise nach der Wahlniederlage vom 28. Mai 2023 und der Eile vor den vorgezogenen Neuwahlen am 23. Juli 2023 unterwürfig. Yolanda Díaz behält die Oberhand, die Mainstream-Medien applaudieren und Sánchez reibt sich die Hände.

Die baskische Tageszeitung Gara (Wir sind) und Ralf Streck bei Neues Deutschland analysieren die Herausforderungen und Folgen der Parteigründung von Sumar (Summieren), mit der Gründerin Yolanda Díaz eine politische Wende nach rechts organisiert und eine personalistische Führung in Aussicht stellt.

Macht wird nicht geteilt, brachte die bisherige Vizepräsidentin der spanischen Regierung, Yolanda Díaz, ohne Worte, aber mit starken Gesten zum Ausdruck. (1) Die Strategie, die seit Monaten im Raum stand, hat endlich Form angenommen: Vor fast anderthalb Jahren begann Yolanda Díaz die Operation der Absorption und Unterwerfung von Podemos, um der Protestpartei die Schranken zu zeigen und sie zu verdrängen. Mit einer Handvoll Gefährtinnen verschworen, meldete Díaz “Sumar“ kürzlich als Partei an. Die Verhandlungen über ein Wahlbündnis mit den Ausgebooteten von Podemos war ein notwendiges Übel, um nicht in ein erneutes Wahldebakel mit Ansage zu stürzen, die Einigung war das letzte Elixier auf diesem Weg. (2)

Die Machtfrau Díaz

sumpod2Drei spezifische Tatsachen haben Yolanda Díaz dazu veranlasst, sie lassen sich nach zwei Jahren genauer Beobachtung des Prozesses, Gesprächen mit Quellen und Zeugen politischer Aktionen ableiten. Die Frau, die 2021 von Podemos-Gründer Pablo Iglesias (3) ausgewählt worden war, um ihn an der Spitze von Unidas Podemos zu ersetzen, verstand, dass die alte Wahlmarke erschöpft war und sie bereits vor Jahren eine Obergrenze an Stimmen erreicht hatte. Sie erkannte, dass sie den Einfluss des "Pablismo" reduzieren musste, um die neue Partei und mögliche Wahl-Zusammenschlüsse führen zu können. Und drittens führte ihr politischer Narzissmus dazu, dass sie eine auf sich selbst konzentrierte Machtstruktur aufbaute, mit wenig Mitbestimmung und vollster Autonomie bei Entscheidungen.

Freunde und politische Weggefährten, die sie seit zwei Jahrzehnten kennen, haben klar gemacht, dass Yolanda Díaz' Charakter viel härter ist als das, was in den Medien zu sehen ist, und dass das Schlimmste in ihr zum Vorschein kommt, wenn sie sieht, dass sie in die Enge getrieben oder zu Entscheidungen gezwungen werden soll. Deshalb hat sie auch viel später und lange nach dem Interview mit dem bekannten Jordi Evole ausdrücklich gesagt, dass ihr die Art und Weise nicht gefällt, wie Pablo Iglesias sie vor zwei Jahren zu seiner Nachfolgerin bestimmt hat.

Aus all diesen und sicherlich noch anderen Gründen will Díaz die Formation unerbittlich schlucken, eine Partei, die die politische Geschichte des spanischen Staates verändert hat. Sie kannte keine Gnade: Sie wagte es sogar, der Partei einen emotionalen Schlag zu versetzen, indem sie ein Veto gegen die Gleichstellungs-Ministerin und Iglesias-Ehefrau Irene Montero einlegte, die Alma Mater von Podemos, Nummer zwei in der Partei und als deren wichtigster Aktivposten angesehen (vielleicht nicht in Bezug auf die Wahlen, aber symbolisch und politisch).

Führungsstile

Yolanda Díaz kritisierte 2019 die Versuche von Pedro Sánchez, ein Veto gegen Iglesias im Ministerrat einzulegen, und verfolgt nun die gleiche Strategie. Bei einem kürzlichen Treffen in Madrid, dem ersten nach der Unterzeichnung des Abkommens, hat Díaz die Diskussion um das Veto gegen Montero für beendet erklärt. Außerdem sagte sie, der Pakt sei unterzeichnet und die Listen seien geschlossen. Kleingeschrieben: Es wird nichts neu verhandelt, trotz Bitten der Generalsekretärin der lila Partei, Ione Belarra.

