bourgeois01Ausstellung in Bilbao

Louise Bourgeois (1911-2010) war eine zeitgenössische französische Bildhauerin, die sich früher als andere Kolleginnen mit Installationen auseinandersetzte. Sie lebte und arbeitete seit 1938 in New York City, USA. Gegen Ende ihrer Schaffenszeit kreierte sie eine Serie von Käfigen und Zellen, in die sie symbolisch auch persönliche Gegenstände integrierte. Populär und bekannt wurden vor allem ihre Spinnen-Darstellungen, Maman, mit denen sie eine als Weberin arbeitende schützende Mutter darstellte.

Nach Niki de Saint Phalle und Judy Chicago im vergangenen Jahr steht 2016 erneut eine bedeutende Künstlerin auf dem Ausstellungs-Programm in Bilbao. Wie bei Niki de Saint Phalle handelt es sich um eine weitere Künstlerin französischen Ursprungs, eine Feministin, die sich aus dem patriarchalen Umfeld ihrer Familie zu befreien versuchte. Pünktlich zu Beginn der Reise-Saison und bis September 2016 stellt das Guggenheim-Museum Bilbao unter dem Titel „Strukturen der Existenz: die Zellen“ einen Teil der Raum-Installationen von Louise Bourgeois aus (Estructuras de la Existencia: las Celdas). Daneben sind Einzelobjekte und einige mit Botschaften versehene Gemälde der Künstlerin zu sehen. Bereits seit vielen Jahren steht vor dem Museum eine Riesen-Spinne von Louise Bourgeois, die zu einem der Symbole des Museums geworden ist. Eine Fotoserie bietet Details zur Zellen-Ausstellung. (Link)

Zellen und Käfige

In den 1980er Jahren schuf Louise Bourgeois zuerst Statuen, dann Installationen, die die nächste Phase ihres Werkes vorwegnahmen. Ab 1991 nannte sie ihre Installationen „Cells“ – Zellen. Sie schuf umschlossene Räume in den Dimensionen von kleinen Zimmern, zunächst aus wiederverwendeten Elementen, darunter Wandschirme oder Türen eines abgerissenen New Yorker Justizgebäudes. In diesen Räumen platzierte sie Gegenstände und Objekte mit biographischer Bedeutung. Später ließ sie Käfige aus Drahtgitter anfertigen, in die sie ihre Installationen einbaute. Bis kurz vor ihrem Tod schuf Louise Bourgeois 60 dieser „Cells“ genannten Installationen. Achtundzwanzig dieser Werke sind nun in Bilbao in der Ausstellung zusammengefasst, die vom Münchner Haus der Kunst konzipiert wurde. (1)bourgeois02

Für Louise Bourgeois hatte der englische Begriff „Cells“ verschiedene Interpretationen. Er bezieht sich sowohl auf biologische Zellen eines lebenden Organismus, wie auch auf die Einzelzelle in einem Kloster oder Gefängnis. Die Zellen-Serie kreist um den Wunsch, sich zu erinnern und gleichzeitig zu vergessen. „Du musst deine Geschichte erzählen und du musst sie vergessen. Du vergisst und vergibst. Das befreit dich“, sagte Bourgeois einst. In diesem Sinne beinhalten die Werke Bezüge zu Personen und Ereignissen der Vergangenheit. Die Nadeln und Fäden erinnern an ihre Kindheit und an die Erwerbs-Tätigkeit ihrer Eltern. Gleichzeitig erzählen sie die Geschichte von Verlassensein, von Verlust und Verrat, Erfahrungen aus dem Familienleben. (2)

Zu den immer wiederkehrenden Objekten in den „Cells“ gehören Holzkugeln, die für Louise Bourgeois Personen symbolisierten. Daneben erscheinen Spinnen aus Draht und Metall, die für ihre Mutter stehen, sowie amorphe, an Fäden hängende Gebilde verschiedener Materialien und Farben, mit denen Bourgeois sich selbst in die Werke integrierte. Am Anfang und Ende der „Cells“ stehen Treppen, eine hölzerne in „No Exit“ von 1988, die sie später als die ersten „Cells“ bezeichnete, und „The Last Climb“ (2008) mit einer Wendeltreppe aus ihrem eigenen Ateliergebäude. Gegen Ende ihres Schaffens, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre schuf Louise Bourgeois ihre „Mamans“, die bekannten gigantischen Spinnenfiguren. (1)

