basquiat01Retrospektive Ausstellung in Bilbao

Auch wenn es der Name nahe legen könnte: Jean-Michel Basquiat (1960-1988) hat mit dem Baskenland nichts zu tun. Basquiat war in den 80ern der erste afroamerikanische Künstler, der in der hauptsächlich “weißen“ Kunstwelt der USA den Durchbruch schaffte. Jean-Michel Basquiat hinterließ mehr als 1000 Gemälde und Objekte sowie 2000 Zeichnungen, sein turbulentes Leben war mehrfach Anlass für Verfilmungen. In Bilbao ist nun eine Ausstellung des jung verstorbenen Talents aus New York zu sehen.

(2015-07-29) Der Künstler aus New York, halb Haitianer, halb Puertoricaner, der zunächst auf der Straße seine T-Shirts und handgefertigten Bildchen verkaufte, war am Ende berühmter als Andy Warhol. Sein legendäres künstlerisches Curriculum verläuft parallel zu seiner existentiellen Lebenserfahrung. Im Alter von vier Jahren konnte Basquiat lesen und schreiben. Seine an Kunst interessierte Mutter, die selbst malte und zeichnete, besuchte mit ihm das Brooklyn-Museum, für das er ein Jahres-Abonnement hatte. Mit elf Jahren sprach er perfekt englisch, französisch und spanisch. Mit 16 Jahren begann Jean-Michel Basquiat Graffitis zu malen, ab April 1979 spielte er Klarinette und Synthesizer in der Noise-Band Gray, die in verschiedenen Clubs auftrat und wurde regelmäßiger Gast bei “TV-Party“, einer wöchentlich ausgestrahlten Underground-Punk-Rock-Show mit Glenn O’Brien, dem Musikkritiker des Magazins “Interview“ von Andy Warhol. Seine Originalität und sein grenzüberschreitendes künstlerisches Können führten ihn direkt in den engeren Kreis berühmter Künstler der achtziger Jahre. Er wurde Freund von Warhol, arbeitete mit David Bowie und ging mit Madonna aus (1).

Verfilmtes Leben

Sein bewegtes Leben machte ihn auch zum Protagonisten einiger Kinofilme wie zum Beispiel des Films “Basquiat“ aus dem Jahr 1996, in dem sein Freund Julian Schnabel Regie führte. In diesem Film wird der Protagonist von Jeffrey Wright verkörpert während David Bowie die Rolle seines Freundes und Mentors Andy Warhol interpretiert (2).basquiat02

Der Film beginnt mit einer Szene, in der Basquiat als Kind zusammen mit seiner Mutter das Gemälde Guernica von Pablo Picasso im Museum of Modern Art (MOMA) in New York betrachtet. Schnabel beschreibt Basquiat zu Beginn als jungen unbekannten Graffiti-Maler, der seine rebellische Unruhe förmlich über den Wänden von Soho auskippt, geprägt von geballter philosophischer Botschaft. Basquiat lief mehrfach von zu Hause weg und schlief teilweise in einer Schachtel aus Karton in einem städtischen Park, obwohl seine Familie zur aufstrebenden Mittelklasse gehörte – sein Vater war Buchhalter mit gutem Einkommen und seine Mutter Grafikdesignerin. Er jedoch entschied sich für die Straße, nachdem er aus mehreren Schulen geworfen worden war. Den Kontakt zur Familie hielt er dennoch immer aufrecht. Er traf sich sowohl mit seinem Vater und seinen Schwestern, als auch regelmäßig mit seiner Mutter, die sich 1968 von Mann und Kindern getrennt hatte und später in einer psychiatrischen Klinik untergebracht war.

Der Film beschreibt weiter seine Begegnung mit Gina, einer Kellnerin, mit der er eine intensive Liebesbeziehung hatte, sein erstes Arbeitsverhältnis in einer Galerie, in der er Gemälde aufhängte und vor allem sein Begehren und seinen Drang, schnell bekannt zu werden. “Was muss man tun um berühmt zu sein?“ fragt Basquiat seinen Freund Benny (die Rolle wird vom ebenfalls puertoricanischen Schauspieler Benicio del Toro verkörpert). “Als Musiker oder als Maler?“ fragt Benny zurück. Basquiats Antwort ist klar und deutlich: “Berühmt“.basquiat03

