Chile, Portugal, Nevada, Portugalete
Am 8.Oktober 2014 wurden von der baskischen Regierung die ersten Literatur-Preisträgerinnen des Jahres bekannt gegeben, die den mit 18.000 Euro dotierten Premio de Euskadi erhalten sollen. Es handelt sich um Bernardo Atxaga in der Kategorie Literatur in baskischer Sprache, Idoia Estornés bei Literatur in spanischer Sprache und Iñigo Roque in der Kategorie Übersetzung ins Baskische. Folgen werden die Preise für Essays, Literatur-Illustration, sowie Kinder- und Jugend-Literatur.
(10.10.2014) Autobiografische Chroniken mit essayistischen Anteilen, Reisen ohne Grenzen durch Bewusstsein und Vorstellungskraft – von all dem und anderen "Überwelten" sprechen und schreiben die Gewinnerinnnen des Euskadi-Preises für Literatur des Jahres 2014. Der Übersetzer Iñigo Roque verdiente sich den Preis mit der Übersetzung des 1992 erschienenen Romans "A Ordem Natural das Coisas" des Portugiesen António Lobo Antunes, dessen baskischer Titel"Gauzen ordena naturala" lautet, und der in deutscher Sprache bereits vor einiger Zeit unter "Die natürliche Ordung der Dinge" erschien. "Cómo pudo pasarnos esto" – zu deutsch: "Wie konnte uns das passieren" – ist der Titel einer persönlichen Chronik der in Chile geborenen Schriftstellerin Idoia Estornés, die dafür den Preis für Literatur in spanischer Sprache erhielt. Der Preis für baskische Literatur ging einmal mehr an Bernardo Atxaga (der auch dem deutschen Publikum mit seiner Erzählungs-Sammlung "Obabakoak" und durch "Ein Mann allein" bekannt ist) für seine autobiografische Erzählung "Nevadako egunak", "Die Tage in Nevada".
Vorgestellt wurden die Preisträgerinnen vom Kultursenator der baskischen Regierung, Joxean Muñoz, der den Euskadi-Preis als wichtiges Element der baskischen Literatur bezeichnete und deren positive Entwicklung hervorhob. Er legte Wert auf die Feststellung, dass die Preise zwar von der baskischen Regierung vergeben werden, die Entscheidungen jedoch ausschließlich von unabhängigen und mit Expertinnen besetzten Jurys getroffen werden, um den Preisen die notwendige Seriosität zu verleihen.
Idoias vitale Erzählung
Die 1940 in Santiago de Chile geborene und später ins Baskenland übersiedelte Idoia Estornés konnte die Jury mit "Cómo pudo pasarnos esto. Crónica de una chica de los 60" überzeugen: "Wie konnte uns das passieren. Chronik eines Mädchen in den Sechziger Jahren". Das Werk erzählt mit autobiografischen Anteilen die Geschichte der Tochter einer ausgewanderten baskisch-nationalistischen Familie, die 1958 nach Donostia (San Sebastián) zurückkehrt und im familieneigenen Verlagsbetrieb arbeitet. Die vom letztjährigen Preisträger Ramon Pinillo präsidierte Jury beschreibt das Werk als "Erinnerungs-Buch, Autobiografie und Lebensfazit, als Roman über das reale Leben, nicht einfach eine Aneinanderreihung von Daten und Ereignissen". Gemäß der Bewertung der Jury ist das Werk zu einer allgemeinen Chronik der baskischen Kultur über ein halbes Jahrhundert hinweg geworden, "ein wichtiges, riguroses, vorurteilsloses und ehrliches Buch", das sich somit auch auf den Zeitraum der franquistischen Diktatur bezieht. Wichtig für das Verständnis des Buches ist der biografische Hintergrund der Autorin, die sich nach einem Aufenthalt in London im Baskenland niederließ und als Historikerin und Kolumnistin bis 2005 die Ausarbeitung und Aktualisierung der im Baskenland publizierten Auñamendi-Enzyklopädie leitete, deren Initiatoren ihr Vater und ihr Bruder waren. Idoia Estornés vollendete das Werk, nachdem sie in Rente ging, die Ursprünge kommen aus früheren Zeiten und beziehen sich auf die Frage: Was denken die Basken über die Kinder von Exilierten? Idoia selbst definiert sich als "Mädchen der 60er Jahre" und als Tochter der beiden fasachistischen Systeme, die 1945 das Ende des 2.Weltkrieges überlebten, Spanien und Portugal.
Der Altmeister Bernardo Atxaga
Für Atxaga (*1951) ist es bereits der vierte Euskadi-Preis, den er in seiner Karriere als Schrifsteller gewinnen konnte. Der literarische Durchbruch gelang Atxaga mit seinem auch ins Deutsche übersetzten Werk "Obabakoak", der ihm 1989 den spanischen Literaturpreis einbrachte. Seither ist er im Baskenland das Maß aller Dinge. "Nevadako egunak" (Tage in Nevada) ist das Ergebnis eines Aufenthalts des giupzkoanischen Schriftstellers im us-amerikanischen Bundesstaat Nevada, in den Jahren 2007 und 2008. Laut Atxaga war er sich zu Beginn des Schreibens nicht im Klaren, welchen literarische Form das Werk annehmen sollte, schließlich wurde es eine autobiografische Erzählung. Darin mischen sich aktuelle Ereignisse mit Erinnerungen, Bildern, Träumen und Beschwörungen. Die Erzählung spielt in einer kargen und feindlichen Wüstenlandschaft. Deren grüne und rote Farben und die Casinos der Stadt Reno mit ihren Lichtern und Schaufenstern führen den Erzähler zurück ins entfernte Baskenland. "Tage in Nevada" ist die Geschichte verschiedener Geschichten. Sie zeigt, wie jede erlebte Erfahrung, jede Beziehung zwischen Menschen zu unterschiedlichsten Zeiten, in unterschiedlichen Räumen, jede Emotion, die uns überkommt und jede Bedrohung in allen Wesen einen immerwährenden Eindruck hinterlassen. Und uns zu dem machen, was wir sind.