Der Bourgeois-Begleiter

Begleitet wurde die Vorstellung von den beiden Kommissarinnen, die die Bourgeois-Ausstellung konzipiert hatten, sowie von dem New Yorker Galeristen Jerry Gorovoy, der die Künstlerin in ihren letzten 30 Lebensjahren managte und begleitete auf ihren täglichen Wegen zwischen der Wohnung in Chelsea und dem Studio in Brooklyn. „Für sie war die Kunst immer ein Zugang zum Unbewussten“, sagte Gorovoy in einem Interview aus Anlass der Eröffnung (3). „Die Psychoanalyse ist ein verbaler Vorgang, die Bildhauerei hingegen war für Louise die Verbindung zum Körper, so konnte sie ausdrücken, was verbal nicht möglich war“. Wie sie selbst sagte, machten sie Ausstellungen nervös, deshalb überließ sie in den letzten Jahren deren Betreuung ihrem Galeristen. Nicht aus Angst, erläuterte Gorovoy diese Abwesenheit, „sondern weil sie dachte, die Zuschauer könnten ihre Kunst nicht ausreichend interpretieren“. Nach dem Tod ihres Ehemannes steigerte sich die künstlerische Produktion von Louise Bourgeois. „In jenem Moment räumte sie alle Möbel aus der Wohnung und machte daraus ein Studio. Vorher stand sie in einem Rollenkonflikt als Mutter, Ehefrau und Künstlerin. Als ihr Mann starb, waren die Kinder bereits erwachsen und aus dem Haus, und sie konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren“. Lange Zeit wurde Bourgeois als Underground-Künstlerin gehandelt, bis das New Yorker MOMA (Museum of Modern Art) ihr eine Retrospektive widmete, als sie bereits 70 Jahre alt war. „Richtig, sie stellte nur sporadisch aus, aber wenn, dann änderte sie immer die Formen und die Materialien. Die Leute wussten somit nie, was Louise genau machte. Die MOMA-Ausstellung war wirklich von großer Bedeutung für ihre Laufbahn. Aber ihr Studio in Brooklyn war ebenso wichtig. Ohne dieses Studio hätte sie die Zellen-Serie zweifellos niemals schaffen können“.bourgeois03

Das Leben der Louise Bourgeois

Louise Joséphine Bourgeois wurde am 25. Dezember 1911 in Paris geboren, sie wuchs auf im Nachbarort Choisy-le-Roi, wo ihre Familie eine Galerie für historische Textilien betrieb. Die Familie unterhielt dort auch eine Werkstatt zum Restaurieren alter Stoffe. So fertigte Louise Bourgeois schon als Kind in der elterlichen Werkstatt Zeichnungen zur Ergänzung fehlender Teile an. In Paris erwarb sie in den Jahren 1936 bis 1938 die für ihre Arbeit als Bildhauerin notwendigen Grundkenntnisse und Fertigkeiten. Da sie ein Mädchen war, schenkte man ihr in ihrer Kindheit wenig Beachtung, was sie später wie folgt kommentierte: „Wenn ein Junge geboren wird, dann ist die Familie glücklich. Wenn ein Mädchen geboren wird, dann findet man sich damit ab, man toleriert die Tatsache“. (1)

Zu ihrem Vater Louis hatte Louise ein gespanntes Verhältnis, das in indirekter Weise ihre künstlerische Laufbahn beeinflussen sollte. Er betrog ihre Mutter Joséphine im eigenen Haus mit einem englischen Kindermädchen, das Louise die englische Sprache beibrachte. Auf seine Tochter nahm der Vater ebenfalls wenig Rücksicht, er lachte sie aus und stellte sie am Esstisch bloß. Um sich abzulenken begann sie daher aus Brot ihre ersten Skulpturen zu formen, die ihren Vater darstellten, welche sie dann am Esstisch heimlich zerstörte. Dies drückte sie in einem Interview folgendermaßen aus:

„Mein Vater redete pausenlos. Ich hatte nie Gelegenheit, etwas zu sagen. Da habe ich angefangen, aus Brot kleine Sachen zu formen. Wenn jemand immer redet und es sehr weh tut, was die Person sagt, dann kann man sich so ablenken. Man konzentriert sich darauf, etwas mit seinen Fingern zu machen. Diese Figuren waren meine ersten Skulpturen, und sie repräsentieren eine Flucht vor etwas, was ich nicht hören wollte. Es war eine Flucht vor meinem Vater. Ich habe zahlreiche Arbeiten zu dem Thema 'The Destruction of the Father' gemacht. Ich vergebe nicht und ich vergesse nicht. Das ist das Motto, das meine Arbeit nährt“.

