greba01Die aktivste Arbeiterbewegung

Die baskische Arbeiterbewegung und ihre Gewerkschaften lassen grüßen: Auf die Autonome Region Baskenland (Euskadi: Araba, Bizkaia, Gipuzkoa) entfiel im vergangenen Jahr die Hälfte aller im spanischen Staat registrierten Streiks. Auch bei der Zahl der durch Arbeitsniederlegungen verlorenen Tage und der daran beteiligten Arbeitnehmer lag das Baskenland bei über 50%. Das spricht einerseits für einen hohen Organisierungsgrad unter den Beschäftigten, andererseits für das Bewusstsein als Arbeiterklasse.

Mehr als in jeder anderen Region im spanischen Staat wehrt sich die organisierte Arbeiterbewegung in der Region Baskenland gegen die Folgen von Inflation und Ausbeutung, und kämpft für Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen. Vor allem in Bereichen, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind.

Das Baskenland steht seit Jahren an der Spitze der Arbeitskämpfe im spanischen Staat. Eine Position, die vor allem auf die kämpferische Haltung der baskischen Mehrheits-Gewerkschaft ELA zurückgeht. Dennoch war ungewöhnlich, was sich im vergangenen Jahr ereignete. Nach der jüngsten Bilanz des Arbeitsministeriums entfiel die Hälfte aller im iberischen Staat registrierten Streiks auf das Baskenland. Von den insgesamt 679 Arbeitsniederlegungen fanden 342 in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland statt, was einem Anteil von 50% entspricht. Im Vorjahr lag der Prozentsatz bei 37% - eine Zahl, die bereits über dem Durchschnitt der letzten Jahrzehnte lag.

Auffallend ist, dass sich diese baskische Vorreiterrolle bei Arbeitskonflikten nicht nur auf die Zahl der Streiks beschränkt, die sich angesichts vieler Konflikte in eher kleinen Unternehmen noch erhöhen kann. Auf das Baskenland entfielen auch mehr als die Hälfte der durch Arbeitsniederlegungen verlorenen Arbeitstage: 385.128 von insgesamt 709.099). Dasselbe gilt für die an den Streiks beteiligten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen: 107.125 von insgesamt 192.751. Diese Zahlen zeugen von einer weitgehend unverhältnismäßigen Bedeutung der Arbeitskämpfe in einer Region, deren Bevölkerung kaum 4,5% der 47,6 Millionen Einwohner*innen des spanischen Staates ausmacht.

Im Baskenland wurde dieses Rekordergebnis von 50% der im Staat verzeichneten Streiks in einem Jahr verzeichnet, in dem die Konflikte geprägt waren durch die Übertragung der galoppierenden Inflation auf die Löhne. 2021 lag die Preissteigerung bei 6,5% und 2022 bei 5,7%. Erst in den vergangenen Monaten begann eine Tendenz der Abschwächung.

Der Kampf um die Anhebung der Löhne und Gehälter entsprechend der Preis-Steigerungs-Rate führte zu einem Anstieg der Konflikte im ganzen Staat. So stieg die Zahl der Streiks im Laufe des Jahres um 12% und die Zahl der dadurch verursachten Ausfalltage um 68%.

Metall in Bizkaia

greba02Im Baskenland war der Anstieg jedoch, wie gewohnt, deutlich höher. Ein Grund dafür liegt in der Präsenz von vier starken Gewerkschaften, die unterschiedliche Streik-Strategien praktizieren und in starker Konkurrenz stehen. Dies führt zu zusätzlichen Schwierigkeiten bei Tarifverhandlungen in der autonomen Gemeinschaft. Die Zahl der Streiks in den drei Provinzen von Euskadi stieg im Laufe des Jahres um 53% auf 342 und schrammte damit am Rekordwert von 2013 nur knapp vorbei. Die Zahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den Streiks hat sich fast verachtfacht, während sich die Zahl der Ausfalltage verdreifacht hat.

