Vier Leichen auf ein Mal
Der Kriminalroman “Baskischer Tod“ spielt in den von Tourismus geprägten baskischen Küstenstädten Zarautz und Getaria. Comisario Ibara entdeckt zufällig vier Leichen. Weil die Aufklärung nicht in seine Zuständigkeit fällt, wird aus Bilbao ein Mordermittler geschickt, dessen Hauptinteresse ist, möglichst schnell einen Täter zu präsentieren, ob der Fall damit aufgeklärt ist oder nicht. Da schlägt Ibaras große Stunde. Mit wenig Spürsinn, aber gründlichen Nachforschungen klärt er die vier Morde auf.
“Baskischer Tod“ stammt aus der Feder des Pseudonyms Julen Zabache, hinter dem sich ein Hochschul-Dozent verbirgt, der dem Baskenland gerne mehr Berühmtheit gönnen würde. Neben dem vorliegenden Roman hat er einen weiteren Krimi im Baskenland angesiedelt.
Die Hauptrolle im Getaria-Krimi “Baskischer Tod“ spielt Rafael Ibara, der zwar einen baskischen Familiennamen trägt, aber eher Deutscher oder Belgier ist. Rafael wurde in Hamburg geboren und wuchs dort auf – das prägt natürlich. Der Urgroßvater war hier Kapitän auf einem Ozeandampfer, Rafas Eltern hatten deshalb noch Verwandte in Deutschland und wanderten Anfang der 1970er dorthin aus, weil es mit der Franco-Diktatur kein Ende nahm. Sie arbeiteten im diplomatischen Dienst und gingen nach Brüssel als er 15 war. In der Hansestadt machte er eine Ausbildung zum Polizisten und blieb als Praktikant bei der ungeliebten Ertzaintza-Polizei in Euskadi hängen. So viel zum Hintergrund des Protagonisten.
Doch Rafael Ibara ist nicht nur Comisario, er hat eine unvollständige Familie, eine pubertierende Tochter und eine eigensinnige Schwiegermutter, die ihn auf Trab halten. Minderwertigkeitskomplexe, weil er kein echter Comisario ist, gleicht er aus durch eine Körpergröße, die den meisten, die ihm gegenüber stehen, Angst oder zumindest Respekt einflößt. Zu seinem Aufgabenbereich gehört, Touristen zu betreuen, die Taschendiebstähle oder Einbrüche in ihr Campingmobil anzeigen wollen.
Der Fall
Bei den aufgefundenen vier Leichen der Geschichte handelt es sich nicht um einen Massenmord, vielmehr ist sofort klar, dass es sich um unterschiedliche Fälle handeln muss, zwischen denen lange kein Zusammenhang erkennbar ist. Der neuere Mordfall kann schnell zugeordnet werden, die drei alten Fälle bis zum Ende nicht. Doch gerade sie bilden den Schlüssel zur Aufklärung. Verdächtige gibt es jede Menge.
Probleme hat Ibara mit dem eingeflogenen Chef-Ermittler, ein echter Kollegen-Arsch, den niemand ausstehen kann, und der nicht nur schlechte Stimmung verbreitet, sondern auch noch körperliche Ausdünstungen. Diese Faktoren spielen während der kompletten Handlung eine tragende, wenn auch etwas zu breit ausgetretene Rolle. Baskisch lernen will Ibara auf keinen Fall, Englisch und Deutsch sind ihm genug, für baskische Momente benutzt er seine euskaldune Kollegin, um bei renitenten Einheimischen das Eis zu brechen
Weitere Rollen, in der Reihenfolge ihres Erscheinens:
Miren Imaculada Silbermann Herrero: Unfreiwillige Zeugin und Informations-Lieferantin zur Klärung des Falles, sie identifiziert die letzte Tote. Österreicherin aus jüdischer Familie, die im Krieg vor den Nazis zu Verwandten nach Portugal fliehen wollte und im Baskenland hängen geblieben ist. Unklar, weshalb eine Österreicherin einen baskischen Namen trägt …
Alina Daamen: Letztes Mordopfer, Bloggerin, ohne es zu wissen hinterlässt sie die Spur ihrer letzten Tage, ohne direkt zur Auflösung des Falls beizutragen.
Vier deutsche Surfer: Sie bringen den ganzen Fall ins Rollen und werden zu verdächtigen Randfiguren.
Casta Zamorra: Ibaras Kollegin, die er eigentlich mag, solange sie nicht Dienst nach Vorschrift schiebt, den Grund dafür kann sich jede Leserin bereits zu Beginn denken.