Schnabel reproduziert im Film einige Graffitis, die Basquiat zu jener Zeit mit SAMO (Same Old Shit) unterschrieb. Der Film erzählt seine erste Begegnung mit Andy Warhol, dem er für zehn Dollar zwei kleine Bildchen verkaufte, die Jean-Michel selbst als “ignorante, alberne und schäbige Kunst“ bezeichnete. Als er in einer Bar den Kritiker René Ricard kennenlernte, versprach dieser, fasziniert von Basquiats Werk, ihn zu einem Star zu machen. Die Begegnung mit der Galeristin Annina Nosei, die ihm eine Werkstatt organisierte, damit er seine erste Ausstellung vorbereiten konnte. “Er war kein Graffiti-Künstler. Er schrieb nicht auf U-Bahn-Waggons, sondern auf Häuserwände, dort, wo seine Streifzüge ihn hinführten, aber er hatte nichts zu tun mit den Graffiti-Sprühern der Bronx, die einer vorhergehenden Generation angehörten. Sein künstlerischer Ausdruck gehört in die Kategorie Moderne Kunst des 20.Jhds, und zwar in Reinform, wie Picasso oder Matisse“, macht Nosei deutlich.

Schneller Ruhm, früher Tod

Das Schicksal Basquiats wendete sich vollends, als er bei seiner zweiten Teilnahme an einer Ausstellung, die sich New York/New Wave nannte, wiederum mit Andy Warhol zusammentraf, mit dem er eine enge Freundschaft entwickelte und sogar zusammen malte. Basquiat wurde praktisch von einem Tag auf den anderen zu einer weltweit bekannten Persönlichkeit. Sein Erfolg und sein Ruhm wuchsen in der selben Geschwindigkeit, in der er sich dem gefährlichen Abgrund der Droge näherte.

Täglich malte er im Souterrain der Galerie von Annina Nosei, seiner Galeristin. Dort produzierte er in atemberaubendem Tempo Bilder, die teilweise noch vor Fertigstellung verkauft wurden. 1982 war er mit 21 Jahren der bis heute jüngste Teilnehmer einer Documenta (3). Ausstellungen in Museen und Galerien weltweit machten sein Werk immer bekannter. 1984 wechselte er zur Mary Boone Gallery, einer der angesehensten Galerien in New York. Damit wollte er vor allem die diffamierenden Vergleiche der Kunstkritiker mit der Graffiti-Szene beenden, denn, so Hip-Hop-Pionier Fred Brathwaite, alias Fab 5 Freddy: “Graffiti had become another word for nigger.”basquiat04

1986 hatte Basquiat in Hannover eine Einzelausstellung und arbeitete in Hamburg mit Salvador Dalí, Keith Haring, Joseph Beuys und anderen zusammen an der Ausstattung für André Hellers Luna Luna, einem avantgardistischen Vergnügungspark. Als Andy Warhol im Februar 1987 starb, geriet Basquiat in eine schwere Krise und stellte über ein Jahr lang nicht mehr aus. 1988 zeigte Basquiat in der New Yorker Galerie Vrej Baghoomian seine letzten Werke in einer Ausstellung, die sich mit dem Bild “Riding with Death“ und durch eine auffällige Wiederholung der Worte MAN DIES in den “Eroica“-Bildern dem Thema Sterben und Tod widmete.

Möglicherweise war der sensible und psychisch labile Künstler diesem Erfolg nicht gewappnet. Sowohl Schnabel als auch Tamra Davis, die den Dokumentarfilm “The radiant child“ über den Künstler drehte, sowie Edo Bertoglio in “Downtown 81“ heben seine Unsicherheiten hervor, seine brennende innere Wut, seine Existenzängste und seinen selbstzerstörerischen Charakter. Eigenschaften, die ihn in allen Phasen seines Lebens begleiteten und die er mit dem verfluchten Heroin zu überwinden suchte. Der aus der Elfenbeinküste stammende Künstler Quattara Watts, den Basquiat Anfang 1988 in Paris kennenlernte, organisierte für August 1988 eine Reise in sein Heimatland, um dort mit Schamanen zusammenzutreffen, die Basquiat von seiner Drogensucht befreien sollten. Allerdings kam es nicht mehr dazu. Am 12. August 1988 fand ihn seine Lebensgefährtin tot auf dem Boden seiner Wohnung, in einer Lache von Erbrochenem liegend. Eine Überdosis Heroin. Jean-Michel wurde 27 Jahre alt.