Wie sollte Yolanda Díaz eine Begnadigung von Montero neu verhandeln, wenn ihr Fenstersturz doch genau die gewünschte Botschaft war? "Hier regiere ich und nur ich regiere" – solche sublimen Botschaften werden ihr zugeschrieben. Aber vielleicht ist da nicht viel Platz für Witze. Die Folgen dieser Veto-Entscheidung sind noch unvorhersehbar. Die sozialen Netzwerke, die einen kleinen Ausschnitt bestimmter sozialer Reaktionen darstellen, wurden von lila Aktivisten überschwemmt. Sie erklärten, dass sie Sumar wegen dieser Demütigung nicht wählen würden.

Konkurrentin Montero

sumpod3Irene Monteros Gleichstellungs-Management, mit Licht- und Schattenseiten, hat die spanische Regierung an die Weltspitze der feministischen und LGBTIQ-Rechte geführt. Time, das meistgelesene politische Magazin in den Vereinigten Staaten (und damit eines der meistgelesenen im Westen), widmete der Ministerin kürzlich einen Bericht und berichtete über ihre symbolträchtigsten Gesetze. Die Tatsache, dass die Bevölkerung eine öffentliche Debatte beobachten konnte, warum die ausdrückliche Zustimmung im Mittelpunkt der Sorge um die sexuellen Rechte von Frauen stehen muss, ist ein überaus positives immaterielles Vermächtnis, das Montero der Geschichte des Feminismus hinterlassen wird.

Ihren Rücktritt zu fordern und in den letzten Stunden der Verhandlungen durchsickern zu lassen, dass ihr als Trostpreis angeboten wurde, die Sumar-Liste für Bizkaia anzuführen (was Podemos bestreitet), zeugt von einer politischen Arroganz, die nicht übersehen werden kann. Warum ist Montero für den Wähler*innen in Bizkaia zuzumuten, aber in Madrid nicht? War ihre Enthauptung eine Bitte von Iñigo Errejón? Oder ist es eine Annäherung gegenüber den konservativen Medien und ein Einknicken gegenüber einer weniger progressiven Wählerschaft, bei dIrene Montero zu radikal ankommt und die wenig Verständnis hat für die Fortschritte bei der Gleichstellung?

Explizite und implizite Verbündete

In ihrem Streben nach absoluter und unangefochtener Führung (oder zumindest ohne starke Konkurrent*innen, die ein Gegengewicht zu ihr bilden könnten) hat die Vizepräsidentin einige ausdrückliche und heimliche Verbündete. Die offensichtlichsten sind der Errejonismo (benannt nach Podemos-Mitgründer Iñigo Errejon, viele alte Rechnungen wurden beglichen), Compromís (Valencia), Catalunya En comú und die Mainstream-Medien. Sie alle wollen, aus unterschiedlichen Gründen, Podemos ausgrenzen, dafür musste Montero, die Ikone des Widerstands nach dem Rücktritt des ehemaligen Vizepräsidenten Pablo Iglesias, aus dem Weg geräumt werden.

Gerade er, Iglesias, ist unwissentlich zum virtuellen Kampagnen-Leiter der Aufbaustrategie von Díaz geworden und hat mit ihr polarisiert. Heute bereut Iglesias nicht nur, Díaz als Nachfolgerin für eine Partei ausgewählt zu haben, die sie nun erdrückt und deren Auflösung sie vorantreibt, um sie zu ersetzen. Sondern sicher auch, dass er sich Díaz in der öffentlichen Debatte entgegengestellt hat. Iglesias und seine politischen und medialen Verbündeten gingen hart mit Díaz ins Gericht, sie antwortete fast nie und beschränkte sich darauf, nichtssagende Phrasen von sich zu geben (“Politik hat nichts mit Druck zu tun" war die von ihr am häufigsten verwendete). Auf diese Weise festigte sie in den Augen der Wählerschaft das von ihr gewünschte Image, während Podemos seinen harten Ton nicht änderte, was sie vor den Augen ihrer treuesten Wähler nur noch sturer machte.

Diskurs-Verlust, Glaubwürdigkeits-Verlust

Es nützt wenig, daran zu erinnern, dass sich die heutige Yolanda Díaz in Ton und Vehemenz und sogar im diskursiven Inhalt sehr stark von der Yolanda Díaz vor vier Jahren unterscheidet. Die Wähler neigen dazu, zur Wahl zu gehen, indem sie an die letzten drei Monate denken und an das, was noch kommen wird, und nicht an das, was vor langer Zeit geschehen ist.