Tatsächlich gab es einen Konflikt – nämlich den im Bereich Metall in Bizkaia – der die Zahl der Verachtfachung der Streikteilnehmer*innen weitgehend erklärt. Denn hier sorgten 52.000 Streikwillige für den größten Anteil, obwohl der Streik selbst gar nicht so lange dauerte. Die Beschäftigten des Sektors streikten letztes Jahr 11 Tage lang, bis die neue Tarif-Vereinbarung Anfang Februar 2022 mit Unterstützung der Gewerkschaften CCOO, LAB und UGT unterzeichnet wurde, trotz der Ablehnung der größten im Baskenland aktiven Gewerkschaft ELA.

Der Kampf im Metallsektor in Bizkaia ist ein gutes Beispiel für die Art und Weise, wie sich Arbeitskonflikte in Euskadi abspielen. Während in praktisch allen Provinzen Vereinbarungen erzielt wurden, wurde der Vorschlag der Arbeitgeber in Bizkaia abgelehnt, obwohl er nach Ansicht der Arbeitgeber besser war als der von CCOO, LAB und UGT in der baskischen Nachbar-Provinz Araba (span: Alava) unterzeichnete Vorschlag. Schließlich wurde die baskische Regierung um Vermittlung gebeten, um einen Konsens zu erzielen, der von der Gewerkschaft ELA scharf kritisiert wurde, obwohl er eine 15%ige Lohnerhöhung von 2022 bis 2025 mit einer Überprüfungsklausel auf der Grundlage der Preis-Steigerungs-Raten vorsah.

Gewerkschafts-Panorama

Die ideologische Divergenz der Gewerkschaften und die konfrontative Strategie von ELA erklären diese Zahlen. ELA (35% der Betriebsrätinnen) und LAB (20%) sind die großen baskischen Gewerkschaften (unterstützt von ESK, der anarcho-syndikalistischen CNT und sektorialen Gewerkschaften). Sie stehen nicht nur für eine kämpferische Haltung bei Arbeitskonflikten, sondern verteidigen auch eine eigene Sozial- und Arbeitspolitik im Baskenland, sowie das Recht auf Selbstbestimmung durch die baskische Bevölkerung. Die ehemals kommunistischen Arbeiter-Kommissionen (CCOO, ebenfalls 20%) und die sozialdemokratische UGT (10%) stehen hingegen häufig für “Sozialpartnerschaft“. Sie beherrschen die spanische Konflikt-Landschaft, sind stark von den Sozialdemokraten (PSOE) und teilweise von Podemos abhängig und vertreten den Dialog mit dem Klassengegner, den Arbeitgebern. Im Baskenland und in Navarra hingegen spielen sie eine untergeordnete Rolle.

Der Metall-Tarifvertrag in Bizkaia und andere ähnliche Abkommen dienten der größten Gewerkschaft ELA (mit Mitxel Lakuntza als Generalsekretär) dazu, die abertzale und der offiziellen baskischen Linken nahestehende Gewerkschaft LAB anzugreifen. ELA wirft LAB vor, "sich mit CCOO und UGT zu verbünden, um ELA zu neutralisieren und Abkommen zu unterzeichnen, die für die Arbeitgeber billiger sind", wie Lakuntza kürzlich in einem Interview mit "El Diario Vasco" sagte. Der Koordinator der LAB, Igor Arroyo, konterte und warf ELA vor, einen Pakt mit dem gipuzkoanischen Arbeitgeber-Verband Adegi geschlossen zu haben. Inmitten dieses Streits wird nun der Metallarbeiter-Tarifvertrag in Gipuzkoa ausgehandelt.