Miguel Arbos: Der ungeliebte Chef-Ermittler, dem an nichts mehr gelegen ist, als schnelle Ergebnisse zu liefern und der dabei die Büros von anderen Kollegen verwüstet. Für ihn ist Ibara eine lästige Randfigur, ein blödsinniger Dorfpolizist.
Finia Herrero Etxeverría: Ibaras Schwiegermutter und Besitzerin des Baserri-Bauerhofs, auf dem Ibara und seine Tochter leben.
Isobel: Ibaras dynamische Tochter, die sich zum ersten Mal verliebt, sich perfekt im Internet auskennt und ihrem Vater Sorgen macht.
Sofia: Die große Abwesende.
Alba Olea: Ibaras Kollegin, die nach einem Arbeitsunfall nur langsam ihrer Genesung entgegen geht und sich von niemandem helfen lassen will.
Andoni Mendoza: Ibaras herzensguter Chef, das genaue Gegenteil zum Ober-Ermittler, der aber ebenfalls wenig zu sagen hat.
Doctora Gabriela Cortez: Gerichtsmedizinerin, die einzige, die sich traut, dem Chef-Ermittler Kontra zu geben und Ibara deshalb imponiert, weil er selbst sich nicht traut.
Wim Driessen: Ibaras belgischer Jugend-Freund, ebenfalls Polizist, der an geheime Daten rankommt, von denen Ibara nur träumen kann, die ihm aber sehr helfen bei seinen holprigen Ermittlungen.
Esteban: Mirens unechter Neffe, stammt aus Porto, Möchte-Gern-Lebemann mit Geld-Problemen und deshalb Mordverdächtiger.
Alfredo Torres: Einer der größten Arbeitgeber in Getaria, ihm gehören vier Hotels und ein Campingplatz, dazu das Escapio Luxus-Hotel im Südwesten von Getaria. Das macht ihn zum beachteten Mäzen und Kindergarten-Spender. Arbos verdächtigt ihn, zum Missfallen von Andoni, der sich Sorgen um den Ruf der Stadt macht.
Xabi Hernandez: Ein schräger Bauer, dem Sympathie für ETA nachgesagt wird und der Touristen, die überall rumknipsen, nicht mag. Deshalb und weil sein Onkel in den1980er Jahren wegen eines versuchten Anschlags verurteilt wurde, landet er als Mordverdächtiger im Gefängnis.
Señor Michele Etxebarria: Nachbar von Hernandez, der sich nach dessen Verhaftung um dessen Ziegen kümmern soll.
Pello Txurruka: Sohn eines Restaurantbesitzers, der mit dem letzten Mordopfer zu tun hatte und wichtige Tipps geben kann.
Fernando Morales: Organisiert Bootsausflüge für Touristen, einer der letzten, die mit dem letzten Mordopfer in Kontakt waren, möglicherweise sogar intim, selbstverständlich verdächtig.
ETA: Ein Randthema, schließlich hat sich die gefürchtete Organisation schon 2018 aufgelöst, der Bericht über einen ihrer Anschläge liefert allerdings wichtige Anhaltspunkte zur Auflösung des Falles.
Iturriko Thierry Arriola: Ibaras Kollege von der Spurensicherung, er stammt aus Iparralde und fühlt sich trotzdem als Baske, spricht auch Baskisch. Wenn er kein Baske wäre, wäre er lieber Europäer, das sei zeitgemäßer …
Thema Gastronomie
Bei seinen Nachforschungen und Soft-Verhören, das sei gleich zu Beginn bemerkt, schlendert Comisario Ibara ständig die Kneipenstraßen von Getaria auf und ab, trinkt hier einen Milchkaffee, dort eine Caña, lässt sich hier einladen und dort einen Pintxo servieren. Nur in dieser Hinsicht ist er ein perfekter Baske: Arbeitsbesprechungen mit kulinarischen Genüssen in der Kneipe, Einladungen zur Kontaktverbesserung, immer bereit für einen ernährungs-technischen Input, ob nun Hunger oder nicht.
Wie sich das für Gipuzkoa gehört (das sagt zumindest ein baskisches Klischee), spielen Gaumenfreuden eine tragende Rolle, die weit über die bloße Nahrungsaufnahme oder das Stillen des Hungers hinaus gehen. Dem räumt der “Baskische Tod“ in Getaria einen breiten Raum ein, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Jedesmal, wenn Ibara “die Txokolategia betrat, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, sobald er über die Schwelle ging“. Solche Zitate machen deutlich, dass wir es mit mehr als einem Krimi zu tun haben.