Nach der Wahlniederlage vom 28. Mai und vielen Fehlern, für die die Partei ein einmal bezahlen musste, blieb Podemos wenig Spielraum. Mit getrennten Listen anzutreten, wäre als schwerwiegender Fehler angesehen worden, der Medienfilter hätte sie als die üblichen unflexiblen Schuldigen dargestellt. Die Führung der Lila-Partei erinnerte sich etwas zu spät daran, Formen und Strategie zu ändern und bezahlte teuer dafür. Aus der Ferne lächelt PSOE-Chef Sanchez: Er sieht eine leichtere Verhandlung der Regierungskoalition voraus als dies vor vier Jahren der Fall war. Niemand bezweifelt seine taktische Hilfe für Díaz.

Yolanda Díaz sehnte sich danach, auf das Gegengewicht der Podemos-Führung zu verzichten, doch auf ihre Wähler*innen kann sie nicht verzichten. Welche großzügige Geste sollte sie ihnen gegenüber machen? Von den Unterzeichnern der Koalitions-Klausel hat sie verlangt, auf die Formierung einer eigenen Fraktion zu verzichten. Nur der Gruppe Compromís hat sie eingeräumt, im Kongress autonom abzustimmen. Der Umgang in einer so heterogenen Gruppe erfordert eigentlich einen Verzicht auf Vetos und Äxte.

Es bleiben nur wenige Tage für den Wahlkampf, in dem die spanische transformative Linke und die baskischen, katalanischen und galicischen Unabhängigkeits-Kräfte der Schlüssel sein werden, um Sánchez an der Regierung zu halten und eine rechts-ultrarechte Feijóo-Abascal-Regierung zu verhindern. Für Yolanda Díaz schlägt die Stunde, jetzt kann sie zeigen, wofür sie die uneingeschränkte Führung wollte.

Neues Deutschland analysiert

Das neue spanische Linksbündnis Sumar (Summieren) sollte über eine Koalition für die vorgezogenen Neuwahlen am 23. Juli verhandeln. Die zentrale Frage war, ob sich die Linkspartei Podemos (Wir können es) beteiligt. Das wäre dann eine erweiterte Neuauflage der Linkskoalition Unidas Podemos (Gemeinsam können wir es) unter neuen Vorzeichen. Denn die Sumar-Gründerin Yolanda Díaz ist seit dem Abgang des Podemos-Gründers Pablo Iglesias bereits UP-Chefin. (4)

sumpod4Bis zu 15 Parteien sollten eilig zusammengeführt werden. Díaz wollte eigentlich Podemos heraushalten, um ihren Führungsanspruch im Sumar-Projekt zu zementieren, das auf die bisherige Vize-Ministerpräsidentin und Arbeitsministerin zugeschnitten ist. Podemos-Führungsfrauen wurden seit der Vorstellung vor einem Jahr systematisch aus der »feministischen« Koalition ausgegrenzt. In Sumar soll ihre Vereinte Linke (IU) wieder den Ton angeben und nicht Podemos wie in UP. War die IU vor wenigen Jahren fast in der Versenkung verschwunden, soll sie – mit Díaz sozialdemokratisch gewendet – wieder die Führung links der Sozialdemokraten (PSOE) übernehmen.

Eine Umbenennung in Sumar hält die “Kommunistin“ Díaz, Mitglied der KP Spaniens, die sich selbst aber als sozialdemokratisch bezeichnet, auch für nötig, da UP in der Regierungs-Koalition mit der PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez blass blieb. Daran hatte Díaz einen erheblichen Anteil, sie steht den Positionen der PSOE oft näher als denen von Podemos. Das zeigte sich zum Beispiel am Streit über Waffenlieferungen in die Ukraine. Die lehnt Podemos ab, Díaz befürwortet sie. Ihre Arbeitsmarkt-Reform hatte sie mit Unternehmern und Gewerkschaften abgestimmt. Beklatscht wurde sie vor allem von der Unternehmerseite.

Eigentlich wollte Díaz noch die Zeit bis zum Jahresende nutzen, um Strukturen für ihr Sumar-Projekt zu schaffen. Doch das von Yolanda Díaz gehätschelte Sumar-Projekt wurde durch das Wahltermin-Manöver des Ministerpräsidenten Sánchez auf dem falschen Fuß erwischt. Der wollte damit einen potenziell neuen Konkurrenten auf der linken Seite schwächen.