Mercedes und Tubacex

greba03Ein weiteres Element, das Aufschluss über die gewerkschaftliche Dynamik im Baskenland gibt, ist die Tatsache, dass in zwei großen Unternehmen, Mercedes in Vitoria-Gasteiz und Tubacex in Amurrio (2), die Arbeitnehmer*innen bei den kürzlich erfolgten Gewerkschafts-Wahlen jene Gewerkschaften bestraften, die die letzten Tarif-Vereinbarungen vereinbart und unterzeichnet hatten (bei Mercedes hatten CCOO und UGT unterzeichnet, ELA war gegen den Abschluss). "Es gibt eine Kultur, in der diejenigen, die Vereinbarungen treffen, als Verräter gebrandmarkt werden", warnte die stellvertretende spanische Arbeitsministerin kürzlich in einem Interview in einer baskischen Tageszeitung.

Mit den aktuellen Zahlen hat das Baskenland seine Position als Spitzenreiter bei Arbeitskämpfen gefestigt, eine Position, die es seit Jahrzehnten belegt und die es im vergangenen Jahr noch ausgebaut hat. Die Zahlen zeigen auch, dass der Organisierungsgrad der Arbeitnehmer*innen im Baskenland höher liegt als anderswo und dass sich die Arbeiterschaft mehr Klassenbewusstsein erhalten hat als in anderen Regionen des Staates. Die Streik-Praxis – vor allem von ELA – zeigt, dass mit entschlossenem Vorgehen und gemeinsamer Aktion etwas erreicht werden kann.

Das hat nicht zuletzt auch der als verlorenes Ansinnen betrachtete Streik der Apotheken-Lieferanten bei Novaltia (3) gezeigt: mehr als drei Jahre wurde gestreikt für einen letztendlich überaus positiven Abschluss. Novaltia, Mercedes, die Guggenheim-Reinigungskräfte, die Hauspflege-Frauen, die Artiach-Keks-Produzentinnen und viele andere mehr gehen mit einem guten Beispiel voran und machen den nächsten Mut, sich ebenfalls auf das Abenteuer Streik einzulassen. Je größer die Überzeugung, dass es positiv ausgehen könnte, desto stärker der Elan bim Streik und umso größer die Erfolgsaussichten.

Vergleichszahlen

Die folgenden Zahlen belegen die im vorangegangenen Artikel gemachten Aussagen in Bezug auf die Gesamtsumme der erfolgten Streiktage und die Gesamtzahl der Teilnehmer*innen an den Streiks im Jahr 2022 (bei einer weiter gehenden Bewertung zu berücksichtigen wären selbstverständlich die entsprechenden Einwohner*innen-Zahlen, bzw. die Zahl der Beschäftigten insgesamt in den einzelnen Regionen, was an dieser Stelle nicht erfolgt):

Streiktage im spanischen Staat (709.099) – davon Euskadi (385.128), Katalonien (141.014), Madrid (47.708), Galicien (41.542), Asturien (24.932), Navarra (11.964), Andalusien (5.820), Kanaren (828), Balearen (223), Kantabrien (184).

Streik-Teilnehmer*innen im spanischen Staat (192.751) – davon Euskadi (107.125), Katalonien (43.214), Galicien (10.481), Madrid (9.209), Andalusien (4.589), Navarra (2.911), Asturien (2.419), Kanaren (511), Balearen (134), Kantabrien (95).

ANMERKUNGEN

(1) Information und Zahlen aus: “Euskadi concentró la mitad de todas las huelgas registradas en España durante el pasado año” (Die Hälfte aller im vergangenen Jahr in Spanien registrierten Streiks entfiel auf das Baskenland), Tageszeitung El Correo, 2023-04-11 (LINK)

(2) “Langer Streik bei Tubacex – Erfolg nach 236 Tagen“, Baskultur.info, 2022-04-13 (LINK)

(3) “Längster Streik Europs … erfolgreich beendet“, Baskultur.info, 2023-04-03 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Streiks (caruncho tome)

(2) Streiks (cnt)

(3) Streiks (cgt)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-11)

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