Atxaga studierte Wirtschaftswissenschaft in Bilbao und Philosophie in Barcelona. Er arbeitete als Bankangestellter, Buchhändler, Baskisch-Lehrer und Autor von Rundfunksendungen. Erst seit 1980 widmet er sich ausschließlich der Schriftstellerei. Er schreibt auf Baskisch und übersetzt seine Werke zumeist selbst in die spanische Sprache. Mit seinem Gesamtwerk hat Atxaga einen großen Beitrag dazu geliefert, die baskische Sprache am Leben zu erhalten und sie zu einem literarischen Medium zu machen. Gefördert wurde er durch den Schriftsteller und Euskara-Förderer Gabriel Aresti (1937-1977), einen der Väter des modernen, vereinheitlichten Batua-Euskara. Atxaga wurde im Baskenland zunächst mit Kinderbüchern, Lyrik und Songs bekannt. Zum Beispiel mit dem Lyrikband "Etiopia, Nueva Etiopia", der von bekannten baskischen Sängern vertont und gesungen wurde. Bernardo Atxaga war Mitglied der avantgardistischen Kulturgruppe Pott (1978–1983), der auch die Schriftsteller Joseba Sarrionandia und Jon Juaristi, sowie der Gitarrist Ruper Ordorika und andere baskische Autoren angehörten. Durch seine Teilnahme am Festival Poetry on the Road sind einige seiner Gedichte auch in Deutschland bekannt (Wikipedia).
Außerhalb des Baskenlandes ist Atxaga in erster Linie als Prosa-Autor bekannt. Sein Geschichten-Kranz "Obabakoak" (Die aus Obaba) wurde mit bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet, in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und vom baskischen Filmregisseur Montxo Armendáriz auch verfilmt. In mehreren seiner Bücher wird das Tabu-Thema des baskisch-spanischen Konflikts aufgegriffen. Sein Roman "Zazpi etxe Frantzian" (Sieben Häuser in Frankreich) erschien im April 2009 auf baskisch und spanisch. Der Roman "Borrokaria" (El luchador / The Fighter) ist im Februar 2012 in drei Sprachen gleichzeitig erschienen.
Atxagas Werk hatte stets auch einen starken Bezug zur Welt außerhalb des Baskenlandes. In der Sekundärliteratur wird auf sein besonderes Verhältnis zu Deutschland und zur deutsch-österreichischen Literatur hingewiesen. Einige seiner Geschichten spielen in Hamburg bzw. Berlin, einige seiner Figuren haben wenn auch verfremdete deutsche Namen, etwa Esteban Werfell, Klaus Hahn, Hans Menscher. Sein bekanntester Roman "Obabakoak" sollte ursprünglich "Obaba - Hanburgo" heißen. Darüber hinaus lassen sich in Atxagas Schriften Anspielungen auf Werke von Bertold Brecht, Paul Celan, Franz Kafka, Friedrich Hölderlin, Georg Trakl, Franz Werfel finden.
Preis für die Ausdauer
Den Weg von Portugal nach Portugalete musste die Übersetzung zurücklegen, um den Euskadi-Preis in der Übersetzungs-Kategorie zu erhalten. Denn aus Portugal kommt der Autor António Lobo Antunes, dessen Werk "A ordem natural das coisas" Iñigo Roque übersetzte. Roque hingegen kommt aus der bizkainischen Industrie- und Hafenstadt Portugalete, Klein-Portugal, wenn man so will, an der Flussmündung vor Bilbao gelegen. Die Übersetzung war für ihn eine stilistische Übung abseits mathematischer Regeln. Er gesteht, dass er noch an keiner Übersetzung so lange gefeilt hat wie an dieser. Die Probleme seien jedoch eher formaler denn linguistischer Natur gewesen. "Als Übersetzer interpretierst du letztendlich", sagt der 38-jährige, der an der Universität Deustu Philologie studierte, beim Übersetzungsdienst der öffentlichen Universität arbeitet und unter anderem Poesie von Fernando Pessoa und Iolanda Zúñigar übersetzt hat. "Die natürliche Ordnung der Dinge", so der Titel des auch in deutscher Sprache erschienenen Werks, ist der zehnte Roman des Portugiesen Antunes (*1942). Es handelt sich um einen sogenannten dekonstruktiven Familienroman, der sich im Milieu kurioser Figuren und Beziehungsgeflechte bewegt. Wie auch ein anderes Werkvon Antunes endet der Roman mit dem Tod der Mehrzahl der Protagonisten. Zu Wort kommen zehn Erzähler, jeweils in Kapitel umfassenden Monologen (Wikipedia). "Der Preis ist sicher auch Antonio Lobo Antunes zu verdanken", würdigt Iñigo Roque den Autor des Werkes.
Quellen:
** Tageszeitung DEIA 9.10.2014: "Bernardo Atxaga, Idoia Estornés e Iñigo Roque se alzan ganadores en literatura en euskera, castellano y traducción", Artikel von Amaia Santana
** Tageszeitung GARA 9.10.2014: "Bernardo Atxaga, Idoia Estornes eta Iñigo Roque, aurtengo lehen Euskadi Sariak", Artikel von Amalur Artola
** Wikipedia Antonio Lobo Antunes
** Wikipedia Bernardo Atxaga
** Fotos: Txeng, DEIA, El País