Ihre Schule beschrieb Louise Bourgeois als einen Ort der Zuflucht, an dem sie glücklich war und der sie von Zuhause ablenkte. In ähnlicher Weise bot ihre Mutter ihr einen Ort der Zuflucht vor ihrem Vater. Daher beschrieb Bourgeois ihre Mutter als die beste Freundin ihrer Kindheit. In ihren Kunstwerken wird die Mutter durch eine Spinne symbolisiert, da sie von Beruf Weberin war. Ekel empfand Louise Bourgeois bei diesem Vergleich nicht, da sie Spinnen als wohlgesinnte Behüterinnen ansah. Als die Mutter im Sterben lag, kümmerte sich Louise um sie, nach deren Tod unternahm sie einen Suizidversuch.

Jene Erinnerungen und traumatischen Erfahrungen beeinflussten ihr Leben und Werk und führten zu Kunstwerken wie den Raum-Installationen „The Destruction of the Father“ (deutsch: die Vernichtung des Vaters) und „The Reticent Child“ (deutsch: Das verschlossene Kind). Ihre Kunst stellt somit in vieler Hinsicht eine Aufarbeitung ihrer Kindheit dar, sie selbst sah in dieser Fähigkeit der künstlerischen Umsetzung ein Privileg, das es ihr ermöglichte, ihre Trauma zu bearbeiten und weiterzuentwicklen. 1938 ging sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kunsthistoriker Robert Goldwater nach New York. 1939 kehrten beide für kurze Zeit nach Paris zurück, 1940 adoptierten sie einen Sohn, in den Folgejahren gebar sie zwei weitere Söhne.bourgeois04

Louise Bourgeois' Werk

Louise Bourgeois hat im Laufe ihres künstlerischen Schaffens mit den unterschiedlichsten Materialien und Techniken gearbeitet. Dabei nahm sie in einigen Bereichen eine Pionierrolle ein. Unter anderem war sie eine der ersten Künstlerinnen, die mit Installationen arbeitete, indem sie ihre Skulpturen in einem räumlichen Kontext arrangierte. Ihre Experimentierfreudigkeit führte sie zu immer neuen Möglichkeiten der Verarbeitung und Kombination von Material. Beispielsweise dienten ihr Mitte der 1990er Jahre Kleidungsstücke aus der Kindheit als Füllung und Umhüllung für Stoff-Figuren: sie sind Material und Thema, gleichzeitig Inhalt und Form.

Ein Spätwerk von Louise Bourgeois ist die Umgestaltung des ehemaligen Klosters Le Couvent d’Ô in Bonnieux, (Frankreich) zu einem kleinen Museum, der Église Louise Bourgeois, in das sie eigene Arbeiten integriert hat. Ergänzend zu Peter Zumthors (4) Mahnmal zu den Hexen-Verbrennungen im norwegischen Vardø (5), entwarf die Künstlerin einen Pavillon, mit dem sie die Themen Aggression und Endgültigkeit der Verbrennung aufnahm, das Werk wurde zu einer Hommage an die 91 dokumentierten Opfer jener Hexenverbrennungen des Jahres 1621, eine der ersten in Nord-Norwegen und eine der schwerwiegendsten in der skandinavischen Geschichte.

In den 1940er Jahren arbeitete Louise Bourgeois mit Farbe auf Papier. In diesen Werken traten Elemente auf, die später in größerem Maßstab ihr Werk bestimmten. Darunter bereits die Spinne, Maman. Dieses Tier war bei Bourgeois stets positiv besetzt und steht für ihre Mutter, die als Weberin mit Fäden an Wandteppichen arbeitete und die für ihre Tochter beschützend wirkte. Die Spinne (Mutter) wurde zur unverzichtbaren Freundin mit vielfältigen Fähigkeiten.