Der schnelle Wahltermin hatte den Druck zu einer Einigung ebenso erhöht wie die schlechten Wahlergebnisse von Podemos und den Parteien, deren Teilnahme im Projekt Sumar längst bekannt war. Nun führt für Sumar und Podemos kein Weg an einem Bündnis vorbei, wobei die Konflikte unaufgearbeitet in die neue Formation getragen werden. Regionalparteien wie En Comú (Gemeinsam) in Katalonien, Compromís (Verpflichtung) in Valencia oder Más Madrid (Mehr Madrid), die von Díaz von Beginn an bei Sumar eingebunden worden waren, mussten am 28. Mai entweder Niederlagen einstecken oder konnten sich wie Más Madrid nur behaupten. Dahinter steht der ehemalige Podemos-Mitbegründer Iñigo Errejón.

Für Podemos waren die Ergebnisse fatal. Radikalere Wähler verzeihen ihr nicht, dass sie in der Regierungs-Koalition mit der Sánchez-PSOE kaum etwas durchsetzen konnte. Podemos scheiterte in einigen Städten an der Fünf-Prozent-Hürde und flog aus Regional-Parlamenten wie in Madrid und Valencia hinaus. Dass enttäuschte Podemos-Wähler nun ausgerechnet Sumar wählen, darf bezweifelt werden. Podemos kämpft ums Überleben. Auf der anderen Seite geht es der Partei darum, auf staatlicher Ebene zu verhindern, dass es wie soeben auf regionaler Ebene zu einer rechts-ultrarechten Regierung kommt.

ANMERKUNGEN:

(1) Ihre politische Arbeit begann Díaz im Jahr 2007 zunächst als Stadträtin und stellvertretende Bürgermeisterin von Ferrol. Ab dem Jahr 2012 war sie Abgeordnete der Esquerda Unida (Vereinigte Linke) im Parlament von Galicien. Im Jahr 2016 zog sie als Abgeordnete des Parteibündnisses Unidas Podemos ins spanische Parlament ein. Seit 2020 ist sie Ministerin für Arbeit und soziale Ökonomie des Kabinetts von Pedro Sánchez und seit 2021 als Nachfolgerin Pablo Iglesias’ Vizepräsidentin der Linksregierung. Im November 2021 sorgte ein Treffen in Valencia zwischen Yolanda Díaz, Ada Colau (Ex-Bürgermeisterin von Barcelona), Mónica García (Sprecherin der Partei Más Madrid), Fátima Hamed Hossain (Abgeordnete der Stadt Melilla) und Mónica Oltra (Ex-Vizepräsidentin der Region Valencia) unter dem Motto „otras políticas“ (mit der doppeldeutigen Bedeutung „andere Politiken“ oder „andere Politikerinnen“) für Aufmerksamkeit. Díaz gilt in Umfragen seit Langem als beliebteste Politikerin des Landes, sie schuf in den letzten Monaten das Projekt Sumar, um die Linke jenseits der PSOE zu vereinen. (Wikipedia)

(2) “El hachazo de Yolanda para el liderazgo absoluto” (Yolandas Axthieb für eine uneingeschränkte Führung) Gara, 2023-06-10 (LINK)

(3) Pablo Iglesias (*1978) ist Politologe und ehemaliger Politiker der Linkspartei Podemos. Als Aktivist der sozialen Protestbewegung Movimiento 15-M (Bewegung 15. Mai) von 2011/12 avancierte er zum Generalsekretär der im Frühjahr 2014 gegründeten Partei Podemos (Wir können es) Bei den spanischen Parlamentswahlen 2019 wurde Podemos in einem Wahlbündnis mit dem ehemals kommunistisch dominierten Parteienbündnis Izquierda Unida (Vereinigte Linke) unter dem Namen Unidas Podemos viertstärkste Fraktion und bildete eine Regierungs-Koalition mit der gemäßigt sozialdemokratischen PSOE. Iglesias war von Januar 2020 bis März 2021 einer der vier Vize-Ministerpräsidenten sowie Minister für die Agenda 2030 und Soziale Rechte der spanischen Regierung. (Wikipedia)

(4) "Linksparteien zur Zusammenarbeit verdammt“, Neues Deutschland, Ralf Streck, 2023-06-08 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Sumar-Podemos (cad.ser)

(2) Yolanda Díaz (youtube)

(3) Iglesias, Díaz (elplural)

(4) Díaz etc. (naiz)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-06-12)

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