Eindrücke zum Buch
Julen Zabache ist sicher kein Freund der baskischen Sprache. Das lässt sich nach der Lektüre seines Krimis an verschiedenen Elementen feststellen. Den Ober-Protagonisten als Euskara-Ignoranten darzustellen, kann noch mit einem literarischen Kunstgriff erklärt werden. Wenn er mit dieser umstrittenen, vom spanischen Mainstream abgelehnten und bekämpften, aber einmaligen Sprache nicht gerade auf Kriegsfuß steht (vielleicht aus politischen Gründen), dann ist ihm zumindest eine durchweg despektierliche Behandlung zu bescheinigen. Bezeichnend, dass der Begriff Euskara, Name der Sprache, kein einziges Mal genannt wird. Eine vergebene Chance. Immerhin ist der Name in seiner baskischen Version geschrieben …
Der Name des Comisario zum Beispiel: Ibara. Im Baskenland heißt niemand mehr Ibara, im Mittelalter vielleicht. Ein durchaus üblicher Familienname ist hingegen Ibarra. Das bestätigen befragte baskische Muttersprachler*innen mit einer gewissen Irritation. „Ibar“ ist ein baskisches Wort und bedeutet Fluss, ein in der Menschheitsgeschichte überaus wichtiges Element. Weil im Baskischen viele Substantive ohne Artikel in Erscheinung treten, erhalten sie als Artikel ein „a“ angehängt. Jene Substantive, die auf „r“ enden, erhalten dazu ein zweites „r“. So wird aus ibar = Flusstal ibarra = das Flusstal. Derartiges wäre leicht zu recherchieren, zur Not über eine Anfrage bei Euskaltzaindia, der Akademie für die baskische Sprache.
Ein Beispiel von Nachlässigkeit oder Oberflächlichkeit: “Nagusia kalea“, die Hauptstraße, die fast in jedem kleineren Ort anzutreffen ist. „Kale“ ist Straße und „nagusi“ oder „nagusia“ bedeutet haupt, groß oder auch Chef. Die Hauptstraße heißt jedenfalls Kale Nagusia. In Nagusia kalea stecken zwei „a“ Artikel drin, einer zuviel, Nagusi kalea wäre noch akzeptabel. Euskaltzaindia …
Warum den meisten Protagonist*innen spanische Familiennamen zugeschrieben werden, ist ein Geheimnis des Autoren. Mit Ausnahme der Schwiegermutter (Etxeverría heißt in Gipuzkoa niemand) und des verunglückten Namens des Comisarios treffen wir in chronologischer Reihenfolge auf Herrero, Zamorra, Arbos, Herrero, Mendoza, Cortez, Torres, Hernandez, Morales – alles spanische Namen. Bei einem Krimi aus dem urbaskischen Ort Getaria? Erst am Ende tauchen in Nebenrollen Etxebarria, Txurruka und Arriola auf. Das ist armselig – was steckt dahinter? Klingen baskische Namen nicht nett genug? Ist es zu schwierig, sie zu lesen oder auszusprechen? Noch eine Chance vergeben, der baskischen Sprache ihr verdientes Podium zu erlauben. Der Autor sei eingeladen, für seinen nächsten Roman einmal ein Besuch auf dem Friedhof Getaria zu machen und Familiennamen zu studieren, ein sicher bereicherndes Erlebnis.
Gegrüßt wird im Baskenland übrigens so gut wie immer mit „agur“, teilweise zur Begrüßung, vor allem zum Abschied. Sogar von Personen, die kein Baskisch sprechen, oder es ablehnen. Dieser Gruß fehlt auf 255 Seiten komplett. Stattdessen darf „adios“ gesagt werden, nicht gerade oft, aber … der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Kann sich jemand einen Krimi in Hamburg vorstellen, bei denen mit dem süddeutschen „Grüß Gott“ gegrüßt wird?
Fragwürdig ist in diesem Sinn auch eine Beschreibung, bei der Ibara „amüsiert“ Leute entdeckt, „die er vom Sehen kannte und die immer so getan hatten, als beherrschen sie kein einziges Wort Spanisch. Jetzt reichte ihr Wortschatz plötzlich aus, um ihm beiläufige Fragen zu stellen“. Diese Heuchler! Hinter einer solchen Beschreibung steckt, dass sich die Sprecher von Weltsprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch, auch Deutsch, nicht vorstellen können, dass Menschen einer unterdrückten und oftmals verbotenen Sprache einen Stolz über ihr Idiom entwickelt haben, und sich gegenüber ignoranten Zeitgenossen wie Ibara keine große Mühe geben, eine Kommunikationsebene zu suchen. Hier geht es nicht um die Formulierung an sich, sondern um die implizite Botschaft. Eskerrik asko!