Bourgeois-Ausstellungen

Der internationale Kunstbetrieb wurde erst spät auf Louise Bourgeois aufmerksam, ihre Werke fanden zunächst ausschließlich in den USA Beachtung, insbesondere in New York. Dort wurden ihre Zeichnungen (1945) und die in der Zeit von 1941 bis 1953 geschaffenen Skulpturen (1979) der Öffentlichkeit gezeigt. 1980 folgten ihre Skulpturen von 1955 bis 1970. Nachdem das New Yorker Museum of Modern Art Louise Bourgeois 1982 eine Retrospektive gewidmet hatte, folgten weitere US-amerikanische Museen. Ab 1989 waren ihre Werke in verschiedenen europäischen Ländern zu sehen.

Internationales Interesse erweckte Louise Bourgeois mit der Teilnahme an der documenta IX in Kassel (1992) und der Biennale in Venedig (1993). 1994 zeigte die Kestnergesellschaft in Hannover das Werk der französisch-amerikanischen Bildhauerin. Im Jahr 1996 widmeten die Deichtorhallen in Hamburg ihrem Werk eine große Retrospektive. Im Frühjahr 1999 fand die Ausstellung „Spinnen, Einzelgänger, Paare“ in der Kunsthalle Bielefeld statt. Gezeigt wurden ihre Werke unter anderem auch auf der Melbourne International Biennial 1999, auf der Documenta 11 (2002), sowie in Ausstellungen in Berlin (Akademie der Künste, 2003), Dublin (Irish Museum of Modern Art, 2003/04), Augsburg (Neue Galerie im Höhmannhaus, 2005), Kunsthalle Bielefeld (2006), Kunsthalle Wien (2006) und im Philadelphia Museum of Art.bourgeois05

Maman – die Mutter-Spinnen

Die Skulptur „Maman“ von 1999 ist die größte aus der Spinnen-Serie der Künstlerin. Sie ist über neun Meter hoch und trägt einen Beutel, der 26 Marmoreier enthält. Der Name „Maman“ ist das französische Wort für „Mutter“. „Maman“ (9,27 × 8,92 × 10,24 m, 8165 kg) ist ein Schlüsselwerk zum Verständnis von Bourgeois Kunst. Das Werk ist eine Hommage an ihre Mutter, die in Paris als Restauratorin von gewebten Stoffen arbeitete, und wie die Spinnen Gewebe immer wieder erneuerte. Für Louise Bourgeois war die Spinne eine Freundin, beschützend und hilfreich, nicht zuletzt im Vertilgen von Ungeziefer. Abgesehen von der Skulptur aus rostfreiem Stahl, im Besitz des Londoner Tate Modern, befinden sich weitere Bronzegüsse von „Mamán“ in Kansas City, Boston und Des Moines (USA), Ottawa, St. Petersburg, Tokio, Seoul, Doha (Katar), Havanna (Kuba) und in Bilbao. (6)

Louise Bourgeois starb im Jahr 2010 im Alter von 98 Jahren in ihrem Wohnort Chelsea in New York City.

 

ANMERKUNGEN:

(1) Louise Bourgeois bei Wikipedia. Große Teile des Textes basieren auf einer Publikation, sie sind stellenweise verändert. (Link)

(2) Ausstellungs-Broschüre Guggenheim-Museum Bilbo

(3) Interview in der Tageszeitung Deia vom 18.3.2016 unter dem Titel „Jerry Gorovoy: Louise hacía arte para entenderse a sí misma” (Jerry Gorovoy: Louise schuf Kunst um sich selbst zu verstehen). (Link)

(4) Peter Zumthor (Link)

(5) Hexenverbrennungen in Vardø, Norwegen (Link)

(6) Louise Bourgeois, Maman – Wikipedia

FOTOS:

(*) Alle Fotos von der Pressevorstellung der Ausstellung „Louise Bourgeois: Strukturen der Existenz. Die Zellen“, Bilbao, Guggenheim-Museum, 17.03.2016. Foto Archiv Txeng (FAT)

(*) Foto-Reportage Ausstellungs-Eröffnung (Link). Foto Archiv Txeng (FAT)

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