Die Ausstellung in Bilbo

Die vom Kunsthistoriker Dieter Buchhart zusammengestellte Präsentation im Museum Guggenheim Bilbao lädt Besucherinnen und Besucher ein, das transzendentale Werk Basquiats kennenzulernen, es umfasst die Themenbereiche Geschichte, Identität und urbane Kultur des Graffiti und Hip-Hop. Die von der Art Gallery of Ontario in Zusammenarbeit mit dem Guggenheim Bilbao organisierte Ausstellung trägt den Titel “Jean-Michel Basquiat: Jetzt ist der Moment“. Sie umfasst zirka einhundert großformatige Gemälde, Zeichnungen und Fotografien. Die Werke stammen aus privaten und öffentlichen Sammlungen Europas und Nordamerikas.

basquiat05Im Mittelpunkt stehen Arbeiten aus den Jahren 1981 und 1982, sie sind voll sozialen Sprengstoffs. Die Bilder “Irony of a Negro Police“ (1981) und “Six Crimee“ (1982) klagen das Leben in den schwarzen Comunities in der US-amerikanischen Gesellschaft jener Zeit an (4). Seine Bilder erinnern teilweise an schwarz-afrikanische Volkskunst, teilweise an ein Sammelsurium der Straßen- und Gebrauchskultur nordamerikanischer Großstädte. Ähnlich mannigfaltig sind die Materialien und Techniken, die er verwendete. Er konnte alles zur Produktion von Bildern verwenden. Basquiat benutzte in seinen Arbeiten vorgefundene Worte, Zeichen und Piktogramme, die er “facts“ nannte. “Meine facts hole ich mir aus Büchern. Sachen über Zerstäuber, den Blues, Methylalkohol, Gänse im ägyptischen Stil. Ich beziehe meine Anregungen aus Büchern. Was mir gefällt, erscheint in meinen Bildern. Ich übernehme nicht die Verantwortung für meine facts. Sie existieren ohne mich. Eine Speisekarte in einem Restaurant ist ein Bild. Vielleicht esse ich den Schweinebraten nicht, aber sein Bild lebt weiter. Das Menü, die Schrift, sie existieren weiter ohne mich“. Das Verbinden verschiedener bildgebender Elemente ist ein integraler Bestandteil der Kunst Basquiats. Seine Bilder sind in der Regel mit Wörtern, Buchstaben, Zahlen, Piktogrammen, Logos, Symbolen, Karten, Grafiken und mehr bedeckt (5).

Jean-Michel Basquiat verstand sich selbst nicht als Maler, sondern als “Schreiber“ von Listen, Tafeln und “Vokabelheften“. Der Schriftzug “Samo © as a neo art form“ gilt heute als die Geburtsstunde einer konzeptuellen Graffiti-Kunst. Das Copyright-Zeichen © war ein Spiel mit Marke und Kommerz, mit dem Basquiat die Kunstszene von Soho provozieren wollte. “SAMO“ war Titel seiner ersten Ausstellung in Europa, in der Galerie Mazolli in Modena 1981. Das Verschwinden dieses Pseudonyms sieht der Kunsthistoriker Dieter Buchhart im 1981 entstandenen Gemälde “Cadillac Moon“, in dem “Samo ©“ durchgestrichen und durch “Jean-Michel Basquiat“ ersetzt ist. Im Stadtbild New Yorks sind heute keine “Samo-ism“ mehr zu finden.

Die Ausstellung Jean-Michel Basquiat: “Ahora es el momento“ (Jetzt ist der Moment) ist vom vom 3. Juli 2015 bis 1. November 2015 im Guggenheim-Museum von Bilbao zu sehen.

ANMERKUNGEN:

(1) Die Informationen zu diesem Artikel stammen vorwiegend aus der Reportage der baskischen Tageszeitung Deia vom 30. Juni 2015 “Jean-Michel Basquiat, una vida de cine“ (JMB, ein Leben wie im Film). Link

(2) Filme über Jean-Michel Basquiat: Basquiat. Von Julian Schnabel, 1996. Downtown 81, Regie Edo Bertoglio, 2000. Jean-Michel Basquiat. The Radiant Child. Von Tamra Davis, 2010.

(3) Documenta: die weltweit bedeutendste Reihe von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst findet alle fünf Jahre in Kassel statt und dauert je 100 Tage. Die erste documenta wurde 1955 veranstaltet.

(4) Tageszeitung El País 2.7.2015 “Jean-Michel Basquiat: Hijo de la ira y del mercado” (Sohn der Wut und des Marktes) von Miguel Ángel García Vega. Link

(5) Zitate aus Wikipedia

FOTOS:

(1) Ausschnitt aus dem Werk “Philistines“ aus dem Jahr 1982 aus dem Internet-Portal wikiart.org

(2) bis (5) Bilder von Basquiat aus der Webseite des Brooklyn Museum. Link

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