Unser Freund und Protagonist Ibara ist nicht nur Euskara-Ignorant, er scheint auch in anderer Hinsicht beängstigende Defizite zu haben. Seit 17 Jahren im Baskenland zu leben und nicht zu wissen, was Flysch ist (Seite 125) ist ein kultureller Tiefschlag sondergleichen. Der bekannteste Flysch-Ort Zumaia liegt nur einen Steinwurf von Ibaras Zarautz entfernt, genau 11 Kilometer entfernt am selben Küstenstreifen, seine Kollegin Casta muss ihn aufklären. Traurig. Nicht vorstellbar. Als würden wir in Bilbao leben und nicht wissen, dass dort ein Guggenheim-Museum steht.
„Game of Thrones“ hingegen ist sowohl Ibara wie auch dem Autor ein Begriff, stellt sich die Frage, warum nicht zur Sprache kommt, dass die Dreharbeiten zu diesem fragwürdigen Filmabenteuer in Zumaia und Gaztelugatxe (dem Titelbild) zu einem absolut lästigen Massentourismus geführt haben – und sei es nur ein klitzekleiner Hinweis zu baskischer Realität. Jemand den Satz in den Mund zu legen „Das Baskenland ist im Aufwind und erfreut sich, nicht nur dank dieser Fantasy-Serie, wie hieß die noch?“ ist noch so ein Fehlgriff, der den Betreffenden einfach nur dumm dastehen lässt.
Und warum das Meer vor Getaria „die Biscaya“ heißen muss, ist noch so ein Geheimnis. Warum nicht Golf von Vizcaya, wie es in der Tagesschau heißt, von der baskischen Schreibweise Bizkaia ganz zu schweigen, auch hätte es Kantabrisches Meer genannt werden können, ein auch im Baskenland üblicher Begriff, obwohl Kantabrien ja Spanien ist.
Ein Buch, das in Getaria, also Gipuzkoa spielt, mit einem Titelbild aus Bizkaia zu versehen, kann nur mit kompletter Unkenntnis der Gegend erklärt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Getaria mit seiner vorgelagerten Halbinsel eines der interessantesten Bilder der Giputxi-Küste abgibt. Solche Fehlgriffe bauen auf das Unwissen der Leser*innen (wird schon niemand merken). Kein schöner Zug.
Unterhaltung
Nichts für ungut. Die Lektüre des Ibara-Krimis war unterhaltsam, ohne Notwendigkeit, nochmal zurückzublättern, um das eine oder andere Element zu rekapitulieren, das überlesen wurde, jedoch für das Verständnis der Geschichte wichtig ist. Nichts davon. Einfach nur lesen von vorne bis hinten, in einem Zug, wenn die Zeit reicht. Denn die rein krimi-technischen Inhalte machen maximal ein Drittel des Buches aus, der Rest besteht aus Familie, Selbstzweifel, Gastronomie, kollegiale Reiberei. Auch Fernseh-Krimis zeichnen sich heutzutage durch solche Elemente aus, Krimi-Geschichten werden sozusagen “entkriminalisiert“. Wer einfache Unterhaltung sucht, ist hier richtig. Wem der „Katzensprung“ als Lieblingskrimi am Herzen liegt, der sollte die Finger weglassen.
Wer sich, wie der Autor des vorliegenden Krimis, im Einband vorstellen lässt mit „hält das Baskenland für eine der unterschätztesten Regionen Europas“, von dem wäre etwas mehr Engagement, Insiderwissen und Einfühlungsvermögen zu erwarten. Entschuldigend wird angefügt, dass seine Spanisch-Kenntnisse (nur) zum Bestellen von „Pintxos“ ausreichen. Spanisch-Kenntnisse, wie auch immer, sind keine ausreichende Grundlage, baskische Krimis zu schreiben. Denn was ist ein baskischer Krimi? Einer der im Baskenland spielt? In dem Baskinnen und Basken agieren? Oder der neben dem Krimi auch ein Stück reale Lebenswelt vermittelt (außer dem Gastronomie-Klischee). Wenn nicht, könnte er auch in Sardinien oder auf den Faröer-Inseln angesiedelt sein. Wie heißen Pintxos nochmal auf Dänisch?
ANMERKUNGEN:
(*) "Baskischer Tod, Kriminalroman von Julen Zabache, Verlag Harper Collins, 2020
ABBILDUNGEN:
(1) Baskischer Tod (buchtitel)
(2) Getaria (wikipedia)
(3) Getaria (turismo vasco)
(4) Leuchtturm Getaria (getaria)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-20)